Donnerstag, 26. März 2009

Die Zauberformel des Doktor Li

Es ist wohlbekannt, dass die derzeitige Weltwirtschaftskrise in den USA ihre Anfang nahm. Investmentbanken, Hedgefonds und Private-Equity-Firmen hatten sich auf den Handel mit Krediten gestürzt. Immobilienkredite, Autokredite, Kreditkartenkredite - alles wurde gebündelt, verpackt, versichert und quer über den Globus weiterverkauft. Collaterized Debt Obligations (CDO) hiessen diese Produkte im Börsenslang. Selbst Ausfallrisiken wurden noch zu einem handelbaren Wert: sogenannte Credit Default Swaps (CDS) sollten Investoren absichern, falls die Schuldner in Verzug gerieten.

Mittlerweile ist der Finanzmarkt weltweit zusammengebrochen und die Fachleute suchen nach den Ursachen. Gab es bei den Banken, Versicherern und Ratingagenturen nicht eine Armada an Finanzmathematikern, welche die Risiken dieser Zertifikate auf Kommastellen genau berechnet hatten? Wohl falsch, denn in der Märzausgabe des amerikanischen Wissenschaftsmagazins "Wired" wird die Behauptung aufgestellt, die Wallstreet sei durch eine fehlerhaft angewendete mathematische Formel des Finanzstatistikers Dr. Li zu Fall gebracht worden. Klingt abenteuerlich, ist aber nicht so unwahrscheinlich, wie im Folgenden beschrieben werden soll.

Dr. David X. Li - noch lebend - stammt aus einem bäuerlichen Gebiet in China, hatte in seiner Heimat und in Kanada Statistik und Versicherungsmathematik studiert und arbeitete u.a. bei der Investmentbank JPMorganChase. Im Jahr 2000 veröffentlichte er im "Journal of Fixed Income" seine richtungsweisende Arbeit "On Default Correlation: A Copula Function Approach". Diese Funktionsgleichung - im Rahmen eines Blogs nicht darstellbar - bildete in der Folge die Basis für die Risikobewertung der Wertpapiere und Zertifikate, welche heute zum grössten Teil als unverkäuflicher "Finanzmüll" bei den Banken liegen.

Li´s Zauberformel schien etwas leisten zu können, wonach die US-Banker seit langem händeringend gesucht hatten: die rechnerische Feststellung des Risikos, wenn man eine Vielzahl anonymer Kredite, sozusagen "Kraut und Rüben," zusammen schnürte und verkaufte. Im Kern definierte Li durch seine Gleichung sogenannte Korrelationskoeffizienten als Indikatoren für die Risikobelastung der Banken.

Korrelationskoeffizienten können sich stark ändern, wenn verschiedenartige Risiken gebündelt werden, wie das folgende Trivialbeispiel zeigt. Betrachten wir das Schulmädchen Alice an einer Grundschule in Florida. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ihre Eltern in diesem Jahr scheiden lassen, könnte bei 5 Prozent liegen; das Risiko, das sie Kopfläuse bekommt, möge ebenfalls 5 Prozent betragen. Die Chance, dass sie ihre Lehrerin auf einer Bananenschale ausrutschen sieht, soll auch 5 Prozent betragen und die Wahrscheinlichkeit, dass sie Klassenbeste im Kopfrechnen wird, mag ebenfalls mit 5 Prozent angenommen werden. Das gleiche Quartett an Wahrscheinlichkeiten könnte für das gleichalterige Schulmädchen Britney gelten, welches etwa hundert Kilometer von Alice entfernt wohnt.

Nun aber "bündeln" wir die genannten Risiken, indem wir Alice und Britney nebeneinander auf die Schulbank setzen. Wie sehen die Wahrscheinlichkeiten jetzt aus? Nun, am Scheidungsrisiko für die Eltern von Alice wird sich dadurch nichts ändern, es bleibt bei 5 Prozent. Hier gibt es keine Korrelation, keinen Zusammenhang. Sollte aber Britney Kopfläuse bekommen, dann ist das Risiko für Alice wegen der körperlichen Nähe deutlich gewachsen - vielleicht auf 50 Prozent, entsprechend einem Korrelationsfaktor von 0,5. Wenn Britney die Lehrerin auf einer Bananenschale ausrutschen sieht, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass Alice dies auch mitbekommt, denn sie sitzen ja nebeneinander. Man kann mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent rechnen, also einem Korrelationskoeffizienten nahe bei 1. Schliesslich: sollte Britney Klassenbeste im Kopfrechnen werden, dann ist Alice´Chance für diesen Preis auf Null Prozent gesunken, entsprechend einem Korrelationskoeffizienten von minus 1.

