Samstag, 30. Oktober 2010

Interniert in England

Als im Frühjahr 1945 die militärische Front des 2. Weltkriegs immer näher an Hechingen und Haigerloch heranrückte, machten sich die deutschen Atomforscher um Heisenberg, Gerlach und Wirtz ihre Gedanken darüber, wie die Materialien und Experimentieranlagen vor den allierten Truppen zu verstecken seien. Schliesslich beschloss man das Uran und die Neutronenquellen auf einem Feld bei Haigerloch zu vergraben; das Schwere Wasser wurde nahebei im Keller einer Mühle eingelagert.

Ab nach Farm Hall

Im Gefolge der kämpfenden (französischen) Truppen kam eine Spezialeinheit des amerikanischen Geheimdienstes an, die schon 1943 aufgestellt worden war und seitdem alle Erkenntnisse über das deutsche Uranprogramm per Spionage sammelte. Durch einen Trick veranlasste sie Wirtz und C.-F. v. Weizsäcker ihnen das Versteck der Uran- und Schwerwasservorräte mitzuteilen: mit dem Hinweis, "dass diese Materialien gebraucht werden, wenn die Deutschen ihre Forschungen anderswo wieder aufnehmen würden".


Die Amerikaner graben das bei Haigerloch versteckte Uran aus

Im Sommer 1945 wurden die wichtigsten Mitglieder des (west-)deutschen Atomprogramms sistiert, nämlich Werner Heisenberg, Otto Hahn, Max v. Laue, Walter Gerlach, Kurt Diebner, Erich Bagge, Paul Harteck, Horst Korsching sowie Karl Wirtz und Carl-Friedrich von Weizsäcker. Diese Zehn verbrachte man nach England und internierte sie in Farm Hall einem Landhaus nördlich von London. Vorher hatte der amerikanische Geheimdienst noch versichert, dass er ihre in Deutschland verbleibenden Familien, insbes. die Frauen, vor den gefürchteten Übergriffen der Marokkaner schützen würde, was auch eingehalten wurde.

In Farm Hall waren die Forscher "special guests" und konnten sich frei bewegen. Was sie nicht wussten war, dass der Geheimdienst vorher alle Räume bis hin zu den Toiletten mit Abhörmikrofonen bestückt hatte, um die Gespräche der Physiker und damit ihren "trend of thoughts" verfolgen zu können. Daraus entstand ein 212-seitiges Wortprotokoll, das 1992 für die Öffentlichkeit freigegeben wurde.




Das Landhaus Farm Hall (Federzeichnung von Bagge)

Ein besonderer Tag war der 6. August 1945. Die Gruppe befand sich im Aufenthaltsraum, als im Radio der Abwurf der ersten Atombombe auf Hieroshima bekannt gegeben wurde. Erstaunlich war, dass gerade Heisenberg zuerst nicht an eine nukleare Reaktion glauben wollte, sondern eine "Hochdruckbombe auf chemischer Basis" vermutete. Aber die weiteren Meldungen machten klar, dass es sich wirklich um eine Uranbombe gehandelt hatte. Sofort stellte sich die Frage nach der Herkunft des Uran 235. Gerlach vermutete, dass es über magnetische Separation gewonnen worden war; Wirtz, der erfahrene Physikochemiker, tippte auf Diffusion und lag damit richtig. Ganz geknickt und nahe am Suizid war Otto Hahn. Er empfand persönliche Schuld in Verbindung mit der von ihm entdeckten Kernspaltung. Man richtete eine Nachtwache ein, um sicherzustellen, dass Hahn sich nichts antun würde.

Die siegreichen Verlierer

Nach dem Abwurf der zweiten Atombombe auf Nagasaki klärte sich die technische Diskussion. Heisenberg musste zugeben, dass er mit seiner Chemiebombe daneben lag. Hektisch unternahm er - nur mit Bleistift und Papier - eine Anzahl von Rechnungen und überraschte seine Kollegen mit einem "Kolloquiumsvortrag" - der natürlich auch abgehört wurde - und bei dem er die kritische Masse der Bomben auf ca. 50 Kilogramm Spaltstoff bezifferte, womit er um den Faktor 5 zu hoch lag. "Gott sei Dank, wir konnten die Bombe nicht bauen", war seine Aussage.

