Sonntag, 18. Juli 2010

Ein Hauch von Scientology?

Wieviele Freunde hat beziehungsweise braucht der Mensch? Viele Soziologen haben sich mit dieser Frage befasst und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass es im Schnitt nicht mehr als 2 bis 5 sind, wovon nur einer der sogenannte "beste Freund" ist. Das hat sich geändert, seit vor sechs Jahren das Online Netzwerk "Facebook" erschien und seinen weltweiten Siegeszug antrat. Jeder Nutzer dieser sozialen Website hat (angeblich) im Schnitt 150 "Freunde"; manche bringen es gar auf etliche Millionen, wie der US-Präsident Barack Obama.


Logo von Facebook Inc.

Die Menschheit scheint Facebook-süchtig geworden zu sein; anders ist es kaum erklären, dass sich bereits mehr als 400 Millionen Nutzer in diese Plattform eingeloggt haben. Jeder Teilnehmer verfügt über eine Profilseite, auf der er sich vorstellen und Fotos oder Videos hochladen kann. An einer Pinnwand können öffentlich sichtbare Nachrichten hinterlassen werden und "Freunde" schicken sich persönliche Infos zu und laden zu allerhand Events ein. Daneben gibt es noch eine Unzahl von Applikationen, wie das beliebte Onlinespiel "FarmVille". Und die superlieben 150 Freunde rufen ständig einander an, sodass der durchschnittliche Facebook-Nutzer täglich durchaus einige Stunden vor seinem Bildschirm verbringen kann. Neuerdings verabreden sich die Freunde über Internet gar zu Trinkgelagen. In Strassburg fand kürzlich ein Riesenumtrunk - apéro geánt - statt und in Westfrankreich fiel bei einem ähnlichen Event ein Teilnehmer sturzbetrunken von einer Brücke in den Tod.

Kein Wunder, dass sich die kritischen Stimmen mehren. Der Münchener Psychologieprofessor Ernst Pöppel sieht in solchen Netzwerken weniger Kommunikation als Selbstinszenierung. Die Offenlegung von persönlichen Daten grenze an Selbstprostitution und die Informationsgier führe letztlich zu Stress und verhindere jedwede Kreativität. Andere gehen so weit, in Facebook einen Religionsersatz oder gar eine "Sekte" zu sehen. Nutzniesser dieser Offenlegung von zuweilen intimen Daten sind zunehmend die Scheidungsanwälte und die Personalreferenten, welche vor der Einstellung gerne die Facebookeintragungen der Stellenbewerber abchecken. Selbst die Einbrecher nutzen die Internetmanie: schon manches Haus wurde ausgeraubt, weil der Besitzer seine urlaubsbedingte Abwesenheit freimütig im Voraus angekündigt hat.

Im realen Leben kann man sich unerwünschte Freunde leicht vom Leibe halten; bei Facebook ist dies schwerer. Offen ablehnen sollte man derartige Avancen nicht, aber man kann sie ignorieren. (So, als würde jemand an der Haustür klingeln). Der Abgewiesene erfährt zwar nicht, dass er unwillkommen ist, aber er ahnt es. Schonender, aber ziemlich "link" ist es, ihn als Freund zu bestätigen, dann aber von allen privaten Informationen auszuschliessen. Oder gar, ihn nur zum Schein als Freund zu bestätigen und die Freundschaft schnell wieder zu löschen. Ganz abgezockt ist es , ihn schon im Voraus zu blockieren, sodass er gar nicht erst mit einem in Kontakt treten kann.

Trotzdem, mir scheint als habe der Facebook-Hype seinen Höhepunkt bereits überschritten. Eine gewisse Müdigkeit setzt ein. Ende Mai proklamierten einige unzufriedene User sogar den "Quit Facebook Day" , an dem mehr als 30.000 Nutzer das Portal verliessen. Die langfristige Bindung ihrer Kunden ist auch anderen Netzwerken schon misslungen - siehe Second Life. Hinzu kommt ein zunehmender Druck aus der Politik. Die umtriebige Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner hat Facebook kürzlich sogar mit Bussgeld bedroht, falls es weiterhin gegen die deutschen Datenschutzrichtlinien verstosse. Anlass dafür ist das Hochladen kompletter iPhone-Telefonbücher, wenn man auf "Synchronisieren" klickt. Es gibt für den normalen User keine Option, um diese Daten wieder zu löschen. Der Mensch irrlichtert als Datensatz im Internet!


Der Gründer von Facebook, Mark Zuckerberg (Foto:AFP)

Und was macht Mark Zuckerberg, der Erfinder und Gründer von Facebook, mit all unseren Bits und Bytes? Er behält sie und lagert sie in seinen hochgeheimen Servern - vermutlich auch dann noch, wenn Facebook längst Geschichte geworden ist. "Die Zeit der Privatsphäre ist vorbei", soll Zuckerberg einmal gesagt haben. Das stimmt sehr bedenklich. Facebook profitiert mit 150 Millionen Jahreseinkommen weil seine Kunden offen sind und Informationen persönlicher Art verbreiten. Selbst ist das Netzwerk aber ganz und gar nicht offen. Im Zweifelsfall werden die Nutzerdaten an irgendwelche Firmen oder gar dubiose Privatleute verscherbelt, die uns dann ungefragt mit kommerziellen mails belästigen. So als würde nachts jemand herumlaufen und die Haustüren der Leute öffnen, während diese schlafen.

All das berührt die Popdiva Lady Gaga nicht im mindesten. Sie hat, nach eigener Angabe, derzeit 10 Millionen Freunde im Facebook - womit sie sogar Obama übertrifft.

Nomen est omen.

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