Sonntag, 30. Mai 2010

Spekulanten und Zocker

Spekulanten sind wir alle. Wenn wir Aktien kaufen oder in einen Fonds einzahlen, dann erwarten wir natürlich, dass sich unser Geld vermehrt. Und Zocker sind wir zuweilen, wenn wir im Spielkasino, aus einer Laune heraus, hundert Euro auf Zahl wetten. (Der Super-Zocker allerdings marschiert ohne Geld in ein Gourmet-Restaurant und hofft in einer der servierten Austern eine Perle zu finden, womit er das Essen bezahlen kann.)

Zum Kreis der Spekulanten - man nennt sie neutral Anleger bzw. Investoren - zählen neben den Banken auch die Lebensversicherer oder der Riesterfonds. Allen geben wir unser Geld, zumeist in Form von Monatsprämien und in der Erwartung, dass die dort agierenden Finanzmanager unsere Einlagen nach Kräften vermehren.

Ja, und dann gibt es noch die "Heuschrecken", eine Wortprägung, die wir dem ehemaligen SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering verdanken. Man versteht darunter eine spezielle Art von Investmentfonds, die sich durch geringe Transparenz und eine riskante Anlagestrategie auszeichnen. Die Finanziers dieser Fonds stammen häufig aus Singapur, Dubai und China; ihren Sitz haben die Hedgefonds meist in London oder in steuerbegünstigten Offshore-Finanzplätzen, wie den Kaiman-Inseln. Eine Spezialgruppe sind die Kapitalbeteiligungsgesellschaften (englisch: "Private Equity"). Auch sie handeln ihr Kapital ausserhalb der geregelten Börsen und stellen es vorallem jungen innovativen Unternehmen, wie den Internet- start-ups als Wagniskapital ("venture capital") gegen gutes Entgeld zur Verfügung. Das Kapitalvolumen der Hedgefonds wird in der Öffentlichkeit meist stark überschätzt. Zum Jahresende 2006 hatten die Hedgefonds weltweit einen Kapitalstock von 1.600 Milliarden Euro, was in etwa dem deutschen Schuldenstand entspricht.

Für die Gemeinde der Spekulanten gibt es gute und schlechte Zeiten. Tote Hose ist, wenn der Aktien- und Anleihemarkt ohne grosse Änderungen vor sich hin dümpelt. Gute Zeiten brechen an, wenn Kurse und Renditen "volatil" werden, sich also in kurzen Zeiträumen auf und ab bewegen, was häufig bei Währungen der Fall ist. Dann vervielfachen sich die Chancen auf Gewinne - aber auch auf Verluste.



Der Euro im Auf und Ab zwischen den Jahren 2003 und 2010

Für den Normalsterblichen ist einsichtig, dass er bei steigenden Kursen mit seinen Aktien einen Gewinn erzielen kann - aber wie soll das bei fallenden Kursen möglich sein? Nun, hier zieht der Trick mit den sogenannten Leerverkäufen. Der Spekulant wettet auf fallende Preise an den Börsen, leiht sich von Banken eine gewisse Anzahl von Aktien, weil er selbst keine besitzt. Diese verkauft er umgehend und hofft einige Zeit später die gleichen Aktien an der Börse wieder zurück kaufen zu können, um sie der Bank zurück zu geben. Die Preisdifferenz, abzüglich einer geringen Leihgebühr, ergibt seinen Profit. Mitunter verkaufen Hedgefonds-Spekulanten auch Aktien, die sie überhaupt nicht geliehen haben. Hier spricht man von "ungedeckten Leerverkäufen", die noch einträglicher, aber auch riskanter sind. (Schäuble will sie verbieten).

Auch mit Anleihen kann man gute Geschäfte machen. Wer im Herbst 2009 auf eine Pleite Griechenlands setzte, der konnte sein Kapital bis zum März 2010 vervierfachen,wie man aus dem Bild über die Rendite der Staatsanleihen erkennen kann. Dabei betrachtet sich der Spekulant keineswegs als ein Feind Griechenlands; er kann heute auf die Pleite dieses schönen Landes und morgen bereits wieder auf seine (finanzielle) Genesung wetten. Für ihn gilt kein Gut oder Böse, nur richtig oder falsch.