Ein Versicherungsunternehmen, zum Beispiel Lloyds in London, hätte Alice und Britney sicherlich zu einem annehmbaren Tarif auf das Eintreffen dieser vier Ereignisse versichert - vorausgesetzt, sie wären ,wie anfangs, hundert Kilometer auseinander gewohnt. Beim Zusammenrücken auf eine Schulbank wären die Eintrittswahrscheinlichkeiten - und damit die Risiken für die Versicherung - allerdings völlig unübersichtlich geworden und Lloyds hätte vermutlich gepasst oder eine exorbitante Prämie verlangt.

Eine ähnliche Situation lag bei den amerikanischen Kreditgeschäften vor. Das Risiko, etwa des Hypothekenmarkts, ist relativ gut überschaubar, wenn es in einem Gebiet nicht allzuviele Hauskäufer gibt. Einzelne mögen zwar Probleme mit der Rückzahlung ihrer Hypotheken haben, aber die meisten werden ihren Verpflichtungen wohl nachkommen. Das ist jedoch nicht mehr der Fall, wenn "Hinz und Kunz" von cleveren Maklern zum Hauskauf überredet werden, welche sich diese Kreditbelastungen nicht leisten können. Es kommt zu umfassenden Zahlungsausfällen, die sich epidemisch ausbreiten können.

Li´s Finanzformel berücksichtigte diese Extremsituationen nicht, stattdessen ging sie von falschen Korrelationskoeffizienten aus. Deshalb war sie auch in der Anwendung so einfach, was ihre Beliebtheit bei Bankern, Versicherern und Ratinganalysten erklärt. Dabei hat es an Warnungen nicht gefehlt. Der Mathematiker Paul Embrechts von der ETH Zürich hat bereits im Jahr 2001 auf die Diskontinuitäten in den Korrelationen hingewiesen, fand aber kein Gehör.

Dr. David X. Li wurde noch vor wenigen Jahren als kommender Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften an der Wallstreet heiss gehandelt. Nach dem globalen Finanzzusammenbruch ist er Hals über Kopf in sein Geburtssland China zurück geflüchtet und verweigert jedes Interview zu seiner Zauberformel. Aber kann man ihn allein verantwortlich machen für das weltweite Finanzdesaster?


Welche Schuld trifft Newton, wenn jemand seine Bewegungsgesetze falsch interpretiert, zu spät auf die Bremse tritt und so einen folgenschweren Autounfall verursacht?

Sonntag, 22. März 2009

Gestatten, Eidenmüller

Wenn Politiker - sei es aus Altersgründen oder gar vorzeitig - aus dem Amt expediert werden, dann fallen sie zumeist in ein tiefes Loch. Der Machtverlust und der Verlust ihrer über Jahre hinweg lieb gewordenen Infrastruktur (Büro, Sekretärin, Chauffeur) nagt spürbar an ihnen. Die Ehefrau - egal ob Erstfrau, Zweitfrau oder Drittfrau etc. kann da nur partiell eine Hilfe sein, kennt sie ihren Helden doch zumeist auch nur noch aus der Zeitung. Und Freunde hat ein Machtpolitiker ohnehin selten, allenfalls noch Parteifreunde bzw. Parteifeinde. Also: ein neuer Job muss her, nach Möglichkeit ein einflussreicher. Auch, wenn damit ein Frontwechsel verbunden ist.

Am radikalsten hat dies der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder vorgeführt, als er gleich nach seiner Abwahl den Vorsitz im Aufsichtsrat der "North European Gas Pipeline Company" übernahm. Diese in der Schweiz registrierte Gesellschaft gehört zu 51 Prozent dem russischen Staatskonzern Gazprom, der Rest verteilt sich zu gleichen Teilen auf die deutschen Firmen Eon und BASF. Der Wechsel des ex-Kanzlers zum Gazprom-Angestellten wurde weithin als skandalös empfunden, zumal der Staatskonzern auch eine aktive Rolle bei der Gleichschaltung der russischen Medien spielt. Aber, Originalton Schröder, "Putin ist ein lupenreiner Demokrat!"

