Wenn man schon mal in Wien ist - um zwischen Grinzing und dem Burgtheater Kultur zu tanken - dann sollte man einen Abstecher nach Budapest nicht scheuen. Gesagt, getan und so fuhren Brigitte und ich in knapp drei Stunden mit der Bahn in die ungarische Hauptstadt.
Hinreissender Anblick, verblichene Pracht
"Man muss Budapest von oben und zur Nacht gesehen haben", sagte Klaus Mann einmal und recht hat er. Der Hauptbahnhof, auf dem die Züge von Wien ankommen, sieht samt seiner Umgebung etwas ramponiert aus und so waren wir froh, als uns Freund Hess in seinem Auto sogleich auf die hochgelegene Zitadelle kutschierte. (Übrigens: ich spreche nicht von Rudolf Hess, weiland Stellvertreter des "Führers", sondern von Dr. Bernhard Hess, früher Wissenschaftler bei der Firma Interatom/Siemens, der in seiner Berufszeit die Welt mit Schnellen Brütern beglücken wollte.) Bernhard und seine charmante Frau Dagmar führten uns an die geografisch richtigen Stellen und Budapest lag buchstäblich zu unseren Füssen: im Westen der bergige Stadtteil
Buda, im Osten weit hingestreckt der flache Stadtteil
Pest. Beide zusammen bilden die Stadt
Budapest. Und dazwischen der Donaustrom, den die Ungarn
Duna nennen. Ein Fluss, der gleichermassen trennt und verbindet: vierhundert Meter breit und sechs Meter tief. Damit verglichen ist die vielbesungene Donau in Wien ein armseliges Gerinne.
Blick vom Stadtteil Buda auf Pest;
im Vordergrund die Donau und die Kettenbrücke
Neun Brücken überqueren die Donau im Bereich der Stadt Budapest. Die Kettenbrücke ist die imposanteste. Sie wurde vor hundertfünfzig Jahren, während der Habsburger Zeit, von dem Engländer Adam Clark gebaut. Er war auf sein Bauwerk so stolz, dass er öffentlich verkündete, sich in die Donau stürzen zu wollen, falls es jemand fertigbrächte, ihm einen Baufehler nachzuweisen. Das gelang schliesslich einem Bäckerjungen, der darauf hinwies, dass die vier steinernen Löwen an Auf- und Abfahrt der Brücke in ihren aufgerissenen Mäulern keine Zungen hätten. (Es ist nicht bekannt, dass Mister Clark daraufhin den Freitod gesucht hätte.)
Budapest besitzt eine Vielzahl repräsentativer Gebäude, die zumeist aus der k u. k - Zeit stammen. Kaiser Franz-Joseph und vorallem seine ungarophile Gemahlin Elisabeth (genannt "Sisi") versorgten Budapest mit den erforderlichen finanziellen Ressourcen. So entstanden eine grosse Zahl von Bauten im Stil der Neo-Klassik, des Neo-Barocks und sogar des Jugendstils, welche Wien durchaus Konkurrenz machen konnten. Mit dem Ende des Habsburgerreiches nach dem verlorenen 1. Weltkrieg verfielen diese Bauten und der 2. Weltkrieg sowie die nachfolgende sowjetische Besatzung taten ihr Übriges. Heute ist teilweise eine verblichene Pracht sichtbar, der man gerne finanzkräftige Investoren wünschen möchte.
Wenn man als Tourist nach Budapest kommt, sollte man die Badehose im Gepäck haben. Die Stadt besitzt nämlich 120 heisse Quellen und nennt sich zu Recht "Spa Capital of Europe". Es gibt eine Unzahl prächtiger Thermalbäder, zumeist in türkischem Stil, wovon das
Gellertbad mit seinen hohen Marmorsäulen und seine bunten Mosaiken wohl das bekannteste ist. Der grösste badetaugliche Thermalsee mit sage und schreibe 4,4 Hektar befindet sich am Plattensee (
Balaton) und erneuert sein Wasser alle 48 Stunden. Selbst im Winter sinkt die Temperatur nie unter 23 Grad Celsius. Der Seegrund ist von radioaktivem Schlamm überzogen und dies wird offensichtlich hingenommen. (Wie die vier uralten Kernkraftwerke russischer Bauart, welche Ungarn 43 Prozent seines Strombedarfs liefern.)
"Ich denke oft an Piroschka"
Im Nachkriegsdeutschland wurde ein Film mit Liselotte Puver zum Renner. Als
Piroschka und Tochter eines Stationsvorstehers lernt sie in der ungarischen Provinz den deutschen Austauchstudenten
Andreas (Gunnar Möller) kennen und lieben. Die beiden kommen sich trotz der Sprachprobleme näher, aber der Name des winzigen Orts in der Puszta - den es wirklich auch heute noch gibt - war lange Zeit ein Lacherfolg für das Kinopublikum. Er hiess:
Hódmezövásárhelykutasipuszta.