Carl-Friedrich v. Weizsäcker, politisch clever wie alle im Clan der Weizsäckers, strickte diesen Gedanken weiter. Er hatte als Erster erkannt, dass sich der technische Rückstand der Deutschen in einen moralischen Vorsprung verwandeln liess, wenn es gelang, unzureichendes Können als Indiz für fehlendes Wollen auszugeben. Fortan hiess es, dass die entscheidenden Personen der deutschen Atomforschung die Bombe einfach nicht gewollt hätten - wäre es anders gewesen, dann hätten sie es auch geschafft. Aus diesem Argument ergab sich zudem die Chance als Nazi-Gegner, ja sogar als Widerständler zu erscheinen, was zumindest Gerlach und Diebner nie waren.

In der Nachkriegszeit beherrschten Heisenberg und Weizsäcker mit ihrer apologetischen Darstellung die öffentliche Diskussion. Die anderen schwiegen; wahrscheinlich hatten sie erkannt, wie vorteilhaft es ist, etwas, das man nicht können soll, auch nicht gewollt zu haben. Ihr bekanntestes Dokument ist die "Erklärung der Göttinger Achzehn" aus dem Jahr 1957, das eine atomare Aufrüstung der Bundeswehr ablehnte, gleichzeitig aber dafür plädierte, die friedliche Verwendung der Atomenergie mit allen Mitteln zu fördern.



Anfang1946 war die Internierung zu Ende und die Zehn wurden zu ihren Familien nach (West-) Deutschland entlassen. Zuvor, im November 1945, erhielt der noch in Farm Hall gefangen gehaltene Otto Hahn den Nobelpreis für Chemie des Jahres 1944. Die schwedische Kommission hatte alle Bedenken beiseite gerückt und nur die wissenschaftliche Grosstat von Hahn bewertet.

Leider hat sie dabei die Verdienste von Lise Meitner übersehen.

Postscriptum:

Etwa zur gleichen Zeit wurden Wernher v. Braun und seine hundert Mitarbeiter mit grossen Ehren in den USA empfangen und in Huntsville, Alabama, zur Fortführung ihrer Arbeiten ermuntert. Zuvor waren bei der Produktion der Raketen in unterirdischen Konzentrationslägern (wie Dora in Thüringen) tausende von jüdischen Zwangsarbeitern umgekommen. Beim Abschuss der V1- und V2-Waffen kamen mehr als 20.000 britische Zivilisten ums Leben.

Spricht hier etwa jemand von Moral?

Sonntag, 24. Oktober 2010

Heisenberg im Abseits

Nach der missglückten Bewerbung um die Sommerfeld-Nachfolge in München (voriger post), erhielt Werner Heisenberg 1928 den Lehrstuhl für theoretische Physik an der Universität Leipzig. In der "Provinz" duldeten die Nazi-Oberen gelegentlich auch Leute, die nicht Mitglied der NSDAP waren.



Werner Heisenberg (1901-1976)

Am 1. September 1939 begann der 2. Weltkrieg und wenige Tage später empfing Heisenberg den sogenannten Gestellungsbefehl. Aber nicht für die Gebirgsjäger, bei denen er gedient hatte, sondern für das Heereswaffenamt (HWA) in Berlin. Dort erhielt er den Auftrag, den Prozess der Kettenreaktion bei Uran zu untersuchen, die Otto Hahn und seine Mitstreiter vor Jahresfrist entdeckt hatten. Heisenberg erledigte diese Arbeit mit Bravour. Bereits Anfang 1940 legte er zwei Berichte unter dem Titel "Die Möglichkeiten der technischen Energiegewinnung aus der Uranspaltung, I u. II" vor. Enrico Fermi hatte in den USA, etwa zur gleichen Zeit, die gleiche wissenschaftliche Aufgabe gelöst. In Deutschland und Amerika lagen die Forscher damals bei der Entwicklung des Kernreaktors also gleichauf.

Arbeiten an der Uranmaschine

Das änderte sich in den darauffolgenden Jahren. Während in den USA - auf Anregung von Albert Einstein und auf Anordnung von Präsident Roosevelt - das Projekt "Manhattan" begonnen wurde, welches über die Entwicklung der Kernreaktoren bis zur Atombombe führte, dümpelte in Deutschland die Entwicklung der "Uranmaschine" (so nannte man damals den Kernreaktor) weitgehend unkoordiniert vor sich hin. Zum Bau einer Atombombe kam es - glücklicherweise - überhaupt nicht.