Für Aufregung sorgte ein kürzlicher Besuch von Schröder beim iranischen Präsidenten Ahmadinedschad. Der Kanzler weigerte sich danach Genaueres zum Inhalt der Unterredung zu sagen. Aber vielleicht hat er sich auch nur als Gasmanager betätigt. Immerhin besitzt der Iran - nach Russland - die zweitgrössten Gasvorräte der Welt.

Ein anderer prominenter Überwechsler war vor zehn Jahren der FDP-Politiker Martin Bangemann. Als mächtiger EU-Kommissar der Brüsseler Behörde war er u. a. zuständig für die Ressorts Industrie und Telekommunikation. Im Jahr 1999, als 64-jähriger, beantragte Bangemann überraschend seine sofortige Beurlaubung, um in den Vorstand des spanischen Telekommunikationskonzerns "Telefonica" überzuwechseln. In der Kommission, unter dem damaligen Chef Santer, kam es zu einem Riesenkrach, weil man Bangemann vorwarf, sich durch den Wechsel in einen Interessenkonflikt zu begeben. Schliesslich kam es zu einem lendenlahmen Kompromiss. Bangemann wurde nicht Vorstand sondern "externer Berater"und versprach brav die "Regeln der Vertraulichkeit für Informationen aus der Kommission" einzuhalten. Na, ja!

Nun kommt es auch in Karlsruhe zu einem Frontwechsel eines FDP-Politikers - allerdings einige Hierarchiestufen niedriger. Dr. Ullrich Eidenmüller, gerade 59 Jahre alt geworden und 24 Jahre in Karlsruhe als Bürgermeister tätig, schien sich in den Ruhestand zu begeben. Zumindest konnte man dies seiner kurzgefassten Autobiografie entnehmen, die durchaus prosaisch angelegt war. Am Anfang und am Ende dieses Büchleins zitierte er Gedichte renommierter Schriftsteller: "...Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne..." (Hermann Hesse), sowie: "...Nach Süden flieg ich übers Meer..." (Friedrich Nietzsche). Das konnte man als subtile Andeutung werten, dass sich Eidenmüller demnächst in der Provence oder an der Côte d´Azur niederlassen würde.

Aber weit gefehlt! Nach einem kurzen Radausflug in nördliche Gefilde mit etlichen Reifenpannen und mehreren veregneten Tagen pedalte der ex-Bürgermeister zurück nach Karlsruhe - um dort eine Aktiengesellschaft zu gründen. In der beschaulichen Douglasstrasse will er demnächst Arztpraxen und sogar ganze Kliniken beraten. "Clinic and Health Care Management AG" heisst seine Firma, welche nun den einträglichen Gesundheitsmarkt bereichern will.

Und da fängt es an, kritisch zu werden. Eidenmüller war nämlich während seiner Bürgermeistertätigkeit mehr als zwei Jahrzehnte für die Karlsruher städtischen Kliniken zuständig. In dieser Eigenschaft überwachte er u.a. die Investitionen dieser Einrichtungen sowie die Berufung der Geschäftsführer und der Direktoren. Lange Zeit war er sogar Aufsichtsratsvorsitzender des Klinikums Karlsruhe GmbH. Nun bietet er sich - gestatten, Eidenmüller - als Berater eben dieser Klinik an. Eidenmüller wird noch die gleiche personelle und finanzielle Struktur vorfinden, für die er sich noch vor wenigen Monaten selbst eingesetzt hat. Das mag juristisch alles in Ordnung sein, aber, mit Verlaub, ein Gschmäckle bleibt trotzdem.

Wahrscheinlich ist sich Dr. Eidenmüller all dessen bewusst. Denn warum sollte er in einem Leserbrief der Karlsruher Zeitung BNN unter der Überschrift "Steuerzahler profitiert am Ende" wohl auch sagen: "Alles, was ich über mein bisheriges Geld hinaus verdienen würde, wird voll von der Pension abgezogen." Das, Herr Doktor, ist mitnichten falsch. Abgezogen wird nur ein Teil und nach Erreichen des 65. Lebensjahres wird - ausser der Steuer, natürlich - überhaupt nichts mehr abgezogen. Dass er den vielen jungen Anwälten die Klienten weg nimmt, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Wenn Eidenmüller sich nach seiner Pensionierung noch geistig und körperlich fit fühlt für eine bezahlte Tätigkeit im Gesundheitsbereich - warum sieht er sich nicht andernorts um?