Renditen der 10-jährigen Staatsanleihen in Europa

Viel Geld kann man auch mit Kreditausfallversicherungen verdienen. Sie heissen im englischen Sprachgebrauch Credit Default Swap (CDS) und werden ausserhalb der Börse gehandelt. Die Spekulation beginnt dann, wenn Investoren eine Versicherung gegen das Fallieren einer Anleihe kaufen, obwohl sie z. B. überhaupt keine Griechenland-Anleihe besitzen. Der Preis dieser Versicherungen bestimmt, gerade in Krisenzeiten, den Zins, den Griechenland für weitere Kredite bezahlen muss. Viele Hedgefonds haben mit CDS viel Geld verdient, genau so viele haben aber viel Geld verloren. Es ist ein Nullsummenspiel.

Legendäre Hedgefonds-Zocker waren der Amerikaner George Soros und der Kanadier Myron S. Scholes. Soros wettete anfang der 90er Jahre erfolgreich gegen das britische Pfund und strich dabei einen Gewinn von einer Milliarde Dollar ein. Weniger glücklich war Scholes, übrigens der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften des Jahres 1997. Er gründete den Hedgefonds "Long-Term Capital Management" (LTCM), verspekulierte sich gewaltig im Optionenhandel und machte 4,5 Milliarden Dollar Verluste!

Bei der Spekulation sollten wir nicht Ursache und Wirkung verwechseln. Die Zockerei gegen die griechischen Staatsanleihen ist nur das Symptom. Die wahre Ursache liegt in der exzessiven Verschuldung dieses Landes. Die Spekulanten haben dies früher erkannt als unsere Politiker und stürzen sich wie die Löwen auf eine lahme Gazelle. Einer gesunden Gazelle, sprich der Eurozone mit soliden Staatsfinanzen, hätten sie nie gefährlich werden können.

Wie kommen wir aus den gegenwärtigen Dilemma wieder heraus? Der beste Ausweg wäre staatliches Sparen über einen langen Zeitraum. Die derzeit diskutierte "Schuldenbremse" der Bundesregierung sieht Einsparungen von 10 Milliarden Euro pro Jahr vor. Damit wären unsere Staatsschulden von 1.600 Milliarden Euro in 160 Jahren bzw. 40 Legislaturperioden abgebaut. Lässt man (eine Zeitlang) eine moderate Inflation von 5 Prozent pro Jahr zu, dann schmilzt dieser Berg bereits in einem einzigen Jahr um 80 Milliarden (=1.600 * 0,05) ab. Viele halten das letztgenannte Szenario für das Wahrscheinlichere.

In Krisenzeiten werden - zur Beruhigung des Volkes - allerhand Blendgranaten geworfen. So will man die Gewinne der Banken stärker besteuern, ihr Haftungskapital erhöhen oder eine Art Börsenumsatzsteuer (sprich: Kapitaltransaktionssteuer) einführen und anderes mehr. Einiges wird man sicherlich beschliessen, aber das ist im Prinzip nur ein Herumdoktern an den Symptomen und wird weltweit auch nur schwer durchsetzbar sein. In der Zwischenzeit werden sich die "bösen Spekulanten" neue Opfer suchen, wovon es in unseren südlichen Urlaubsländern noch einige gibt.

Zur Aufmunterung, nach dieser deprimierenden Betrachtung, noch ein kleiner Witz. Ganz im Faustschen Sinne beschliessen der Teufel und der Spekulant einen Pakt. Der Teufel verspricht dem Spekulanten alle Kursgewinne der Welt; dafür soll dessen Familie für alle Zeiten in der Hölle braten.

Sagt der Spekulant: "Einverstanden, aber wo ist der Haken?"

