Sonntag, 25. Juli 2010

Wildwuchs bei KIT Campus Nord

Vor langer Zeit, als das Forschungszentrum bei Leopoldshafen noch Kernforschungszentrum hiess, wurden dort viele Gebäude für Institute und Labors errichtet. Etwa 1 bis 3 Prozent der Baukosten flossen in die sog. "Kunst am Bau", einem Fonds, der zur Finanzierung von Kunstwerken verwendet wurde. Daraus entstand auch der sog. Skulpturengarten; er war für die Öffentlichkeit zugänglich, weil er ausserhalb der Absperrung des Zentrums gelegen war. Heute ist dieses Freilichtmuseum verwahrlost und nur noch wenige Besucher finden den Weg dorthin.

Die mangelnde Pflege registriert man bereits bei der Skulptur Architektur, gestaltet vom Künstler Michael Schoenholtz, die gewissermassen das Entree zum Skulpturengarten bildet. Vier Hände heben einen grossen steineren Querbalken als Metapher des Aufbaus und des Gemeinsinns. Der Balken, indes, ist längst vergammelt; Strassenschmutz und Pilzbewachsung haben ihn unansehnlich werden lassen. Dass auch Kunstwerke - und nicht nur Autos - gelegentlich der Reinigung bedürfen, darauf ist wohl noch keiner gekommen.



Die Skulptur "Architektur" am Eingang des Gartens, reichlich verschmutzt und bemoost

Im Inneren des Garten wuchert der Efeu. Natur und Kunst scheinen in einem Kampf zu liegen, wobei letztere wohl unterliegen wird. Manche Objekte sind kaum mehr sichtbar, auch die dazugehörenden Schilder sind so verwittert, dass weder der Name der Skulptur noch ihres Schöpfers identifizierbar sind.


Was ist das? Schilder nicht zu lesen

Im besonderen Masse ist mir das aufgefallen beim Maskenmund , einer Plastik aus Aluminium von Wilhelm Lot. Sie ist an der Nordwand der ehemaligen Schule für Kerntechnik angebracht und war bis vor kurzem kaum noch sichtbar, obwohl sie ein Ausmass von ca. 0,5 auf 2 Metern besitzt. Ursächlich war allerlei wildwachsendes Gebüsch, welches das Kunstwerk nahezu vollständig verdeckte. Meine kürzliche kritische Bemerkung gegenüber einen Mitarbeiter der Hofkolonne hat da offensichtlich Besserung bewirkt. Nun liegt diese Skulptur wieder frei sichtbar da, wobei man die Natur, für mein Empfinden, etwas zu brutal abgeräumt hat.




Der "Maskenmund" vor der gärtnerischen Enthüllung (oben) und danach (unten)

Nach einem anderen Kunstwerk, die grossen Sitzende mit Zopf, von Christopf Voll habe ich vergeblich Ausschau gehalten. Das Namensschild ist zwar noch vorhanden, aber die Figur ist verschwunden. Dass sie gestohlen wurde, ist eher unwahrscheinlich, denn die Skulptur ist nach meiner Erinnerung aus Granit gehauen und sicherlich mehrere Zentner schwer. Zur Zeit meines Besuchs hatte sich eine Sitzende aus Fleisch und Blut am einstigen Standplatz von Volls Aktfigur nieder gelassen.



Auch eine "Sitzende", aber nicht die mit dem Zopf

Ein anderer (männlicher) Besucher des Skulpturengartens vertiefte sich gerade in das neu herausgekommene Mitarbeitermagazin "KIT-Dialog" Darin kann man in der Tat Erstaunliches lesen. Auf Seite 2, wird Dr. Reinhard Breuer, der Chefredakteur des renommierten Wissenschaftsmagazin Spektrum der Wissenschaften zu seiner Meinung über KIT befragt. Er hält mit massiver Kritik nicht hinter dem Berg. So lobt er das frühere Forschungszentrum als erste Adresse für herausragende wissenschaftliche Ergebnisse, wohingegen die Universität nur am Rande bemerkbar war. Seit Gründung des KIT sei das FZK aber von seinem "Radarschirm" leider verschwunden und dem KIT untergeordnet worden. Ein KIT-Image sieht Breuer noch nicht; seiner Meinung nach wird es noch Jahre dauern, bis ein internationaler Ruf aufgebaut ist.


