Sonntag, 4. April 2010

Finanzprobleme bei FAIR

Fast 40 Jahre lang existierte in Darmstadt ein kleines, aber feines, Forschungszentrum, betrieben von der "Gesellschaft für Schwerionenforschung" (GSI). Zentriert um den Linearbeschleuniger UNILAC widmete man sich dort mit 900 Mitarbeitern praktisch nur einer einzigen Aufgabe: der Synthese superschwerer Atomkerne mittels Fusion. Im benachbarten, vier Mal grösseren Kernforschungszentrum Karlsruhe, hatte man sich umgekehrt der Spaltung schwerer Atome, wie Uran und Plutonium, verschrieben - und erntete dafür statt Lob manche mediale Hiebe.

Theoretische Physiker, wie Gamov, Bohr und v. Weizsäcker hatten vorher in ihrem "Tröpfchenmodell" superschwere und gleichzeitig stabile Elemente, weit jenseits des Urans postuliert. Dorthin wollte man vordringen. Während sich hinter Uran mit der Ordnungszahl 92 ein "Meer der Instabilität" ausbreitet, vermutete man, etwa ab der Ordnungszahl 100, "stabile Inseln", wo die Atomkerne nicht mehr spontan zerstrahlen, sondern stabil bleiben und deshalb chemisch analysiert werden können. Besonders aufregend schien die Suche nach den "magischen" und "doppelt-magischen" Kernen, bei denen die Protonen und Neutronen in einem bestimmten Verhältnis standen und die "Schalen" aufgefüllt waren.

Die Suche nach superschweren - aber noch nicht stabilen Elementen - war durchaus nicht erfolglos. Im Laufe von Jahrzehnten fand die Forschergruppe um Peter Armbruster, Gottfried Münzenberg und Sigurd Hofmann ein halbes Dutzend dieser Exoten. Sie sind auf der Nuklidkarte als Bohrium, Meitnerium, Roentgenium und Copernicium vermerkt. Hinzu kommen Hahnium und Darmstadtium, deren Namensgebung eine Hommage an Darmstadt und das Land Hessen darstellt. Die meisten dieser Elemente existierten nur Bruchteile von Sekunden und konnten in der Regel nur als einzelne Atomkerne erzeugt werden. Sie bildeten sich beim (wohldosierten) Zusammenstoss zweier mittelgrosser Kerne.



Die stolzen Entdecker des Elements 112

Armbruster, ein Schüler von Maier-Leibnitz, war der Teamführer und wurde zuweilen als Kandidat für den Physiknobelpreis angesehen. Zur Verleihung kam es aber dann doch nicht; über die Gründe dafür kann man nur spekulieren. Vielleicht wurde das "Zusammenbacken" von Atomkernen mehr als diffizile Handwerkskunst denn als hohe Wissenschaft gesehen. Vielleicht wollte man auch in Stockholm auf das postulierte Endziel, das Erreichen der stabilen Inseln warten; vorderhand bildeten die generierten Elemente lediglich "Landungsbrücken" über das Meer der Instabilität. Möglicherweise wollte sich das Nobelkommittee aber auch aus einem "Wespennest" heraushalten, denn neben dem GSI gab es ähnliche Forschungsgruppen in Berkeley (USA) und Dubna (Russland), zwischen denen es immer wieder zu Streitigkeiten bei der Erstentdeckung und der Namensgebung kam.

Vor etwa fünf Jahren beschloss man bei der GSI die thematische Monokultur der superschweren Atomkerne zu verlassen und sich der programmatischen Vielfalt der Kernphysik zu öffnen. Die Anlage FAIR - "Facility for Antiproton and Ion Research" - wurde vorgestellt und der wissenschaftliche Geschäftsführer Horst Stöcker versprach, "die Physik des Universums in das Labor zu holen". Als Vielzweckmaschine sollte FAIR die Physik der Hadronen bis zur Astrophysik abdecken. Über das frühe Universum und den Ursprung der Elemente sowie grundlegende Fragen des Quark-Gluon-Plasma sollen im Endausbau 3000 Physiker aus aller Welt in Darmstadt forschen. CERN lässt grüssen!

Apparatives Kernstück von FAIR werden zwei grosse Beschleunigerringe mit 1.100 Metern Umfang sein, die übereinander in einem gemeinsamen unterirdischen Tunnel gebaut werden. Die derzeitigen Beschleuniger der GSI dienen dann als Vorbeschleuniger. An die beiden Beschleunigerringe schliesst sich ein komplexes System von weiteren Speicherringen und Experimentierstationen an. Die Fertigstellung der Anlage und der Experimentierbeginn ist auf das Jahr 2016 avisiert.



Computergrafik zeigt Altanlage GSI (links) und FAIR-Komplex (rechts)

Derzeitiger Knackpunkt des ganzen Unternehmens ist seine Finanzierung. Die Investitionskosten sind seit Planungsbeginn (2005) von 675 über 940 auf jetzt 1.200 Millionen Euro gestiegen. Das muss noch nicht das Ende sein, denn schwierige Planungsphasen und vorallem der Bau stehen noch aus. Hinzu kommen noch die jährlichen Betriebskosten, welche auf mindestens 120 Millionen veranschlagt werden. Die Zuwendungsgeber sind der Bund (65 %), das Land Hessen (10 %) sowie die 16 internationalen Partner (25 %). Zur Zeit klafft noch eine Finanzierungslücke von gut 100 Millionen Euro, was eine gewichtige Änderung der Gesamtplanung erforderlich machte: einige Anlagenmodule mussten auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden.

Nicht enthalten im Investitionsbudget sind zusätzliche Kosten in Höhe von 110 Millionen Euro, die standortbedingt sind. Testbohrungen haben nämlich gezeigt, dass das Gelände neben dem bestehenden GSI-Areal keinen (wie eigentlich erwartet) felsigen Untergrund hat, weswegen 2000 jeweils 50 Meter lange Pfähle den Boden stabilisieren müssen. Da die Partnerländer nicht bereit waren, zusätzliche Millionen "in Beton" zu investieren, mussten sich Bund und Land zähneknirschend zur Kostenübernahme bereit erklären. Im Frühjahr soll dann die FAIR GmbH als internationaler Projektträger gegründet werden.

Angesichts dieses holprigen Projektbeginns mag sich mancher Beteiligter an die Worte der Bundesforschungsministerin Annette Schavan erinnern, die bei der offiziellen Festveranstaltung im November 2007 zum Start von FAIR folgendes gesagt hat:

"Physiker müssen einen genetischen Defekt haben, der ihnen übergrossen Optimismus verleiht".

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