Verantwortlich dafür die mangelhafte Organisation der Reaktorarbeiten durch das HWA und seinen Bevollmächtigten Walter Gerlach. Zweifellos hatte Heisenberg mit Abstand den besten Durchblick bei der Uranspaltung, aber als Führungsperson kam er nicht infrage, da er den Nazis weiterhin suspekt war. So werkelten parallel eine Reihe von Kleingruppen vor sich hin, von denen jede versuchte , das Ziel - eine sich selbst tragende Neutronenvermehrung in der Urananordnung - als erste zu erreichen. Die Führungspersonen dieser Gruppen waren u. a. Diebner in Berlin, Harteck in Hamburg, Bothe in Heidelberg sowie Heisenberg in Leipzig bzw. später (mit Wirtz) in Berlin und Haigerloch. Eine gravierende Folge dieses Klein-Klein war die Aufsplittung der wertvollen Ressourcen Uran sowie des Schweren Wassers. Spätere Nachrechnungen haben ergeben, dass man bei Zusammenlegung dieser Materialien bereits 1942 einen kritschen Reaktor erhalten hätte.

Bei diesen Miniversuchen offenbarten sich auch die limitierten Fähigkeiten Heisenbergs auf dem Gebiet der experimentellen Physik. Bei einem Versuch im Jahr 1942 an seinem Leipziger Institut geriet durch Unachtsamkeit das Uranmetallpulver ins Brennen und Heisenberg konnte sich (zusammen mit seinem Assistenten Döpel) nur mit einem beherzten Sprung durchs Fenster von der nachfolgenden Explosion retten. "Des is wohl so etwas wie Adomzerdrimmerung" bemerkte der sächsische Feuerwehrhauptmann - wobei er jedoch nicht das Richtige traf.

Die folgenschwerste Fehlleistung unterlief Professor Walter Bothe in Heidelberg. Er sollte den Absorptionsquerschnitt von Grafit für langsame Neutronen bestimmen. Leider geriet die Messung so falsch, dass man vermuten musste, diese Substanz käme als Moderator für Kernreaktoren nicht infrage. Deshalb stand in der Folge nurmehr das rare Schwere Wasser für diese Zwecke zur Verfügung, dessen Produktionsanlagen in Norwegen aber ständig von den Alliierten bombardiert wurden.

Ab 1943 - die Amerikaner hatten längst ihren ersten (grafitmoderierten) Atomreaktor in Chicago ins Laufen gebracht - bündelte man endlich in Deutschland die Kräfte und betrieb den Umzug aus dem bombenbedrohten Berlin ins württembergische Haigerloch. Heisenberg liess, gut versteckt unter der Schlosskirche, einen Felsenkeller für seine Gerätschaften bauen. Zwischendurch entspannte er sich mit Orgelspielen und Fahradfahren. Aber es war zu spät. Beim Grossversuch B8 stellte man zwar eine Neutronenvermehrung um den Faktor 7 fest, zur Kritikalität reicht dies jedoch nicht. Die einrückenden alliierten Streitkräfte beendeten am 20 April 1945, sinnigerweise also an "Führers" Geburtstag, die deutschen Atomversuche abrupt.


Konstruktionsskizze für die Uranmaschine in Haigerloch

Atombombe kein Ziel

Immer mal wieder wird kolportiert, deutsche Wissenschaftler hätten während des Krieges versucht, eine Atombombe zu entwickeln. Dies ist falsch und hätte auch nicht zum Ziel geführt, wie unten noch dargestellt wird. Freilich, das Wissen, dass eine Bombe auf atomarer Basis möglich sein könnte, war unter den Kernphysikern der damaligen Zeit weit verbreitet. Aber nicht alle glaubten an ihre verheerende Wirkung; nicht wenige Wissenschaftler vermuteten, dass der Prozess der Kettenreaktion das Uran vorzeitig zum Verdampfen bringen würde, sodass die Bombe nur eine geringe Brisanz haben würde. Fakt ist, dass es auf seiten der deutschen Politiker keinen Befehl zur Entwicklung einer Atombombe gab. Hitler - darin nicht vergleichbar mit Roosevelt - hielt nicht viel von Kernphysik. Sein militärisches Interesse galt den Raketenwaffen V1 und V2. Wernher von Braun stand ihm unendlich viel näher als Werner Heisenberg.

