Sonntag, 2. Mai 2010

Alles Schrottreaktoren?

Die kürzliche Aktionärsversammlung der Energiewerke Baden-Württemberg (EnBW) in Karlsruhe brachte es an den Tag: um die Abschaltung, beziehungsweise den Weiterbetrieb der deutschen Atomkraftwerke wird wie eh und je hart gerungen. Wenige Menschen wissen, dass in der Vergangenheit bereits 19 Kernkraftwerke (KKW) in Deutschland abgeschaltet worden sind - nicht wenige auf politischen Druck hin, wie Hamm-Uentrop, Greifswald 1 bis 5, Mühlheim-Kärlich etc. Um die noch verbliebenen deutschen Kernkraftwerke - 17 an der Zahl - gibt es seit Monaten heisse Diskussionen. Die Gegner möchten sie in den kommenden zehn Jahren allesamt stillegen; die Befürworter, insbesondere die grossen Energieversorgungsunternehmen (EVU) wollen sie um weitere 20 oder gar 30 Jahre weiterlaufen lassen. Fakt ist, dass seit dem April 2002 die EVU veranlasst sind, alle KKW - nach gewissen betrieblichen Modalitäten - bis ca. 2020 vom Netz zu nehmen. Im Bild 1 ist dies durch die (diffus) auslaufenden Balken dargestellt.


Restlaufzeiten deutscher Kernkraftwerke, abgeleitet aus dem Atomgesetz vom April 2002 (aus: atw 3/10)

Abhängig von der betrieblichen Fahrweise würde dieser Stillegungsbeschluss die Kraftwerke Biblis A, Neckarwestheim I, Brunsbüttel etc. bereits im nächsten oder übernächsten Jahr treffen; andere KKW wie Isar 2, Emsland und Neckarwestheim II, die später in Betrieb genommen worden sind, könnten noch bis 2020 oder kurzfristig darüber hinaus weiterlaufen.

Von den Gegnern der deutschen Atomkraftwerke werden für die baldige Abschaltung vorallem zwei Gründe ins Feld geführt:

erstens, dass diese 17 KKW wegen ihrer bereits langen Betriebszeit und der häufigen Störungen eigentlich "schrottreif" seien,

und zweitens, dass ihre Leistung kurzfristig nicht regelbar sei, weswegen sie ein Hemmnis bei der Einspeisung der Windenergie seien (Stichwort "unbewegliche Dinosaurier").

Beide Behauptungen sind beweisbar falsch, wie ich im Folgenden darstellen möchte.

Befassen wir uns zunächst mit dem ersten Argument und betrachten dafür die Betriebsbilanz der deutschen Atomkraftwerke während der vergangenen 25 Jahre (von 1981 bis 2006) im weltweiten Vergleich. Neutrale Stellen listen jedes die Stromproduktion aller Kernkraftwerke auf, von denen es derzeit 438 in 33 Ländern gibt. Das Ergebnis dieser "Bundesligatabelle" ist höchst bemerkenswert und stellt eine hohe Auszeichnung der deutschen Atomkraftwerke dar.


"Top Ten" der Stromproduktion aller Kernkraftwerke weltweit (atw 07/08)

Aus Bild 2 geht hervor, dass deutsche Kernkraftwerke - durch den Buchstaben D markiert - während dieses Vierteljahrhunderts nicht weniger als 24 Mal "Weltmeister" waren, indem sie die höchste jährliche Stromproduktion aller 438 KKW erzielten. (Nur 1988 konnte das US-amerikanische Kraftwerk Palo Verde-3 diesen Titel erringen). Die deutschen Spitzenreiter waren u.a. Unterweser, Biblis B, Grafenrheinfeld, Grohnde, Emsland, Brockdorf, Philippsburg 2 und (oftmals) Isar 2. Im Jahr 1997 erreichte das KKW Grohnde sogar die absolute Rekordleistung von 12,53 Milliarden erzeugter Kilowattstunden.