Sonntag, 23. Mai 2010

Banken, Banken

Als ich, zu Ende der 50er Jahre, an der Universität München Betriebswirtschaft (BWL) studierte, war "Bankenbetriebslehre" noch ein Nebenfach. Die Studenten konzentrierten sich auf BWL, Volkswirtschaft und Industriebetriebslehre sowie - mit Abstrichen - auf Handelsrecht und Bürgerliches Recht. Die Banken agierten als geachtete (aber wenig beachtete) Dienstleistungsunternehmen für die Privaten, das Gewerbe und die Industrie, indem sie die Spargelder der Privatpersonen vereinnahmten und daraus Kredite formten. Die Leiter dieser Anstalten hiessen damals auch nicht Manager oder Banker, sondern waren angesehene "Bankiers" bzw. Bankbeamte und das zumeist auf Lebenszeit.

Das änderte sich so um die 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, als die Firmen grösser wurden und der internationale Handel zunahm. Die Unternehmen brauchten weitaus mehr Kapital als ihnen die örtlichen Banken zur Verfügung stellen konnten; ausserdem vergrösserten sie sich nicht mehr in erster Linie durch inneres Wachstum ("spare, spare, Häusle bauen") sondern durch Zukäufe ganzer Firmen.

Damit schlug die Stunde der Investmentbanken, welche den Konzernen das nötige Kapital bereitstellten, sie bei Fusionen und Beteiligungen berieten sowie beim Gang an die Börse. Diese Investmentbanken - Goldman Sachs ist das prominenteste Beispiel - hatten ihren Sitz an der Wallstreet in New York bzw. in der Londoner City; später legten sich die deutschen Grossbanken in Frankfurt (Deutsche Bank, Dresdner Bank etc.) ähnliche Abteilungen zu und mutierten zu Universalbanken. Diese Investmentbanken drehen ein grosses Rad: sie sind nicht nur Berater und und Kapitalgeber für die Grossunternehmen, sondern offerieren ihre Dienste auch manchen Regierungen, wie das (in verhängnisvoller Weise) bei Griechenland vor dem Eintritt in die Eurozone geschehen ist. Privatpersonen ist es es allerdings verwehrt, dort ein Konto zu unterhalten.

Mit Beginn der 90er Jahre entdeckten die Investmentbanken ein weiteres Feld: den Handel mit selbstgestrickten Derivaten und Zertifikaten. Während sie sich bislang im Wertpapierhandel i.w. auf Aktien und Anleihen konzentriert hatten, denen ein realwirtschaftlicher Wert zugrunde lag, kreierten sie nun börsenfähige Kunstprodukte, welche - eine Zeitlang - den Charme hoher Rendite, aber den Nachteil geringer Durchschaubarkeit besassen. Etwas ironisch gesprochen, boten sie beispielsweise Produkte an, die halb Aktie, halb Anleihe waren und bei denen der Anleger einen 7- prozentigen Gewinnzuschlag erwarten durfte, sofern es am Himmelfahrtstag in Karlsruhe regnete. Diese sog. Derivate gingen einher mit Ausfallversicherungen undTriple A-Bewertungen der schon sattsam bekannten (angloamerikanischen) Rating-Agenturen. Die Käufer standen Schlange. Zum Schluss waren es aber nur noch die unbedarften deutschen Institute IKB, Real Estate sowie die Landesbanken, welche diese "Wertpapiere" kauften, deren heutiger Wert nahe bei Null liegt.

Aber den Investmentbanken wäre dieser Coup nicht gelungen, wenn nicht die ranghöchste Bank, nämlich die amerikanische (und britische) Notenbank mitgespielt hätte. Hinter der US-Notenbank, der berühmten "Fed" (=Federal Reserve System) vermuten die meisten Menschen eine unabhängige Einrichtung des Staates. Doch weit gefehlt: die Fed setzt sich aus 12 regionalen amerikanischen Privatbanken zusammen, wovon die Federal Reserve Bank of New York das grösste Gewicht hat. Diese Fed, aufgepasst!, ist zuständig für den Kauf und Verkauf der amerikanischen Bundesanleihen und der Steuerung des Dollarkurses. Das bedeutet nichts weniger als, dass die grossen amerikanischen Bankhäuser de facto ihr eigenes Geld drucken und über die staatlichen Zinssätze entscheiden.

