Nachdem die beiden Antagonisten der Nachkriegszeit, die USA und die Sowjetunion, bereits je mehr als zehntausend Atombomben angehäuft hatten, beschlossen sie etwas für den Frieden zu tun. Sie liessen die UNO in ihrem "Palais der Nationen" im schweizerischen Genf vom 8. bis 20. August 1955 die "Erste internationale Konferenz für die friedliche Verwendung der Atomenergie" ausrichten - sinnigerweise fast genau zehn Jahre nach den Bombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki.
Im Gefolge der US-Delegation befanden sich zahlreiche Industrieunternehmen, die ihre atomtechnischen Gerätschaften und Materialien feil hielten. Eine davon war die Maschinenbaufirma AFM, die sogar einen kompletten Forschungsreaktor vom Schwimmbad-Typ präsentierte. Er war im Park des Konferenzgebäudes aufgestellt, befand sich dort in einer Baracke(!), und war, dessenungeachtet, in vollem nuklearen Betrieb. Die Konferenzteilnehmer hatten ungehinderten Zutritt und kaum einer der mehr als 2.000 Politiker und Wissenschaftler liess sich die Chance zur Besichtigung entgehen sondern genossen, wohl mit einigem Gruseln, den Anblick der blau leuchtenden Tscherenkow-Strahlung im Reaktorkern.
Andrang beim Versuchsreaktor in Genf
Einer der Interessierten war der Physikprofessor Dr. Heinz Maier-Leibnitz, seines Zeichens Ordinarius an der Technischen Hochschule (TH) München. Er überredete seinen vorgesetzten Kultusminister zur Beschaffung eines solchen Versuchsreaktors und dieser schickte ihn auch zu Preisverhandlungen in die USA. Der (in Esslingen) geborene Schwabe tat dies mit so grossem Erfolg, dass die Industriefirma AFM ihn später als Europavertreter ihrer Produkte anheuern wollte. (ML, wie er von seinen Studenten genannt wurde,verzichtete). Der ausgehandelte Preis für den Schwimmbadreaktor - einschliesslich der Brennelemente - lag schliesslich bei 1,5 Millionen DM, ein "Trinkgeld" aus heutiger Sicht.
Nun war die bayerische Staatsregierung gefordert, von der ein formaler Beschluss zu dem Reaktorprojekt erwartet wurde. Der damalige Ministerpräsident Dr. Wilhelm Hoegner, ein Befürworter der Kerntechnik - obschon der SPD angehörend - improvisierte bei nächster Gelegenheit mit zufällig anwesenden Ministern eine "Kabinettssitzung". Als Hoegner bei neun seiner Ministern Zustimmung konstatiert hatte, rief er zufrieden: "G´langt scho". Ohne weitere Diskussionen wurde beschlossen, für die TH einen Schwimmbadreaktor bei AFM zu kaufen und Maier-Leibnitz mit den weiteren Geschäften zu beauftragen. "Ich hatte eben recht fügsame Leute", kommentierte Hoegner später diese seltsame Ministerratssitzung. Der Lieferkontrakt wurde mitte 1956 im deutschen Generalkonsulat in New York unterschrieben, wobei der damalige Bundesatomminister Franz-Joseph Strauss für den Bund zeichnete. Als Name wurde "Forschungsreaktor München", kurz FRM, vereinbart.
Unterzeichnung des Liefervertrags für den FRM;
(von links: Maier-Leibnitz, Strauss, Smith (Präsident der AFM))
Kurz vorher war auch die Standortfrage angegangen worden. Man wurde fündig bei der Gemeinde Garching, wo der Reaktor in den Isar-Auen, ca. 16 km nordöstlich von München entfernt, platziert werden sollte. Der dortige Bürgermeister Josef Amon zeigte sich dem Projekt gegenüber sehr aufgeschlossen und sein Gemeinderat votierte einstimmig für den Verkauf des benötigten Landes zum Preis von knapp 1,5 DM pro Quadratmeter. Einwendungen kamen lediglich von einer Münchener Brauerei, die um die Reinheit ihres Brauwassers fürchtete und vom FKK-Klub "Osiris", der in dieser Gegend seinem Vereinszweck nachging. Beider Befürchtungen konnten zerstreut werden.