Der "KIT-dialog" macht klug

Die Exzellenzinitiative beurteilt Breuer sehr negativ und sieht dahinter mehr Aktionismus und Selbstprofilierung als Neustrukturierung. Gleiches gilt für die Antragsarien, bei denen mit viel Aufwand um geringe zusätzliche Finanzmittel gerungen wird. Wenn es nach ihm ginge, würde der Exzellenzwettbewerb sofort eingestellt. Er halte ihn für ein reines Showunternehmen und den untauglichen Versuch, die grossen Universitäten der USA zu imitieren.

Ein ganz besonderer "Hammer" ist der Artikel auf Seite 5 des KIT-Dialog. Unter der Überschrift 100. Geburtstag von Karl Wirtz, wurde des früheren Institutsleiters im Kernforschungszentrum gedacht. In einem kurzen Artikel ist folgender Satz zu lesen: "Ab 1937 war er in einer Arbeitsgruppe von Werner Heisenberg am Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin tätig und nahm während des 2. Weltkriegs am deutschen Uranprojekt zur Entwicklung einer Atombombe teil." Potzblitz! Wirtz und Heisenberg als Atombomberbauer? Das widerspricht aller geschichtlichen Forschung - sofern man nicht die Entwicklung von schwerwassermoderierten Reaktoren mit Bomben gleich setzt. Oder ist die inkriminierte Phrase nur ein Flüchtigkeitsfehler? Auch das ist kaum zu glauben. Immerhin hat man sich mit der Erstellung dieser Ausgabe des Mitarbeitermagazins - gemäss dem Editorial des Chefredakteurs - ein volles halbes Jahr Zeit gelassen und - gemäss Impressum - haben neben den 4 Redakteuren noch 12 weitere Experten mitgewirkt.

Also doch die volle Absicht? Das wäre infam und liesse den Verstorbenen im Grabe rotieren.

Sonntag, 18. Juli 2010

Ein Hauch von Scientology?

Wieviele Freunde hat beziehungsweise braucht der Mensch? Viele Soziologen haben sich mit dieser Frage befasst und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass es im Schnitt nicht mehr als 2 bis 5 sind, wovon nur einer der sogenannte "beste Freund" ist. Das hat sich geändert, seit vor sechs Jahren das Online Netzwerk "Facebook" erschien und seinen weltweiten Siegeszug antrat. Jeder Nutzer dieser sozialen Website hat (angeblich) im Schnitt 150 "Freunde"; manche bringen es gar auf etliche Millionen, wie der US-Präsident Barack Obama.


Logo von Facebook Inc.

Die Menschheit scheint Facebook-süchtig geworden zu sein; anders ist es kaum erklären, dass sich bereits mehr als 400 Millionen Nutzer in diese Plattform eingeloggt haben. Jeder Teilnehmer verfügt über eine Profilseite, auf der er sich vorstellen und Fotos oder Videos hochladen kann. An einer Pinnwand können öffentlich sichtbare Nachrichten hinterlassen werden und "Freunde" schicken sich persönliche Infos zu und laden zu allerhand Events ein. Daneben gibt es noch eine Unzahl von Applikationen, wie das beliebte Onlinespiel "FarmVille". Und die superlieben 150 Freunde rufen ständig einander an, sodass der durchschnittliche Facebook-Nutzer täglich durchaus einige Stunden vor seinem Bildschirm verbringen kann. Neuerdings verabreden sich die Freunde über Internet gar zu Trinkgelagen. In Strassburg fand kürzlich ein Riesenumtrunk - apéro geánt - statt und in Westfrankreich fiel bei einem ähnlichen Event ein Teilnehmer sturzbetrunken von einer Brücke in den Tod.

Kein Wunder, dass sich die kritischen Stimmen mehren. Der Münchener Psychologieprofessor Ernst Pöppel sieht in solchen Netzwerken weniger Kommunikation als Selbstinszenierung. Die Offenlegung von persönlichen Daten grenze an Selbstprostitution und die Informationsgier führe letztlich zu Stress und verhindere jedwede Kreativität. Andere gehen so weit, in Facebook einen Religionsersatz oder gar eine "Sekte" zu sehen. Nutzniesser dieser Offenlegung von zuweilen intimen Daten sind zunehmend die Scheidungsanwälte und die Personalreferenten, welche vor der Einstellung gerne die Facebookeintragungen der Stellenbewerber abchecken. Selbst die Einbrecher nutzen die Internetmanie: schon manches Haus wurde ausgeraubt, weil der Besitzer seine urlaubsbedingte Abwesenheit freimütig im Voraus angekündigt hat.