Als BWL-Student lernte ich noch, dass sich der Zins aus Angebot und Nachfrage ergibt, also eine Art Preis für das Geldkapital darstellt. Diesen Lehrsatz haben die Fed und ihr langjähriger Chef Alan Greenspan souverän ausgehebelt, indem sie zum Beispiel den amerikanischen Immobilienmarkt mit billigem Geld fluteten, wodurch sich jedermann, auch der Ärmste, zum Kauf von Häusern veranlasst fühlte. Die Investmentbanken bündelten gute und (zumeist) schlechte Hypotheken zu undurchschaubaren Derivaten, "verbrieften" sie zu Wertpapieren und betrieben damit profitreich internationalen Handel mit Finanzmüll. Die Bankmanager steckten jedes Jahr Milliarden an Boni ein. Ergebnis siehe oben.

Das System wurde noch dadurch gefördert, dass häufig die Chefs von Goldman Sachs zu US-Finanzministern ernannt wurden, nach dem Motto: "what´s good for G&S, is good for the country". Damit schloss sich der Kreis in verhängnisvoller Weise. Der amerikanische Präsident Barack Obama ist derzeit dabei, die Kompetenzen der Fed zu beschneiden. Ein Untersuchungsausschuss befasst sich mit den dubiosen Entscheidungen der Fed in der Vergangenheit und der US-Senat hat bereits angekündigt, dass er Obamas Gesetzentwürfe zur Finanzmarktreform unterstützen wird.

Bis vor kurzem galt die Europäische Zentralbank (EZB), verglichen mit den amerikanischen und britischen Notenbanken, als Hort der Unabhängigkeit gegenüber den Geschäftsbanken und den Regierungen. Dieser Ruf ist lädiert seit die EZB in der Nacht des 9. Mai 2010 eine folgenreiche Entscheidung getroffen hat. Präsident Jean-Claude Trichet sah sich veranlasst am 720 Milliarden Rettungsprogramm der Euroländer mitzuwirken, um Angriffe der Spekulanten gegen die Euro-Währung zu stoppen. Er tat dies, indem er grosse Mengen von Ramschanleihen vom Markt nahm und dafür den Gläubigerbanken gute Euros aushändigte. Das heisst konkret: wo früher die Banken für ihre leichtsinnige Kreditvergabe hafteten, ist dieses Risiko nun auf die europäischen Steuerzahler übergegangen.

Natürlich war diese Crash-Aktion von allerlei guten Sprüchen begleitet. So heisst es, dass das zusätzliche Zentralbankgeld nicht zu einer inflatorischen Aufblähung führen würde, weil man das "Entweichen in die reale Wirtschaft" verhindern werde. Originalton Trichet: "Wir schöpfen die zusätzliche Liquidität rechtzeitig wieder ab, jeden einzelnen Euro". Naja, man wird sehen. Jedenfalls bleibt diese Intervention ein Tabubruch der EZB, den man sich noch vor Wochen nicht hätte vorstellen können.

Ein Bruch der Geschäftsordnung war auch die Vergabe der 123 Milliarden Stützungsgelder an Griechenland, die unsäglich lange (bis zur, dennoch verlorenen, Wahl in Nordrhein-Westfalen) diskutiert worden ist. Hier hat sich die deutsche Regierung - wir haben´s ja - sehr grosszügig gezeigt, wie aus den folgenden zwei Abbildungen hervor geht. Im oberen Bild ist ist zu sehen, dass die französischen Banken mit 78,8 Milliarden Euro grösster Gläubiger der Griechen sind. Die deutschen Banken folgen mit 45,0 Mrd. beträchtlich weit dahinter. Trotzdem hat Deutschland - unteres Bild - mit 22,336 Mrd. den bedrängten Griechen die meiste Finanzhilfe zugestanden; die Franzosen gaben mit 16,776 Mrd. deutlich weniger.


