Sonntag, 30. August 2009

Vor 60 Jahren

(Klassentreffen in einem kleinen Ort im Fichtelgebirge, Oberfranken).

HEINZ: ...erinnert ihr euch noch an diese Tanzveranstaltungen im Turnerheim? Wisst ihr noch, wie wir damals - weil zu jung - immer durch ein Fenster hinter der Bühne abgehauen sind, wenn die Polizei zur Alterskontrolle kam...

ERWIN: ...ja, und danach sind wir alle vorne wieder rein. Und wenn die siebenköpfige Tanzkapelle "Schwarzer Kater" aufgespielt hat, war alles proppenvoll. "In the Mood" oder "Chattanooga Choo Choo" erklangen und auf dem Tanzboden gings so richtig ab von 8 Uhr abends bis nachts um zwei...

HORST:...und im Radio hörten wir wahnsinnig gerne die Big Bands mit Count Basie, Duke Ellington und Benny Goodman. Später kamen Bill Healey und der unübertreffliche Elvis Presley hinzu...

HERBERT:...zehn Jahre danach reichte es, einen einfachen Rhythmus zu schlagen und auf der Gitarre drei oder vier Akkorde zu beherrschen und zusammen mit lautstarken Verstärkern war die Band fertig...

OTTO:...und die vielen Gesangvereine. In Arzberg mit seinen 4000 Einwohnern gab es allein drei grosse, in den Ortsteilen noch einige kleine. Faschingsbälle, Maisingen, Weihnachtskonzerte wurden von allen ausgerichtet und natürlich auch Sylvesterbälle.

ERICH: ...und die Operettenaufführungen des umher tourenden Hofer Städtebundtheater wollte niemand verpassen. Es gastierte sogar in Dorfturnhallen, in welche Stühle eingerückt wurden und den Leuten hats gefallen...

HEDWIG: ...a propos touren. Urlaubsreisen kamen anfang der 50er Jahre auf; vorerst noch im 8-Personen-Bus fuhr man wohlgelaunt in den Bayrischen Wald...

HELMUT:...unser Nachbar ist sogar zu fünft mit einem Horex-Motorrad an den Bodensee gefahren: der Vater am Lenkrad, die Oma auf dem Rücksitz und die Mutter quetschte sich mit den zwei kleinen Kindern in den sog. Beiwagen...

KARL:.. und die Motorroller wurden sofort Mode, als 1954 unsere Fussballweltmeister, neben 1000 Mark je einen Goggo- Roller geschenkt bekamen - zusätzlich zu einem Geschenkkorb mit Erzeugnissen der Firma Maggi. Erst später wurde der VW-Käfer so richtig populär...

SIEGFRIED:.. und brachte unserem Dorfschmied eine gute Einnahmequelle. Er konnte sogar einen Motorwechsel machen: 4 Schrauben und einige Leitungen löste er bequem in einer halben bis dreiviertel Stunde; zum Abschmieren musste man alle 2500 Kilometer kommen...

MATTHIAS:.. und erinnert ihr euch noch an das Essen in der damaligen Zeit? In den meisten Gaststätten stand der Schweinebraten ganz oben, er kostete mit Knödel 1,30 Mark; saure Lunge gabs für 60 Pfennige und ein Paar Wiener mit Sauerkraut waren für 90 Pfennige zu haben. Seltener nachgefragt wurde das Schnitzel für 1,60 Mark, was bei dem damaligen Stundenlohn von rund einer Mark kein Wunder war...

BERNHARD:.. ja und ich musste damals auf Befehl meines Vaters Metzger lernen. Die ersten zwei Wochen konnte ich kaum was essen, so übel war mir beim Schlachten. Heute werden die Tiere mit Lachgas betäubt, aber damals, wenn man das Vieh nicht gleich mit dem ersten Bolzenschuss erledigen konnte, dann wurde es echt gefährlich...