Im realen Leben kann man sich unerwünschte Freunde leicht vom Leibe halten; bei Facebook ist dies schwerer. Offen ablehnen sollte man derartige Avancen nicht, aber man kann sie ignorieren. (So, als würde jemand an der Haustür klingeln). Der Abgewiesene erfährt zwar nicht, dass er unwillkommen ist, aber er ahnt es. Schonender, aber ziemlich "link" ist es, ihn als Freund zu bestätigen, dann aber von allen privaten Informationen auszuschliessen. Oder gar, ihn nur zum Schein als Freund zu bestätigen und die Freundschaft schnell wieder zu löschen. Ganz abgezockt ist es , ihn schon im Voraus zu blockieren, sodass er gar nicht erst mit einem in Kontakt treten kann.

Trotzdem, mir scheint als habe der Facebook-Hype seinen Höhepunkt bereits überschritten. Eine gewisse Müdigkeit setzt ein. Ende Mai proklamierten einige unzufriedene User sogar den "Quit Facebook Day" , an dem mehr als 30.000 Nutzer das Portal verliessen. Die langfristige Bindung ihrer Kunden ist auch anderen Netzwerken schon misslungen - siehe Second Life. Hinzu kommt ein zunehmender Druck aus der Politik. Die umtriebige Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner hat Facebook kürzlich sogar mit Bussgeld bedroht, falls es weiterhin gegen die deutschen Datenschutzrichtlinien verstosse. Anlass dafür ist das Hochladen kompletter iPhone-Telefonbücher, wenn man auf "Synchronisieren" klickt. Es gibt für den normalen User keine Option, um diese Daten wieder zu löschen. Der Mensch irrlichtert als Datensatz im Internet!


Der Gründer von Facebook, Mark Zuckerberg (Foto:AFP)

Und was macht Mark Zuckerberg, der Erfinder und Gründer von Facebook, mit all unseren Bits und Bytes? Er behält sie und lagert sie in seinen hochgeheimen Servern - vermutlich auch dann noch, wenn Facebook längst Geschichte geworden ist. "Die Zeit der Privatsphäre ist vorbei", soll Zuckerberg einmal gesagt haben. Das stimmt sehr bedenklich. Facebook profitiert mit 150 Millionen Jahreseinkommen weil seine Kunden offen sind und Informationen persönlicher Art verbreiten. Selbst ist das Netzwerk aber ganz und gar nicht offen. Im Zweifelsfall werden die Nutzerdaten an irgendwelche Firmen oder gar dubiose Privatleute verscherbelt, die uns dann ungefragt mit kommerziellen mails belästigen. So als würde nachts jemand herumlaufen und die Haustüren der Leute öffnen, während diese schlafen.

All das berührt die Popdiva Lady Gaga nicht im mindesten. Sie hat, nach eigener Angabe, derzeit 10 Millionen Freunde im Facebook - womit sie sogar Obama übertrifft.

Nomen est omen.

Sonntag, 11. Juli 2010

Feldspat, Quarz und Glimmer...

Die Freunde des guten Porzellans seien auf eine sehr sehenswerte Ausstellung von altem und modernem Porzellan hingewiesen, die derzeit in den oberfränkischen Städten Selb und Hohenberg (noch bis zum November) zu besuchen ist. Rund 70 Prozent des heute in Europa produzierten "Weissen Golds" kommen aus den nordbayerischen Regionen Fichtelgebirge und Oberpfalz und sind verbunden mit weltberühmten Namen wie Rosenthal, Hutschenreuther Thomas und Arzberg.

Das Porzellan wurde bekanntlich vor gut tausend Jahren in China erfunden und lange Zeit gelang es den Asiaten, die Herstellung geheim zu halten. In Europa waren die Adelshäuser geradezu verrückt nach Objekten aus der Ming-Dynastie und der Sachsenkönig August der Starke, der ebenfalls wie die Zarin Katharina und der Preusse Friedrich der Grosse unter der "maladie de porcelaine" litt, "verkaufte" einmal hundert seiner Soldaten für nur zwei Porzellanvasen aus China.

