August ist Wagner-Zeit.
Tout le monde trifft sich in Bayreuth: Franzosen, Engländer, Amerikaner, nebst Koreanern und Japanern und, inmitten von Deutschen, sogar KfK´ler.
Es ist die erste Spielzeit der neuen Intendantinnen Katharina Wagner und ihrer Halbschwester Eva Wagner-Pasquier. Papa Wolfgang wurde nicht gesichtet; er soll inzwischen zum Pflegefall geworden sein. Katharina, etwas fülliger geworden und unbestritten die Nr. 1 im Schwesternteam, arrangierte eine Live-Übertragung von Tristan und Isolde, was 20.000 Besucher, mit den Füssen im Sand und Bierflaschen in der Hand, bei schweisstreibenden Temperaturen offensichtlich genossen. Public-Viewing, Webstream und Kinderoper sollen zur Dauereinrichtung werden.
Das allgemeine Gesprächsthema wurde diesmal aus der (rivalisierenden) Festspielstadt Salzburg vorgegeben. Dort wetterte der Schriftsteller Daniel Kehlmann ("Die Vermessung der Welt") gegen das sogenannte Regietheater, welches Don Giovanni als Drogenjunkie und Romeo und Julia im Altersheim agieren lässt.Es war auch eine Hommage an seinen vor wenigen Jahren verstorbenen Vater, der ein bekannter Regisseur war, am Schluss aber keine Aufträge mehr bekam, da ihn die Theaterleiter als zu konservativ einstuften. Unausgesprochen zielte diese Kritik auch auf Katharina Wagner, welche 2007 "Die Meistersinger von Nürnberg" in Szene setzte und dabei die Regieanweisungen ihres Urgrossvaters Richard souverän ignorierte, weil diese - Originalton Katarina - "den technischen Stand und die Gepflogenheiten der damaligen Zeit reflektieren."
Im dritten Jahr hat Katharina an ihrer vormals sehr umstrittenen Inszenierung der Meistersinger weiter gefeilt. Walter von Stolzing ist nicht nur Sangeskünstler, sondern auch (Graffiti-)Maler, der in eine Kunstschule eindringt und das Unterste nach oben kehrt. Sein Gönner Hans Sachs, obschon Schustermeister, muss barfuss im Schlabberlook umherlaufen und der Kritiker Sixtus Beckmesser verteilt Reclamhefte um die Texttreue der Preissänger zu überprüfen. Sein Verdikt am Ende des ersten Aufzugs "versungen und vertan" (Vers 916) kann mancher Theaterbesucher sicherlich nachvollziehen. Die Prügelszene zum Schluss des zweiten Aktes wird tänzerisch-choreografisch aufgelöst und gerät zu einer mitreissenden bilder- und bewegungsreichen Ensemble-Materialschlacht.
Die grossen Geschütze fährt Katharina im Schlussakt auf. Nichts erinnert mehr an die gemütvolle "Festwiese" früherer Inszenierungen, insbesondere während der Nazizeit. Gipsförmige Riesenpuppen mit Schwellköpfen, darunter erkennbar auch Richard Wagner (in Unterhosen!) treiben ihr Possenspiel. Beckmesser modelliert aus einer Fuhre Erde einen neuen Adam, der dann splitternackt mit einer Eva auf der Bühne umherspringt. Und zum Schluss tauchen (in Breker-Manier) zwei gewaltige Figuren auf, denen die Köpfe von Goethe und Schiller aufgesetzt sind. Aus dem Boden schiebt sich eine steile Treppe als Zuschauertribüne für den Chor, der - wie immer in Bayreuth - von höchster Qualität ist. Voilá, die neue Festwiese.
Total überraschend ist die charakterliche Profilverschiebung der drei Hauptpersonen, die sich Katharina ausgedacht hat. Stolzing wird letztendlich zum Schlagerfuzzi, Hans Sachs zum verbissenen Chauvinisten und (ausgerechnet) Beckmesser kriegt die Kurve vom unkreativen Kritikaster zum flippigen Innovator der Kunst. "Beck in Town" steht auf seinem T-shirt.
Werfen wir zwischendurch einen Blick auf den "Parsifal", welcher vom "norwegischen Regiewunder" Stefan Herheim neu inszeniert wurde und die missglückte Darstellung von Schlingensief abgelöst hat. Der junge Norweger weitet die ursprüngliche Heilsgeschichte zur Entwicklungsgeschichte eines jungen Mannes und seines Staatsvolks.
Auf die Festspielbühne ragt die Rückfront des Hauses Wahnfried, die Wohnvilla Richard Wagners; davor sieht man den Garten und das Grab des Meisters. Aus ihm wird der Gral, rosa beleuchtet, enthüllt. Wie von Zauberhand erscheinen und verschwinden Menschen; die Illusion ist handwerklich perfekt. Parsifal wird in drei Altersstufen dargestellt: als Neugeborener, als ca. zehnjähriges Kind und als junger Mann. Der Zauberer Klingsor muss in Strapsen auftreten und vollführt mit den Blumenmädchen eine Art Travestie-Show. Dazu lässt Herheim die nationale Geschichte Deutschlands von 1871 bis 1951 ablaufen mit den beiden Weltkriegen dazwischen. Eine eindrucksvolle Bilderfolge. Ungeahnte "special effects" und Bühnencoups faszinieren und verwirren gleichzeitig die Besucher. Als - erstmals in Bayreuth - die Mannschaft der Bühnenarbeiter vor den Vorhang trat, gab es für sie tosenden Beifall.
Und wie wurden die Meistersinger vom Publikum aufgenommen? Nun, im Gegensatz zu den beiden Vorjahren, gab es mehr Bravos als Buhs. Langsam scheint man die Intentionen der jungen Regisseurin zu begreifen, wenn auch nicht immer zu billigen.
Katharina trat tapfer vor den Vorhang, verneigte sich artig, wobei ihre langen, blonden Haare fast den Bühnenboden streiften. Dann, mit einem Ruck, erhob sie sich, die Mähne flog in den Nacken und stolz sah sie ins Publikum, als wollte sie sagen:
"Schaut her, ich bins,
Katharina."
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