Griechische Schulden (oben) und Finanzhilfe für Griechenland (unten)


Die schwächelnden Länder der Euro-Zone werden unter dem etwas anrüchigen Namen PIIGS zusammen gefasst. Man versteht darunter Portugal, Italien, Irland, Griechenland und Spanien. Die deutschen Banken und Privatanleger haben PIIGS-Anleihen im Wer von 533 Milliarden Euro in ihren Portefeuilles. Wenn diese Kredite platzen, dann gute Nacht.

Zwischenzeitlich bezweifeln Josef Ackermann, der Chef der Deutschen Bank und andere zwar, dass die Griechen das geliehene Geld je zurückzahlen werden - aber die Neue Züricher Zeitung sieht in ihrer Ausgabe vom 9. Mai 2010 trotzdem Möglichkeiten, die reichen griechischen Steuersünde zu identifizieren und zur Kasse zu bitten.

Denn: Athen weist die zweithöchste Dichte an Porsche Cayenne auf - nach Moskau!

Sonntag, 16. Mai 2010

Die Macht der Rating-Agenturen

Sie sind bekannt geworden im Verlaufe der Finanzkrise vor zwei Jahren und auch jetzt, während der Griechenlandkrise, sind sie in aller Munde: die Rating-Agenturen. Dies sind Firmen, welche (in Lehrermanier) die Kreditwürdigkeit anderer Unternehmen, oder gar ganzer Staaten, bewerten und damit dem Anleger oder Gläubiger - heute spricht man gerne vom Investor - vor Zahlungsausfall durch den Schuldner zu bewahren. Viele Deutsche denken dabei an eine Art Finanz-TÜV oder an die Stiftung Warentest, womit sie aber nur zu 50 Prozent richtig liegen.


Denn die Ratingagenturen sind keineswegs staatliche Organisationen oder neutrale Stiftungen sondern Privatfirmen, die auf Gewinn ausgerichtet und dem Profit ihrer Aktionäre verpflichtet sind-wobei sie für ihre Empfehlungen noch nicht mal haften! Darüberhinaus beherschen die drei Grossen praktisch monopolartig den ganzen Weltmarkt. Ihre Namen: Standard & Poors (USA), Moody´s (USA) und Fitch (GB). Standard & Poor´s (S&P) gehört dem Medienkonzern McGraw-Hill, der weltweit verbreiteten Wirtschaftszeitung BusinessWeek und dem US-TV-Sender ABC. Moody´s Hauptaktionär ist - man glaubt es kaum - der Amerikaner Warren Buffett, der reichste Milliardär der Welt. Fitch sitzt in New York und London und gehört derzeit der französischen Fimalac-Gruppe.

Angeblich nehmen die Mutterkonzerne und Hauptaktionäre keinen Einfluss auf das tägliche Bewertungsgeschäft ihrer nachgelagerten Ratingagenturen - aber wer´s glaubt, wird selig. Will Herr Buffett, beispielsweise, sein Geld in einem Unternehmen investieren, dann bedürfte es schon heroischer Zurückhaltung, nicht vorher "bei seinen Jungs bei S&P" anzuklingeln um sich nach dem Finanzstatus dieser Firma zu erkundigen.

Die Bewertung der Schuldner geschieht nach einer Art Schulnotensystem; allerdings werden anstelle der Noten 1 bis 6 Buchstabenkombinationen verwendet. Die Buchstaben reichen (über 18 Stufen) von AAA ("Triple A") bis D. Bei Länder (oder Firmen) im A-Bereich - Beispiel Deutschland - ist das Ausfallrisiko gering; der Investor wird sein Geld mit hoher Wahrscheinlichkeit samt Zinsen zurückerhalten. Im B-Bereich, beginnend mit BB+ - Beispiel Griechenland - wird die Anlage als spekulativ eingestuft und im Bereich C und D - Beispiel Ecuador - wird es duster. Der Gläubiger muss mit Zahlungsverzug bzw. totalem Zahlungsausfall rechnen. Konkret heisst dies, dass viele Länder in Süd-und Mittelamerika, in Afrika und in Osteuropa, welche dieses Rating besitzen, praktisch vom Kapitalmarkt ausgeschossen sind oder extrem hohe Zinsen für ihre Anleihen zahlen müssen, um deren Ausfallrisiko abzudecken. Simpel gesprochen: die Reichen haben niedrige Zinskosten, die Armen sehr hohe.



