Werner Heisenberg (1901-1976)
Am 1. September 1939 begann der 2. Weltkrieg und wenige Tage später empfing Heisenberg den sogenannten Gestellungsbefehl. Aber nicht für die Gebirgsjäger, bei denen er gedient hatte, sondern für das Heereswaffenamt (HWA) in Berlin. Dort erhielt er den Auftrag, den Prozess der Kettenreaktion bei Uran zu untersuchen, die Otto Hahn und seine Mitstreiter vor Jahresfrist entdeckt hatten. Heisenberg erledigte diese Arbeit mit Bravour. Bereits Anfang 1940 legte er zwei Berichte unter dem Titel "Die Möglichkeiten der technischen Energiegewinnung aus der Uranspaltung, I u. II" vor. Enrico Fermi hatte in den USA, etwa zur gleichen Zeit, die gleiche wissenschaftliche Aufgabe gelöst. In Deutschland und Amerika lagen die Forscher damals bei der Entwicklung des Kernreaktors also gleichauf.
Arbeiten an der Uranmaschine
Das änderte sich in den darauffolgenden Jahren. Während in den USA - auf Anregung von Albert Einstein und auf Anordnung von Präsident Roosevelt - das Projekt "Manhattan" begonnen wurde, welches über die Entwicklung der Kernreaktoren bis zur Atombombe führte, dümpelte in Deutschland die Entwicklung der "Uranmaschine" (so nannte man damals den Kernreaktor) weitgehend unkoordiniert vor sich hin. Zum Bau einer Atombombe kam es - glücklicherweise - überhaupt nicht.
Verantwortlich dafür die mangelhafte Organisation der Reaktorarbeiten durch das HWA und seinen Bevollmächtigten Walter Gerlach. Zweifellos hatte Heisenberg mit Abstand den besten Durchblick bei der Uranspaltung, aber als Führungsperson kam er nicht infrage, da er den Nazis weiterhin suspekt war. So werkelten parallel eine Reihe von Kleingruppen vor sich hin, von denen jede versuchte , das Ziel - eine sich selbst tragende Neutronenvermehrung in der Urananordnung - als erste zu erreichen. Die Führungspersonen dieser Gruppen waren u. a. Diebner in Berlin, Harteck in Hamburg, Bothe in Heidelberg sowie Heisenberg in Leipzig bzw. später (mit Wirtz) in Berlin und Haigerloch. Eine gravierende Folge dieses Klein-Klein war die Aufsplittung der wertvollen Ressourcen Uran sowie des Schweren Wassers. Spätere Nachrechnungen haben ergeben, dass man bei Zusammenlegung dieser Materialien bereits 1942 einen kritschen Reaktor erhalten hätte.
Bei diesen Miniversuchen offenbarten sich auch die limitierten Fähigkeiten Heisenbergs auf dem Gebiet der experimentellen Physik. Bei einem Versuch im Jahr 1942 an seinem Leipziger Institut geriet durch Unachtsamkeit das Uranmetallpulver ins Brennen und Heisenberg konnte sich (zusammen mit seinem Assistenten Döpel) nur mit einem beherzten Sprung durchs Fenster von der nachfolgenden Explosion retten. "Des is wohl so etwas wie Adomzerdrimmerung" bemerkte der sächsische Feuerwehrhauptmann - wobei er jedoch nicht das Richtige traf.
Die folgenschwerste Fehlleistung unterlief Professor Walter Bothe in Heidelberg. Er sollte den Absorptionsquerschnitt von Grafit für langsame Neutronen bestimmen. Leider geriet die Messung so falsch, dass man vermuten musste, diese Substanz käme als Moderator für Kernreaktoren nicht infrage. Deshalb stand in der Folge nurmehr das rare Schwere Wasser für diese Zwecke zur Verfügung, dessen Produktionsanlagen in Norwegen aber ständig von den Alliierten bombardiert wurden.
Ab 1943 - die Amerikaner hatten längst ihren ersten (grafitmoderierten) Atomreaktor in Chicago ins Laufen gebracht - bündelte man endlich in Deutschland die Kräfte und betrieb den Umzug aus dem bombenbedrohten Berlin ins württembergische Haigerloch. Heisenberg liess, gut versteckt unter der Schlosskirche, einen Felsenkeller für seine Gerätschaften bauen. Zwischendurch entspannte er sich mit Orgelspielen und Fahradfahren. Aber es war zu spät. Beim Grossversuch B8 stellte man zwar eine Neutronenvermehrung um den Faktor 7 fest, zur Kritikalität reicht dies jedoch nicht. Die einrückenden alliierten Streitkräfte beendeten am 20 April 1945, sinnigerweise also an "Führers" Geburtstag, die deutschen Atomversuche abrupt.
Konstruktionsskizze für die Uranmaschine in Haigerloch
Atombombe kein Ziel
Immer mal wieder wird kolportiert, deutsche Wissenschaftler hätten während des Krieges versucht, eine Atombombe zu entwickeln. Dies ist falsch und hätte auch nicht zum Ziel geführt, wie unten noch dargestellt wird. Freilich, das Wissen, dass eine Bombe auf atomarer Basis möglich sein könnte, war unter den Kernphysikern der damaligen Zeit weit verbreitet. Aber nicht alle glaubten an ihre verheerende Wirkung; nicht wenige Wissenschaftler vermuteten, dass der Prozess der Kettenreaktion das Uran vorzeitig zum Verdampfen bringen würde, sodass die Bombe nur eine geringe Brisanz haben würde. Fakt ist, dass es auf seiten der deutschen Politiker keinen Befehl zur Entwicklung einer Atombombe gab. Hitler - darin nicht vergleichbar mit Roosevelt - hielt nicht viel von Kernphysik. Sein militärisches Interesse galt den Raketenwaffen V1 und V2. Wernher von Braun stand ihm unendlich viel näher als Werner Heisenberg.
Der Weg zur Atombombe führt über die beiden Materialien Uran 235 und/oder Plutonium 239. Beide sind in dieser Form in der Natur nicht vorhanden, müssen also künstlich hergestellt werden. Das U-235 gewinnt man über einen Isotopentrennprozess, das Pu-239 über spezielle Kernreaktoren. Wer nach 1945 die Chance hatte, diese Anlagen in USA zu besichtigen, war beeindruckt von ihrer schieren Grösse. Die Isotopentrennanlage in Oak Ridge auf der Basis des Diffusionsprozesses und die Produktionsreaktoren für Plutonium in Hanford bedecken ein Areal von vielen Quadratkilometern und haben einen gewaltigen Energieverbrauch. Damit wurde bis 1945 das Material für nur zwei (!) Bomben hergestellt. Undenkbar, dass in Deutschland, bei den ständigen Luftangriffen, ähnliche Anlagen hätten gebaut und betrieben werden können.
Nicht unmöglich war das viel bescheidenere Ziel eines kritischen Uranreaktors. Dass selbst dies nicht erreicht wurde, ist dem (projektleitenden) Heereswaffenamts und den Wissenschaftlern selbst anzulasten.
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