Der Weg zur Atombombe führt über die beiden Materialien Uran 235 und/oder Plutonium 239. Beide sind in dieser Form in der Natur nicht vorhanden, müssen also künstlich hergestellt werden. Das U-235 gewinnt man über einen Isotopentrennprozess, das Pu-239 über spezielle Kernreaktoren. Wer nach 1945 die Chance hatte, diese Anlagen in USA zu besichtigen, war beeindruckt von ihrer schieren Grösse. Die Isotopentrennanlage in Oak Ridge auf der Basis des Diffusionsprozesses und die Produktionsreaktoren für Plutonium in Hanford bedecken ein Areal von vielen Quadratkilometern und haben einen gewaltigen Energieverbrauch. Damit wurde bis 1945 das Material für nur zwei (!) Bomben hergestellt. Undenkbar, dass in Deutschland, bei den ständigen Luftangriffen, ähnliche Anlagen hätten gebaut und betrieben werden können.

Nicht unmöglich war das viel bescheidenere Ziel eines kritischen Uranreaktors. Dass selbst dies nicht erreicht wurde, ist dem (projektleitenden) Heereswaffenamts und den Wissenschaftlern selbst anzulasten.

Sonntag, 17. Oktober 2010

Hie Theoretiker, hie Experimentator

In der Physik gibt es zwei Sparten: die Theoretiker und die Experimentatoren. Ihr Ansehen innerhalb der Kollegenschaft und beim Publikum wechselte im Verlauf der Geschichte. Heute sind, insbesondere auf dem Gebiet der Astrophysik, die Theoretiker die Stars der Wissenschaft. Sie postulierten den Urknall und errechneten, wie sich unsere Welt innerhalb der ersten drei Minuten entwickelt hat. Der Schotte Peter Higgs legte auf nur zwei DIN A4-Seiten - allerdings gespickt mit komplizierten mathematischen Formeln - dar, dass es ein Kernteilchen geben müsse, welches den Sternen (und auch uns Menschen) ihre Masse verleiht. Die Beschleunigerwissenschaftler bei CERN in Genf nehmen Professor Higgs so ernst, dass sie zwei Milliarden Euro in die Suche des nach ihm benannten Teilchens investieren. Die String-Theoretiker behaupten gar, dass alle Atomteilchen aus winzigen schwingenden Saiten aufgebaut sind und dass es wahrscheinlich nicht nur ein einziges Universum - das unsrige - gibt, sondern deren fast unendlich viele, jedenfalls mehr als es Atome in unserer sichtbaren Welt gibt. Auch danach forscht man in Genf.

Unterschätzte Theoretiker

Zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, so zwischen 1900 und 1940, war das ganz anders. Die Physik galt als empirische Wissenschaft. "Anständige Physik" war - ausgesprochen oder unausgesprochen - immer experimentelle Physik. Wegen der hierarchischen Struktur bei den deutschen Universitäten verfügte der Ordinarius allein über die staatliche Instrumentensammlung an seinem Institut. Es war seiner Entscheidung überlassen, ob er den nachrückenden Dozenten die Mitbenutzung gestattete. Im allgemeinen hatte der "zweite Physiker" die Verpflichtung, die finanziell unattraktiven Spezialvorlesungen zu halten - und das waren meist die über theoretische Physik. Hier war die Hörerzahl geringer, weil der Stoff schwieriger war und hier konnte der Dozent ohne Instrumente auskommen. So gab es in Deutschland eine grosse Anzahl von theoretischen Physikern; viele von ihnen waren allerdings nur verhinderte Experimentalphysiker. Das Ansehen des Fachs war entsprechend gering.

Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, dass zu Beginn des vorigen Jahrhunderts einige theoretische Physiker auftauchten, die bis heute das Weltbild der modernen Physik bestimmen: Max Planck, Albert Einstein und Werner Heisenberg. Aber auch sie mussten um ihre Mittel (und ihren Lebensunterhalt) hart kämpfen.