Zum Beispiel in Paderborn oder Hildesheim?

Sonntag, 15. März 2009

Siemens steigt aus

Die "Ehe" war schon längere Zeit brüchig, deshalb überraschte es niemanden mehr, als es schliesslich zur Trennung kam. Verkündet wurde sie von Peter Löscher, dem Vorstandsvorsitzenden der Siemens AG, anlässlich einer Aufsichtsratssitzung Ende Januar 2009: "Siemens wird sich aus dem deutsch-französischen Atom-Gemeinschaftsunternehmen Areva NP zurückziehen und die Zusammenarbeit spätestens im Januar 2012 beenden."

Die Gründe waren einsichtig. Zu früheren Zeiten war Siemens bei der Kooperation mit Framatome ein geachteter 50 %-Partner und entwickelte zusammen mit diesem französischen Reaktorbauer den Druckwasserreaktor EPR, das Flagschiff der europäischen Kernreaktortechnik. Aber im Jahr 2001 verfügte die französische Regierung die Einbeziehung des nuklearen Brennstoffkreislaufs, gründete den Super-Konzern Areva und Siemens rutschte mit seiner Beteiligungsquote auf 34 Prozent ab. Aus dem gleichberechtigten Partner war ein Minderheitspartner ohne echten Einfluss geworden. Die strategischen Entscheidungen wurden allein von Areva in Paris getroffen, wobei dieser Konzern inzwischen zu 84 Prozent dem französischen Staat gehörte.

Siemens fehlt auch der Einfluss beim Bau des 1600 MW- Kraftwerks in Finnland. Dieses Gemeinschaftskraftwerk mit dem unaussprechlichen Namen "Olkiluoto" läuft schlecht. Man muss mit drei Jahren Terminverzug rechnen und mit fast drei Milliarden Euro Mehrkosten. Projektführer ist Areva, dem Minoritätspartner Siemens bleibt nichts weiter übrig, als sich an den Verlusten zu beteiligen und die Faust in der Tasche zu ballen.

Die Herauslösung von Siemens aus dem Areva-Konzern ist ein kompliziertes Geschäft und ein Eldorado für Juristen. Drei Punkte sind dabei von besonderer Bedeutung: es muss der Preis gefunden werden, welchen Areva für die Siemensanteile zu bezahlen hat (derzeit auf 2,1 Milliarden Euro abgeschätzt); weiterhin muss der Zeitpunkt der Trennung vereinbart werden (2012 oder früher) ; schliesslich ist Einigung über die sog "Wettbewerbsklausel" zu erzielen. Letztere bestimmt, wielange Siemens nicht als direkter Konkurrent gegen Areva auf dem Markt auftreten darf. Man spricht von acht Jahren, aber keine der drei Daten ist in Stein gemeiselt. Man wird sich vermutlich rasch auf einen Kompromiss einigen. Verhandlungsteams beider Unternehmen sind schon unterwegs. Am Ende dieses Abnabelungsprozesses wird Siemens ohne nukleare Patente etc. da stehen.

Deswegen hat sich Siemens bereits eine neue Braut ausgeguckt: die Russen! Einige Aufsichtsräte waren darüber schockiert, aber, bei Licht betrachtet, ist diese Allianz durchaus bedenkenswert. Vorallem, weil Siemens den russischen Atomkonzern seit vielen Jahren kennt. Sie haben zusammen den Reaktortyp WWER-640 entwickelt und beim Bau von Kernkraftwerken in China und der Slowakei kooperiert, wo Siemens Betriebsleit- und Sicherheitstechnik geliefert hat. In Russland, Osteuropa und China gibt es einen riesigen Markt für kleinere, flexible Reaktoren und Rosatom bietet - anders als Areva - Siemens eine 50 %-Beteiligung an. Vielleicht entsteht schon bald ein "joint venture" in Kaliningrad, wo sich, wegen der Abschaltung des alten litauischen Kraftwerks, bereits Stromknappheit ankündigt. Weitere potentielle Kunden machen sich in Bulgarien, Tschechien und in der Slowakei bemerkbar. "Die Nachfrage ist riesig" - titelt "Der Spiegel" in einer seiner letzten Ausgaben.

