Die Stadt Karlsruhe möchte ihre Bürger mit einer U-Bahn beglücken - doch viele Bürger wollen sie gar nicht. Sie fürchten den zehnjährigen Baustress, die "Vermüllung" der Stadt und glauben zudem an billigere Lösungen, um den Strassenbahnstau in der Innenstadt zu vermeiden. Zum Beispiel durch eine intelligentere Streckenführung. Derzeit werden zum Beispiel die überlangen S-Züge aus Freudenstadt - leer(!) und lediglich zum Wenden - durch das Nadelöhr Kaiserstrasse geleitet; man könnte sich leicht ein besseres Streckenmanagement ausdenken.
Viele Menschen fürchten auch die technischen Gefahren, die mit dem Bau einer U-Bahn verbunden sind. In München stürzte vor einigen Jahren ein vollbesetzter Linienbus in ein Loch, das sich am Truderinger Bahnhof plötzlich aufgetan hatte. Die Ursache war ein Grundwassereinbruch im darunterliegenden frisch gegrabenen Tunnel. Das Gleiche passierte voriges Jahr in Peking. In Amsterdam sind durch den U-Bahnbau seit 2008 eine grosse Anzahl von Gebäuden einsturzgefährdet. Und in Barcelona bangt die Bevölkerung um Gaudis berühmte Kathedrale Sagrada Familia, neben der ein Bahntunnel geplant wird. Bereits im Jahr 2005 verschwanden in der katalanischen Hauptstadt mehrere Häuser in einem eingestürzten Tunnel und Hunderte von Menschen mussten umgesiedelt werden.
Noch frisch in Erinnerung ist das Unglück von Köln. Beim dortigen U-Bahnbau kam es zum Einsturz des historischen Stadtarchivs, wobei zwei Menschen ihr Leben verloren. Die unmittelbare technische Ursache war ein sogenannter "hydraulischer Grundbruch", eine Erdverschiebung im Untergrund. Hinzu kam, wie jetzt zutage tritt, ein beträchtlicher Kompetenzwirrwarr zwischen städtischen und ausgelagerten Behörden.
Besorgte Karlsruher Bürger fragten bei der Stadtverwaltung nach, ob dergleichen auch hier passieren könne. Die Antwort war, zusammengefasst: "Nein, in Karlsruhe ist alles anders und die Bauaufsicht ist besser". Diese Behauptung soll im Folgenden etwas genauer hinterfragt werden.
So wird behauptet, ein hydraulischer Grundbruch könne in Karlsruhe nicht auftreten, weil man nur in 20 Meter Tiefe gehe, während es in Köln 40 Meter seien. Das ist natürlich Unsinn. Ein Grundbruch entsteht, wenn der Boden der Baugrube nicht hinreichend abgedichtet ist. Beim Abpumpen des Grubenwassers kann wegen der Druckdifferenz von unten durch den Boden Grundwasser hochströmen, riesige Mengen Erdreich mitreissen und darüberstehende Gebäude zum Einsturz bringen. Die Festigkeit des Grubenbodens und die Menge des abzupumpenden Wassers sind also ebenfalls Risikofaktoren für einen hydraulischen Grundbruch - nicht nur die Tiefe der Baugrube allein.
Die grundsätzliche Organisationsstruktur der Bauträger ist in Köln und Karlsruhe praktisch deckungsgleich. Bauherrin für die U-Bahn in Köln sind die "Kölner Verkehrsbetriebe" (KVB), eine ausgelagerte Gesellschaft der Stadt Köln. In Karlsruhe ist dies die "Karlsruher Schieneninfrastrukturgesellschaft" (KASIG), ebenfalls eine städtische Tochtergesellschaft.Um die Verwaltung zu "verschlanken", wurden in beiden Städten hoheitliche Aufgaben an Stadttöchter übertragen, die nicht von vornherein eigene Kompetenz mitbrachten.
In Köln hatte die Stadt ursprünglich das alleinige Sagen beim U-Bahn-Bau. Mit der Übertragung an die KBV ging viel bauherrliches Fachwissen verloren. In Karlsruhe wundert man sich, dass der langjährige und erfahrene Leiter der U-Bahn-Planung (Gerhard Schönbeck, alias "Mister Kombi") kürzlich durch den Bauleiter der Verkehrsbetriebe (Uwe Konrath) ersetzt worden ist.
Was die grundsätzliche Bauorganisation anlangt so wird die Kölner KVB zu Recht dafür kritisiert, dass sie als Bauherrin zur gleichen Zeit die Bauaufsicht ausgeübt habe. Bauausführung und Kontrolle lagen also in einer Hand, ein fundamentaler Managementfehler.
Wie steht es damit in Karlsruhe? Nun, zur grössten Überraschung liest man in der Lokalzeitung BNN, dass die Bauherrin Kasig bereits die meisten Gutachten zur Bewertung ihrer eigenen Planung selbst in Auftrag gegeben habe. Das ist ein grober Fehler! Der Neutralität wegen hätte eine unabhängige Stelle diese Aufträge erteilen und die Gutachten unabhängig bewerten müssen. Die Unabhängigkeit in dieser Sache ist auch notwendig, um geschäftliche Abhängigkeiten auszuschliessen. Andernfalls könnte sich ein politisch motivierter Sparzwang beim Auftraggeber (gleich Bauherrin) verheerend auswirken.
Mit dem Bau der Karlsruher U-Bahn soll im Januar 2010 begonnen werden. Wie steht es mit der Bauaufsicht? Nun, die oberste Kontrollfunktion für das Projekt liegt formal beim Regierungspräsidium. Diese kann vor Ort aber nur punktuell prüfen und hat der Kasig zugestanden, die Bauaufsicht selbst (!) auszuüben oder an ein externes Ingenieurbüro zu vergeben. Also: auch bei der begleitenden Kontrolle des U-Bahnbaus kann von Unabhängigkeit und Neutralität keine Rede sein. Die Bauherrin beaufsichtigt sich also zumindest partiell selbst. Bei der Deutschen Bundesbahn ist dies anders; hier kontrolliert das eigenständige Eisenbahnbundesamt.
Der Archiveinsturz in Köln hat dem dortigen langjährigen Oberbürgermeister Fritz Schramma den Job gekostet. Obwohl er kurz vor dem Unfall noch mit 94 Prozent der Stimmen erneut zum OB-Kandidaten für eine weitere Wahlperiode bestimmt worden war, hat ihn die Wut der Kölner Bevölkerung zum Rücktritt gezwungen. Die formale Verantwortung des KVB-Chefs Walter Reinarz und des zuständigen Baudezernenten im Bürgermeisteramt spielte da keine Rolle mehr.
Extrapolieren wir - hoffentlich nur rein theoretisch - was in Karlsruhe bei einem vergleichbaren Unglück geschehen würde. Kasig-Chef Walter Casazza und Baudezernent Michael Obert wären die unmittelbar Verantwortlichen. Aber treffen würde es wohl Heinz Fenrich, den Oberbürgermeister und und langjährigen Promotor des Projekts. Und Fenrich ist bereits angeschlagen. Seine Bauprojekte Neue Messe und Europabad wurden jeweils mit hohen Mehrkosten abgewickelt. Die Planungen beim Fussballstadium und der Nordtangente sind stecken geblieben, obschon zu "Chefsache" erklärt. Sein unglückliches Taktieren bei der Vergabe der Bundesgartenschau nimmt ihm die Karlsruher Bevölkerung heute noch übel. Und vor wenigen Tagen hat sich sogar seine eigene CDU-Fraktion öffentlich gegen ihn gestellt, weil er ein Computerfestival für "Ballerspiele" in Karlsruhe zulassen wollte. In Anbetracht der Amokläufe an Schulen sicherlich eine Stilfrage.
Fenrich scheint der politische Kompass abhanden gekommen zu sein. Von seinem OB-Büro aus kann er die wichtige U-Bahnhaltestelle "Marktplatz" überblicken.
Vielleicht wird sie zu Fenrichs Endstation.
