Sonntag, 13. September 2009

Diese (riskanten) Grossprojekte

Man hört nichts Gutes von den internationalen Grossprojekten ITER und LHC/CERN, die von Deutschland mit mehreren hundert Millionen Euro pro Jahr mitfinanziert werden. Bei beiden verschieben sich fortwährend die Terminpläne, während gleichzeitig die Kosten drastisch ansteigen.

Bei ITER wollte man noch anfang 2008 das Projekt im Jahr 2016 - also innerhalb von 8 Jahren - mit dem Zünden des Fusionsfeuers vollenden. Mitte 2008 wurde bereits eine 2-jährige Terminverschiebung auf 2018 bekannt gegeben. Nun hat der ITER-Rat auf einer Sitzung im japanischen Mito den Endpunkt nochmals nach hinten geschoben. Zwar hält man am Jahr 2018 fest, aber - schlitzohrigerweise - sollen zu diesem Zeitpunkt nur die Experimente mit Wasserstoff am Reaktor beginnen. Die wichtigen Komponenten für den Betrieb mit Deuterium und Tritium (Blanket, Divertor etc.) sollen erst später eingebaut und getestet werden. Bis dann endlich das Fusionsfeuer zünden wird, das kann dauern. Die "Roadmap" des früheren ITER-Chefs Alexander Bradshaw, wonach die beiden anschliessenden Grosskraftwerke "Demo" und "Proto" noch im Jahr 2048 den kommerziellen Betrieb aufnehmen sollen ("Fast Track") kann man bei dieser Sachlage wohl vergessen. Ebenfalls vergessen scheint der Bau der für die Materialforschung so wichtigen 14 MeV Neutronenquelle zu sein.

Auch bei den Kosten bahnt sich ein Desaster an. Experten gehen davon aus, dass sich die Baukosten des ITER von 5 auf 10 Milliarden Euro glatt verdoppeln werden. Damit würde der europäische Beitrag von 2,78 auf 5,5 Milliarden ansteigen. Verantwortlich dafür sind höhere Rohstoffpreise, Planungsänderungen, Erdbebenvorkehrungen u.a.m. Abstriche am jetzigen Design sind nicht mehr möglich; der ITER ähnelt ohnehin bereits mehr einer physikalischen Experimentieranlage als einem Fusionskraftwerk.

Die internen Reibungsverluste der Viel-Partner-Kooperation scheinen beträchtlich zu sein. China, Indien und Korea haben sich erst vor wenigen Jahren ins ITER-Projekt "gequetscht". Wie bei den Asiaten so üblich, konnten sie schon in kurzer Zeit "grosse Erfahrungen sammeln". Die Koreaner hat dies befähigt, den Auftrag zum Bau einer Anlage an Land zu ziehen, die neun wichtige ITER-Komponenten im Gewicht von 1.200 Tonnen bewegen und präzise platzieren kann. Unbemerkt von der Öffentlichkeit ist in Asien ein neues Zentrum für Fusionsforschung entstanden. Im Juni 2008 hat der koreanische Fusionsreaktor KSTAR sein erstes Plasma erzeugt und damit offiziell den Betrieb aufgenommen. Im China ging 2006 der Fusionsreaktor EAST in Betrieb und in Indien entsteht zur Zeit der Tokamak SST-1 mit Heliumkühlung. Japan betrieb bereits seit längeren den Tokamak JT-60 und will ihn demnächst mit supraleitenden Spulen ausrüsten.

Es wäre interessant festzustellen, wie sich die Bilanz des Wissenstransfer zwischen den vielen ITER-Partnern darstellt! Die Europäer, welche zusammen mit den Amerikanern die kostspielige Fusionsforschung initiiert haben und bereits länger als ein halbes Jahrhundert betreiben, scheinen ihren Vorsprung eingebüsst zu haben.

Ein weiteres Grossprojekt ist ebenfalls in Nöten. Es handelt sich um den Teilchenbeschleuniger LHC beim CERN in Genf, bei dem es nicht rund läuft - im wirklichen wie übertragenem Sinne. Der Large Hadron Collider war gerade (nach 10 Jahre Planung und 13 Jahre Bau) in Betrieb genommen, als es am Freitag, den 19. September 2008, also vor fast exakt einem Jahr, wegen einer fehlerhaften elektrischen Verbindung zwischen zwei supraleitenden Magneten zu einem folgenreichen Störfall kam. Durch verdampfendes Helium, das aus einem Leck entweichen konnte, wurden Dutzende tonnenschwerer Strahlmagnete verschmort und aus ihren Verankerungen gerissen.