Der Auszug von Siemens setzt Areva unter einen beträchtlichen Stress, denn finanziell steht dieser Konzern beileibe nicht so solide da, wie man vermuten möchte. Im Jahr 2007 betrug der cash-flow minus (!) 2 Milliarden Euro, 2008 musste Areva Nettoschulden in der Höhe von 2,4 Milliarden verkünden und bald werden die Auszahlung des Siemensanteils fällig sowie Mehrkosten beim Finnlandprojekt. Hinzu kommen ehrgeizige Investitionspläne bein nuklearen Brennstoffkreislaufs, die auf 14 Milliarden Euro beziffert werden. Wer soll das alles stemmen? Der französiche Staat als Mehrheiteigentümer wäre als erster gefragt, aber Sarkozy hat bereits abgewinkt. Er ist derzeit selbst klamm und verweist deshalb auf den französischen Turbinenhersteller Alstom, welcher anstelle von Siemens in den Konzern eintreten könnte. Das gefällt der Areva-Chefin Anne Lauvergeon nicht, die damit ihren Einfluss gemindert sähe - aber vermutlich sticht auch in Frankreich der Ober den Unter.

Nochmals zurück nach Deutschland. Die Zukunft der Kernenergie in unserem Lande wird natürlich nicht allein durch Siemens bestimmt. Ganz wichtig ist, ob die Politik den Weiterbetrieb der bestehenden Kernkraftwerke gestattet und ob sie vielleicht sogar den Neubau zulässt. Am allerwichtigsten ist jedoch die Position der Energieversorgungsunternehmer. Niemand kann die EVU zwingen in Deutschland Kernkraftwerke zu betreiben oder gar neue zu bestellen. Sie haben längst ihre Fühler ins benachbarte Ausland ausgestreckt. Der deutsche Markt für Kernkraftwerke ist mittelfristig von der Austrocknung bedroht.

Etwa einen Monat nach Löschers Austrittserklärung hat KIT, das Karlsruher Institut für Technologie, mit Areva NP einen Zusammenarbeitsvertrag abgeschlossen, der vorallem der Ausbildung von jungen Kernforschern dient. Als Aussenstehender fragt man sich, wie das alles zusammen passt? Und wie das nukleare F&E-Programm des Forschungszentrums künftig ausgerichtet werden soll, wenn Siemens und Rosatom als Gemeinschaftsfirma auftreten und nicht grosse EPR- sondern kleine WWER-Kraftwerke anbieten? Wie ist die Position des ehemaligen Kernforschungszentrums Karlsruhe in diesem volatilen Geschäft von Politik, Kraftwerksbauern und EVU? Schwierige Fragen, wer weiss die Antworten?

Vermutlich die Präsidenten des KIT Campus Nord.

Sonntag, 8. März 2009

Sehenswerte "art Karlsruhe"

Überall fallieren die Kunstmessen - nur die "art Karlsruhe" bleibt davon unberührt. Sie steht fest wie ein Fels in der Brandung! Die für April geplante Düsseldorfer Messe für Gegenwartskunst, die "düsseldorf contemporary" (dc), wurde kurzfristig abgesagt; gleiches gilt für die vor erst zwei Jahren gegründete Frankfurter "Fine Art Fair". Selbst die Mutter aller Kunstmessen, die berühmte "Art Cologne", dümpelt unter dem Streit des Kölschen Klüngels nur noch so dahin. Demgegenüber wird die art Karlsruhe nun schon zum 6. Mal in ununterbrochener Reihenfolge, veranstaltet. Aus einer vorher kaum wahrgenommenen regionalen Messe ist eine "deutsche" Kunstmesse geworden, die sogar ins benachbarte Ausland ausstrahlt. Was anfangs für Kunstfreunde und Sammler ein Geheimtipp war, ist nun zu einem Pflichttermin geworden.