Sonntag, 31. Mai 2009
Sonntag, 24. Mai 2009
Vor dem Urknall
Die Menschen sind neugierig und stellen allerhand Fragen. Zum Beispiel: "Was tat Gott, bevor er Himmel und Erde schuf?" Der christliche Kirchenlehrer Augustinus antwortete darauf: "Er machte die Hölle für diejenigen, welche solche Fragen stellen." Damit hatte er wohl eine Zeitlang für Ruhe gesorgt.
Moderne Menschen stellen moderne Fragen. Zum Beispiel: "Was geschah vor dem kosmischen Urknall, bei dem unser Universum entstanden sein soll?" Die Physiker versuchten sich lange Zeit um die Antwort zu drücken, etwa mit dem Hinweis, dass beim Zustand null der Raumzeit solche Fragen "sinnlos" seien. Aber bei einem Publikum, das Relativitäts- und Quantentheorie meistenteils nur rudimentär beherrscht, dringen sie damit nicht durch. Auch fehlt ihnen die Autorität mittelalterlicher Theologen!
Neuerdings "kriselt" es sogar in der Zunft der Astrophysiker. Immer mehr beschäftigen sich wissenschaftlich seriös mit dieser Frage und der junge deutsche theoretische Physiker Martin Bojowald hat sogar ein Buch darüber geschrieben. ("Zurück vor dem Urknall", Fischer-Verlag.) Er ist führend bei der Erforschung der sog. Schleifen-Quantengravitation, welches ein geeignetes mathematisches Hilfsmittel zur Erforschung des Urknalls sein könnte.
Die Hypothese des Urknalls beruht bekanntlich auf einer einfachen astronomischen Beobachtung: die Sterne und Galaxien im Universum bewegen sich voneinander weg. Wenn man - gedanklich - diesen Trend umkehrt, so müssen sie vor 13,7 Milliarden Jahren eng zusammengeballt gewesen sein. Nach Einsteins Gleichungen sogar in einem winzigen Punkt unendlicher Dichte, genannt die Urknall-Singularität. Aber hiermit fängt auch das Dilemma an, denn eine unendliche Dichte gibt es nicht - also muss an den Gleichungen dieses genialen Physikers doch etwas nicht stimmen.
Der Physiker Bojowald "korrigiert" Einsteins Vorstellungen, indem er Raum und Zeit, kurz "Raumzeit" genannt, nicht als ein "Kontinuum" ansieht, also etwas Stetiges, Lückenloses, Zusammenhängendes, sondern als ein Gewebe winziger "Raumzeitatome". Seine Raumzeit ist also nicht glatt, sondern "körnig". Allerdings sind diese Raumzeitatome (verglichen mit gewöhnlichen Materieatomen) sehr viel kleiner und machen sich erst unmittelbar vor der genannten Singularität - in der sog. Planckdimension - bemerkbar.
Und da passiert etwas Bedeutsames und Neuartiges. Das oben angesprochene und implodierende Weltall verdichtet sich nämlich nicht bis zu einen "Punkt", sondern wird kurz vorher abgebremst - und sogar wieder abgestossen. Es beginnt zu expandieren und bildet ein neues Weltall. Diesen Vorgang nennen die Kosmologen "Rückprall", im Gegensatz zum früheren Bild des Urknalls. (Englisch: big bounce statt big bang).
Bleibt noch die Frage, woher die Gegenkraft zu der gigantischen Anziehungskraft der Gravitation kommt? Nun, es ist die Gravitation selbst. Sobald die atomare Struktur der Raumzeit wirksam wird, ändert sich auch das Vorzeichen der Gravitation. Aus der ursprünglichen Anziehungskraft wird nun eine Abstossungskraft, was den erwähnten Rückprall einleitet und ein neues Universum via Expansion enstehen lässt.
Zum Verständnis seiner Schleifen-Quantengravitation benutzt Bojowald ein simples Bild aus dem Alltag. Stellen wir uns den Raum als einen Schwamm vor und die Masse bzw. die Energie als Wasser. Der porenreiche Schwamm vermag Wasser aufzunehmen, aber nur bis zu einer bestimmten Menge. Wenn er vollgesogen ist, kann er nichts mehr absorbieren, sondern er stösst das Wasser sogar ab. Genau so ist ein atomarer Quantenraum porös und hat nur endlich viel Stauraum für die Implosionsenergie. Werden die Energiedichten allzu gross, dann kommen Abstossungskräfte ins Spiel. Im Gegensatz dazu vermag der kontinuierliche Raum von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie unbegrenzt viel Energie zu speichern und gerät deshalb auf das mathematisch schiefe Bild der Punktsingularität.
Anfangs war Bojowald der Meinung, dass wir von unserem Universum aus auf die Zustände vor dem Rückprall schliessen könnten - so wie wir die Wege zweier Billardkugeln vor einem Zusammenstoss aus ihren Bahnen nach dem Stoss rekonstruieren können. Mit "Fernrohren", welche Neutrinos oder Gravitationswellen nutzen, erschien es wahrscheinlich, durch das Schlüsselloch der Rückprallfläche unser Universum vor dem Rückprall zu beobachten.
Aber das scheint (derzeit) noch nicht möglich zu sein. Chaotische Quantenfluktuationen, eine Art Turbulenz im kleinsten Mikrobereich, "verschmieren" das Bild und vernichten fast alle Spuren seiner Vorgeschichte. Mutter Natur schlägt eben für jedes Universum ein neues Blatt auf. Bojowald beschreibt das elegisch so:
"Unser Universum leidet an tragischer Vergesslichkeit".
Moderne Menschen stellen moderne Fragen. Zum Beispiel: "Was geschah vor dem kosmischen Urknall, bei dem unser Universum entstanden sein soll?" Die Physiker versuchten sich lange Zeit um die Antwort zu drücken, etwa mit dem Hinweis, dass beim Zustand null der Raumzeit solche Fragen "sinnlos" seien. Aber bei einem Publikum, das Relativitäts- und Quantentheorie meistenteils nur rudimentär beherrscht, dringen sie damit nicht durch. Auch fehlt ihnen die Autorität mittelalterlicher Theologen!
Neuerdings "kriselt" es sogar in der Zunft der Astrophysiker. Immer mehr beschäftigen sich wissenschaftlich seriös mit dieser Frage und der junge deutsche theoretische Physiker Martin Bojowald hat sogar ein Buch darüber geschrieben. ("Zurück vor dem Urknall", Fischer-Verlag.) Er ist führend bei der Erforschung der sog. Schleifen-Quantengravitation, welches ein geeignetes mathematisches Hilfsmittel zur Erforschung des Urknalls sein könnte.
Die Hypothese des Urknalls beruht bekanntlich auf einer einfachen astronomischen Beobachtung: die Sterne und Galaxien im Universum bewegen sich voneinander weg. Wenn man - gedanklich - diesen Trend umkehrt, so müssen sie vor 13,7 Milliarden Jahren eng zusammengeballt gewesen sein. Nach Einsteins Gleichungen sogar in einem winzigen Punkt unendlicher Dichte, genannt die Urknall-Singularität. Aber hiermit fängt auch das Dilemma an, denn eine unendliche Dichte gibt es nicht - also muss an den Gleichungen dieses genialen Physikers doch etwas nicht stimmen.
Der Physiker Bojowald "korrigiert" Einsteins Vorstellungen, indem er Raum und Zeit, kurz "Raumzeit" genannt, nicht als ein "Kontinuum" ansieht, also etwas Stetiges, Lückenloses, Zusammenhängendes, sondern als ein Gewebe winziger "Raumzeitatome". Seine Raumzeit ist also nicht glatt, sondern "körnig". Allerdings sind diese Raumzeitatome (verglichen mit gewöhnlichen Materieatomen) sehr viel kleiner und machen sich erst unmittelbar vor der genannten Singularität - in der sog. Planckdimension - bemerkbar.
Und da passiert etwas Bedeutsames und Neuartiges. Das oben angesprochene und implodierende Weltall verdichtet sich nämlich nicht bis zu einen "Punkt", sondern wird kurz vorher abgebremst - und sogar wieder abgestossen. Es beginnt zu expandieren und bildet ein neues Weltall. Diesen Vorgang nennen die Kosmologen "Rückprall", im Gegensatz zum früheren Bild des Urknalls. (Englisch: big bounce statt big bang).
