Samstag, 18. April 2009

Ein bißchen Protektion?

Die Wirtschaftskrise hat einige (bislang) eherne Gesetze ad absurdum geführt. So zum Beispiel die Forderung, wonach die Politik sich aus der Wirtschaft heraus halten solle, weil der Markt allein alles bestens richte. Jetzt erkennen wir: das tut er mitnichten. Ohne die Interventionen der Staatengemeinschaft wäre der weltweite Geld- und Güterkreislauf längst zum Erliegen gekommen. Mit katastrophalen Folgen für uns alle.

Ein anderes Prinzip, das während der vergangenen zwanzig Jahre gebetsmühlenartig wie ein Mantra verkündet wurde, ist die sogenannte Globalisierung. Insbesondere die Chefs der Grosskonzerne wurden nicht müde, den ungehinderten Freihandel als eine Grundvoraussetzung für unser aller Wohlstand zu postulieren. Gleichzeitig verdammten sie das Gegenstück, den Aufbau von nationalen Schutzzöllen - also die Protektion - als ein Abgleiten in die wirtschaftliche Hölle.

Eine ganze Zeitlang schien die Globalisierung gut zu laufen - insbesondere im Sinne von uns Verbrauchern. Die Fernseher, Videorekorder und Schlagbohrmaschinen wurden immer billiger. Sie waren eben von dienstbaren Geistern im fernen Asien zusammen geschraubt worden, die noch nicht unser Wohlstandsniveau beanspruchen durften. "Geiz ist geil" war derweil unser Motto; die ganze westliche Welt befand sich auf Schnäppchenjagd. Erdbeeren im Dezember und Spargel im Januar waren nichts Ungewöhnliches mehr. Sie wurden sogar von Aldi und Lidl geliefert. Von ferne her.

Inzwischen wird uns im Westen die Rechnung für diesen ungezügelten Freihandel präsentiert. Am schlimmsten trifft es die US-Amerikaner. Ihnen sind in den letzten Jahrzehnten zwei Drittel des produzierenden Gewerbes weggebrochen; der Rest - siehe General Motors - steht vor der Insolvenz. Die Supermarktkette Wal-Mart versorgt ihre Kunden zwar zu Tiefstpreisen, aber von 6.000 Lieferanten kommen 5.000 aus Asien. Inzwischen sind die USA finanziell den Chinesen ausgeliefert. Wenn China aufhören würde US-Staatsanleihen zu kaufen, dann wäre Amerika zahlungsunfähig. Auch die Franzosen und die Schweizer spüren den asiatischen Druck. Der Weltmarkt für Handtaschen, Uhren etc. ist überschwemmt mit täuschend ähnlichen Raubkopien aus Taiwan, China und Korea. Und wir Deutsche, leben wir auf einer Insel der Glückseligkeit? Keinesfalls, denn im Hamburger Hafen ist es seit langem Usus, dass grosse Containerschiffe gefüllt mit Produkten aus Asien entladen werden - um dann leer wieder zurück zu fahren. Aber sind wir nicht Exportweltmeister? Vergessen wir dies. Der Grossteil der wertschöpfenden Produktion findet längst in China oder Indien statt; in Deutschland sitzt meist nur noch die Konzernzentrale.

Der wirtschaftliche Kampf auf den Weltmärkten wird mit ungleichen Waffen geschlagen. Während in der deutschen Kostenkalkulation Positionen wie Jahresurlaub, Krankenschutz, Arbeitslosenversicherung, Umweltvorschriften etc. als Kostenbestandteile eingerechnet sind, wird die Waschmaschine in Indien zumeist ohne Sozialschutz der dortigen Arbeiterschaft, ja zuweilen sogar durch Kinderarbeit zusammen gebastelt. Entfallen dann auch noch die rigiden westlichen Umweltschutzvorkehrungen, ja dann muss dieses Gerät unschlagbar niedrige Kosten aufweisen. Verkauft wird es aber dort, wo man den höchsten Preis dafür erzielen kann, zum Beispiel in Deutschland.

Als Folge müssen die heimischen Hersteller ihre Sozialstandards immer weiter reduzieren, die Löhne einfrieren oder sogar kürzen und schliesslich ihre Werke eben doch nach Rumänien oder China verlagern. Die grossen Konzerne gerieren sich seit langem als "global player", etwa indem sie die Rohstoffe in Brasilien einkaufen, die Komponenten in China beschaffen und in Vietnam assemblieren lassen. Als "vaterlandslose Gesellen" können sie den Märkten hinter her ziehen; die Arbeiter werden an den nationalen Grenzen aufgehalten. In Deutschland will die Wirtschaft von der Politik "in Ruhe gelassen werden"; in China, Südkora und Singapur dirigiert der Staat die Wirtschaft ganz autokratisch und zuweilen sogar diktatorisch. Nein, in der Weltwirtschaft herrscht keine Parität. Sowohl der Wertekanon als auch die wirtschaftlichen Regeln sind in West und Ost vollkommen verschieden.

Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass in letzter Zeit immer häufiger die Idee einer amerikanisch-europäischen Freihandelszone propagiert wird. Nach Dirk Müller ("Mister DAX") soll sogar Bundeskanzlerin Merkel Sympathie für dieses Modell haben. Die Länder ausserhalb USA und Europa dürften nach diesem Modell weiterhin ihre Produkte an diese Freihandelszone verkaufen - aber mit Preisaufschlag! Ein Schutzzoll von 15 bis 20 Prozent würde die soziale Parität wieder herstellen. Die Waschmaschien wären dann zwar in Deutschland teurer, aber für einen Mittelständler wäre es wieder lohnenswert eine Fabrik in Bayern oder Hessen zu errichten, um damit Arbeitsplätze zu schaffen. Natürlich würden die Grosskonzerne bei Einführung der Protektion Gift und Galle spucken, denn nun können sie bei den Löhnen nicht mehr die Arbeiter in Bochum und Shanghai gegeneinander ausspielen.

Nicht unterschätzen sollte man aber die Schwierigkeiten bei der Bemessung und Abgrenzung der Schutzzölle. Ein bißchen Protektion hört sich leicht an, aber klingt es nicht verteufelt nach:

ein bißchen Schwangerschaft?

1 Kommentar:

  1. Protektion als Gegenbewegung zur Globalisierung würde eine Spirale nach unten öffnen. Die Folge wäre weniger Wachstum und niedrigerer Lebensstandard für alle. Gift für die Entwicklungsländer!

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