Aber damit noch nicht genug: unter den "Top Ten" der Stromproduktion waren jedes Jahr mindestens drei, manchmal sogar acht deutsche Kernkraftwerke vertreten. Da die jährliche Stromproduktion bekanntermassen das Produkt aus Kraftwerksleistung und Betriebszeit ist, widerspiegelt dies auch die hohe Verfügbarkeit dieser Anlagen und mithin ihren guten technischen Zustand. Von "Schrottreaktoren" zu reden ist angesichts dieser hervorragenden Statistik deshalb barer Unsinn.

Betriebsdiagramme (ausschnittsweise) dreier KKW in 2007 und 2008 (atw)

Wenden wir uns nun der zweiten Behauptung zu, nach der die Kernkraftwerke wegen ihrer betrieblichen Inflexibilität einen Hemmschuh bei der Einführung der Windkraft bilden würden. Auch diese These ist falsch. Betrachten wir hierfür die Betriebsdiagramme dreier typischer KKW, bei denen der Betriebsablauf in den Jahren 2007/8 gegen die prozentuale elektrische Leistung aufgetragen ist. Das obere Diagramm bei Neckarwestheim II zeigt einen konstanten "Strichbetrieb", der das Herz jedes Betriebsleiters erfreut. (Der Stillstand in den Monaten August/September ist absichtlich und dient der Jahresrevision). Bei Unterweser (mittleres Diagramm) sind eine Vielzahl von "Fransen" zu sehen; dies sind kurzeitige, meist stundenweise Leistungsreduktionen zwischen 10 und 40 %. Bei Neckarwestheim I (unten) dauern diese Leistungsabsenkungen in der Regel einige Tage und sind zumeist auf 55 % normiert.

Die Gründe für diese Leistungsabsenkungen waren verschieden. Im Falle von Unterweser reagierte man auf ein plötzliches Angebot an Windenergie , die bevorzugt in das Netz aufgenommen werden muss. Die Reaktorleistung wurde deshalb stundenweise zurück gefahren. Im Falle von Neckarwestheim II waren zumeist betriebswirtschaftliche Gründe der Auslöser: die Kraftwerksleitung reagierte auf die Preisbewegungen an der Leipziger Strombörse.

In all diesen Fällen zeigt sich: Kernkraftwerke können nicht nur zuverlässig mit konstanter Vollast fahren (und damit die Grundlast sichern) sondern sie können auch im Bedarfsfall ihre Leistung rasch absenken und wieder anheben. "Rasch" bedeutet, etwa im Falle von Unterweser, dass die Reaktorleistung um volle 10 % innerhalb einer einzigen Minute (!) reduziert werden kann um Windstrom ins Netz zu lassen. Die Behauptung, dass Atomkraftwerke die Übernahme von elektrischer Energie aus Windmühlen behindern würden, ist also ein Märchen. Kernreaktoren sind durchaus für den Lastfolgebetrieb ausgelegt und damit als "Schattenkraftwerke" für regenerative Energieerzeuger verwendbar - auch wenn dies nicht ihre optimale Fahrweise darstellt.

Weltweit sind, wie gesagt, derzeit 438 KKW in Betrieb; weitere 42 kommen in den nächsten Jahren hinzu, die zur Zeit noch im Bau sind; nochmals weitere 80 sind in der Planung.

Egal, wie die Würfel bei der Atomenergie in Deutschland fallen werden: die internationale Szene wird dadurch nicht berührt; die Karawane zieht weiter.

1 Kommentar:

  1. Kleine Korrektur: Es sind weltweit 68 Reaktoren im Bau und eine Gesamt-Kapazität von knapp 420 Tausend MW in Vorbereitung/Diskussion, mithin mehr als derzeit in Betrieb. Da spielen die 17 in Deutschland abzuschaltenden keine ernsthafte Rolle.
    Heinrich Duepmann
    naeb e.V.
    www.naeb.info

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