Bleibt noch die Frage, woher die Gegenkraft zu der gigantischen Anziehungskraft der Gravitation kommt? Nun, es ist die Gravitation selbst. Sobald die atomare Struktur der Raumzeit wirksam wird, ändert sich auch das Vorzeichen der Gravitation. Aus der ursprünglichen Anziehungskraft wird nun eine Abstossungskraft, was den erwähnten Rückprall einleitet und ein neues Universum via Expansion enstehen lässt.
Zum Verständnis seiner Schleifen-Quantengravitation benutzt Bojowald ein simples Bild aus dem Alltag. Stellen wir uns den Raum als einen Schwamm vor und die Masse bzw. die Energie als Wasser. Der porenreiche Schwamm vermag Wasser aufzunehmen, aber nur bis zu einer bestimmten Menge. Wenn er vollgesogen ist, kann er nichts mehr absorbieren, sondern er stösst das Wasser sogar ab. Genau so ist ein atomarer Quantenraum porös und hat nur endlich viel Stauraum für die Implosionsenergie. Werden die Energiedichten allzu gross, dann kommen Abstossungskräfte ins Spiel. Im Gegensatz dazu vermag der kontinuierliche Raum von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie unbegrenzt viel Energie zu speichern und gerät deshalb auf das mathematisch schiefe Bild der Punktsingularität.
Anfangs war Bojowald der Meinung, dass wir von unserem Universum aus auf die Zustände vor dem Rückprall schliessen könnten - so wie wir die Wege zweier Billardkugeln vor einem Zusammenstoss aus ihren Bahnen nach dem Stoss rekonstruieren können. Mit "Fernrohren", welche Neutrinos oder Gravitationswellen nutzen, erschien es wahrscheinlich, durch das Schlüsselloch der Rückprallfläche unser Universum vor dem Rückprall zu beobachten.
Aber das scheint (derzeit) noch nicht möglich zu sein. Chaotische Quantenfluktuationen, eine Art Turbulenz im kleinsten Mikrobereich, "verschmieren" das Bild und vernichten fast alle Spuren seiner Vorgeschichte. Mutter Natur schlägt eben für jedes Universum ein neues Blatt auf. Bojowald beschreibt das elegisch so:
"Unser Universum leidet an tragischer Vergesslichkeit".
Sonntag, 17. Mai 2009
Turmbau zu Babel
Es sollte eine Riesenparty werden, aber sie geriet zur Riesenpleite.
In diesen Tagen, im Wonnemonat Mai 2009, wollte das Herstellerkonsortium Areva/Siemens das grösste und modernste Leichtwasserkernkraftwerk der Welt - Olkiluoto 3 - an ihren finnischen Kunden TVO ("Teollisuuden Voima Oy") zum Betrieb übergeben. Aber daraus wird nichts. Der hochgepriesene Druckwasserreaktor, genannt EPR, ist weit davon entfernt fertiggestellt zu sein. Im Augenblick vermag niemand zu sagen, wann das der Fall sein wird. Sicher ist nur, dass der ursprüngliche Vertragspreis von 3,2 Milliarden Euro weit überschritten werden wird. Zur Zeit bestimmen die Juristen das Projektgeschehen, denn Lieferant und Kunde des EPR wollen beim Schiedsgericht in Stockholm die Klingen kreuzen.
Der EPR ("European Pressurized Reactor") wurde während der letzten Jahrzehnte von Siemens und der französischen Reaktorfirma Areva entwickelt, unter Mitwirkung der nationalen Forschungszentren, zum Beispiel des Karlsruher FZK. Gegenüber den existierenden Leichtwasserreaktoren zeichnet er sich im wesentlichen durch ein verbessertes Sicherheitskonzept aus. So soll ein keramisches Auffangbecken ("core-catcher") die Kernschmelze bei einem grossen Unfall auffangen und mit Wasser kühlen. Verschiedenartige Sicherheitssysteme und eine neuartige Leittechnik ("Teleperm") sind vorgesehen. Schliesslich soll ein doppelwandiges Containment mit einer Gesamtdicke von 2,6 Metern sowie ein verbessertes Gebäudekonzept gegen Flugzeugabsturz und Erdbeben schützen. Das Kernkraftwerk ist symmetrisch aus vier Kreisen aufgebaut und besitzt eine Leistung von 1.600 Megawatt.
Mit dem Bau des Kernkraftwerks Olkiluoto 3 (kurz genannt "OL 3") wurde im August 2005 auf der Insel Olkiluoto im Südwesten Finnlands begonnen. Bereits im ersten Jahr kam es zu erheblichen Problemen, weil - gemäss Pressemeldungen - beim Giessen der sicherheitstechnisch wichtigen Fundamente ein Beton mit zu geringer Festigkeit verwendet wurde. Allein aus diesen notwendig gewordenen Nachbesserungsarbeiten entstanden erhebliche Verzögerungen und Kostenüberschreitungen. Derzeit sind erst zwei Drittel der Bauarbeiten vollendet; die Installation der maschinenbaulichen Komponenten hat gerade mal erst begonnen.
Hinderlich bei der technischen Kommunikation ist sicherlich die Tatsache, dass auf der Baustelle Arbeiter aus 30 (!) verschiedenen Ländern beschäftigt sind - die alle ihre eigene Sprache sprechen. Sie werden jeweils einem Vorarbeiter zugeordnet, der ihre Muttersprache beherrschen soll sowie die Projektsprache Englisch. Aber immer wieder gibt es Fälle, in denen dies nicht möglich ist und dann müssen umständlich Dolmetscher gefunden und eingeschaltet werden. Erinnerungen an den alttestamentarischen Turmbau zu Babel kommen da ins Gedächtnis.
Zu einem grossen Problem hat sich die sogenannte Dokumentation ausgewachsen. Nach den Vereinbarungen zwischen Areva/Siemens und TVO müssen alle Projektunterlagen, z.B. die Bauteilspezifikationen, zuerst vom Kunden und der finnischen Aufsichtsbehörde STUK per Unterschrift freigegeben werden, bevor das Herstellerkonsortium mit Fertigung und Montage der entsprechenden Komponente beginnen darf. Das Konsortium hat dafür 2 Monate veranschlagt, in Wirklichkeit dauert es bei TVO aber 12 Monate und länger. Daraus ist ein Riesenstreit entstanden, wobei die Finnen entgegenhalten, dass die vorgelegten Dokumente zumeist lückenhaft und deshalb nicht prüfbar seien. Als Konsequenz daraus muss auf der Baustelle praktisch täglich die terminliche Ablaufplanung des Projekts geändert werden, weil man gezwungen ist, "um die fehlenden Unterlagen herum zu planen". Da OL 3 etwa hunderttausend Projektdokumente umfasst, kann man sich eine Vorstellung von der Grösse des Problems machen.
Zu Ende des Jahres 2008 riss Siemens/Areva der Geduldsfaden und sie verklagten ihren Kunden TVO beim Schiedsgericht im schwedischen Stockholm auf Zahlung von 1 Milliarde Euro wegen "delay and disruption". TVO konterte und erhob Widerklage auf 2,4 Milliarden Euro wegen entgangener Betriebsgewinne und "gross negligence". Die Verhandlungen in Stockholm werden die Juristen über mehrere Jahre hinweg beschäftigen. Zuerst müssen kompetente Gutachter und Sachverständige gefunden werden und ob dann am Ende mehr als ein Kompromiss heraus kommt, ist fraglich.
Die geschilderten Ärgernisse haben auch die "Ehe" zwischen Areva und Siemens zerstört. Wie bereits in einem früheren Blog geschildert, ist Siemens "sauer" auf Areva und wird sich künftig einem anderen Partner (vielleicht in Russland) zuwenden. Aber auch Areva selbst befindet sich in beträchtlicher Destruktion, weil der finanzielle cash-flow kaum ausreicht, um die vorgesehenen Investitionen zu tätigen. Die Vorstandsvorsitzende Anne Lauvergeon gilt als "angeschlagen" und es wäre nicht verwunderlich, wenn Präsident Nicolas Sarkozy sie demnächst abberufen liesse. (Der französische Staat hält 93 Prozent der Areva-Anteile.) Der Aufsichtsratsvorsitzende der Areva, Frederic Lemoine, hat bereits von sich aus das Handtuch geworfen und ist zur Finanzfirma Wendel, einer "Heuschrecke", gewechselt. Auf der Baustelle selbst hat man den Projektleiter Philippe Knoche abberufen und durch Jean-Pierre Mouroux ersetzt. Er ist damit der dritte Standortchef innerhalb von vier Jahren!
