Sonntag, 1. November 2009

Wo ist der Neandertaler geblieben?

Vor etwa 7 Millionen Jahren soll sich die menschliche Linie von dem gemeinsamen Vorfahren mit dem Schimpansen abgespalten haben. Während der folgenden 5 Millionen Jahre lernten diese Hominiden zwar den aufrechten Gang, waren aber in Bezug auf Aussehen, Intelligenz und Gehabe noch sehr "affenartig", weshalb die Paläanthropologen sie der Kategorie "Australopithecus" (Südaffen") zurechnen. Die Menschwerdung zum "Homo" begann erst vor 2 Millionen Jahren, als das Gehirn zu wachsen anfing und die Fähigkeit zur Entwicklung von Sprache, Werkzeugen und kulturellen Dingen (wie Höhlenmalereien) folgte. Zugespitzt kann man sagen: "die Menschheit stand zuerst auf und wurde danach erst klug".

Unbestritten ist, dass sich die menschliche Rasse in Afrika entwickelt hat; etwa in dem Gebiet zwischen Äthiopien und Kenia befindet sich die "Wiege der Menschheit". Von dort breiteten sich unsere Vorfahren in Wellen immer wieder nach Europa und Asien aus, gemäss der "out-of Africa - These". Die Urmenschenforscher suchen deshalb bevorzugt in Ostafrika nach Fossilien und werden immer wieder fündig. Vor einiger Zeit haben sie das Skelett einer Hominiden-Dame aus dem äthiopischen Sand gescharrt, der sie den Spitznamen "Ardi" gaben und deren Alter man auf 4,4 Millionen Jahre schätzt. Dem amerikanischen Wissenschaftsblatt "Science" war dieser Fund sogar die Herausgabe eines Sonderheftes wert. Von Ardis Skelett sind 125 Teile erhalten, mehr als vom bisherigen Prunkstück, dem weiblichen Hominidenkörper "Lucy", welcher mit 3,2 Millionen Jahren zudem beträchtlich jünger ist. Der menschliche Körper besitzt 206 Knochen, aber da sich viele gleichen, ist ein Halbskelett anatomisch schon sehr aussagekräftig.

Unsere Kenntnis der Vorgeschichte des Menschen stützt sich auf ca. 5.000 Individuen. Manchmal ist es nur ein einzelner Zahn, aus dem die Wissenschaftler aber erstaunlich viel herauslesen können. Die Gesamtzahl der Fossilienfunde würde in einem mittleren Lieferwagen bequem Platz finden. Seit Anbeginn der Zeit haben mehrere Milliarden menschliche (oder menschenähnliche) Lebewesen die Erde bevölkert und jedes hat zum Gesamtbestand der Menschen ein klein wenig an genetischer Variabilität beigetragen. Leider ist aber wenig an Fossiliensubstanz bis jetzt aufgespürt worden. Dies gilt insbes. für den Verzweigungspunkt Affe-Mensch, das sog. "missing link", aber selbst für die jüngste Vergangenheit vor einigen zehntausend Jahren, als der Neandertaler noch existierte. Hinzu kommt, dass die relativ wenigen Fossilien nicht in gerader Linie zu uns führen, sondern, dass viele in einer Sackgasse der Evolution geendet haben, also für die Anthropologen von geringerer Bedeutung sind. Würde man das "Tonband des Lebens" nocheinmal ablaufen lassen, dann wäre es ganz und gar unwahrscheinlich, dass die Evolution in gleicher Weise den modernen Menschen hervorgebracht hätte.

Vor etwa 2 Millionen Jahren mutierten die Hominiden, die Menschenaffen, zu Menschen der Gattung "Homo". (Bitte keine unkeuschen Assoziationen!) Die Linie der Homo beginnt mit dem homo habilis, setzt sich fort über h. erectus, h. ergaster, h. floreszensis, h. heidelbergensis, h. rudolfensis bis zum homo neanderthalensis und endet mit dem homo sapiens, womit sich - in wahrer Bescheidenheit - der moderne Mensch charakterisiert. Die Homo-Gattung war, im Gegensatz zu ihren Vorläufern, in der Lage, komplizierte Werkzeuge, wie Haumesser, Meissel und Schaber herzustellen und lernte mit dem Feuer umzugehen. Vermutlich entwickelte sich damals auch kontinuierlich die Fähigkeit zu sprechen; aus der Art der Bestattungsriten kann man sogar bereits auf einen Totenkult schliessen. All diese technischen und kulturellen Anforderungen liessen das Hirnvolumen von 400 auf 800 Kubikzentimeter (und darüber) ansteigen.