Das von Max Planck geleitete "Institut für theoretische Physik" in Berlin bestand nur aus einer Bibliothek und einem Lesezimmer. Seiner Umgebung erschien es sonderbar, dass er die Natur lediglich mit Papier und Bleistift erforschen wollte und nicht mit Geräten und Experimenten. Manche Kollegen hielten ihn - nach Planck - für "ziemlich überflüssig". Doch das sollte sich ändern. Nach fünfjähriger Arbeit hatte er 1899 endlich die Formel für die Verteilung der Strahlungsenergie gefunden. In ihr traten gleich zwei Naturkonstanten auf, nämlich (nach heutiger Bezeichnung) das Plancksche Wirkungsquantum h und die Boltzmannsche Konstante k. Damit hatte er ganz allein die Grundlagen für die moderne Quantenphysik gelegt.

Albert Einstein, vielleicht der grösste theoretische Physiker aller Zeiten, musste sich jahrelang als "Experte III. Klasse" am Berner Patentamt durchschlagen. Er verdiente wenig. Im Leiterwägelchen holte er selbst Holz und Kohlen nach Hause; die Stumpen, die er rauchte, waren von der schlechtesten Sorte. Als er sich den Luxus einer Scheidung leistete, überschrieb er seiner Ex-Frau das Geld des Nobelpreises - den er noch gar nicht erhalten hatte. Sie machte trotzdem ein gutes Geschäft, denn 1921 wurde ihm tatsächlich der Nobelpreis für Physik verliehen. Allerdings nicht für seine beiden Relativitätstheorien, deretwegen er zwischenzeitlich berühmt geworden war, sondern für die Erklärung des photoelektrischen Effekts, also eines experimentellen Phänomens.

Überschätzte Praktiker

Die Koryphäe auf dem Gebiet der Experimentalphysik war in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts Robert Wichard Pohl in Göttingen. Sein Leitspruch war: "Theorien kommen und gehen, Tatsachen bleiben". Die Theorie in der Physik war für Pohl immer nur die "Notenschrift" für die "Musik der Tatsachen". Eine andere seiner Devisen war die Forderung: "Messen, was messbar ist; was nicht messbar ist, messbar machen!" Die Schüler seiner Theoriekollegen hatten bei ihm nichts zu lachen. Max Dellbrück, einen Diplomkandidaten bei Max Born, liess er bei der Prüfung in Experimentalphysik durchfallen. Und bei Herta Sponer, der ersten Frau, welche in Göttingen habilitierte hatte, betrieb er sogar die Entlassung, was zu einem schweren Bruch zwischen Pohl und James Franck führte, der ihre Habilitation angenommen hatte.


Professor Pohl demonstriert mittels Schattenrissprojektion

Pohls experimenteller Vorlesungsstil, ohne festes Lehrpult, mit vielen Versuchen im projizierten Schattenriss war lange Jahre richtungsweisend. Er fand seinen Niederschlag in Pohls Lehrbüchern für Experimentalphysik, die in vielen Auflagen erschienen sind und in viele Sprachen übersetzt wurden. Sogar Witze wurden über seine Vorlesungen gerissen, wie etwa jener: "Ein Medizinstudent bei Pohl hätte auf die Frage nach dem elektrischen Kondensator so geantwortet: auf einer Dreikantschiene sitzen zwei Reiter, die vertikale Metallplatten tragen".

Die bleierne Zeit

Das Jahr 1933 bildete eine Zäsur nicht nur in der deutschen politischen Geschichte, sondern auch in der Physik. Fünf Nobelpreisträger dieser Fachrichtung ( u.a. Einstein, Born u. Franck) wurden vertrieben, weitere 150 hochkarätige Forscher verliessen das Land und erhielten zum Teil später den Nobelpreis in Amerika. Das goldene deutsche Zeitalter der Physik war zu Ende. Deutschland hat sich von diesem Verlust - bis heute - nicht erholt. Die Stellen der Emigranten wurden vielfach von Zweit- und Drittklassigen besetzt.