Kein Wunder, dass in dieser heiklen und verfahrenen Situation die Projektoffiziellen sich mit Äusserungen zur Inbetriebnahme und den Gesamtkosten zurück halten. Aber soviel kann man aus inoffiziellen Quellen heraushören: der Reaktor wird nicht vor dem Jahr 2013 in Betrieb gehen und wahrscheinlich mehr als 6 Milliarden Euro kosten. Bitteres Lehrgeld für Hersteller und Betreiber!
Interessant ist die ursprüngliche Finanzierung des Projekts OL 3. Der Besteller TVO brachte lediglich 25 Prozent an Eigenmitteln auf. Der Rest wurde über einen Exportkredit der französischen Regierung finanziert, sowie durch ein Darlehen der Bayerischen Landesbank in der Höhe von 1,95 Milliarden Euro. Zu einem Zinssatz von 2,6 Prozent!
Darüber würde sich jeder deutsche Häuslebauer freuen.
In diesen Tagen, im Wonnemonat Mai 2009, wollte das Herstellerkonsortium Areva/Siemens das grösste und modernste Leichtwasserkernkraftwerk der Welt - Olkiluoto 3 - an ihren finnischen Kunden TVO ("Teollisuuden Voima Oy") zum Betrieb übergeben. Aber daraus wird nichts. Der hochgepriesene Druckwasserreaktor, genannt EPR, ist weit davon entfernt fertiggestellt zu sein. Im Augenblick vermag niemand zu sagen, wann das der Fall sein wird. Sicher ist nur, dass der ursprüngliche Vertragspreis von 3,2 Milliarden Euro weit überschritten werden wird. Zur Zeit bestimmen die Juristen das Projektgeschehen, denn Lieferant und Kunde des EPR wollen beim Schiedsgericht in Stockholm die Klingen kreuzen.
Der EPR ("European Pressurized Reactor") wurde während der letzten Jahrzehnte von Siemens und der französischen Reaktorfirma Areva entwickelt, unter Mitwirkung der nationalen Forschungszentren, zum Beispiel des Karlsruher FZK. Gegenüber den existierenden Leichtwasserreaktoren zeichnet er sich im wesentlichen durch ein verbessertes Sicherheitskonzept aus. So soll ein keramisches Auffangbecken ("core-catcher") die Kernschmelze bei einem grossen Unfall auffangen und mit Wasser kühlen. Verschiedenartige Sicherheitssysteme und eine neuartige Leittechnik ("Teleperm") sind vorgesehen. Schliesslich soll ein doppelwandiges Containment mit einer Gesamtdicke von 2,6 Metern sowie ein verbessertes Gebäudekonzept gegen Flugzeugabsturz und Erdbeben schützen. Das Kernkraftwerk ist symmetrisch aus vier Kreisen aufgebaut und besitzt eine Leistung von 1.600 Megawatt.
Mit dem Bau des Kernkraftwerks Olkiluoto 3 (kurz genannt "OL 3") wurde im August 2005 auf der Insel Olkiluoto im Südwesten Finnlands begonnen. Bereits im ersten Jahr kam es zu erheblichen Problemen, weil - gemäss Pressemeldungen - beim Giessen der sicherheitstechnisch wichtigen Fundamente ein Beton mit zu geringer Festigkeit verwendet wurde. Allein aus diesen notwendig gewordenen Nachbesserungsarbeiten entstanden erhebliche Verzögerungen und Kostenüberschreitungen. Derzeit sind erst zwei Drittel der Bauarbeiten vollendet; die Installation der maschinenbaulichen Komponenten hat gerade mal erst begonnen.
Hinderlich bei der technischen Kommunikation ist sicherlich die Tatsache, dass auf der Baustelle Arbeiter aus 30 (!) verschiedenen Ländern beschäftigt sind - die alle ihre eigene Sprache sprechen. Sie werden jeweils einem Vorarbeiter zugeordnet, der ihre Muttersprache beherrschen soll sowie die Projektsprache Englisch. Aber immer wieder gibt es Fälle, in denen dies nicht möglich ist und dann müssen umständlich Dolmetscher gefunden und eingeschaltet werden. Erinnerungen an den alttestamentarischen Turmbau zu Babel kommen da ins Gedächtnis.
Zu einem grossen Problem hat sich die sogenannte Dokumentation ausgewachsen. Nach den Vereinbarungen zwischen Areva/Siemens und TVO müssen alle Projektunterlagen, z.B. die Bauteilspezifikationen, zuerst vom Kunden und der finnischen Aufsichtsbehörde STUK per Unterschrift freigegeben werden, bevor das Herstellerkonsortium mit Fertigung und Montage der entsprechenden Komponente beginnen darf. Das Konsortium hat dafür 2 Monate veranschlagt, in Wirklichkeit dauert es bei TVO aber 12 Monate und länger. Daraus ist ein Riesenstreit entstanden, wobei die Finnen entgegenhalten, dass die vorgelegten Dokumente zumeist lückenhaft und deshalb nicht prüfbar seien. Als Konsequenz daraus muss auf der Baustelle praktisch täglich die terminliche Ablaufplanung des Projekts geändert werden, weil man gezwungen ist, "um die fehlenden Unterlagen herum zu planen". Da OL 3 etwa hunderttausend Projektdokumente umfasst, kann man sich eine Vorstellung von der Grösse des Problems machen.
Zu Ende des Jahres 2008 riss Siemens/Areva der Geduldsfaden und sie verklagten ihren Kunden TVO beim Schiedsgericht im schwedischen Stockholm auf Zahlung von 1 Milliarde Euro wegen "delay and disruption". TVO konterte und erhob Widerklage auf 2,4 Milliarden Euro wegen entgangener Betriebsgewinne und "gross negligence". Die Verhandlungen in Stockholm werden die Juristen über mehrere Jahre hinweg beschäftigen. Zuerst müssen kompetente Gutachter und Sachverständige gefunden werden und ob dann am Ende mehr als ein Kompromiss heraus kommt, ist fraglich.
Die geschilderten Ärgernisse haben auch die "Ehe" zwischen Areva und Siemens zerstört. Wie bereits in einem früheren Blog geschildert, ist Siemens "sauer" auf Areva und wird sich künftig einem anderen Partner (vielleicht in Russland) zuwenden. Aber auch Areva selbst befindet sich in beträchtlicher Destruktion, weil der finanzielle cash-flow kaum ausreicht, um die vorgesehenen Investitionen zu tätigen. Die Vorstandsvorsitzende Anne Lauvergeon gilt als "angeschlagen" und es wäre nicht verwunderlich, wenn Präsident Nicolas Sarkozy sie demnächst abberufen liesse. (Der französische Staat hält 93 Prozent der Areva-Anteile.) Der Aufsichtsratsvorsitzende der Areva, Frederic Lemoine, hat bereits von sich aus das Handtuch geworfen und ist zur Finanzfirma Wendel, einer "Heuschrecke", gewechselt. Auf der Baustelle selbst hat man den Projektleiter Philippe Knoche abberufen und durch Jean-Pierre Mouroux ersetzt. Er ist damit der dritte Standortchef innerhalb von vier Jahren!
Kein Wunder, dass in dieser heiklen und verfahrenen Situation die Projektoffiziellen sich mit Äusserungen zur Inbetriebnahme und den Gesamtkosten zurück halten. Aber soviel kann man aus inoffiziellen Quellen heraushören: der Reaktor wird nicht vor dem Jahr 2013 in Betrieb gehen und wahrscheinlich mehr als 6 Milliarden Euro kosten. Bitteres Lehrgeld für Hersteller und Betreiber!