Die Rating-Agenturen und ihre (leicht unterschiedlichen) Bewertungen

Die Macht und den Einfluss derRatingfirmen kann man kaum überschätzen. Mit ihren Bewertungen entscheiden sie über das Wohl und Wehe jedes grösseren Unternehmens und nicht zuletzt über Aufstieg und Untergang ganzer Regionen und Staaten. Der Kolumnist Thomas Friedman schrieb vor zehn Jahren in der "New York Times" folgendes: Es gibt heute zwei Supermächte: die Vereinigten Staaten von Amerika und die Ratingagenturen. Und glauben Sie mir, es ist keinesfalls sicher, wer die Mächtigere von beiden ist. Sollte Deutschland im Verlaufe der gegenwärtigen Griechenlandkrise seine AAA-Bewertung verlieren, so hätte es viele Milliarden Euro an zusätzlichen Zinszahlungen zu leisten; die Haushaltsprobleme wären kaum noch zu beherrschen.

Aber die internationale Kritik an den Ratingagenturen wächst. Insbesondere, weil sie sich von den Anleiheemittenten bezahlen lassen, also den Unternehmen, welche die Anleihen in Umlauf bringen. Kungeln ist da nicht ausgeschlossen. Warum sollte sich ein Anleihegeber, sprich Schuldner, nicht die "netteste" Ratingfirma aussuchen? In den USA laufen derzeit Prozesse gegen Moody´s und S & P, worin diese verdächtigt werden, allzu positive Ratings gegen gute Bezahlung verliehen zu haben.


Unbestreitbar ist das Versagen der Ratingagenturen bei der sogenannten Subprime-Krise vor drei Jahren. Damals bündelten die Investmentbanken der Wallstreet Ramschhypotheken insolventer Schuldner zu einem undurchschaubaren Knäuel von Zertifikaten und Derivaten. Die Ratingunternehmen versahen sie mit ihrem Super-Gütestempel AAA, wodurch die Papiere "wertvoll" wurden und in den internationalen Kreislauf gebracht werden konnten. Einen Grossteil dieser Papiere erwarben die unbedarften deutschen Landesbanken und kurze Zeit danach stuften die gleichen Ratingfirmen diese Zertifikate auf "junk" (=Müll) ab, womit die Anleihen praktisch wertlos geworden sind.

Auch im Falle von Griechenland trieben die Rater ein ein dubioses Spiel. Die Verschuldung dieses Landes war seit langen bekannt; trotzdem lag sein "Investment Grade" bei A, wobei Griechenland sogar noch vor China (A-) rangierte. Als in der EU die Finanzhilfen für Griechenland bereits anliefen, gossen die Agenturen noch Öl ins Feuer, indem sie das Kreditniveau dieses Landes auf BB+ (Ramsch) herabstuften. Dieses merkwürdige Timing sandte Schockwellen in die Finanzwelt, welche noch lange spürbar sein werden.

Bei so viel anzuzweifelnder Kompetenz und gleichzeitigem Machtanspruch fragt man sich, warum es die Ratingfirmen überhaupt noch gibt. Nun, sie sind in erster Linie eine US-amerikanische Veranstaltung. Dort sind sie schon seit hundert Jahren aktiv und in den Satzungen der allmächtigen Pensionsfonds steht sogar geschrieben, dass sie nur Anleihen kaufen dürfen, die von Moody´s und Co. gut bewertet sind. Darüberhinaus kommt es der amerikanischen Finanzwelt wohl auch gelegen, wenn sie die "Buchhaltung" der europäischen Firmen und Wettbewerber durchstöbern dürfen. Auch der Karlsruher Stromversorger liess sich von allen drei Agenturen bewerten und verkündete bei der kürzlichen Hauptversammlung stolz sein Rating A-.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: warum gibt es keine europäische Ratingagentur, etwa unter der Aufsicht der EU oder der Europäischen Zentralbank? Nun, es gibt diese Idee schon seit mehr als zehn Jahren, ohne, dass bisher etwas geschehen wäre. Europas Uhren ticken langsam, zu langsam; unsere Politiker sind eben Schlaffis.

