Spekulanten sind wir alle. Wenn wir Aktien kaufen oder in einen Fonds einzahlen, dann erwarten wir natürlich, dass sich unser Geld vermehrt. Und Zocker sind wir zuweilen, wenn wir im Spielkasino, aus einer Laune heraus, hundert Euro auf Zahl wetten. (Der Super-Zocker allerdings marschiert ohne Geld in ein Gourmet-Restaurant und hofft in einer der servierten Austern eine Perle zu finden, womit er das Essen bezahlen kann.)
Zum Kreis der Spekulanten - man nennt sie neutral Anleger bzw. Investoren - zählen neben den Banken auch die Lebensversicherer oder der Riesterfonds. Allen geben wir unser Geld, zumeist in Form von Monatsprämien und in der Erwartung, dass die dort agierenden Finanzmanager unsere Einlagen nach Kräften vermehren.
Ja, und dann gibt es noch die "Heuschrecken", eine Wortprägung, die wir dem ehemaligen SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering verdanken. Man versteht darunter eine spezielle Art von Investmentfonds, die sich durch geringe Transparenz und eine riskante Anlagestrategie auszeichnen. Die Finanziers dieser Fonds stammen häufig aus Singapur, Dubai und China; ihren Sitz haben die Hedgefonds meist in London oder in steuerbegünstigten Offshore-Finanzplätzen, wie den Kaiman-Inseln. Eine Spezialgruppe sind die Kapitalbeteiligungsgesellschaften (englisch: "Private Equity"). Auch sie handeln ihr Kapital ausserhalb der geregelten Börsen und stellen es vorallem jungen innovativen Unternehmen, wie den Internet- start-ups als Wagniskapital ("venture capital") gegen gutes Entgeld zur Verfügung. Das Kapitalvolumen der Hedgefonds wird in der Öffentlichkeit meist stark überschätzt. Zum Jahresende 2006 hatten die Hedgefonds weltweit einen Kapitalstock von 1.600 Milliarden Euro, was in etwa dem deutschen Schuldenstand entspricht.
Für die Gemeinde der Spekulanten gibt es gute und schlechte Zeiten. Tote Hose ist, wenn der Aktien- und Anleihemarkt ohne grosse Änderungen vor sich hin dümpelt. Gute Zeiten brechen an, wenn Kurse und Renditen "volatil" werden, sich also in kurzen Zeiträumen auf und ab bewegen, was häufig bei Währungen der Fall ist. Dann vervielfachen sich die Chancen auf Gewinne - aber auch auf Verluste.
Der Euro im Auf und Ab zwischen den Jahren 2003 und 2010
Für den Normalsterblichen ist einsichtig, dass er bei steigenden Kursen mit seinen Aktien einen Gewinn erzielen kann - aber wie soll das bei fallenden Kursen möglich sein? Nun, hier zieht der Trick mit den sogenannten Leerverkäufen. Der Spekulant wettet auf fallende Preise an den Börsen, leiht sich von Banken eine gewisse Anzahl von Aktien, weil er selbst keine besitzt. Diese verkauft er umgehend und hofft einige Zeit später die gleichen Aktien an der Börse wieder zurück kaufen zu können, um sie der Bank zurück zu geben. Die Preisdifferenz, abzüglich einer geringen Leihgebühr, ergibt seinen Profit. Mitunter verkaufen Hedgefonds-Spekulanten auch Aktien, die sie überhaupt nicht geliehen haben. Hier spricht man von "ungedeckten Leerverkäufen", die noch einträglicher, aber auch riskanter sind. (Schäuble will sie verbieten).
Auch mit Anleihen kann man gute Geschäfte machen. Wer im Herbst 2009 auf eine Pleite Griechenlands setzte, der konnte sein Kapital bis zum März 2010 vervierfachen,wie man aus dem Bild über die Rendite der Staatsanleihen erkennen kann. Dabei betrachtet sich der Spekulant keineswegs als ein Feind Griechenlands; er kann heute auf die Pleite dieses schönen Landes und morgen bereits wieder auf seine (finanzielle) Genesung wetten. Für ihn gilt kein Gut oder Böse, nur richtig oder falsch.