Ein naher Verwandter des homo sapiens - also von uns Jetztmenschen - ist der homo neanderthalensis. Der Neandertaler leitet seinen schönen Namen vom ersten Fundort ab, dem Neandertal (zwischen Düsseldorf und Wuppertal), wo Steinbrucharbeiter im Jahr 1856 einen fossilen Schädel entdeckten. Aus vielen späteren Funden weiss man, dass diese Gattung über 200 - 300.000 Jahre ganz Europa von Gibraltar bis Usbekistan besiedelt hat. Die Neandertaler waren stämmige und muskulöse Menschen, die ein bisschen den heutigen Eskimos und Lappen ähnelten. Sie fertigten Präzisionswaffen und hatte Jagdtechniken, womit sie damals anzutreffende Grosstiere, wie Mammuts und Riesenhirsche, zur Strecke bringen konnten. Ihre Frauen trugen Schmuck und ihre Bestattungsriten lassen auf religiöse Vorstellungen schliessen. Mit grosser Wahrscheinlichkeit hatten sie bereits die Sprache entwickelt oder zumindest kommunikative Vorformen. Besonders erstaunlich ist, dass sie ein erheblich grösseres Gehirn hatten als die Jetztmenschen. Es umfasste Berechnungen zufolge 1.800 ccm, während wir uns mit 1.400 ccm zufrieden geben müssen. Häufig hört man das Argument, unser Gehirn sei zwar kleiner, aber aus irgend einem Grunde leistungsfähiger. Es verwundert, dass dieses Argument an keiner anderen Stelle der Evolution des Menschen vorgebracht wird.

Aber warum ist dieser intelligente und hochentwickelte Neandertaler ausgestorben? Darüber herrscht bis heute keine Klarheit, es gibt nur Vermutungen. Tatsache ist, dass der Bestand an Neandertalern immer mehr dezimiert worden ist, seit der homo sapiens - also wir - vor 70'000-100'000 Jahren von Ostafrika nach Europa hinein schwappte. Die letzten Neandertaler scheinen vor 25.000 Jahren gelebt zu haben, also praktisch "vorgestern".

Eine Hypothese zum Aussterben der Neandertaler ist, dass die Jetztmenschen - auch Cromagnon, nach ihrem ersten Fundort benannt - aus Afrika Krankheitskeime mitgebracht hätten, denen die Urbewohner nicht gewachsen waren. Einer anderen Vorstellung zufolge kam es zu einer Durchmischung beider Arten, wodurch der Neandertaler nicht wirklich ausgestorben ist, sondern quasi absorbiert wurde. Dagegen sprechen allerdings die neuesten Befunde der genetischen DNA-Analysen. Der Münchener Zoologe Reichholf macht den Übergang von der letzten Eiszeit zur Warmzeit für ihr Aussterben verantwortlich. Nach seiner Theorie besiegelte das Verschwinden der grossen Jagdtiere auch das Schicksal der Neandertaler. Also nicht die grössere Kälte, sondern die einsetzende Erwärmung brachte das Aus für diese Menschengattung. Die meisten Paläanthropologen glauben, dass der homo sapiens die kulturelle und technische Entwicklung viel schneller voran getrieben hat als alle seine Vorläufer. Was vorher im Schneckentempo voran schritt, wurde durch den Jetztmenschen in wenigen tausend Jahren bewerkstelligt. Durch hochfeine Werkzeuge, überlegene Waffen und eine vielschichtige Sprache war der Kampf ums Dasein leichter geworden. Diesem zivilisatorischen Höhenflug hatte der Neandertaler nicht genügend entgegen zu setzen er wurde "an die Wand gedrückt" und war somit zum Aussterben verurteilt.

Aber vielleicht leben doch noch einige Rest-Neandertaler unter uns. Im abendlichen Fernsehen ist gelegentlich ein (Finanz-) Promi zu sehen, dessen vortretende Augenwülste an unsere urzeitlichen Verwandten erinnern. Und in manchen ländlichen Regionen, z. B. in Niederbayern und Tirol, gibt es diese robusten Bauernburschen...

2 Kommentare:

  1. Den Kommentar mit der Hirnmasse finde ich sehr lustig.

    Übrigens zum "missing link" usw hat Dawkins vor kurzem lesenswert in Newsweek geschrieben:

    http://www.newsweek.com/id/216140

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  2. Interessant und beängstigend finde ich die Vorstellung, dass es mehr lebende Menschen gibt als tote.

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