Aber dann, vor genau 300 Jahren, im Jahr 1710, passierte es: Johann Böttger, der Alchimist des Sachsenkönigs, der eigentlich Gold herstellen sollte, stiess per Zufall auf die Rezeptur für Porzellan. August versuchte zwar das Geheimnis zu wahren, indem er den armen Böttcher noch 13 Jahre in seiner Burg gefangen hielt - doch vergebens. Das Rezept sickerte durch und bald gab es sogenannte Porzellanmanufakturen nicht nur im sächsischen Meissen, sondern auch in Nymphenburg und Berlin sowie in Sèvres, Petersburg, Worcester und Venedig. Heute kann jedes Schulkind die Ingredienzien des Porzellans auswendig hersagen: "Feldspat, Quarz und Glimmer - die drei vergess ich nimmer". Das Ganze wird gemahlen, mit Wasser versetzt und bei 1400 Grad im Ofen zu Porzellan verbacken.

In Hohenberg an der Eger, nahe zur tschechischen Grenze, sind die historischen Pretiosen des Porzellans zu bewundern. Sie befinden sich in der ehemaligen Hutschenreuther Direktorenvilla, die durch einen geschmackvollen modernen Anbau ergänzt worden ist. Vom Erdgeschoss ausgehend, begibt man sich dort auf eine Zeitreise durch die 300jährige Geschichte des europäischen Porzellans. Die ersten Versuche und Figuren von Johann Böttger sind ebenso zu sehen, wie die rasche Ausbreitung der Herstellungstechnik in den folgenden Jahrzehnten. Die Austellung ist gegliedert in die Hauptepochen: Barock, Rokoko, Klassizismus, Empire, Biedermeier, Historismus, Art Déco und Jugendstil. Es ist eine Zusammenschau von fast tausend hochwertigen Exponaten, mit Leihgaben von hundert Museen und Privatsammlern. Eine Ausstellung von solcher Qualität zu Thema Porzellan gab es bisher noch nirgends.


Teller aus dem Besitz von Napoleon mit ägyptischen Motiven

Zehn Kilometer weiter nördlich, in der bekannten Porzellanstadt Selb, ist das moderne Porzellan zu sehen, einschliesslich der technischen Anlagen für seine Herstellung. War Porzellan einst nur aristokratischen Kreisen vorbehalten, so hielt es mit der Industrialisierung auch Einzug in die bürgerlichen Wohnstuben. Zur Hochzeit erhielt die Braut klassischerweise ein Service für 12 Personen; nicht selten war es das berühmte "Maria". Die gedeckte Tafel war nur mit gutem Porzellan vorstellbar, keinesfalls mit Keramik oder gar Plastiktellern. Von Bamberg über Selb bis Weiden verläuft die sog. Porzellanstrasse, an der sich so traditionsreiche Unternehmen wie, Rosenthal, Seltmann, Winterling, Goebel und Hutschenreuther reihen. Das Museum in Selb führt eine erfolgreiche Melange von Kunst, Design und Lifestyle vor Augen, womit Philipp Rosenthal jahrzehntelang Furore machte. Er konnte Künstler wie Walter Gropius, Salvador Dali, Niki de St. Phalle, Andy Warhol und viele andere bewegen nach Selb zu kommen um dort Porzellan zu modellieren oder zu bemalen.

Auch die Technik kommt im "Porzellanikon Selb/Hohenberg" nicht zu kurz. Von den ehemals vorhandenen mächtigen Rundöfen sind sechs noch völlig erhalten und sogar begehbar. In den Fabrikräumen wird nachvollziehbar wie Porzellangeschirr entsteht, von der Massenfertigung über den Gipsformenbau bis hin zur Weissware und der Dekoration. Selbst die beiden Dampfmaschinen zur Energiegewinnung sind noch vorhanden und funktionstüchtig.



Fest der Porzelliner in Deutschlands Porzellanstadt Selb

Sollte ich Sie, liebe Leser, zum Besuch des Porzellanikons angeregt haben, dann noch ein letzter Tipp: am Samstag, den 7. August, findet in Selb das "Fest der Porzelliner" statt. Es ist Europas grösster Flohmarkt für Porzellan, der jedes Jahr tausende von Besuchern anlockt. Aus vielen Ländern treffen sich an diesem Tag Sammler und Liebhaber des Weissen Golds und tauschen ihre Schätze aus. Also, auf nach Selb! Sie können sich auf meine Empfehlungen verlassen.

