Sonntag, 15. März 2009

Siemens steigt aus

Die "Ehe" war schon längere Zeit brüchig, deshalb überraschte es niemanden mehr, als es schliesslich zur Trennung kam. Verkündet wurde sie von Peter Löscher, dem Vorstandsvorsitzenden der Siemens AG, anlässlich einer Aufsichtsratssitzung Ende Januar 2009: "Siemens wird sich aus dem deutsch-französischen Atom-Gemeinschaftsunternehmen Areva NP zurückziehen und die Zusammenarbeit spätestens im Januar 2012 beenden."

Die Gründe waren einsichtig. Zu früheren Zeiten war Siemens bei der Kooperation mit Framatome ein geachteter 50 %-Partner und entwickelte zusammen mit diesem französischen Reaktorbauer den Druckwasserreaktor EPR, das Flagschiff der europäischen Kernreaktortechnik. Aber im Jahr 2001 verfügte die französische Regierung die Einbeziehung des nuklearen Brennstoffkreislaufs, gründete den Super-Konzern Areva und Siemens rutschte mit seiner Beteiligungsquote auf 34 Prozent ab. Aus dem gleichberechtigten Partner war ein Minderheitspartner ohne echten Einfluss geworden. Die strategischen Entscheidungen wurden allein von Areva in Paris getroffen, wobei dieser Konzern inzwischen zu 84 Prozent dem französischen Staat gehörte.

Siemens fehlt auch der Einfluss beim Bau des 1600 MW- Kraftwerks in Finnland. Dieses Gemeinschaftskraftwerk mit dem unaussprechlichen Namen "Olkiluoto" läuft schlecht. Man muss mit drei Jahren Terminverzug rechnen und mit fast drei Milliarden Euro Mehrkosten. Projektführer ist Areva, dem Minoritätspartner Siemens bleibt nichts weiter übrig, als sich an den Verlusten zu beteiligen und die Faust in der Tasche zu ballen.

Die Herauslösung von Siemens aus dem Areva-Konzern ist ein kompliziertes Geschäft und ein Eldorado für Juristen. Drei Punkte sind dabei von besonderer Bedeutung: es muss der Preis gefunden werden, welchen Areva für die Siemensanteile zu bezahlen hat (derzeit auf 2,1 Milliarden Euro abgeschätzt); weiterhin muss der Zeitpunkt der Trennung vereinbart werden (2012 oder früher) ; schliesslich ist Einigung über die sog "Wettbewerbsklausel" zu erzielen. Letztere bestimmt, wielange Siemens nicht als direkter Konkurrent gegen Areva auf dem Markt auftreten darf. Man spricht von acht Jahren, aber keine der drei Daten ist in Stein gemeiselt. Man wird sich vermutlich rasch auf einen Kompromiss einigen. Verhandlungsteams beider Unternehmen sind schon unterwegs. Am Ende dieses Abnabelungsprozesses wird Siemens ohne nukleare Patente etc. da stehen.

Deswegen hat sich Siemens bereits eine neue Braut ausgeguckt: die Russen! Einige Aufsichtsräte waren darüber schockiert, aber, bei Licht betrachtet, ist diese Allianz durchaus bedenkenswert. Vorallem, weil Siemens den russischen Atomkonzern seit vielen Jahren kennt. Sie haben zusammen den Reaktortyp WWER-640 entwickelt und beim Bau von Kernkraftwerken in China und der Slowakei kooperiert, wo Siemens Betriebsleit- und Sicherheitstechnik geliefert hat. In Russland, Osteuropa und China gibt es einen riesigen Markt für kleinere, flexible Reaktoren und Rosatom bietet - anders als Areva - Siemens eine 50 %-Beteiligung an. Vielleicht entsteht schon bald ein "joint venture" in Kaliningrad, wo sich, wegen der Abschaltung des alten litauischen Kraftwerks, bereits Stromknappheit ankündigt. Weitere potentielle Kunden machen sich in Bulgarien, Tschechien und in der Slowakei bemerkbar. "Die Nachfrage ist riesig" - titelt "Der Spiegel" in einer seiner letzten Ausgaben.

Der Auszug von Siemens setzt Areva unter einen beträchtlichen Stress, denn finanziell steht dieser Konzern beileibe nicht so solide da, wie man vermuten möchte. Im Jahr 2007 betrug der cash-flow minus (!) 2 Milliarden Euro, 2008 musste Areva Nettoschulden in der Höhe von 2,4 Milliarden verkünden und bald werden die Auszahlung des Siemensanteils fällig sowie Mehrkosten beim Finnlandprojekt. Hinzu kommen ehrgeizige Investitionspläne bein nuklearen Brennstoffkreislaufs, die auf 14 Milliarden Euro beziffert werden. Wer soll das alles stemmen? Der französiche Staat als Mehrheiteigentümer wäre als erster gefragt, aber Sarkozy hat bereits abgewinkt. Er ist derzeit selbst klamm und verweist deshalb auf den französischen Turbinenhersteller Alstom, welcher anstelle von Siemens in den Konzern eintreten könnte. Das gefällt der Areva-Chefin Anne Lauvergeon nicht, die damit ihren Einfluss gemindert sähe - aber vermutlich sticht auch in Frankreich der Ober den Unter.

Nochmals zurück nach Deutschland. Die Zukunft der Kernenergie in unserem Lande wird natürlich nicht allein durch Siemens bestimmt. Ganz wichtig ist, ob die Politik den Weiterbetrieb der bestehenden Kernkraftwerke gestattet und ob sie vielleicht sogar den Neubau zulässt. Am allerwichtigsten ist jedoch die Position der Energieversorgungsunternehmer. Niemand kann die EVU zwingen in Deutschland Kernkraftwerke zu betreiben oder gar neue zu bestellen. Sie haben längst ihre Fühler ins benachbarte Ausland ausgestreckt. Der deutsche Markt für Kernkraftwerke ist mittelfristig von der Austrocknung bedroht.

Etwa einen Monat nach Löschers Austrittserklärung hat KIT, das Karlsruher Institut für Technologie, mit Areva NP einen Zusammenarbeitsvertrag abgeschlossen, der vorallem der Ausbildung von jungen Kernforschern dient. Als Aussenstehender fragt man sich, wie das alles zusammen passt? Und wie das nukleare F&E-Programm des Forschungszentrums künftig ausgerichtet werden soll, wenn Siemens und Rosatom als Gemeinschaftsfirma auftreten und nicht grosse EPR- sondern kleine WWER-Kraftwerke anbieten? Wie ist die Position des ehemaligen Kernforschungszentrums Karlsruhe in diesem volatilen Geschäft von Politik, Kraftwerksbauern und EVU? Schwierige Fragen, wer weiss die Antworten?

Vermutlich die Präsidenten des KIT Campus Nord.

1 Kommentar:

  1. Vieleicht sollte man noch dazu sagen, daß Siemens gemäss Vertrag die nächsten sieben Jahre Areva keine Konkurenz im KKW Bau machen darf. Wie blöd muss dieser Vertragsunterschreiber von Siemens gewesen sein?

    AntwortenLöschen