Seit einiger Zeit wird im Forschungszentrum Karlsruhe (FZK) immer öfter von der "unmittelbar bevorstehenden Inbetriebnahme der Verglasungseinrichtung VEK" gesprochen. Nehmen wir mal optimistischerweise an, dass diese Anlage nach den Bundestagswahlen den (echten!) Betrieb aufnehmen wird, dann ist es jetzt an der Zeit, einige Facetten der Projekthistorie Revue passieren zu lassen. Wie bei jedem Milliardenunternehmen wurden in der Vergangenheit richtige, aber auch einige grottenfalsche Entscheidungen getroffen. Soweit dabei das obere Management, bzw. ranghohe Politiker involviert waren, seien die wichtigsten Entscheidungen kurz rekapituliert.
"WAK - Winnackers Alte Klamotte", witzelten einige Chemieverfahrensingenieure, als 1964 für die Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe (WAK) das angeblich veraltete Purex-Verfahren ausgewählt wurde. Zukunftsreicher als die Extraktion auf nasschemischem Wege wären nach Meinung dieser Kritiker das Halogenidverfahren oder die pyrometallurgischen Methoden gewesen. Aber Karl Winnacker, damals mächtiger Chef der Farbwerke Hoechst AG, focht dieser Streit nicht an; er setzte sich durch.
Freilich war mit dieser Entscheidung auch eine Hypothek verbunden. Pro Tonne Reaktoruran erhielt man zwar 948 kg Uran und 10 kg Plutonium als "Wertstoffe" zurück - aber auch jede Menge flüssigen Abfall. Genauer gesagt: ca. 400 Liter Salpetersäure, "gewürzt" mit 41 kg Spaltprodukten, 1 kg Aktiniden, Korrosionsprodukten sowie Restmengen an Uran und Plutonium, da die Trennanlagen naturgemäss nicht vollkommen separieren konnten. Voilà, die berühmte "Atomsuppe"! Kerntechniker bezeichnen diesen Flüssigabfall etwas seriöser als "high active waste concentrate", abgekürzt HAWC.
Von diesem HAWC gab es zum Betriebsende der WAK im Jahr 1990 aber nicht nur einen halben Kubikmeter, sondern deren 80, entsprechend der insgesamt aufgearbeiteten Kernbrennstoffmenge von 206 Tonnen. Nicht unbedingt ein riesiges Volumen an flüssigem Abfall, denn er hätte Platz gefunden in einem "Schwimmbad" von 8 m Länge, 5 m Breite und 2 m Tiefe. Die Erwärmung durch die Eigenstrahlung ist messbar, aber durchaus moderat. Etwa so, als ob hundert Tauchsieder dieses Becken leicht anwärmen würden. Die radioaktive Strahlung ist allerdings ziemlich beträchtlich: ohne Abschirmung hätte man sich diesem Schwimmbad allenfalls auf einem Kilometer nähern dürfen.
Eine glatte Fehlentscheidung während der Bauphase der WAK (1965-70) war der Verzicht auf eine Verglasungsanlage für den HAWC. Flüssigabfall ist per se nicht endlagerfähig, sondern muss vorher verfestigt werden. Die Überführung in den Festzustand durch Verglasen (bzw. Zementieren oder Kalzinieren) ist also unumgänglich. Stattdessen liessen die Manager der Betreibergesellschaft GWK ein sog. Hauptwastelager (HWL) bauen, mit zwei verbunkerten Edelstahlbehältern zur Aufnahme des HAWC. Als diese 1986 gefüllt waren, kam die sog. Lager- und Verdampfungsanlage (LAVA) dazu, die ebenfalls aus zwei abgeschirmten Lagerbehältern bestand. Allein die LAVA kostete damals die Riesensumme von fast 100 Millionen DM, wofür man besser eine Verglasungsanlage finanziert hätte.
Anfangs der neunziger Jahre wurde der Betrieb der WAK eingestellt, nachdem die deutschen Stromerzeuger die Grossanlage Wackersdorf aufgegeben hatten. Die Betriebsmannschaft der GWK beschäftigte sich fortan mit der Stillegung und dem Rückbau ihrer Anlage. Man beschloss damals die 80 cbm HAWC zur Verglasungsanlage "Pamela" ins belgische Mol zu transportieren, die - mit Karlsruher Hilfe! - für die dortige Wiederaufarbeitungsanlage der Eurochemic gebaut worden war. Entsprechende Dienstleistungsverträge wurden abgeschlossen und die Entwicklung des Spezialtransportbehälters CASTOR V/HAWC sowie der Abfüllstation HAWA in Angriff genommen.