Das Reaktorgebäude mit seiner schimmernden Aluminiumhülle über der Betonschale wurde als "Atomei" zu einem berühmten Wahrzeichen der Kernenergie schlechthin. Wegen der Ei-Form kam immer wieder der Verdacht auf, dass der Hobbykoch Maier-Leibnitz als Ideengeber gewirkt haben könnte. Das war nicht der Fall. Der Entwurf stammte von dem Münchener Architekten Gerhard Weber, der damals als Professor an der TH wirkte. Geometrisch gesprochen ist das Gebäude auch kein Ei, sondern ein halbes Rotationsellipsoid mit einer Höhe und einem Durchmesser von je 30 Metern. ML hatte allerdings diese Abmessungen vorgegeben, denn im Reaktorgebäude mussten nicht nur die Reaktorkomponenten sondern auch die zahlreich geplanten Experimentieranlagen Platz finden. Aus heutiger Sicht kaum nachvollziehbar ist, dass der Rohbau dieses Containments innerhalb von weniger als drei Monaten hochgezogen wurde! Garching entwickelte sich im Verlauf der nächsten Jahrzehnte von einem 2000-Seelen-Dorf zu einer Stadt mit 16.000 Einwohnern. Wegen des FRM und der Auslagerung vieler TH-Institute darf sie sich heute mit dem Titel "Universitätsstadt" schmücken, die über den europaweit grössten Campus verfügt.
Das "Atomei", die Landmarke von Garching
Phasenweise kabarettreif verlief die Beschaffung und die Lagerung der Brennelemente für den FRM. Sie wurden im Januar 1957 bei der US-Firma Babcock & Wilcox geordert, konnten aber nicht ausgeliefert werden, da die Bundesrepublik Deutschland damals noch kein Atomgesetz besass, welches die Hantierung von Uran regelte. Im Wahlkampfgetümmel des Jahres 1957 war ein entsprechender Gesetzesentwurf an den Einwendungen von Ollenhauers Sozialdemokraten gescheitert. Kurz entschlossen brachten die Bayern ein "Bayerisches Atomgesetz" in ihrem Landtag ein, welches einstimmig von den Abgeordneten angenommen wurde. Die Amerikaner waren zufrieden und wenige Wochen darauf trafen die auf 20 % angereicherten Uranelemente (in Sperrholzkisten!) in München ein.
Ministerpräsident Wilhelm Hoegner liess es sich nicht nehmen, dieses Ereignis mit seiner Anwesenheit zu zieren. Da zufällig kein Schraubenzieher zur Hand war, öffnete man die Kisten mit einem Taschenmesser. Der Landeschef hatte die Ehre, das erste Brennelement - mit blossen Händen! - aus der Kiste zu heben und den hochrangigen Persönlichkeiten und Journalisten zu zeigen. Er tat dies mit dem Ausruf: "Es lebe die Aktivität". Der Strahlenschutzphysiker des FRM leistete sich den Scherz, sein Messgerät an die Armbanduhr des Ministerpräsidenten zu halten, worauf es laut knatterte. Sodann erst näherte er das Instrument dem Brennelement und jeder hörte nur noch ein leises Ticken. Dieser (schlitzohrige) Versuch überzeugte die Anwesenden von der relativen Gefährlichkeit von Radium und Uran. Tags darauf schrieb die Presse: "Uhren sind gefährlicher als Reaktorbrennelemente". Und es war wohl kein Zufall, dass kurze Zeit später Uhren mit Leuchtstoffziffern verboten wurden.
Sehr unkonventionell löste man auch die anschliessende Zwischenlagerung der Brennelemente. Da das Reaktorbecken noch nicht fertiggestellt war, wurden die Uranelemente (diebstahlssicher) im Tresor der Bayerischen Staatsbank deponiert. Als sie im Oktober benötigt wurden, war der für die Schlüssel zuständige hochrangige Bankmanager kurzfristig nicht auffindbar, da er mit Gästen auf dem Oktoberfest weilte. Um ähnliches Malheur künftig zu vermeiden, schaffte man die Elemente nach Garching ins Reaktorgebäude und lagerte sie dort in einem Blechschrank(!).
Maier-Leibnitz schrieb später darüber in seiner trockenen Art: "Wir sind dann noch zum "Neuwirt" nach Garching gefahren und haben dort gefeiert. Die Wirtin hat uns Sekt spendiert. Am nächsten Mittag flogen die beiden Ingenieure der Lieferfirma nach New York zurück. Wir haben nie wieder etwas von ihnen gehört und waren von da an auf uns selbst angewiesen."