Inzwischen zahlen wir Steuerbürger die Rechnung!

Sonntag, 2. Mai 2010

Alles Schrottreaktoren?

Die kürzliche Aktionärsversammlung der Energiewerke Baden-Württemberg (EnBW) in Karlsruhe brachte es an den Tag: um die Abschaltung, beziehungsweise den Weiterbetrieb der deutschen Atomkraftwerke wird wie eh und je hart gerungen. Wenige Menschen wissen, dass in der Vergangenheit bereits 19 Kernkraftwerke (KKW) in Deutschland abgeschaltet worden sind - nicht wenige auf politischen Druck hin, wie Hamm-Uentrop, Greifswald 1 bis 5, Mühlheim-Kärlich etc. Um die noch verbliebenen deutschen Kernkraftwerke - 17 an der Zahl - gibt es seit Monaten heisse Diskussionen. Die Gegner möchten sie in den kommenden zehn Jahren allesamt stillegen; die Befürworter, insbesondere die grossen Energieversorgungsunternehmen (EVU) wollen sie um weitere 20 oder gar 30 Jahre weiterlaufen lassen. Fakt ist, dass seit dem April 2002 die EVU veranlasst sind, alle KKW - nach gewissen betrieblichen Modalitäten - bis ca. 2020 vom Netz zu nehmen. Im Bild 1 ist dies durch die (diffus) auslaufenden Balken dargestellt.


Restlaufzeiten deutscher Kernkraftwerke, abgeleitet aus dem Atomgesetz vom April 2002 (aus: atw 3/10)

Abhängig von der betrieblichen Fahrweise würde dieser Stillegungsbeschluss die Kraftwerke Biblis A, Neckarwestheim I, Brunsbüttel etc. bereits im nächsten oder übernächsten Jahr treffen; andere KKW wie Isar 2, Emsland und Neckarwestheim II, die später in Betrieb genommen worden sind, könnten noch bis 2020 oder kurzfristig darüber hinaus weiterlaufen.

Von den Gegnern der deutschen Atomkraftwerke werden für die baldige Abschaltung vorallem zwei Gründe ins Feld geführt:

erstens, dass diese 17 KKW wegen ihrer bereits langen Betriebszeit und der häufigen Störungen eigentlich "schrottreif" seien,

und zweitens, dass ihre Leistung kurzfristig nicht regelbar sei, weswegen sie ein Hemmnis bei der Einspeisung der Windenergie seien (Stichwort "unbewegliche Dinosaurier").

Beide Behauptungen sind beweisbar falsch, wie ich im Folgenden darstellen möchte.

Befassen wir uns zunächst mit dem ersten Argument und betrachten dafür die Betriebsbilanz der deutschen Atomkraftwerke während der vergangenen 25 Jahre (von 1981 bis 2006) im weltweiten Vergleich. Neutrale Stellen listen jedes die Stromproduktion aller Kernkraftwerke auf, von denen es derzeit 438 in 33 Ländern gibt. Das Ergebnis dieser "Bundesligatabelle" ist höchst bemerkenswert und stellt eine hohe Auszeichnung der deutschen Atomkraftwerke dar.


