Mittwoch, 24. Dezember 2008

52 Wochen "Rentnerblog"

Kinder, wie die Zeit vergeht!

Beim letzten Weihnachtsfest 2007 habe ich mit dem Bloggen begonnen und den ersten Post - wie man diese Essays nennt - ins Internet gestellt. Und jetzt, nach exakt 52 Wochen, ist dies - exakt - bereits mein 52. Post.

Die Themen finde ich zuhauf; ich brauche nicht lange danach zu suchen. Bei Gesprächen mit Freunden, beim Besuch von Gerichtsverhandlungen oder Seminaren an der Uni oder schlicht beim Zeitungslesen stosse ich immer wieder auf Themen, über die es sich lohnt zu schreiben. Die Liste der "Labels" ist vielfältig und auf der rechten Seite dieses Posts zusammen gestellt. Ich blogge eben,wie in der Überschrift angekündigt, "über Gott und die Welt". Meist befasse ich mich (gedanklich und über mehrere Wochen hinweg) mit zwei bis drei verschiedenen Themen gleichzeitig und entscheide erst gegen Wochenende, welches ich ausarbeite und am Sonntag abend ins Netz stelle, damit meine "Kundschaft" am Montag früh etwas zu lesen hat. Aktuelle Ereignisse, wie KIT, ITER oder CERN-LHC haben da natürlich den Vorrang. Die Recherche der Fakten und Hintergründe kostet die meiste Zeit. Ich versuche dabei so genau wie möglich zu sein, obwohl ich auf die Literaturangaben bewusst verzichte. Schliesslich schreibe ich ja keine Publikationen, sondern persönlich gehaltene Aufsätze.

Die Reaktionen der Leser erreichen mich zumeist über Telefonate oder persönliche Emails; selten über Kommentare am Ende des Posts. Dies gilt insbesondere bei Themen, die das Forschungszentrum berühren, also z.B. bei KIT, wo aber gleichzeitig das Interesse, gemessen an den Zugriffszahlen, am höchsten ist. Da kann man sich schon so seine Gedanken machen.

Es freut mich, dass der "Rentnerblog" inzwischen auch über die Suchmaschine Google - ganz oben - gefunden und angeklickt werden kann. Die etwas umständliche Internetadresse
http://rentnerblog.blogspot.com gilt zwar weiterhin, aber "googln" ist wohl einfacher. Wie lange ich dieses Hobby des Bloggens noch weiter betreiben werde, vermag ich derzeit nicht zu sagen. Ich setze mich da nicht unter Druck. Sobald es mir keinen Spass mehr macht oder mir die Ideen ausgehen sollten, höre ich einfach auf. Ich bin mein eigener Herr. Aber für einige Monate habe ich noch ein wohlgefülltes "cache".

In der nächsten Woche bricht ein Neues Jahr an, das - wegen der Finanzkrise - spannend aber gleichzeitig auch etwas unheimlich zu werden verspricht. Meiner treuen Lesergemeinde wünsche ich trotzdem von Herzen alles Gute, insbesondere Gesundheit und Zufriedenheit.

In dieser Reihenfolge.

Freitag, 19. Dezember 2008

Diese Nobelpreisträger

Da tourt der Wirtschaftsprofessor Paul Krugmann durch Europa, legt einen Kurzstopp in Deutschland ein und wirft in einem Spiegel-Interview der Bundeskanzlerin Merkel und der deutschen Regierung "Dummheit" beim Umgang mit der Finanzkrise vor. Starker Tobak, der wohl kaum Qualm ausgelöst hätte, wäre Krugmann nicht gleichzeitig der diesjährige Nobelpreisträger für Wirtschaft.

Wenn Banken, Anleger, Ratingagenturen und Regierungen so global und total versagt haben, dann lohnt es sich möglicherweise unseren Top-Wissenschaftlern zuzuhören. Praktischerweise gibt es für die Wirtschaftswissenschaften einen eigenen Nobelpreis, den zwar nicht Alfred Nobel, sondern (erst vor 40 Jahren) die Schwedische Reichsbank gestiftet hat. Damals hatten die Banken noch Geld!

Die Liste der bisherigen Nobelpreisträger ist sehr heterogen. Von den 62 Laureaten kommt die Mehrzahl aus den USA (41) und aus Grossbritannien (7). Deutschland ist, wie Österreich und Indien, nur ein einziges Mal in dieser Nationenliste vertreten. Seltsam, könnte man meinen und Seltsam bzw. Professor Dr. Reinhard Seltsam heisst auch unser Mann, der zum Zeitpunkt der Preisverteilung an der Universität Bonn lehrte. Eigentlich ist er studierter Mathematiker, der die Erkenntnisse der Spieltheorie später auf die Volkswirtschaft anwendete. Mittlerweile (da Jahrgang 1930) ist er emeritiert, will aber trotzdem nächstes Jahr bei der Europawahl als Spitzenkandidat bei der bislang obskuren Liste "Europa - Demokratie - Esperanto" antreten. Letzteres deutet auf sein zweites Hobby hin: die Verbreitung der Kunstsprache Esperanto.