Denn ich bin nur zwanzig Kilometer von Selb entfernt geboren und in dieser Gegend aufgewachsen.

Dienstag, 6. Juli 2010

Die Rückkehr der Natriumreaktoren

Atomreaktoren werden bei Betrieb - ähnlich wie Automotoren - im Inneren sehr heiss und müssen deshalb gekühlt werden. Bei den knapp 500 Kernkraftwerken, welche derzeit existieren, geschieht dies mit Wasser bzw. mit Wasserdampf. Einige Meiler, zumeist in England stationiert, werden mit Gas gekühlt. Darüberhinaus gibt es etwa zwei Dutzend Spezialreaktoren der Kategorie "Schneller Brüter", bei denen die genannten Kühlmittel nicht effizient sind. Sie müssen mit Flüssigmetall, zumeist Natrium, abgekühlt werden, da die Energiedichte in ihrem Reaktorkern etwa zehnmal höher ist als bei konventionellen Kernen. Diese Brutreaktoren leiten ihren Namen davon ab, dass sie ihren Kernbrennstoff selbst erbrüten - ohne deswegen ein "perpetuum mobile" zu sein - und, dass sie schnelle Neutronen als Agens benutzen, im Gegensatz zu all den übrigen Kernkraftwerken, in denen langsame, also energieärmere Neutronen wirksam werden.

Die natriumgekühlten Reaktoren scheinen vor einer Renaissance zu stehen. In Japan wurde kürzlich der 280 Megawatt (MWe) Brutreaktor "Monju" wieder in Betrieb gesetzt, nachdem er volle 15 Jahre stillgestanden hatte. Die Ursache war ein vergleichsweise lapidarer Störfall im Jahr 1995, bei dem es wegen eines Lecks in einer Rohrleitung zum Austritt von einigen hundert Kilogramm Natriums kam,das allerdings nicht radioaktiv war. Ein Personenschaden war damit nicht verbunden. Trotzdem wurde das Genehmigungsverfahren nochmals vom Anfang bis zum Ende aufgerollt - ohne dass man zu neuen Erkenntnissen gekommen ist. Darüberhinaus erpresste die Standortgemeinde Tsuruga ungeniert die Regierung in Tokyo zum Bau einiger Regionalstrassen und -tunnels; sogar der Hochgeschwindigkeitszug "Shinkansen" soll zukünftig in den Provinzkaff einen Stopp einlegen.


Natriumkreislauf des Monju mit Leckstelle und Natriumlache am Boden

In Frankreich plant man sogar eine ganze Flotte von 30 bis zu 60 natriumgekühlten Kernkraftwerken für die Jahre 2060 - 2080. Sie sollen zum Teil die gegenwärtigen Leichtwasserkernkraftwerke (LWR) ablösen und ausserdem der Rezyklierung von Plutonium und Americium dienen. Die Rückführung des in den LWR erzeugten Plutoniums ist aus Sicherheitsgründen nicht endlos möglich; hier bieten sich die Natriumreaktoren an, deren energiereiche Neutronen diese Atomkerne "knacken" können. Ausserdem beabsichtigt man, die Brutzone ausserhalb des Reaktorkerns mit Spezialelementen aus Americium zu bestücken, um dessen Umwandlung in radiologisch unbedenklichere Nuklide zu bewirken.

Das Commissariat a l´Energie Atomique (CEA), die staatliche französische Atombehörde, hat vor einiger Zeit mit der Planung eines Natriumreaktors begonnen, der als Prototyp-Kernkraftwerk für zukünftige Einheiten dienen soll. Unter dem Namen ASTRID (für: Advanced Sodium Technological Reactor for Industrial Demonstration) soll bis 2025 ein natriumgekühltes Schnelles Kernkraftwerk von 600 MWE Leistung im südfranzösischen Marcoule errichtet werden. Seit kurzem hat das CEA, wegen des Betriebs einiger Windmühlen, seinen Namen um den Zusatz "... et Energies Alternatives" verlängert, behält aber - schlitzohrigerweise - das Akronym CEA unverändert bei.