"Top Ten" der Stromproduktion aller Kernkraftwerke weltweit (atw 07/08)

Aus Bild 2 geht hervor, dass deutsche Kernkraftwerke - durch den Buchstaben D markiert - während dieses Vierteljahrhunderts nicht weniger als 24 Mal "Weltmeister" waren, indem sie die höchste jährliche Stromproduktion aller 438 KKW erzielten. (Nur 1988 konnte das US-amerikanische Kraftwerk Palo Verde-3 diesen Titel erringen). Die deutschen Spitzenreiter waren u.a. Unterweser, Biblis B, Grafenrheinfeld, Grohnde, Emsland, Brockdorf, Philippsburg 2 und (oftmals) Isar 2. Im Jahr 1997 erreichte das KKW Grohnde sogar die absolute Rekordleistung von 12,53 Milliarden erzeugter Kilowattstunden.

Aber damit noch nicht genug: unter den "Top Ten" der Stromproduktion waren jedes Jahr mindestens drei, manchmal sogar acht deutsche Kernkraftwerke vertreten. Da die jährliche Stromproduktion bekanntermassen das Produkt aus Kraftwerksleistung und Betriebszeit ist, widerspiegelt dies auch die hohe Verfügbarkeit dieser Anlagen und mithin ihren guten technischen Zustand. Von "Schrottreaktoren" zu reden ist angesichts dieser hervorragenden Statistik deshalb barer Unsinn.

Betriebsdiagramme (ausschnittsweise) dreier KKW in 2007 und 2008 (atw)

Wenden wir uns nun der zweiten Behauptung zu, nach der die Kernkraftwerke wegen ihrer betrieblichen Inflexibilität einen Hemmschuh bei der Einführung der Windkraft bilden würden. Auch diese These ist falsch. Betrachten wir hierfür die Betriebsdiagramme dreier typischer KKW, bei denen der Betriebsablauf in den Jahren 2007/8 gegen die prozentuale elektrische Leistung aufgetragen ist. Das obere Diagramm bei Neckarwestheim II zeigt einen konstanten "Strichbetrieb", der das Herz jedes Betriebsleiters erfreut. (Der Stillstand in den Monaten August/September ist absichtlich und dient der Jahresrevision). Bei Unterweser (mittleres Diagramm) sind eine Vielzahl von "Fransen" zu sehen; dies sind kurzeitige, meist stundenweise Leistungsreduktionen zwischen 10 und 40 %. Bei Neckarwestheim I (unten) dauern diese Leistungsabsenkungen in der Regel einige Tage und sind zumeist auf 55 % normiert.

Die Gründe für diese Leistungsabsenkungen waren verschieden. Im Falle von Unterweser reagierte man auf ein plötzliches Angebot an Windenergie , die bevorzugt in das Netz aufgenommen werden muss. Die Reaktorleistung wurde deshalb stundenweise zurück gefahren. Im Falle von Neckarwestheim II waren zumeist betriebswirtschaftliche Gründe der Auslöser: die Kraftwerksleitung reagierte auf die Preisbewegungen an der Leipziger Strombörse.

In all diesen Fällen zeigt sich: Kernkraftwerke können nicht nur zuverlässig mit konstanter Vollast fahren (und damit die Grundlast sichern) sondern sie können auch im Bedarfsfall ihre Leistung rasch absenken und wieder anheben. "Rasch" bedeutet, etwa im Falle von Unterweser, dass die Reaktorleistung um volle 10 % innerhalb einer einzigen Minute (!) reduziert werden kann um Windstrom ins Netz zu lassen. Die Behauptung, dass Atomkraftwerke die Übernahme von elektrischer Energie aus Windmühlen behindern würden, ist also ein Märchen. Kernreaktoren sind durchaus für den Lastfolgebetrieb ausgelegt und damit als "Schattenkraftwerke" für regenerative Energieerzeuger verwendbar - auch wenn dies nicht ihre optimale Fahrweise darstellt.

Weltweit sind, wie gesagt, derzeit 438 KKW in Betrieb; weitere 42 kommen in den nächsten Jahren hinzu, die zur Zeit noch im Bau sind; nochmals weitere 80 sind in der Planung.

Egal, wie die Würfel bei der Atomenergie in Deutschland fallen werden: die internationale Szene wird dadurch nicht berührt; die Karawane zieht weiter.

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Angaben gemäß § 5 TMG:

Dr. Willy Marth
Im Eichbäumle 19
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