Interessant ist die ursprüngliche Finanzierung des Projekts OL 3. Der Besteller TVO brachte lediglich 25 Prozent an Eigenmitteln auf. Der Rest wurde über einen Exportkredit der französischen Regierung finanziert, sowie durch ein Darlehen der Bayerischen Landesbank in der Höhe von 1,95 Milliarden Euro. Zu einem Zinssatz von 2,6 Prozent!
Darüber würde sich jeder deutsche Häuslebauer freuen.
Sonntag, 10. Mai 2009
Bye, bye, Phönix
Während man sich im fernen Japan noch mit allen Kräften um die Inbetriebnahme des Schnellbrüter-Kernkraftwerks "Monju" bemüht, wurde in Europa vor wenigen Wochen ein fast gleich grosser Reaktor derselben Bauuart endgültig abgeschaltet. Es ist der französische Brüter "Phönix", der seinen mythologischen Namen von dem sagenhaften Vogel ableitet, welcher sich immer wieder im Feuer verjüngt. Eine feine Referenz der Kernphysiker auf die Fähigkeit dieses Reaktortyps, seinen Brennstoff im "Nuklearfeuer" selbst zu erzeugen.
Der Phönix, ein Kernkraftwerk mit einer Leistung von 250 Megawatt, befindet sich in Südfrankreich, nahe den Rebhängen der weltberühmten Weinberge von Châteauneuf-du-Pape. Letzteres ist auch der Grund dafür, dass Dienstreisen zu seinem Standort Marcoule sehr gerne wahrgenommen wurden - konnte man doch auf dem Rückweg die privaten Rotweinbestände aufstocken. Phönix wurde in der relativ kurzen Zeit von sieben Jahren errichtet und dazu noch für (umgerechnet) blosse 200 Millionen Euro. Ein Schnäppchenpreis, vergleicht man damit den nur 10 Prozent leistungsstärkeren japanischen Monju, der - bislang - mehr als das Zwanzigfache gekostet hat.
Formal war der Phönix von 1974 bis 2009, also 35 Jahre lang, am Netz. Seine Betriebsbilanz ist "durchwachsen", insbesondere die zweite Hälfte der Laufzeit, ist von vielen Abschaltungen und Reparaturmassnahmen gekennzeichnet. Während der ersten 15 Betriebsjahre, also von 1974 bis 1989 erreichte der Phönix eine durchschnittliche Verfügbarkeit von 50 - 60 Prozent, was für ein Prototypkraftwerk ganz ordentlich ist. Auffällig war aber auch damals schon seine unterschiedliche Laufleistung. Gute Jahre (z. B. 1979) mit einer Verfügbarkeit von 85 Prozent, wechselten mit grottenschlechten ab, in denen der Lastfaktor des Kraftwerks auf gerademal 15 Prozent absank (z.B. 1977).
In dieser ersten Betriebsphase waren es die Komponentenschäden, welche den Phönix immer wieder zu ungeplanten Abschaltungen gezwungen haben. So mussten alle sechs Zwischenwärmetauscher wegen fehlerhafter Schweissnähte ausgebaut werden; die schwierigen Reparaturarbeiten dauerten insgesamt 18 Monate. Ab 1982 kamen noch vier Dampferzeuger hinzu, bei denen es Natriumwasserreaktionen an Leckstellen gegeben hatte. Schliesslich ist noch die verhältnismässig grosse Anzahl von acht defekten Brennelementen zu erwähnen, denen das Hüllmaterial versagte.
1989 begann die zweite Betriebsphase - und damit die eigentliche Leidenszeit des Phönix - die bis zu seiner Betriebsbeendigung im Jahr 2009 andauerte. Im August 1989 schaltete der Reaktor sich aus vollem Betrieb zwei Mal aufgrund der Anzeige "negative Reaktivität" ab. Die Genehmigungsbehörden waren sofort alarmiert, denn Indizien dieser Art lassen auf Störungen im Reaktorkern schliessen, dem Herz der Anlage, dem sogenannten Core. Eine sofort eingerichtete internationale Arbeitsgruppe (Comité d´Experts) tippte auf den Durchgang von Argonblasen im Core, aber das war es nicht. In den Folgejahren gab es zwei weitere Abschaltungen und es wurden Dutzende von "Erklärungen" vorgebracht, von denen aber keine beweiskräftig war. Die jüngste Hypothese der Betreiberfirma lautet zusammen gefasst etwa folgendermassen: "Im Reaktorkern des Phönix hat sich der Moderator gegenüber den Brutelementen verschoben, was zu lokalem Natriumsieden führt; die entstandenen Natriumblasen verschieben ihrerseits leicht die Brennelemente, was die erwähnten automatischen Abschaltungen zur Folge hat." Basta!
Aufgrund dieser Störung lag der Phönix fast zehn Jahre lang still. Nach einem Kurzbetrieb 1998 stellte man zudem erhebliche Defizite im Sekundärsystem und beim Erdbebenschutz fest, was zu erneuter Abschaltung und zu Nachbesserungsarbeiten in der Höhe von 250 Millionen (!) Euro führte. Im Jahr 2003 erhielt das Kraftwerk eine bedingte Betriebsgenehmigung für weitere sechs Zyklen - allerdings bei einer um ein Drittel verminderten Leistung. Diese Phase ist nun zu Ende und am 6. März 2009 wurde der Phönix endgültig abgeschaltet.
Der Exitus des Phönix bringt die französischen Kernforscher und Politiker in eine unangenehme Bredouille - und zwar auf dem auch in Frankreich heiklen Gebiet der Entsorgung, genauer gesagt, der Endlagerung radioaktiver Abfälle. Sie soll auch dort unterirdisch in geeigneten Erdformationen geschehen; aber die französische Öffentlichkeit ist skeptisch wegen der langen Halbwertszeiten einzelner Elemente, die sich über Tausende, ja sogar Millionen Jahre erstrecken.
Verantwortlich dafür sind im wesentlichen die sogenannten "minoren Aktinide", nämlich Americium, Neptunium und Curium. Die weltweiten Forschungen der letzten zwanzig Jahre haben aber ergeben, dass sich diese Nuklide im Neutronenfluss Schneller Reaktoren aufspalten lassen mit der Konsequenz, dass die Halbwertszeiten der Spaltprodukte sich auf wenige hundert Jahre reduzieren. Sollte sich das grosstechnisch verwirklichen lassen, dann wäre das Problem der Endlagerung zwar nicht endgültig gelöst, aber doch sehr entschärft.
Die französischen Politiker waren so angetan von dieser Möglichkeit, dass sie sogar in ihrer Gesetzgebung zur nuklearen Entsorgung die Erforschung der sogenannten Transmutation forderten. Mit der Abschaltung des Phönix ist der experimentellen Forschung aber weitgehend die Basis entzogen worden und die Kernenergiekritiker - jawohl, diese gibt es auch in Frankreich! - tönen bereits den altbekannten Spruch, "dass die Entsorgung nicht gesichert ist."
Der neu ernannte Chef der französischen Atombehörde CEA, Monsieur Bernard Bigot, wurde in einem kürzlichen Interview auf diese Klemme hin angesprochen. Wie zu erwarten, setzte er seine Hoffnung in erster Linie auf die beiden japanischen Schnellen Brüter. Aber "Monju" (siehe vorhergehenden Blog) ist noch lange nicht für den Einsatz von Brennstäben aus minoren Aktiniden verfügbar und sein kleinererer Bruder "Joyo" liegt darnieder, weil dort versehentlich ein Brennelement abgesäbelt wurde. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird er nicht mehr in Betrieb genommen werden. Übrig bleibt - wir vergessen mal Indien - nur noch der russische Brüter "BN 600", aber den würden sich die Russen sicherlich teuer bezahlen lassen. Bigot erwähnte auch noch den französischen Testreaktor "Horowitz", welcher derzeit im Bau ist. Aber dieser ist als thermischer Leichtwasserreaktor nicht für die Aufspaltung schwerer Atomkerne geeignet, was einem Newcomer schon mal entgehen kann.