Im Rahmen einer vom Bonner Forschungsministerium veranlassten
Umorganisation wurde das Kernforschungszentrum Karlsruhe (KfK) 1993 mit der Federführung für die Stilllegung der WAK beauftragt. Von da an nahm das Projekt eine folgenreiche Wende. Zwei ranghohe Manager der KfK hielten das bisher verfolgte Transportkonzept beim HAWC für zu risikoreich und schlugen vor, die Atomsuppe vor Ort in Karlsruhe zu verglasen. (Die Namen dieser beiden Manager sind mir wohl bekannt; ich nenne sie nicht - aus Bescheidenheit.) Strikt dagegen war ein halbes Dutzend, ebenfalls ranghoher Manager, zumeist aus dem Bereich der GWK stammend. ( Auch deren Namen könnte ich noch vollständig aufzählen; ich versage mir dies - aus Barmherzigkeit.) Und wie es eben im wirklichen Leben so ist: die bessere Idee setzt sich durch und der Ober sticht den Unter. Bald wurde beschlossen, die Verglasungseinrichtung VEK vom KfK-Institut INE vorplanen zu lassen und in unmittelbarer Nähe des Lagerbunkers LAVA zu errichten.
Nun war noch die baden-württembergische Landesregierung zu gewinnen, denn eine Verglasungsanlage ist formal eine kerntechnische Einrichtung und bedarf der Genehmigung nach §7 des Atomgesetzes. Die zuständigen Minister waren damals der Wirtschaftsminister Dieter Spöri und der Umweltminister Harald B. Schäfer, beide von der SPD. Zur grossen Überraschung legten sich beide quer. Spöri bekannte sogar in einer Presseerklärung, "dass mit mir der Konzeptionswechsel nicht zu machen ist". Beide verlangten kategorisch, die Atomsuppe, wie früher angedacht, nach Belgien zu transportieren und dort zu verglasen.
In dieser verfahrenen Situation wandte sich die KfK (über das Bonner Forschungsministerium) an die neu ernannte Bundesumweltministerin Angela Merkel. Sie war nach der Bundestagswahl im Oktober 1994 völlig überraschend in dieses Amt gekommen und hatte damit den langjährigen Platzhirsch Klaus Töpfer abgelöst, der zum Bauministerium abgeschoben wurde. Nach kurzer Zeit erhielt der Forschungsminister Rüttgers von Frau Dr. Merkel eine Stellungnahme, die in mehrfacher Hinsicht sehr bemerkenswert war. In einem 4-seitigen, fast persönlich gehaltenem Schreiben (das sie auch selbst unterzeichnete!), bekannte sich die damals 40jährige Ministerin und Physikerin ohne Wenn und Aber zum VEK-Konzept. Sie benannte vorallem das hohe Risiko der erforderlichen 30 Transporte nach Mol, wofür ein neuartiger Castorbehälter für flüssigem Abfall vorgesehen war, der bisher nirgendwo erprobt werden konnte. Sie mutmasste: "Bei einem Störfall könnten diese Transporte erheblich verzögert werden oder gar zu einem nicht vorhersehbaren Zeitpunkt gänzlich scheitern." Die absehbare Projektverzögerung beim Umschwenken auf die Verglasung vor Ort hielt sie demgegenüber für tolerierbar. Die Schlussfolgerung in ihrem Brief war deutlich: "Ich schliesse mich deshalb der Empfehlung an, die Mol-Variante zugunsten der VEK fallen zu lassen."
Ihre klare Stellungnahme veranlasste unter anderem den Parteichef der baden-württembergischen FDP, Walter Döring, sich öffentlich zur VEK zu bekennen. Spöri und Schäfer blieben allerdings stur bei ihren Positionen und wurden bei der Landtagswahl im Sommer 1996 dafür hart abgestraft. Nur 25,1 % der Stimmen erhielten die Genossen, womit der Weg frei war für eine Koalition zwischen CDU und FDP. Und auch die atomrechtliche Genehmigung für die Verglasungsanlage schien nun erreichbar zu sein, denn Döring galt als designierter Wirtschaftminister und der CDU-Mann Schaufler als Umweltminister. An den strahlenden Gesichtern am Tag nach der Wahl konnte man ablesen, dass viele Mitarbeiter im VEK-Bereich auf diese politische Traumkombination ihre Hoffnungen gesetzt hatten.