Die geschilderten Aktionen und Umstände mögen manchmal skurril, ja risikoreich erscheinen; indes, die wirkliche Sicherheit am ersten Forschungsreaktor in Deutschland stand dabei nie in Frage. Die Mannen um den Reaktorchef Professor Lothar Koester wussten stets, was sie taten. In den folgenden 43 Jahren bis zur endgültigen Abschaltung des FRM am 28. Juli 2000 kam es zu keinem einzigen ernsthaften Reaktorstörfall. Sein Nachfolger, der FRM II – von Siemens zwischen 1996 und 2000 als Hochflussreaktor konzipiert und gebaut – befindet sich in unmittelbarer Nähe des alten FRM.
Garching wurde mit dem FRM zu einem weltweit bewunderten Mekka der Neutronenphysik. Mehr als tausend Diplom- und Doktorarbeiten enstanden dort während der Laufzeit dieses Reaktors. Und mehr als ein Dutzend dieser Doktoranden brachten es zu anerkannten Lehrstuhlinhabern an deutschen und ausländischen Universitäten.
Und im Umkreis dieser Forschungen gelang es einem sogar den Nobelpreis der Physik zu erringen: Dr. Rudolf Mößbauer.
Ministerpräsident Hoegner hebt das erste Brennelement aus der Kiste
Sehr unkonventionell löste man auch die anschliessende Zwischenlagerung der Brennelemente. Da das Reaktorbecken noch nicht fertiggestellt war, wurden die Uranelemente (diebstahlssicher) im Tresor der Bayerischen Staatsbank deponiert. Als sie im Oktober benötigt wurden, war der für die Schlüssel zuständige hochrangige Bankmanager kurzfristig nicht auffindbar, da er mit Gästen auf dem Oktoberfest weilte. Um ähnliches Malheur künftig zu vermeiden, schaffte man die Elemente nach Garching ins Reaktorgebäude und lagerte sie dort in einem Blechschrank(!).
Die Montage des FRM hatte im Mai 1957 begonnen und war - fast unglaublich - im Herbst des gleichen Jahres zu Ende. Als am 31. Oktober alle nichtnuklearen Prüfungen abgeschlossen waren, zögerte man nicht, noch am gleichen Tag das kritische Experiment durchzuführen. Ein paar Stunden musste man auf Maier-Leibnitz warten, dem am Vormittag noch ein schmerzender Zahn gezogen wurde. Aber um 19 Uhr 45 war es dann endlich so weit: die Neutronen liessen die Messinstrumente ausschlagen, ein Blick hinunter ins Wasserbecken des Schwimmbadreaktors zeigte ein blaues Leuchten, die erste Kettenreaktion in Deutschland hatte stattgefunden. Es ist verbürgt, dass die beteiligten Physiker so aufgekratzt waren von diesem Ereignis, dass sie spontan in einer Polonäse um das Reaktorbecken tanzten - im Schein der Tscherenkowstrahlung.
Maier-Leibnitz schrieb später darüber in seiner trockenen Art: "Wir sind dann noch zum "Neuwirt" nach Garching gefahren und haben dort gefeiert. Die Wirtin hat uns Sekt spendiert. Am nächsten Mittag flogen die beiden Ingenieure der Lieferfirma nach New York zurück. Wir haben nie wieder etwas von ihnen gehört und waren von da an auf uns selbst angewiesen."
Die geschilderten Aktionen und Umstände mögen manchmal skurril, ja risikoreich erscheinen; indes, die wirkliche Sicherheit am ersten Forschungsreaktor in Deutschland stand dabei nie in Frage. Die Mannen um den Reaktorchef Professor Lothar Koester wussten stets, was sie taten. In den folgenden 43 Jahren bis zur endgültigen Abschaltung des FRM am 28. Juli 2000 kam es zu keinem einzigen ernsthaften Reaktorstörfall. Sein Nachfolger, der FRM II – von Siemens zwischen 1996 und 2000 als Hochflussreaktor konzipiert und gebaut – befindet sich in unmittelbarer Nähe des alten FRM.
Garching wurde mit dem FRM zu einem weltweit bewunderten Mekka der Neutronenphysik. Mehr als tausend Diplom- und Doktorarbeiten enstanden dort während der Laufzeit dieses Reaktors. Und mehr als ein Dutzend dieser Doktoranden brachten es zu anerkannten Lehrstuhlinhabern an deutschen und ausländischen Universitäten.
Und im Umkreis dieser Forschungen gelang es einem sogar den Nobelpreis der Physik zu erringen: Dr. Rudolf Mößbauer.
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