Die Unschärferelation Heisenbergs in eigenhändiger Aufzeichnung

Sehr verhängnisvoll wirkten sich die Eingriffe der Nazis bei der theoretischen Physik aus. Insbesondere die Quantenphysik wurde als "jüdisches, unfruchtbares Blendwerk" gegeisselt. Selbst Werner Heisenberg, der 1933 den Nobelpreis für seine sechs Jahre vorher entdeckte "Unschärferelation" erhalten hatte, blieb davon nicht verschont. Er wurde als "Ossietzky der Physik" und sogar als "weisser Jude" geschmäht. Als er 1937 zum Nachfolger von Arnold Sommerfeld auf den Lehrstuhl der theoretischen Physik an der Universität München vorgeschlagen wurde, blockte der "Reichsdozentenführer" seine Ernennung ab und bestellte einen gewissen Wilhelm Müller als Institutsleiter. Die Eingabe von Ludwig Prandtl beim "Reichsmarschall" war vergeblich. Schliesslich intervenierten der Chemiker und Industrielle Robert Bosch sowie Max Planck persönlich bei Hitler. Die Antwort des "Führers", die sie zum Verstummen brachte, lautete:

"Dann muss Deutschland eben für hundert Jahre ohne Physik und Chemie auskommen".

Sonntag, 10. Oktober 2010

ITER: Köpfe rollen, Deutschland bleibt Zahlmeister

In gut drei Jahren - seit Vertragsabschluss - sind die Kosten des Fusionsprojekts ITER um mehr als das Dreifache gestiegen, nämlich von anfangs 5 Milliarden Euro auf nunmehr 16 Milliarden. Gleichzeitig ist das Jahr der Inbetriebnahme von 2015 auf 2026, also um 11 Jahre nach hinten gerückt. Diese Zahlen haben in allen Partnerländern einen Schock ausgelöst, insbesondere in Deutschland, dessen Beitrag (ca. 10 Prozent) bei Euratom in Brüssel integriert ist.

Schavan redet Tacheles

Die zuständige Bundesforschungsministerin, Frau Annette Schavan, sprach ganz offen von "Missmanagement und Planungspannen", aber sie getraut sich (noch) nicht, das Projekt in Frage zu stellen. Bei einer Serie hektischer Besprechungen in ihrem Ministerium - bei denen sich zeitweise auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel einschaltete - verständigte man sich vorab auf folgendes Vorgehen, wie inzwischen durchgesickert ist:

Der Weiterbau des ITER innerhalb des neuen Kostenrahmens wird (zähneknirschend) akzeptiert, aber man fordert von der Lenkungsbehörde Euratom, dass sie die Mehrkosten durch Einsparungen bei anderen EU-Projekten finanziert. Diese generelle Zusage ist allerdings mehrfach konditioniert. So erwartet Schavan "Verbesserungen" bei der organisatorischen Struktur des Projekts und bei den Abwicklungsprozeduren, insbesondere, wenn es zur Vergabe von Grosskomponenten an die Industrie kommt. Diese Forderungen reflektieren bis jetzt die deutsche Position, der auch die Franzosen zuneigen. Aber noch ist kein Konsens mit den übrigen europäischen Partnern hergestellt - und überdies muss das Gesamtpaket am Ende auch noch vom Europäischen Parlament beschlossen werden, was kein Selbstgänger sein dürfte.

Personelle Veränderungen

Eine wichtige organisatorische Massnahme wurde bei ITER bereits vollzogen: der japanische Generaldirektor Kaname Ikeda und sein deutscher Stellvertreter Norbert Holtkamp wurden gefeuert und durch Osamu Motojima, ebenfalls einen Japaner, ersetzt. Natürlich vollzog sich dieses Revirement nach aussen hin nicht so brachial, sondern unter allerlei Lobsprüchen ("erste Phase des Projekts erreicht" etc. etc.) Die Geschassten werden auch nicht Hartz IV zur Last fallen, vielmehr geht Ikeda in den diplomatischen Dienst zurück, dem er entstammt - zuletzt war er japanischer Botschafter in Kroatien - und Holtkamp darf zukünftig die Beschleuniger der amerikanischen Universität Stanford in Schwung halten.

