Sonntag, 3. Mai 2009

Ein müder Löwe

Wer Japaner kennt, weiss wie sie sind: blitzgescheit und bienenfleissig. Überträgt man ihnen heute eine Aufgabe, dann ist sie morgen erledigt - manchmal schon gestern. Das gilt allerdings nicht für das Kernkraftwerksprojekt "Monju". Diesen Schnellen Brutreaktor haben die japanischen Physiker und Ingenieure zwar zügig aufgebaut - aber seit, sage und schreibe, 15 Jahren bemühen sie sich vergeblich um seine Inbetriebsetzung.

Vorab: was ist ein Schneller Brutreaktor (auch Schneller Brüter genannt) und wofür braucht man ihn? Er ist ein Kernkraftwerk, ähnlich wie die mehr als 400, welche derzeit auf der ganzen Welt betrieben werden und elektrischen Strom erzeugen. Im technischen Aufbau unterscheidet er sich von diesen sog. konventionellen Kernkraftwerken dadurch, dass er schnelle (statt langsame) Neutronen benutzt, dass er mit flüssigem Natrium (statt Wasser) gekühlt wird und dass er sogar seinen Nuklearbrennstoff selbst generiert.

Letzteres verleiht diesem Reaktortyp auch seinen Charme. Während für die konventionellen Reaktoren der Kernbrennstoff (Uran) bereits nach einigen hundert Jahren zur Neige gehen wird, kommt man beim Schnellen Brüter mit den gleichen Vorräten - so sparsam ist er - zehntausende von Jahren aus. Damit wäre für ein solch ressourcenarmes Land wie Japan das Energieproblem praktisch gelöst.

Mit dem Bau des Monju begann man (nach einigen wissenschaftlichen Vorarbeiten) im Jahr 1986. Als Standort hatte man die unbebaute Westküste Japans festgelegt, nahe bei dem kleinen Ort Tsuruga. Das Kraftwerksgelände musste buchstäblich aus dem steil zum Meer abfallenden Gebirge herausgehauen werden; mehrere lange Tunnels waren zu bohren um die Arbeiter dorthin befördern zu können und über einen eigens angelegten Tiefseehafen wurden die zum Teil hundert Tonnen schweren Komponenten angelandet. Umgerechnet 50 Millionen DM wurde allein für diese Präparation des Standorts ausgegeben.

Der anschliessende Bau und die Montage der vielen Komponenten klappte auf das Pünktlichste.
Die Terminpläne wurden mit einer Präzision eingehalten, die selbst noch Tage als Zeiteinheit erkennen liessen. Bei einem meiner gelegentlichen Besuche versicherten mir die japanischen Manager stolz, "dass sie derzeit 5 Tage (!) im terminlichen Vorlauf sind." Welch ein Unterschied zu unserer Situation in Deutschland, wo man die Terminverschiebungen (zumeist Verzögerungen) in Monaten, bisweilen in Jahren, bemessen musste.

Im Verlaufe von sieben Jahren war der hochkomplexe Schnelle Brüter errichtet. Etwas Verzug gab es bei der Inbetriebnahme, weil die Brennstofftabletten imWerk Tokai Muro nicht rechtzeitig beigestellt werden konnten. Aber im Mai 1994 war es so weit: der Monju wurde zum ersten Mal "kritisch", d.h. die Kernreaktion hielt sich selbst aufrecht. Im darauffolgenden Jahr konnte das Kraftwerk mit der Leistung von 280 Megawatt an das öffentliche Netz gekuppelt werden und die Stromerzeugung aufnehmen. Alles in allem hatte das Projekt umgerechnet 4,2 Milliarden Euro gekostet.

Aber dann schlug das Schicksal zu. Am 8 Dezember 1995, abends um 19.47 Uhr, meldeten die Rauchmonitore "Feuer im Sekundärsystem" und der Reaktor wurde gemäss Betriebshandbuch abgefahren. Ausgesandte Meldegänger stellten fest, dass an einer Hauptrohrleitung etwa ein bis zwei Tonnen flüssiges, heisses Natrium ausgetreten war, das sich in einer Lache am Boden gesammelt hatte. Später ergab sich, dass ein Temperaturmessfühler an dieser Rohrleitung gebrochen war, weshalb sich eine Leckstelle ausgebildet hatte und es zum Natriumleck gekommen war.