Was bleibt, ist der Bau eines neuen Schnellen Reaktors und daran planen die französischen Wissenschaftler bereits heftig. SFR ("Sodium Fast Reactor") soll er heissen und eine Leistung zwischen 250 und 600 Megawatt erreichen. Ob die Politiker das Geld für seinen Bau bewilligen werden, ist zumindest fraglich. Die mässigen bis miserablen Erfahrungen mit früheren französischen Natriumreaktoren (Rapsodie und Superphenix) haben sie vorsichtig werden lassen. Vermutlich bleibt der SFR das, was er ist:
ein Papierreaktor.
Der Phönix, ein Kernkraftwerk mit einer Leistung von 250 Megawatt, befindet sich in Südfrankreich, nahe den Rebhängen der weltberühmten Weinberge von Châteauneuf-du-Pape. Letzteres ist auch der Grund dafür, dass Dienstreisen zu seinem Standort Marcoule sehr gerne wahrgenommen wurden - konnte man doch auf dem Rückweg die privaten Rotweinbestände aufstocken. Phönix wurde in der relativ kurzen Zeit von sieben Jahren errichtet und dazu noch für (umgerechnet) blosse 200 Millionen Euro. Ein Schnäppchenpreis, vergleicht man damit den nur 10 Prozent leistungsstärkeren japanischen Monju, der - bislang - mehr als das Zwanzigfache gekostet hat.
Formal war der Phönix von 1974 bis 2009, also 35 Jahre lang, am Netz. Seine Betriebsbilanz ist "durchwachsen", insbesondere die zweite Hälfte der Laufzeit, ist von vielen Abschaltungen und Reparaturmassnahmen gekennzeichnet. Während der ersten 15 Betriebsjahre, also von 1974 bis 1989 erreichte der Phönix eine durchschnittliche Verfügbarkeit von 50 - 60 Prozent, was für ein Prototypkraftwerk ganz ordentlich ist. Auffällig war aber auch damals schon seine unterschiedliche Laufleistung. Gute Jahre (z. B. 1979) mit einer Verfügbarkeit von 85 Prozent, wechselten mit grottenschlechten ab, in denen der Lastfaktor des Kraftwerks auf gerademal 15 Prozent absank (z.B. 1977).
In dieser ersten Betriebsphase waren es die Komponentenschäden, welche den Phönix immer wieder zu ungeplanten Abschaltungen gezwungen haben. So mussten alle sechs Zwischenwärmetauscher wegen fehlerhafter Schweissnähte ausgebaut werden; die schwierigen Reparaturarbeiten dauerten insgesamt 18 Monate. Ab 1982 kamen noch vier Dampferzeuger hinzu, bei denen es Natriumwasserreaktionen an Leckstellen gegeben hatte. Schliesslich ist noch die verhältnismässig grosse Anzahl von acht defekten Brennelementen zu erwähnen, denen das Hüllmaterial versagte.
1989 begann die zweite Betriebsphase - und damit die eigentliche Leidenszeit des Phönix - die bis zu seiner Betriebsbeendigung im Jahr 2009 andauerte. Im August 1989 schaltete der Reaktor sich aus vollem Betrieb zwei Mal aufgrund der Anzeige "negative Reaktivität" ab. Die Genehmigungsbehörden waren sofort alarmiert, denn Indizien dieser Art lassen auf Störungen im Reaktorkern schliessen, dem Herz der Anlage, dem sogenannten Core. Eine sofort eingerichtete internationale Arbeitsgruppe (Comité d´Experts) tippte auf den Durchgang von Argonblasen im Core, aber das war es nicht. In den Folgejahren gab es zwei weitere Abschaltungen und es wurden Dutzende von "Erklärungen" vorgebracht, von denen aber keine beweiskräftig war. Die jüngste Hypothese der Betreiberfirma lautet zusammen gefasst etwa folgendermassen: "Im Reaktorkern des Phönix hat sich der Moderator gegenüber den Brutelementen verschoben, was zu lokalem Natriumsieden führt; die entstandenen Natriumblasen verschieben ihrerseits leicht die Brennelemente, was die erwähnten automatischen Abschaltungen zur Folge hat." Basta!
Aufgrund dieser Störung lag der Phönix fast zehn Jahre lang still. Nach einem Kurzbetrieb 1998 stellte man zudem erhebliche Defizite im Sekundärsystem und beim Erdbebenschutz fest, was zu erneuter Abschaltung und zu Nachbesserungsarbeiten in der Höhe von 250 Millionen (!) Euro führte. Im Jahr 2003 erhielt das Kraftwerk eine bedingte Betriebsgenehmigung für weitere sechs Zyklen - allerdings bei einer um ein Drittel verminderten Leistung. Diese Phase ist nun zu Ende und am 6. März 2009 wurde der Phönix endgültig abgeschaltet.
Der Exitus des Phönix bringt die französischen Kernforscher und Politiker in eine unangenehme Bredouille - und zwar auf dem auch in Frankreich heiklen Gebiet der Entsorgung, genauer gesagt, der Endlagerung radioaktiver Abfälle. Sie soll auch dort unterirdisch in geeigneten Erdformationen geschehen; aber die französische Öffentlichkeit ist skeptisch wegen der langen Halbwertszeiten einzelner Elemente, die sich über Tausende, ja sogar Millionen Jahre erstrecken.
Verantwortlich dafür sind im wesentlichen die sogenannten "minoren Aktinide", nämlich Americium, Neptunium und Curium. Die weltweiten Forschungen der letzten zwanzig Jahre haben aber ergeben, dass sich diese Nuklide im Neutronenfluss Schneller Reaktoren aufspalten lassen mit der Konsequenz, dass die Halbwertszeiten der Spaltprodukte sich auf wenige hundert Jahre reduzieren. Sollte sich das grosstechnisch verwirklichen lassen, dann wäre das Problem der Endlagerung zwar nicht endgültig gelöst, aber doch sehr entschärft.
Die französischen Politiker waren so angetan von dieser Möglichkeit, dass sie sogar in ihrer Gesetzgebung zur nuklearen Entsorgung die Erforschung der sogenannten Transmutation forderten. Mit der Abschaltung des Phönix ist der experimentellen Forschung aber weitgehend die Basis entzogen worden und die Kernenergiekritiker - jawohl, diese gibt es auch in Frankreich! - tönen bereits den altbekannten Spruch, "dass die Entsorgung nicht gesichert ist."
Der neu ernannte Chef der französischen Atombehörde CEA, Monsieur Bernard Bigot, wurde in einem kürzlichen Interview auf diese Klemme hin angesprochen. Wie zu erwarten, setzte er seine Hoffnung in erster Linie auf die beiden japanischen Schnellen Brüter. Aber "Monju" (siehe vorhergehenden Blog) ist noch lange nicht für den Einsatz von Brennstäben aus minoren Aktiniden verfügbar und sein kleinererer Bruder "Joyo" liegt darnieder, weil dort versehentlich ein Brennelement abgesäbelt wurde. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird er nicht mehr in Betrieb genommen werden. Übrig bleibt - wir vergessen mal Indien - nur noch der russische Brüter "BN 600", aber den würden sich die Russen sicherlich teuer bezahlen lassen. Bigot erwähnte auch noch den französischen Testreaktor "Horowitz", welcher derzeit im Bau ist. Aber dieser ist als thermischer Leichtwasserreaktor nicht für die Aufspaltung schwerer Atomkerne geeignet, was einem Newcomer schon mal entgehen kann.
Was bleibt, ist der Bau eines neuen Schnellen Reaktors und daran planen die französischen Wissenschaftler bereits heftig. SFR ("Sodium Fast Reactor") soll er heissen und eine Leistung zwischen 250 und 600 Megawatt erreichen. Ob die Politiker das Geld für seinen Bau bewilligen werden, ist zumindest fraglich. Die mässigen bis miserablen Erfahrungen mit früheren französischen Natriumreaktoren (Rapsodie und Superphenix) haben sie vorsichtig werden lassen. Vermutlich bleibt der SFR das, was er ist:
ein Papierreaktor.