Mit der Reparatur der Anlage wollte man zuerst im Frühjahr, dann im Sommer 2009 fertig sein. Jetzt vermeldet die Geschäftsleitung, dass mit einer Wiederinbetriebnahme des LHC - bei der nominellen Strahlleistung von 7 TeV - nicht vor dem Jahr 2011 zu rechnen ist! Wie das? Nun, bei der Überprüfung der rund 10.000 gleichartigen Verbindungen im 27 Kilometer langen Beschleunigertunnel fand man leider eine Anzahl weiterer schadhafter Komponenten, die ebenfalls repariert werden müssen. Sorgen bereiten offensichtlich 80 Kupferverbindungen, die im Falle eines "quench", wenn der Supraleiter in den normalleitenden Zustand übergeht, einen zu hohen Widerstandswert aufweisen und dabei sicherlich schmelzen würden. Deshalb müssen, wohl oder übel, weitere Sektoren der "Protonenrennbahn" geöffnet werden, wobei die Aufwärm- und Abkühlphasen jeweils mehrere Wochen in Anspruch nehmen.

Inzwischen machen die Physikprofessoren, welche den Beschleuniger für ihre Experimente nutzen wollen, Druck auf die Betriebsleute, da ihnen die Doktoranden und post-Docs weglaufen. Deshalb hat sich das CERN-Management entschlossen, den LHC eine Zeitlang mit einer geringeren Leistung (3,5 TeV) zu betreiben, damit die sog. Kollaborationen (d.h. Experimentatoren) ihre Detektoren eichen sowie erste Daten sammeln können. In der Winterpause 2011/12 sollen dann die letzten fehlerhaften Verbindungen repariert und zusätzliche Sicherheitsventile zur Beherrschung des Heliumdrucks eingebracht werden.

Mittlerweile nutzt die konkurrierende amerikanische Physikergruppe des Fermilab bei Chicago ihren Beschleuniger in Tag- und Nachtschicht. Das Tevatron ist zwar etwas leistungsschwächer als der LHC, aber es funktioniert eben. Insbesondere auf die Entdeckung des sog. Higgs-Boson hat man es dort abgesehen. Je massereicher dieses Elementarteilchen ist, umso grösser sind die Chancen der Amerikaner, dass sie es als Erste aufstöbern könnten, auch wenn die Strahlenergie ihrer Maschine niedriger liegt. Ganze Berge von Daten hat man dort inzwischen angesammelt; vielleicht befindet sich das vom schottischen Physiker Higgs vorher gesagte Teilchen bereits darunter. In Genf spürt man förmlich den "heissen Atem" der Konkurrenten im Nacken und hofft, mit Hilfe des geschilderten temporären Betriebs bei Minderleistung doch noch dieses transatlantische Wettrennen zu gewinnen. Dem Sieger würde - soviel ist gewiss - nichts weniger als der Nobelpreis winken.

Resümierend bleibt die starke Vermutung, dass mit LHC und ITER zwei Grossprojekte an ihre technologischen Grenzen gestossen sind. Es wird keinen weiteren Kreisbeschleuniger mehr geben, der den Umfang des LHC übertrifft. Und bei ITER ist es die schiere Zahl ungelöster technischer "ko-Punkte" (Plasma, Material, Kryotechnik, Handhabung, Strahlenschutz etc. etc.), welche nicht an ein kommerzielles Nachfolgeprojekt glauben lassen.

Ausserdem zeichnet sich ab, dass die Investoren abspringen. Bei CERN hat im April d. J. der österreichische Wissenschaftsminister Johannes Hahn die wissenschaftliche Community mit der Ankündigung erschreckt, dass er die Mitgliedschaft seines Landes im CERN-Verbund beendigen wolle. Noch hält sein Bundeskanzler dagegen, aber wielange noch? Bei ITER ist weit und breit kein Investor aus dem Strombereich für die Fusionskraftwerke Demo und Proto zu sehen. Aus Staatsmitteln allein wird man diese Grossprojekte aber nicht stemmen können.

Mit einer geschickten PR-Politik haben die Fusions- und Kernforscher die Regierungen (und die Steuerzahler) viele Jahrzehnte bei Laune gehalten. In Genf jubelte man das Higgs-Boson zum "Gottes-Teilchen" hoch; bei ITER wollte man "das Sonnenfeuer auf die Erde holen". Die Bedeutung des Higgs-Teilchen im Rahmen der Standardtheorie ist aber gemindert, seit mit der Stringtheorie ganz neue physikalische Einsichten und Problemstellungen am Horizont sichtbar werden. Und was das Sonnenfeuer anlangt:

Mit Sonnenlicht und Sonnenwärme kann man eine ganze Menge Energie (einfacher) erzeugen!

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