Der neue Generaldirektor bei ITER: Osamu Motojima

Ikeda war von anfang an eine Fehlbesetzung. Er strahlte das typische Charisma japanischer Politiker aus und seine holprigen, in broken-english vorgetragenen Projektpräsentationen verursachten beim Fachpublikum stets nur heftiges Bauchgrimmen. Wegen seiner fachlichen Defizite wurde ihm auch der Deutsche Norbert Holtkamp zur Seite gestellt, was die französische Zeitung La Provence bei seinem Antritt (nach Ikeda) zu der kecken Phrase veranlasste: "Nun ist der wahre Chef angekommen". Der neue Generaldirektor Motojima wollte diesem Gesichtsverlust entgehen und da er selbst aus einem Fusionslabor entstammt, "verzichtete" auf die Dienste eines Stellvertreters. (Eventuell richtet er ein niederrangiges Direktorium ein). Deutschland verliert mit dem stellvertretenden Generaldirektor einen Top-Posten, aber in manchen politischen Kreisen wird dies noch nicht einmal ungern gesehen, weil man dann bei weiteren (absehbaren) Kostenerhöhungen und Terminverzögerungen umso ungenierter auf das operative Management eindreschen kann.

Dubiose Vergabepraxis

Unter Beschuss steht auch die Organisationseinheit zur Vergabe der ITER-Aufträge innerhalb der EU. Sie heisst Fusion for Energy, abgekürzt F4E und ist im schönen Barcelona angesiedelt. Dort umfasst sie stattliche 200 Mann und es scheint, als würden die spanische und die italienische Industrie den maximalen Nutzen aus dieser ortsansässigen Einkaufsabteilung ziehen. Mittlerweile wurden zwei Grossaufträge vergeben, die beide an spanische und italienische Firmen gingen; die mitbietenden deutschen Unternehmen, weltweit bekannt, kamen nicht zum Zuge.

Viel böses Blut entstand bei der Vergabe der Wicklungen für die Toroidalfeldspulen, die einen Auftragswert von ca. 150 Millionen Euro besassen. Die deutsche Firma Babcock Noell hatte zwar das billigste Angebot vorgelegt, der Auftrag ging jedoch an den spanischen Wettbewerber Iberdrola, einem EVU(!) mit italienischen Partnern. Aus "formalen Gründen" wurde Babcock Noell nicht berücksichtigt, fühlte sich demzufolge "ausgetrickst" und zog mit einer Klage vor den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Auch dort scheiterte die deutsche Firma mit der seltsamen Begründung, dass "zur reibungslosen Abwicklung des Projekts das öffentliche Interesse den Vorrang vor dem privaten" haben müsse. Diese Auftragsvergabe hatte Ministerin Schavan wohl im Visier, als sie bei den internen deutschen Gesprächen im Sommer die "Verbesserung" der industriellen Vergabeprozeduren bei Grossaufträgen anmahnte.

Aber mittlerweile kam es noch schlimmer. Vor wenigen Tagen wurde in Barcelona das hochwichtige Vakuumsystem des ITER vergeben, wiederum ein Auftrag im Wert von mehreren hundert Millionen Euro. Und wiederum fiel Deutschland durch. Geboten hatte deutscherseits die Weltfirma MAN, der Auftrag ging jedoch an das italienische Unternehmen Ansaldo mit weiteren italienischen Partnern, die zu einem erheblich niedrigerem Preis angeboten hatten. Bemerkenswert dabei ist die Tatsache, dass MAN einen vergleichbaren Auftrag für Wendelstein 7X kürzlich erfolgreich abgewickelt hat, während Ansaldo keine ähnliche Referenz vorzuweisen hat.

Das Vakuumgefäss des ITER mit 7 Kammern

Vergleicht man die jahrzehntelangen deutschen Forschungsanstrengungen auf dem Gebiet der Fusion - etwa im Forschungszentrum Karlsruhe - mit ihrem finanziellen Return, so ist dieser mehr als bescheiden. Es scheint so, als würden die Deutschen für sündhaft viel Geld die neuen Technologien entwickeln, während die Anderen damit Business machen und die geschäftlichen Gewinne einstreichen.

Eben der Club Mediterranee.

Sonntag, 3. Oktober 2010

Reaktorstörfall beim MZFR

Der Mehrzweckforschungsreaktor (MZFR) war das erste Kernkraftwerk, das Siemens errichtete. Mit seinen 57 Megawatt elektrisch hatte es 1965 eine durchaus ansehnliche Grösse. Der MZFR kostete 200 Millionen Mark und wurde zu 80 Prozent vom Bund und zu 20 Prozent von den Energieversorgern Badenwerk und EVS finanziert. Sein Standort lag am nördlichen Ende des Forschungszentrums Karlsruhe/Leopoldshafen, welches damals Gesellschaft für Kernforschung (GfK) hiess. Für das Management dieses Projekts war eine eigene "Sondergeschäftsführung" bestellt worden.

