Die Rückkehrer
Über die sowjetische Botschaft in Paris wurden im Frühjahr 1955 die ersten diplomatischen Fäden geknüpft und schon im September des gleichen Jahres flog Adenauer zu einem Staatsbesuch in die Sowjetunion. Beide Seiten verbanden mit diesem ersten Kontakt unterschiedliche Erwartungen. Die Sowjets wollten diplomatische Beziehungen mit der Bundesrepublik Deutschland aufnehmen; die deutsche Seite war daran interessiert, die restlichen Kriegsgefangenen aus der UdSSR zurück zu holen. Damals befanden sich noch knapp 10.000 Wehrmachts- und Waffen-SS-Soldaten sowie rund 20.000 politisch inhaftierte Zivilisten in sowjetischer Gefangenschaft - wozu auch die deutschen Wissenschaftler um Riehl gehörten.
Briefmarke (1953) zum Gedenken an die deutschen Kriegsgefangenen
Über die Kriegsgefangenen war man sich schnell einig; die Freilassung der Zivilinternierten wurde kurz vor dem Ende der offiziellen Verhandlungen in einem persönlichen Gespräch zwischen Adenauer und Bulganin vereinbart. Bei der russischen Bevölkerung war die Freilassung der deutschen Kriegsgefangenen übrigens äusserst unpopulär, da die massiven Kriegsschäden noch überall zu besichtigen waren. Auch die DDR kritisierte die Einigung zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion heftig, da sie nicht an die gewünschte diplomatische Anerkennung ihres Landes gekoppelt war.
Im Oktober 1955 kamen die ersten Rückkehrer in den Grenzorten Friedland und Herleshausen an. Die sogenannte "Heimkehr der Zehntausend" war ein Ereignis, das die deutsche Öffentlichkeit im Innersten berührte und massgeblich zu Adenauers langer Regentschaft als Bundeskanzler beitrug. Die "Spätheimkehrer" erhielten pro Jahr Gefangenschaft 360 D-Mark Entschädigung - das Vaterland liess sich nicht lumpen. Den Wissenschaftlern machte man Stellenangebote entsprechend ihrer beruflichen Erfahrung. So wurde Günter Wirths ranghoher Manager bei der Brennelementefirma Nukem, H-J Born, K. G. Zimmer und A. Katsch bekamen Institutsleiterposten beim Kernforschungszentrum Karlsruhe angeboten. Nikolaus Riehl wurde, wie früher bereits vermerkt, Professor für Festkörperphysik im Institut von Maier-Leibnitz an der Technischen Hochschule München.
Mutter eines Kriegsgefangenen dankt Bundeskanzler Konrad Adenauer nach seiner Rückkehr aus Moskau auf dem Flughafen Bonn/Köln
Als Diplomand bei Maier-Leinitz
An die Einführung von Riehl im Institut kann ich mich nicht mehr erinnern, da ich zu jener Zeit (um 1956) ganz in meine Diplomarbeit vertieft war. Das Thema war durchaus interessant (Messung der Feinstruktur von Alphastrahlen am Ende der Bragg-Kurve), aber der Weg dorthin erwies sich als sperrig. Ich musste mir alle Messgeräte für dieses kernphysikalische Thema selbst zusammen basteln und das waren nicht wenige: eine Ionisationskammer, Zählgeräte mit Untersetzer und Vielkanalanalysatoren sowie ein siebenstufiger Impulsverstärker. Insbesondere der Bau des Verstärkers war sehr zeitaufwendig, denn die damals noch daumendicken Elektronenröhren hatten die unangenehme Eigenschaft zu oszillieren, sodass am am Schluss meist ein Sender herauskam. Diese "Radiobastelei" bei ML ging mir gewaltig auf die Nerven; ich war einfach nicht der Typ für derlei Aufgaben.
Nun, durch allerlei Abschirmtricks konnte ich das Schwingungsproblem beheben und endlich die eigentlichen Messungen an den Alphastrahlen erledigen. Mein Chef Maier-Leibnitz schien einigermassen zufrieden zu sein, denn mit zehn Semestern liess er mich zur Hauptdiplomprüfung zu und bot mir danach sogar eine Doktorarbeit auf einem ähnlichen Gebiet an. Damit hatte ich insgeheim gerechnet, ich war aber entschlossen abzulehnen und hatte mir dafür bereits eine Strategie zurecht gelegt: ich bedankte mich höflich für sein Angebot, fragte aber keck, ob ich nicht ein Thema aus der Festkörperphysik bearbeiten dürfe - zur Erweiterung meiner Physikkenntnisse. ML war etwas überrascht, ging aber auf den Vorschlag ein und schickte mich zu seinem Kollegen Professor Riehl, dem ich meinen Wunsch vortragen sollte.
Das war mir sehr recht, denn für Riehl hatte ich eine weitere Strategie parat.
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