Aber bevor Döring und Schaufler zu Ministern ernannt werden konnten, musste der CDU-Chef Erwin Teufel erst noch zum Ministerpräsidenten des Landes gewählt werden. Und dabei kam es zum Eklat. Bei der (geheimen) Abstimmung am 12. Juni 1996 erhielte Teufel eine Stimme weniger als zur Mehrheit erforderlich; er war also nicht gewählt worden. Über die Gründe wurde viel gerätselt. Einige Journalisten meinten, Teufel habe altgediente CDU´ler in seiner Kabinettsliste nicht ausreichend berücksichtigt; andere waren der Meinung, das kitzlige Gleichgewicht zwischen den beiden Landesteilen Baden und Württemberg sei nicht gewahrt gewesen.
Sei´s drum, die Wahrheit wird wohl nie mehr ans Licht kommen. Nach dem ersten Schock wurde - zum Ärger der Oppositionsparteien - sogleich eine zweite Abstimmung anberaumt und diesmal klappte es. Teufel erhielt drei Stimmen mehr als erforderlich, zwei Stimmenverweigerer ("U-Boote" genannt) gab es weiterhin.
Der nun wirklich ernannte und für die atomrechtliche Genehmigung zuständige Minister Walter Döring handelte schnell. Nach einer öffentlichen Anhörung wurden die Dienstleistungsverträge mit Mol-Pamela (unter leisem Grummeln der Belgier) gekündigt und die VEK formal als Projekt etabliert. Die Planungsarbeiten dauerten drei Jahre bis 1999; seitdem ist die Anlage im Bau. Demnächst soll sie, wie man hört, in Betrieb gehen.
Und wo sind die politischen Protagonisten geblieben?
Nun, Angela Merkel machte eine steile Karriere und brachte es - nachdem Kohl und Schäuble sich durch die Spendenaffäre selbst deaktivierten - bis zur Bundeskanzlerin. Zumindest bis zum 27. September diesen Jahres.
Spöri und Schäfer sind abgetaucht; vielleicht geniessen sie ihre Ministerpensionen in der Toskana.
Walter Döring hat sich nach einigen kleineren Affären ganz aus der Politik zurück gezogen und ist jetzt zufriedener Hotelier und Schankwirt in Schwäbisch-Hall.
Erwin Teufel wurde im Wintersemester 2005 - trotz fehlenden Abiturs - an der Hochschule für Philosophie in München zum Philosophiestudium zugelassen. Seit dem Wintersemester 2007 vermehrt er die Zahl der Studienabbrecher.
In den "Badischen Neuesten Nachrichten" (BNN) vom 11./12. Juli stand folgendes zu lesen: der frühere Geschäftsführer der WAK, Herr Dr. Walter Schüller, behauptet, sein Unternehmen habe bereits 1972 den Antrag zum Bau eier Verglasungsanlage gestellt; dieser sei jedoch vom Forschungsministerium in Bonn abgelehnt worden. Das überrascht mich. Diesen Ablehnungsbescheid - er muss sich ja in den WAK-Akten befinden - hätte ich gern mit eigenen Augen gesehen.
AntwortenLöschenWenn ich solche Geschichten lese wird mir ganz flau im Magen.
AntwortenLöschenIch finde die Nukleartechnik aus technischer Sicht schon sehr interessant.
Mit großem interessa habe ich Ihren Bericht zum Bau und Betrieb des Brüters im KFZ Karlsruhe gelesen.
Aber aus gesellschaftlicher Sicht betrachtet wir mir immer mehr klar was die ganze
"Atomwirtschaft" für ein Wahnsinn ist.
Zwei Generationen mit schon heute nicht wirklich billiger Energie versorgt, die nächsten x- Generationen mit unserem Dreck und den damit
verbunden Kosten. Diese Generationen werden mit dem gleichen unverständnis auf uns zurückblicken wie ich heute auf die die Hitler
gewählt haben mit allen schrecklichen Folgen.
Daraus ergibt sich für mich nur eine Konsequenz: Raus, sofort!!!
Wir sind mit der wohlhabendste Staat der Welt. Ist der Ausstieg geschafft wird es zurückblickend ein leichtes gewesen sein und
jeder wird sich fragen warum wir das erst so spät gemacht haben.
Wenn es nach den prognosen vor 10 jahren geht, dürften wir mit den erneuerbaren nie so weit sein wie wir es heute sind.
Mit steigendem anteil an erneuerbaren lösen sich automatisch auch die Probleme der Speicherung, vielversprechende Ansätze gibt es zu genüge.
Verglichen mit den offenen Punkten am ITER wohl ein Kinderspiel