Die technische Auslegungvon Astrid orientiert sich an bewährten Vorbildern. Der Reaktorkern und die Zwischenwärmetauscher befinden sich zusammen in einem Tank (pool-Version); die Spaltenergie wird über zwei hintereinander geschaltete Natriumkreisläufe zum modularisierten Dampferzeuger geführt. Aus Gründen der Sicherheit und der Wirtschaftlichkeit überlegt man den Wegfall des zweiten Natriumkreislaufs und die Kühlung des Dampferzeugers mit Helium anstatt mit Wasserdampf. Der Reaktorkern soll mit dicken Brennstäben ausgestattet sein, um einen hohen Abbrand zu erzielen. Ausserdem wird er zur Optimierung des Natriumvoideffekts aus verschiedenen heterogenen Zonen aufgebaut sein. Spezielle Hüllmaterialien sollen das neutroneninduzierte Schwellen minimieren. Schliesslich wird die Ausbiegung der Brennelemente ("bowing") durch rigide Kernverspannungen unterbunden werden und ein "core-catcher" soll Schmelzrisiken begrenzen.

Typisches Kreislaufschema eines natriumgekühlten Kernkraftwerks
(loop-Version)

Einiges in dieser Aufzählung wird wohl Wunschdenken bleiben ( wie die Heliumturbine und die Eliminierung des Natriumzwischenkreislaufs); anderes wurde bereits in den siebziger und achziger Jahren im Kernforschungszentrum Karlsruhe im Rahmen des Projekts Schneller Brüter (PSB) durchgeplant. Es könnte in tausenden von sog. Primärberichten nachgelesen werden, wenn nicht spätere Geschäftsführer die "Entsorgung" dieser Dokumente zugelassen hätten.

Derzeit sucht das CEA im nationalen und internationalen Bereich nach Partnern, denn allein ist so eine Aufgabe nicht zu stemmen. Der französische Reaktorbauer Areva hat sich bereits angeboten; das verwundert kaum, denn mit der Papierplanung von Astrid lässt sich wohl risikoloser Geld verdienen als mit den EPR-Blöcken in Olkilouto und Flamanville. Abseits steht aber noch der nationale Stromkonzern EdF. Dort ist man nicht begeistert von der Kernumwandlung der "minoren Aktinide" wie Americium und verfolgt deshalb eine andere Strategie als CEA (und das französische Parlament). So wird darauf verwiesen, dass man heute bereits einige zehntausend Gebinde von hochradioaktivem Abfall verglast hat (in denen sich Tonnen von Americium befinden) und für welche später die Endlagerung in tiefen Erdformationen vorgesehen ist. In ferner Zukunft könne man, gemäss EdF, zwar einige spezielle Natriumreaktoren zur Americiumumwandlung betreiben, aber man solle dabei immer die Wirtschaftlichkeit dieses Vorgehens mit der Tieflagerung vergleichen.

Im internationalen Bereich bietet sich die Zusammenarbeit mit Japan an, dessen wiedergenesener Monju etwa ab dem Jahr 2025 für Transmutationsversuche zur Verfügung stehen könnte. Weitere potentielle Partner sind Russland und (mit Abstrichen) China. Indien, das ebenfalls ein starkes Schnellbrüterprogramm verfolgt, kommt vermutlich als Kooperationspartner nicht infrage, da sich dieses Land bis heute weigert, den Atomsperrvertrag zu unterschreiben.

Abschliessend noch ein Wort zu den Kosten des französischen Programms. Für die nächsten sieben Jahre ist ein umfassendes F+E-Programm geplant, wobei auch die kritische Anordnung "Masurca" in Cadarache wieder in Betrieb gesetzt werden soll. Dieser Aufwand wird auf etwa 700 Millionen Euro abgeschätzt; er soll über eine staatlich garantierte Anleihe finanziert werden. Der grösste Brocken ist allerdings der Bau des Natriumreaktors Astrid; er wird auf mindestens 2 Milliarden Euro veranschlagt. Hinzu kommen noch einige Pilotanlagen für den Brennstoffkreislauf, also für die Fabrikation der Brennstäbe und für die Wiederaufarbeitung des Reaktorkerns. Dafür muss wohl mit einer weiteren Milliarde gerechnet werden.

Somit kostet das Unternehmen Astrid aus heutiger Sicht 3,7 Milliarden Euro.

Mindestens!