INGRID:.. und auch der Wohnluxus war noch nicht gewaltig. Waschmaschinen, Elektroherde und Kühlschränke galten als unerschwinglich. Das Leben spielte sich in der Küche ab, an dem mit Holz oder Kohlen befeuerten Herd. Hier wurde gekocht und gegessen, im Winter hing die Mutter auch die Wäsche dort auf und bügelte sie...

FRIEDA:.. und nicht nur das, die Küche diente auch noch als Badezimmer. Hier nahmen die Familienmitglieder nacheinander ihr wöchentliches Vollbad in einer mobilen Zinkbadewanne...

KARL:..aus Sparsamkeit nicht selten alle in dem gleichen Wasser...

CHRISTA:.. aber dann kam der "New Look". Christian Dior und Coco Chanel haben ihn erfunden und in Zeitschriften wie der "Constanze" wurde er propagiert. Jede Frau wollte plötzlich einen Glockenrock mit Taille und so schneiderte man eben selbst. Alte Militärbettücher, oder Flanneldecken mussten dafür herhalten. Um so "diorig" wie möglich zu wirken, trug man dazu kurze Pullis mit Fledermausärmeln, selbstverständlich eigenhändig gestrickt aus aufgetrennter Wolle.


SUSI:... und auf die Beine malte man sich schwarze Linien um teure Nahtstrümpfe vorzutäuschen, denn Nylons und Perlons waren damals noch kostbar wie Gold. Ein einziges Paar hatte den Schwarzmarktwert von 250 Dollars. Erst mit dem Start der Massenproduktion in Deutschland um das Jahr 1950, wurden "die Nylons" für viele erschwinglich...

BARBARA:.. und erst die Frisuren. Mit 14 Jahren gab es für die jungen Damen die erste Dauerwelle. Und die blieb zeitlebens auf dem Kopf. Die Frauen liessen sich einmal in der Woche kämmen und alle zwei Wochen die Welle neu legen. Als Sepp Maier mit einer wallenden Dauerwelle im Tor des FC Bayern stand, hat ganz Deutschland darüber gesprochen. Fortan sassen auch Männer mit Lockenwicklern im Haar beim Friseur...

HEINRICH:..und in der Bundeswehr robbten viele junge Soldaten mit Haarnetzen auf dem Kopf durch den Schlamm...

THEO:...und in der Schule hatte der Lehrer seine Mühe, uns zu erklären, warum Bayern 1949, als einziges westdeutsches Länderparlament, zuerst das Grundgesetz ablehnte und dann in einer zweiten Abstimmung trotzdem dessen Rechtsverbindlichkeit für den Freistaat anerkannte...

HEINZ:.. ja, der damalige CSU-Chef Josef Müller, genannt der "Ochsensepp" war clever; kein Wunder, er war eben ein Oberfranke aus Kronach...

ULRICH:...meine Mutter hat ihn immer wieder gewählt, bei der Währungsreform im Juni 1948 war ihr allerdings etwas mulmig. Als sie das neue Geld erstmals in der Hand hielt, sagte sie: "Goldmark, Rentenmark, Reichsmark haben wir schon gehabt; das ist jetzt meine vierte Währung, mal schauen, wielange die sich hält..."

VEIT:... und seit 2002 haben wir mit dem Euro die fünfte...

WILLY:...hoffen wir, dass wir nicht demnächst die Ausgabe einer sechsten Währung erleben müssen.

1 Kommentar:

  1. Dieser Artikel gefällt mir wirklich ausgesprochen gut! Ich mag die Art und Weise wie in einer Dialogform über die Jugend berichtet und sich erinnert wird. Ein anderer Blog der solche Erinnerungen ermöglicht ist:
    http://www.ueber-lebens-kuenstler.de/
    Vielleicht haben sie ja Interesse daran sich diesen einmal anzusehen und hoffentlich viele, viele KOmmentare zu hinterlassen! Ich würde mich darüber sehr freuen!
    Ihre Julia

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