Das Ungarische kennt keinen vorgeschriebenen Satzbau, stattdessen "klebt" man die Silben aneinander, was zu irritierender Länge der Ausdrücke führt. Hinzu kommt, dass die Akzente die Silben zuweilen ganz anders klingen lassen; Beispiel:
Úngaarland. Mancher gebürtige Ungar, wie Franz Liszt hat darauf verzichtet ungarisch zu lernen und zeitlebens deutsch und französisch gesprochen. Andererseits konnte die schon genannte Kaiserin Sisi fliessend ungarisch sprechen, was wohl ein Grund ihrer Beliebtheit bei den Magyaren war.
Das Ungarische hat keine Verwandschaft mit den den germanischen, romanischen oder slawischen Sprachen, sondern ist in Mitteleuropa vollkommen isoliert. Angeblich ging es aus der finno-ugrischen Sprachfamilie hervor. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass die Finnen Ungarisch verstehen oder die Ungarn Finnisch. Für einen Ausländer ist es schlechterdings unmöglich die ungarische Sprache ratend zu verstehen oder sie korrekt auszusprechen. Schon ein einfacher Akzent kann zu einer totalen Bedeutungsveränderung führen. Bekannt ist folgendes Beispiel: ein ungarisches Wort, lang ausgesprochen, hat die Bedeutung von "Zeug"; bei kurzer Aussprache aber - Pardon - von "Arsch".
Zum Glück verstehen noch viele Ungarn deutsch (oder englisch), sodass man als Tourist selten in Verlegenheit kommt.
Vom Gulasch zum Tokayer
Wer sich auf Diät befindet, beziehungsweise Vegetarier (oder gar Veganer) ist, sollte Ungarn tunlichst meiden. Die Küche der Magyaren ist ländlich und fleischlastig. Man kocht schwer, mit viel Schweineschmalz und saurer Sahne. Bei meiner Ankunft in Budapest und mit kräftigen Hunger ausgestattet, bestellte ich nach Durchsicht der Speisekarte
Gulyás - worauf ich enttäuschenderweise nur eine dünne Gulaschsuppe erhielt. Noch wusste ich nicht, dass unser deutsches Gulasch im Ungarischen
Pörkölt und so als Schmorgericht überall erhältlich ist. Das kleine grüne Gemüseschnitzchen (aufgestellt am Rand der Suppenschale) ass ich so nebenbei - und fiel fast vom Stuhl. Es war eine Paprikaschote und zwar von der ganz scharfen Sorte, welche man so in Deutschland nie bekommt.
Zum Repertoire der Magyarenküche gehörte in unserem Hotel auch die Gänsestopfleber (
Libamáy). Sie wurde in grossen Stücken serviert und ein kundiger Hotelgast erzählte mir, dass Ungarn der grösste Gänsestopfleberproduzent der Welt sei. Der bedeutendste Abnehmer sei Frankreich und insbesondere das Departement Elsass. Ein Hoch der Grande Nation für ihre ausgezeichnete
Foie Gras! Ein Beitrag der Ungarn zum weltweiten "Fast Food" ist der
Lángos, ein Hefegebäck in Schmalz
herausgebacken
. Beim Karlsruher Weihnachtsmarkt schmeckt er mir immer ausgezeichnet, sodass ich ihn einmal im Ursprungsland geniessen wollte. Dazu begab ich mich zu den Markthallen, einem 150 Meter langen luftigen Bau aus Glas und Stahl an der Donau. Der
Lángos war nicht länglich sondern kreisrund und hatte die Grösse einer mittleren Pizza. Er triefte vor Fett und war bedeckt mit einem Zentimeter intensiv gezuckertem Pfirsichmus. Nach der Hälfte musste ich aufgeben.
Kommen wir zu den Weinen. Ganz Ungarn könnte ein einziger Weinberg sein, zumindest was die klimatischen Voraussetzungen anlangt. Am bekanntesten ist die Region um Tokay im Nordosten des Landes. Der Tokayer war früher jener edelsüsse Dessertwein, den sich nur Fürsten und Könige leisten konnten. Inzwischen haben die Winzer dort ihr Sortiment verbreitert, sie bieten ihn auch sehr trocken an - ohne an Qualität zu verlieren.
Das "Erlauer Stierblut" war früher ein ordinärer Rotwein, bei dem der anschliessende Kater gesichert war. Die ungarischen Soldaten tranken ihn vor ihren üblichen Scharmützeln mit den Türken, worauf diese regelmässig die Flucht ergriffen. Heute ist auch er in der Klasse so gestiegen, dass ihn sogar der britische Weinpapst Hugh Johnson als "Bulls Blood" der Domaine
Szekszárdi Bikavér in seinem Handbuch lobend erwähnt.
Ein Erlebnis der besonderen Art war eine Weinprobe tief im "Faust-Keller" des Hilton-Hotels auf dem Burgberg. Dort konnten wir, bei anregenden Gesprächen, acht verschiedene Weiss-und Rotweine der ungarischen Provenienz geniessen. Der Keller liegt so tief, dass elektromagnetische Geräte, wie Mobiltelefon oder Kasse, nicht funktionieren. Wir mussten also bar bezahlen!
Bernhard und Dagmar wollen sich diesen Umstand nicht immer antun und haben deshalb ihren eigenen Weinberg am
Balaton. Besucher sind willkommen. Stossen wir schon mal mit den beiden an:
Egészségedre!