Sonntag, 3. Mai 2009
Ein müder Löwe
Wer Japaner kennt, weiss wie sie sind: blitzgescheit und bienenfleissig. Überträgt man ihnen heute eine Aufgabe, dann ist sie morgen erledigt - manchmal schon gestern. Das gilt allerdings nicht für das Kernkraftwerksprojekt "Monju". Diesen Schnellen Brutreaktor haben die japanischen Physiker und Ingenieure zwar zügig aufgebaut - aber seit, sage und schreibe, 15 Jahren bemühen sie sich vergeblich um seine Inbetriebsetzung.
Vorab: was ist ein Schneller Brutreaktor (auch Schneller Brüter genannt) und wofür braucht man ihn? Er ist ein Kernkraftwerk, ähnlich wie die mehr als 400, welche derzeit auf der ganzen Welt betrieben werden und elektrischen Strom erzeugen. Im technischen Aufbau unterscheidet er sich von diesen sog. konventionellen Kernkraftwerken dadurch, dass er schnelle (statt langsame) Neutronen benutzt, dass er mit flüssigem Natrium (statt Wasser) gekühlt wird und dass er sogar seinen Nuklearbrennstoff selbst generiert.
Letzteres verleiht diesem Reaktortyp auch seinen Charme. Während für die konventionellen Reaktoren der Kernbrennstoff (Uran) bereits nach einigen hundert Jahren zur Neige gehen wird, kommt man beim Schnellen Brüter mit den gleichen Vorräten - so sparsam ist er - zehntausende von Jahren aus. Damit wäre für ein solch ressourcenarmes Land wie Japan das Energieproblem praktisch gelöst.
Mit dem Bau des Monju begann man (nach einigen wissenschaftlichen Vorarbeiten) im Jahr 1986. Als Standort hatte man die unbebaute Westküste Japans festgelegt, nahe bei dem kleinen Ort Tsuruga. Das Kraftwerksgelände musste buchstäblich aus dem steil zum Meer abfallenden Gebirge herausgehauen werden; mehrere lange Tunnels waren zu bohren um die Arbeiter dorthin befördern zu können und über einen eigens angelegten Tiefseehafen wurden die zum Teil hundert Tonnen schweren Komponenten angelandet. Umgerechnet 50 Millionen DM wurde allein für diese Präparation des Standorts ausgegeben.
Der anschliessende Bau und die Montage der vielen Komponenten klappte auf das Pünktlichste.
Die Terminpläne wurden mit einer Präzision eingehalten, die selbst noch Tage als Zeiteinheit erkennen liessen. Bei einem meiner gelegentlichen Besuche versicherten mir die japanischen Manager stolz, "dass sie derzeit 5 Tage (!) im terminlichen Vorlauf sind." Welch ein Unterschied zu unserer Situation in Deutschland, wo man die Terminverschiebungen (zumeist Verzögerungen) in Monaten, bisweilen in Jahren, bemessen musste.
Im Verlaufe von sieben Jahren war der hochkomplexe Schnelle Brüter errichtet. Etwas Verzug gab es bei der Inbetriebnahme, weil die Brennstofftabletten imWerk Tokai Muro nicht rechtzeitig beigestellt werden konnten. Aber im Mai 1994 war es so weit: der Monju wurde zum ersten Mal "kritisch", d.h. die Kernreaktion hielt sich selbst aufrecht. Im darauffolgenden Jahr konnte das Kraftwerk mit der Leistung von 280 Megawatt an das öffentliche Netz gekuppelt werden und die Stromerzeugung aufnehmen. Alles in allem hatte das Projekt umgerechnet 4,2 Milliarden Euro gekostet.
Aber dann schlug das Schicksal zu. Am 8 Dezember 1995, abends um 19.47 Uhr, meldeten die Rauchmonitore "Feuer im Sekundärsystem" und der Reaktor wurde gemäss Betriebshandbuch abgefahren. Ausgesandte Meldegänger stellten fest, dass an einer Hauptrohrleitung etwa ein bis zwei Tonnen flüssiges, heisses Natrium ausgetreten war, das sich in einer Lache am Boden gesammelt hatte. Später ergab sich, dass ein Temperaturmessfühler an dieser Rohrleitung gebrochen war, weshalb sich eine Leckstelle ausgebildet hatte und es zum Natriumleck gekommen war.
Bei der Abschaltung der Anlage und der Benachrichtigung der Aufsichtsbehörden wurden von der Betriebsleitung eine Reihe von Fehlern gemacht, welche die japanische Presse und Öffentlichkeit sehr übel nahmen. So wurde zum Beispiel nur ein Teil der Videoaufnahmen vom Ort des Geschehens veröffentlicht, was als "Vertuschung" gewertet wurde. Ein Hauptabteilungsleiter der Betreiberfirma PNC wurde mit einer innerbetrieblichen Untersuchung beauftragt. Mit der Aufgabe, gegen seine eigenen Chefs und Kollegen zu recherchieren, war er menschlich offenbar überfordert und nach einem langen Arbeitstag stürzte er sich vom Dach seines Hotels in Tokio zu Tote. Am Reaktor kam es daraufhin zu Massenentlassungen und sogar der Forschungsminister bot seinen Rücktritt an. Zwei Monate lang wurden täglich bis zu 5 mehrstündige Pressekonferenzen in dem Provinznest Tsuruga abgehalten, die jeweils von 50 bis 100 Journalisten besucht waren. In den grossen japanischen Zeitungen wurde monatelang über Monju auf Seite 1 berichtet. Demgegenüber belief sich der Schaden am Kraftwerk auf wenige hundertausend Euro; kein Mensch war durch den Störfall am Reaktor getötet oder auch nur verletzt worden.
Als die Erregung zurück ging, kam es im September 1999 an der schon genannten und weit entfernten Uranfabrik Tokai Mura zu einem wirklich schweren Unfall. Durch Freisetzung von Radioaktivität verloren zwei Arbeiter ihr Leben, einige weitere wurden verstrahlt. Die staatliche Aufsichtsbehörde, welche geschlampt hatte, wurde daraufhin von Grund auf umorganisiert; neue Experten überprüften nun die Brennstoffanlage - und auch nochmals den Schnellen Brüter Monju.
Und sie fanden einiges, was es zu verbessern galt. Dutzende von Anlagenräume wurden umgeplant, sodass sie im Falle einer neuerlichen Natriumleckage abgeschottet werden konnten. Viele sollten mit feuerfestem Blech ausgekleidet werden, das in der Lage war, austretendes Natrium zurück zu halten. Alle Messfühler an den Rohrleitungen sollten durch verbesserte Bauarten ausgetauscht werden. Bei diesen sog. Nachbesserungen wurden die Japaner von ihren internationalen Fachkollegen unterstützt; auch Experten des Forschungszentrums Karlsruhe waren darunter.
Parallel dazu kam es zu einer Serie von Prozessen, welche von den Atomgegnern in Japan veranlasst wurden. Sie obsiegten sogar anfangs beim Oberlandesgericht Nagoya, wodurch die Betriebsgenehmigung des Monju widerrufen und die Arbeiten in Tsuruga eingestellt werden mussten. Der Oberste Gerichtshof hob dieses Urteil im Mai 2005 jedoch wieder auf; massgeblich dabei war der Nachweis, dass der Reaktorkern gegen Kernschmelzen hinreichend ausgelegt war. Ausserdem wurde eine Reihe weiterer Auflagen erteilt.
Mit dieser endgültigen, gerichtsfesten Genehmigung konnten nun die oben beschriebenen Umplanungen technisch realisiert werden. Dass dies bei einer bereits fertiggestellten Grossanlage kein leichtes Unterfangen ist, leuchtet sicher auch jedem Laien ein. Derzeit befindet man sich damit in der Endphase und um die Jahreswende will man den Schnellen Brüter wieder am Netz haben. Dazwischen liegen 15 Jahre des "Stillstands" währenddessen allerdings heftig gearbeitet wurde.
Zum Schluss noch eine Bemerkung zur Herkunft des Namens "Monju". In der japanischen Religion und Mythologie ist Monju ein (Neben-) Buddha, der immer abgebildet wird, wie er auf einem Löwen reitet. Löwen sind als Wildtiere bekanntermassen keine ausdauernden Sprinter, sondern ermüden leicht und nehmen sich nach einer erfolgreichen Jagd immer eine längere Auszeit, bevor sie wieder zum Spurt ansetzen...