Bei der Abschaltung der Anlage und der Benachrichtigung der Aufsichtsbehörden wurden von der Betriebsleitung eine Reihe von Fehlern gemacht, welche die japanische Presse und Öffentlichkeit sehr übel nahmen. So wurde zum Beispiel nur ein Teil der Videoaufnahmen vom Ort des Geschehens veröffentlicht, was als "Vertuschung" gewertet wurde. Ein Hauptabteilungsleiter der Betreiberfirma PNC wurde mit einer innerbetrieblichen Untersuchung beauftragt. Mit der Aufgabe, gegen seine eigenen Chefs und Kollegen zu recherchieren, war er menschlich offenbar überfordert und nach einem langen Arbeitstag stürzte er sich vom Dach seines Hotels in Tokio zu Tote. Am Reaktor kam es daraufhin zu Massenentlassungen und sogar der Forschungsminister bot seinen Rücktritt an. Zwei Monate lang wurden täglich bis zu 5 mehrstündige Pressekonferenzen in dem Provinznest Tsuruga abgehalten, die jeweils von 50 bis 100 Journalisten besucht waren. In den grossen japanischen Zeitungen wurde monatelang über Monju auf Seite 1 berichtet. Demgegenüber belief sich der Schaden am Kraftwerk auf wenige hundertausend Euro; kein Mensch war durch den Störfall am Reaktor getötet oder auch nur verletzt worden.

Als die Erregung zurück ging, kam es im September 1999 an der schon genannten und weit entfernten Uranfabrik Tokai Mura zu einem wirklich schweren Unfall. Durch Freisetzung von Radioaktivität verloren zwei Arbeiter ihr Leben, einige weitere wurden verstrahlt. Die staatliche Aufsichtsbehörde, welche geschlampt hatte, wurde daraufhin von Grund auf umorganisiert; neue Experten überprüften nun die Brennstoffanlage - und auch nochmals den Schnellen Brüter Monju.

Und sie fanden einiges, was es zu verbessern galt. Dutzende von Anlagenräume wurden umgeplant, sodass sie im Falle einer neuerlichen Natriumleckage abgeschottet werden konnten. Viele sollten mit feuerfestem Blech ausgekleidet werden, das in der Lage war, austretendes Natrium zurück zu halten. Alle Messfühler an den Rohrleitungen sollten durch verbesserte Bauarten ausgetauscht werden. Bei diesen sog. Nachbesserungen wurden die Japaner von ihren internationalen Fachkollegen unterstützt; auch Experten des Forschungszentrums Karlsruhe waren darunter.

Parallel dazu kam es zu einer Serie von Prozessen, welche von den Atomgegnern in Japan veranlasst wurden. Sie obsiegten sogar anfangs beim Oberlandesgericht Nagoya, wodurch die Betriebsgenehmigung des Monju widerrufen und die Arbeiten in Tsuruga eingestellt werden mussten. Der Oberste Gerichtshof hob dieses Urteil im Mai 2005 jedoch wieder auf; massgeblich dabei war der Nachweis, dass der Reaktorkern gegen Kernschmelzen hinreichend ausgelegt war. Ausserdem wurde eine Reihe weiterer Auflagen erteilt.

Mit dieser endgültigen, gerichtsfesten Genehmigung konnten nun die oben beschriebenen Umplanungen technisch realisiert werden. Dass dies bei einer bereits fertiggestellten Grossanlage kein leichtes Unterfangen ist, leuchtet sicher auch jedem Laien ein. Derzeit befindet man sich damit in der Endphase und um die Jahreswende will man den Schnellen Brüter wieder am Netz haben. Dazwischen liegen 15 Jahre des "Stillstands" währenddessen allerdings heftig gearbeitet wurde.

Zum Schluss noch eine Bemerkung zur Herkunft des Namens "Monju". In der japanischen Religion und Mythologie ist Monju ein (Neben-) Buddha, der immer abgebildet wird, wie er auf einem Löwen reitet. Löwen sind als Wildtiere bekanntermassen keine ausdauernden Sprinter, sondern ermüden leicht und nehmen sich nach einer erfolgreichen Jagd immer eine längere Auszeit, bevor sie wieder zum Spurt ansetzen...

...was ich meinen japanischen Freunden auch bei ihren Projekt Monju wünschen möchte.

1 Kommentar:

  1. Bewundernswert ist, dass die Japaner trotz der langen Durststrecke an dem Brüterprojekt festgehalten haben. Die Deutschen haben zu schnell aufgegeben.

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