Renditen der 10-jährigen Staatsanleihen in Europa
Viel Geld kann man auch mit Kreditausfallversicherungen verdienen. Sie heissen im englischen Sprachgebrauch Credit Default Swap (CDS) und werden ausserhalb der Börse gehandelt. Die Spekulation beginnt dann, wenn Investoren eine Versicherung gegen das Fallieren einer Anleihe kaufen, obwohl sie z. B. überhaupt keine Griechenland-Anleihe besitzen. Der Preis dieser Versicherungen bestimmt, gerade in Krisenzeiten, den Zins, den Griechenland für weitere Kredite bezahlen muss. Viele Hedgefonds haben mit CDS viel Geld verdient, genau so viele haben aber viel Geld verloren. Es ist ein Nullsummenspiel.
Legendäre Hedgefonds-Zocker waren der Amerikaner George Soros und der Kanadier Myron S. Scholes. Soros wettete anfang der 90er Jahre erfolgreich gegen das britische Pfund und strich dabei einen Gewinn von einer Milliarde Dollar ein. Weniger glücklich war Scholes, übrigens der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften des Jahres 1997. Er gründete den Hedgefonds "Long-Term Capital Management" (LTCM), verspekulierte sich gewaltig im Optionenhandel und machte 4,5 Milliarden Dollar Verluste!
Bei der Spekulation sollten wir nicht Ursache und Wirkung verwechseln. Die Zockerei gegen die griechischen Staatsanleihen ist nur das Symptom. Die wahre Ursache liegt in der exzessiven Verschuldung dieses Landes. Die Spekulanten haben dies früher erkannt als unsere Politiker und stürzen sich wie die Löwen auf eine lahme Gazelle. Einer gesunden Gazelle, sprich der Eurozone mit soliden Staatsfinanzen, hätten sie nie gefährlich werden können.
Wie kommen wir aus den gegenwärtigen Dilemma wieder heraus? Der beste Ausweg wäre staatliches Sparen über einen langen Zeitraum. Die derzeit diskutierte "Schuldenbremse" der Bundesregierung sieht Einsparungen von 10 Milliarden Euro pro Jahr vor. Damit wären unsere Staatsschulden von 1.600 Milliarden Euro in 160 Jahren bzw. 40 Legislaturperioden abgebaut. Lässt man (eine Zeitlang) eine moderate Inflation von 5 Prozent pro Jahr zu, dann schmilzt dieser Berg bereits in einem einzigen Jahr um 80 Milliarden (=1.600 * 0,05) ab. Viele halten das letztgenannte Szenario für das Wahrscheinlichere.
In Krisenzeiten werden - zur Beruhigung des Volkes - allerhand Blendgranaten geworfen. So will man die Gewinne der Banken stärker besteuern, ihr Haftungskapital erhöhen oder eine Art Börsenumsatzsteuer (sprich: Kapitaltransaktionssteuer) einführen und anderes mehr. Einiges wird man sicherlich beschliessen, aber das ist im Prinzip nur ein Herumdoktern an den Symptomen und wird weltweit auch nur schwer durchsetzbar sein. In der Zwischenzeit werden sich die "bösen Spekulanten" neue Opfer suchen, wovon es in unseren südlichen Urlaubsländern noch einige gibt.
Zur Aufmunterung, nach dieser deprimierenden Betrachtung, noch ein kleiner Witz. Ganz im Faustschen Sinne beschliessen der Teufel und der Spekulant einen Pakt. Der Teufel verspricht dem Spekulanten alle Kursgewinne der Welt; dafür soll dessen Familie für alle Zeiten in der Hölle braten.
Sagt der Spekulant: "Einverstanden, aber wo ist der Haken?"