Der Siemens Mehrzweckforschungsreaktor MZFR im Kernforschungszentrum Karlsruhe

Von der technischen Auslegung her war der MZFR ein Druckwasserreaktor. Als Moderator und Kühlmittel diente Schweres Wasser (D2O), weswegen man den Reaktor mit Natururan, also nichtangereichertem Uran betreiben konnte. Eine weitere Speziakität des MZFR war die Lademaschine, welche es erlaubte, , den Reaktor bei voller Leistung mit Brennelementen zu be- und entladen und die deshalb oberhalb des Reaktortanks positioniert war. Um diese Komponente entwickelte sich in der Frühphase des Betriebs ein Störfall, welcher hohe publizistische Wellen schlug und über den im Folgenden berichtet werden soll.

Lademaschine oberhalb des Reaktortanks

Dieser Betriebsunfall geschah am 2. März 1967, kurz nachdem die Anlage ihre volle Leistung erreicht hatte und vom Kunden übernommen worden war. Während eines Brennelementwechsels bei Vollast hob plötzlich die Lademaschine ab, es kam zum Austritt von etwa 4000 Litern D2O-Dampf, worauf sich diese Komponente wieder auf den Tank absenkte. Sechs Betriebsoperateure, die sich in der Nähe befanden, mussten die Anlage über die Sicherheitsschleuse verlassen, sie wurden jedoch weder verletzt noch verstrahlt.

Was war die Ursache? Nun, das Ladepersonal hatte einen Trick entwickelt, wie man leicht klemmende oder auch schwergängige Brennelemente vom Reaktortank in die Lademaschine bugsieren konnte. Dazu senkten sie den Druck in der Lademaschine kurzzeitig ab wonach das Brennelement aus dem Tank in die Lademaschine "flutschte". ( Im Jargon der Betriebsmannschaft war dies die "Maria-Hilf-Methode"). An diesem Tag hatte sich jedoch unter einem wichtigen Rückschlagventil eine Verschmutzung gebildet, sodass sich ein unzulässiger Druck im Hubzylinder für die Lademaschine ausbildete, der zu ihrem Abheben führte.

Durch eine geringfügige konstruktive Änderung konnte man später Vorfälle dieser Art sicher ausschliessen. Das ausgetretene Schwere Wasser wurde zum grössten Teil aufgefangen, gereinigt und in der Reaktortank zurück befördert. Das war wichtig, denn ein einziger Liter D2O kostete damals auf dem Weltmarkt 600 Mark, entsprechend dem Preis von 20 Litern bestem Whiskey.

Die Information der Öffentlichkeit durch die beiden Sondergeschäftsführer B. und W. war ein Desaster. Sie fand nämlich überhaupt nicht statt. Weder gab es eine Pressekonferenz noch einen Aushang am Schwarzen Brett. Umso heftiger waren die Reaktionen der Zeitungen, als - wohl über Insider - der Vorfall sechs Wochen später dann doch publik wurde. Nun rückten die Verantwortlichen mit der Wahrheit heraus, deklarierten ihre Pressemitteilung aber - man glaubt es kaum - als "Gegendarstellung" in der sie ihrerseits die Medien kritisierten. Dieser unprofessionelle Umgang mit der Öffentlichkeit hat in der Folge dazu beigetragen, dass die grossen Reaktorprojekte Whyl und Breisach unter Beschuss gerieten und aufgegeben werden mussten.

Erstaunlich aber wahr ist, dass der MZFR fortan , bis zu seiner endgültigen Abschaltung im Jahr 1984, wie ein Uhrwerk lief. Es gab keine weiteren Störfälle, im Gegenteil, die Brennelemente, Dampferzeuger und Tanksysteme arbeiteten nahezu perfekt. In den letzten sechs jahren trug der MZFR sogar zur Heizung des Kernforschungszentrums bei, indem man 4 MWe auskoppelte und damit zum ersten Mal die Wärme-Kraft-Kopplung an einem deutschen Kernkraftwerk verwirklichte.

Initiator dieses Unternehmens war - das sei nicht verschwiegen - der Karlsruher Professor Otto Hagena.