...was ich meinen japanischen Freunden auch bei ihren Projekt Monju wünschen möchte.
Vorab: was ist ein Schneller Brutreaktor (auch Schneller Brüter genannt) und wofür braucht man ihn? Er ist ein Kernkraftwerk, ähnlich wie die mehr als 400, welche derzeit auf der ganzen Welt betrieben werden und elektrischen Strom erzeugen. Im technischen Aufbau unterscheidet er sich von diesen sog. konventionellen Kernkraftwerken dadurch, dass er schnelle (statt langsame) Neutronen benutzt, dass er mit flüssigem Natrium (statt Wasser) gekühlt wird und dass er sogar seinen Nuklearbrennstoff selbst generiert.
Letzteres verleiht diesem Reaktortyp auch seinen Charme. Während für die konventionellen Reaktoren der Kernbrennstoff (Uran) bereits nach einigen hundert Jahren zur Neige gehen wird, kommt man beim Schnellen Brüter mit den gleichen Vorräten - so sparsam ist er - zehntausende von Jahren aus. Damit wäre für ein solch ressourcenarmes Land wie Japan das Energieproblem praktisch gelöst.
Mit dem Bau des Monju begann man (nach einigen wissenschaftlichen Vorarbeiten) im Jahr 1986. Als Standort hatte man die unbebaute Westküste Japans festgelegt, nahe bei dem kleinen Ort Tsuruga. Das Kraftwerksgelände musste buchstäblich aus dem steil zum Meer abfallenden Gebirge herausgehauen werden; mehrere lange Tunnels waren zu bohren um die Arbeiter dorthin befördern zu können und über einen eigens angelegten Tiefseehafen wurden die zum Teil hundert Tonnen schweren Komponenten angelandet. Umgerechnet 50 Millionen DM wurde allein für diese Präparation des Standorts ausgegeben.
Der anschliessende Bau und die Montage der vielen Komponenten klappte auf das Pünktlichste.
Die Terminpläne wurden mit einer Präzision eingehalten, die selbst noch Tage als Zeiteinheit erkennen liessen. Bei einem meiner gelegentlichen Besuche versicherten mir die japanischen Manager stolz, "dass sie derzeit 5 Tage (!) im terminlichen Vorlauf sind." Welch ein Unterschied zu unserer Situation in Deutschland, wo man die Terminverschiebungen (zumeist Verzögerungen) in Monaten, bisweilen in Jahren, bemessen musste.
Im Verlaufe von sieben Jahren war der hochkomplexe Schnelle Brüter errichtet. Etwas Verzug gab es bei der Inbetriebnahme, weil die Brennstofftabletten imWerk Tokai Muro nicht rechtzeitig beigestellt werden konnten. Aber im Mai 1994 war es so weit: der Monju wurde zum ersten Mal "kritisch", d.h. die Kernreaktion hielt sich selbst aufrecht. Im darauffolgenden Jahr konnte das Kraftwerk mit der Leistung von 280 Megawatt an das öffentliche Netz gekuppelt werden und die Stromerzeugung aufnehmen. Alles in allem hatte das Projekt umgerechnet 4,2 Milliarden Euro gekostet.
Aber dann schlug das Schicksal zu. Am 8 Dezember 1995, abends um 19.47 Uhr, meldeten die Rauchmonitore "Feuer im Sekundärsystem" und der Reaktor wurde gemäss Betriebshandbuch abgefahren. Ausgesandte Meldegänger stellten fest, dass an einer Hauptrohrleitung etwa ein bis zwei Tonnen flüssiges, heisses Natrium ausgetreten war, das sich in einer Lache am Boden gesammelt hatte. Später ergab sich, dass ein Temperaturmessfühler an dieser Rohrleitung gebrochen war, weshalb sich eine Leckstelle ausgebildet hatte und es zum Natriumleck gekommen war.
Bei der Abschaltung der Anlage und der Benachrichtigung der Aufsichtsbehörden wurden von der Betriebsleitung eine Reihe von Fehlern gemacht, welche die japanische Presse und Öffentlichkeit sehr übel nahmen. So wurde zum Beispiel nur ein Teil der Videoaufnahmen vom Ort des Geschehens veröffentlicht, was als "Vertuschung" gewertet wurde. Ein Hauptabteilungsleiter der Betreiberfirma PNC wurde mit einer innerbetrieblichen Untersuchung beauftragt. Mit der Aufgabe, gegen seine eigenen Chefs und Kollegen zu recherchieren, war er menschlich offenbar überfordert und nach einem langen Arbeitstag stürzte er sich vom Dach seines Hotels in Tokio zu Tote. Am Reaktor kam es daraufhin zu Massenentlassungen und sogar der Forschungsminister bot seinen Rücktritt an. Zwei Monate lang wurden täglich bis zu 5 mehrstündige Pressekonferenzen in dem Provinznest Tsuruga abgehalten, die jeweils von 50 bis 100 Journalisten besucht waren. In den grossen japanischen Zeitungen wurde monatelang über Monju auf Seite 1 berichtet. Demgegenüber belief sich der Schaden am Kraftwerk auf wenige hundertausend Euro; kein Mensch war durch den Störfall am Reaktor getötet oder auch nur verletzt worden.
Als die Erregung zurück ging, kam es im September 1999 an der schon genannten und weit entfernten Uranfabrik Tokai Mura zu einem wirklich schweren Unfall. Durch Freisetzung von Radioaktivität verloren zwei Arbeiter ihr Leben, einige weitere wurden verstrahlt. Die staatliche Aufsichtsbehörde, welche geschlampt hatte, wurde daraufhin von Grund auf umorganisiert; neue Experten überprüften nun die Brennstoffanlage - und auch nochmals den Schnellen Brüter Monju.
Und sie fanden einiges, was es zu verbessern galt. Dutzende von Anlagenräume wurden umgeplant, sodass sie im Falle einer neuerlichen Natriumleckage abgeschottet werden konnten. Viele sollten mit feuerfestem Blech ausgekleidet werden, das in der Lage war, austretendes Natrium zurück zu halten. Alle Messfühler an den Rohrleitungen sollten durch verbesserte Bauarten ausgetauscht werden. Bei diesen sog. Nachbesserungen wurden die Japaner von ihren internationalen Fachkollegen unterstützt; auch Experten des Forschungszentrums Karlsruhe waren darunter.
Parallel dazu kam es zu einer Serie von Prozessen, welche von den Atomgegnern in Japan veranlasst wurden. Sie obsiegten sogar anfangs beim Oberlandesgericht Nagoya, wodurch die Betriebsgenehmigung des Monju widerrufen und die Arbeiten in Tsuruga eingestellt werden mussten. Der Oberste Gerichtshof hob dieses Urteil im Mai 2005 jedoch wieder auf; massgeblich dabei war der Nachweis, dass der Reaktorkern gegen Kernschmelzen hinreichend ausgelegt war. Ausserdem wurde eine Reihe weiterer Auflagen erteilt.
Mit dieser endgültigen, gerichtsfesten Genehmigung konnten nun die oben beschriebenen Umplanungen technisch realisiert werden. Dass dies bei einer bereits fertiggestellten Grossanlage kein leichtes Unterfangen ist, leuchtet sicher auch jedem Laien ein. Derzeit befindet man sich damit in der Endphase und um die Jahreswende will man den Schnellen Brüter wieder am Netz haben. Dazwischen liegen 15 Jahre des "Stillstands" währenddessen allerdings heftig gearbeitet wurde.
Zum Schluss noch eine Bemerkung zur Herkunft des Namens "Monju". In der japanischen Religion und Mythologie ist Monju ein (Neben-) Buddha, der immer abgebildet wird, wie er auf einem Löwen reitet. Löwen sind als Wildtiere bekanntermassen keine ausdauernden Sprinter, sondern ermüden leicht und nehmen sich nach einer erfolgreichen Jagd immer eine längere Auszeit, bevor sie wieder zum Spurt ansetzen...
...was ich meinen japanischen Freunden auch bei ihren Projekt Monju wünschen möchte.
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