Und der Erfolg hat einen Namen: Ewald Karl Schrade. Er begründete die art Karlsruhe im Jahr 2004, gerade als die Ausstellungshallen der Neuen Messe in Rheinstetten zur Verfügung standen. Er erkannte den Wert dieser grossen, lichtdurchfluteten Hallen - ohne störende Stützen - für die Platzierung von Kunstwerken, insbesondere bei raumgreifenden Skulpturen. Bis heute ist Schrade unangefochtener Chefkurator und Projektleiter der art. Er sorgt sich um das (stets steigende) künstlerische Niveau, aber auch um die so wichtige finanzielle Seite. Noch stets hat er bei seinen Veranstaltungen eine "schwarze Null" geschrieben - und das, ohne öffentliche Gelder zu beanspruchen. Seine Vertragspartner auf der ansonsten defizitären Neuen Messe waren Legion; hier sei nur die "Strecke" der städtischen Geschäftsführer genannt, mit denen Schrade bisher verhandelte: Pflaum, Hähnel, Wohlfart, Böse, Hoffmann - und dieses Jahr war es die sympathische Frau Dr. Britta Wirtz.

Schrade hat nicht zugelassen, dass die art Karlsruhe zu einem Experimentierfeld für Kuratoren wurde. Was gezeigt wird ist eine ausbalancierte Mischung aus klassischer Moderne und Gegenwartskunst. Picasso, Richter und HAP Grieshaber mischen sich mit jüngeren Künstlern der Gegenwart. Einer von ihnen ist Fabrizio Plessi, der eine aufgerichtete venezianische Gondel zeigt, auf deren Boden fliessendes (TV-) Wasser zu sehen ist; sein berühmtestes Objekt, das Mühlenrad, gehört zu den beliebtesten Schaustücken des Karlsruher Museums ZKM. Ein besonders skurriler Künstler der jungen Generation ist Stefan Strumbel aus dem badischen Offenburg. Er gestaltet überdimensionale Schwarzwälder Kuckucksuhren (in Plastik gegossen), bemalt sie mit leuchtenden Farben und gibt ihnen einen Appendix bei - zum Beispiel eine Handgranate! Strumbel war in seiner Jugend Graffitisprayer, weshalb man ihn der "Street Art" zurechnet, mit einem leichten Touch "Heimat".

Besonders gefördert werden in Karlsruhe seit eh und je die Skulpturen. Zwischen den klassischen Kojen gibt es etwa ein Dutzend offene, weiträumige Skulpturenplätze, wo Plastiken und Videoinstallationen gezeigt werden können. Eine weitere Karlsruher Spezialität sind die "One Artist"-Präsentationen, in der die Gallerien auf mindestens 25 Quadratmetern nur die Werke eines einzigen Künstlers ausstellen. Sehenswert war auch der "Berliner Block", eine Akkumulation von ca. 30 Berliner Gallerien, inmitten der Halle 4. Und, nicht unwichtig: in allen Hallen geschmackvolle, kuschelige Bistros für den kleinen Hunger zwischendurch.

Zur Eröffnung und Vernissage der diesjährigen art Karlsruhe kam sogar hoher Besuch aus der Bundeshauptstadt. Kulturstaatsminister Bernd Neumann fand freundliche Worte und stellte den Ankauf verschiedener Werke in Aussicht. Wow! Das zahlreich erschienene Publikum - die Damen oft hip und chic gekleidet - schien das Ambiente und den Trubel zu geniessen. Bei einer Kunstmesse scheint sich das Heterogene zu homogenisieren; selbst krudeste Gegensätze sind plötzlich vereinbar.

Zwischendurch hörte man immer wieder Ausrufe, wie "...und das soll Kunst sein?", was uns daran erinnert, dass die berühmte Frage "Was ist Kunst?" immer noch nicht überzeugend beantwortet ist. Und das, obwohl sich viele daran versucht haben. Zum Beispiel der tiefsinnige deutsche Philosoph Theodor W. Adorno, der definierte: "Kunst ist Magie, befreit von der Lüge Wahrheit zu sein." Kapiert? Wenn nicht, dann empfehle ich Karl Valentin: "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit". Schlitzohrig hat er sich an der wirklichen Frage vorbei gedrückt. Wie auch E. H. Gombrich, der Grandseigneur der Kunstgeschichte. Er behauptet sogar, dass es die Kunst gar nicht gäbe und fügt dann hinzu:

"Es gibt nur Künstler".

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Angaben gemäß § 5 TMG:

Dr. Willy Marth
Im Eichbäumle 19
76139 Karlsruhe

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