Durchmustert man das Portfolio der Themen, mit denen sich unsere Nobelpreisträger vorrangig beschäftigt haben, dann kommt man auf ein gutes Dutzend Bereiche. Immer wiederkehrend sind die Titel Wachstum, Konjunkturzyklen, Märkte und Beschäftigung, um die sich vielfältige Theorien ranken. Nahezu reine Mathematik sind die ökonometrischen Modelle und die Spieltheorien, mit denen man die Verhaltensweisen der Marktteilnehmer simulieren will. Deutlich im Vordergrund steht die Real- und Güterwirtschaft; Begriffe wie Derivate, Zertifikate oder gar "sub-prime" sucht man jedoch vergebens. Was, der Himmel, haben unsere Nobelwissenschaftler geforscht, als sich - so ab dem Jahr 2004 - die globale Finanzkrise über unseren Köpfen zusammenbraute? Warum haben sie nicht die Sturmglocke geläutet und uns Nichtsahnende gewarnt? Vermutlich, weil der Finanz- und Börsensektor in ihren Überlegungen eben nur eine geringe Rolle spielte.

Mit einer bemerkenswerten Ausnahme: der Amerikaner James Tobin erhielt 1981 den Nobelpreis für die Analyse spekulativer Währungstransaktionen. Zur Lenkung dieser Geldströme schlug er eine Steuer vor, die sogleich als "Tobin-Tax" von den Börsianern heftig angegriffen wurde, weswegen es auch nie zu deren Einführung kam. Übrigens hat sie vor einigen Jahren ein Jülicher Professor - der Kernphysiker(!) Otto Schult - wieder aufgegriffen und im Rahmen seiner sehr interessanten "Dämpfungstheorie" auf die Gesamtheit der weltweiten Geldtransaktionen übertragen.

Kehren wir zurück zu Paul Robin Krugmann, welcher den deutsch klingenden Namen seinem jüdischen Grossvater verdankt, der aus Weissrussland in die USA einwanderte. Den Nobelpreis 2008 erhielt Krugmann für seine Arbeiten zur "ökonomischen Geografie", in denen er sich detailliert mit Aussenhandel und Transportkosten auseinander setzte. Kapitalströme und Konjunkturpolitik - mit denen er sich in die gegenwärtige Politikdebatte einmischt - sind nicht eigentlich sein Ding. Aber was soll's. Als Volkswirtschaftsprofessor an der Universität Princeton ist er sozusagen allrounder. Und ein Zubrot verdient er sich noch als Kolumnist der "New York Times". Für diese, bekanntermassen nicht immer deutschfreundliche Zeitung, schreibt er jede Woche einen (knackigen) Artikel zur Weltwirtschaft.

Da kann Frau Merkel - siehe oben - schon mal ne Schramme abbekommen.

Mittwoch, 10. Dezember 2008

Fehlstart bei ITER

Beim Fusionsreaktor ITER, mit dem das "Sonnenfeuer auf die Erde" geholt werden sollte, hat man sich einen kapitalen Fehlstart geleistet. Statt - wie bisher beabsichtigt - im kommenden Jahr 2009 endlich mit dem Bau dieser Maschine im südfranzösischen Cadarache zu beginnen, ist man jetzt gezwungen, wesentliche Teile der Anlage von Grund auf neu zu konzipieren. Mit horrenden Auswirkungen auf die Baukosten und den Terminplan des Projekts.

Kurz vor Baubeginn nämlich machten die Physiker eine unliebsame Entdeckung: ausgerechnet in der Nähe der zu schützenden Reaktorwand zeigte das höllenheisse Plasma nicht tolerierbare Instabilitäten. Nervöse Zuckungen des überhitzten Wasserstoffgases hätten die sog. Erste Wand im Betrieb weitaus stärker angegriffen, als bisher vermutet. Um diese Instabilitäten im Zaum zu halten, erwägt man nun den Einbau zusätzlicher Magnetspulen. Das aber kostet nicht nur Zeit und Geld, sondern zieht auch einen ganzen Rattenschwanz von Änderungen nach sich. Wahrscheinlich muss die Auslegung der Reaktorkammer (des Tokomak) von Grund auf überarbeitet werden.

Nicht ausreichend bedacht hatte man auch die Erdbebensicherheit des Reaktorgebäudes und seiner Einbauten. Das muss jetzt nachgeholt werden und verursacht einen hohen Aufwand. Vorallem deswegen, weil die Experten für solch komplexe Rechnungen weltweit sehr knapp sind und die Analysen sehr viel Zeit benötigen. Hinzu kommt, dass für die Kraftableitungen eine Vielzahl sperriger Dämpfer und Hänger erforderlich sein werden, wofür bei dem jetzt schon herrschenden Gedränge der Komponenten kaum ausreichend Platz vorhanden ist.

Beachtliche Mehrkosten zeichnen sich auch beim atomrechtlichen Genehmigungsverfahren ab. Hiervor hat die ITER-Gemeinde bisher weitgehend die Augen verschlossen - nach dem Motto: "wir produzieren doch nur saubere Energie". (Im Gegensatz zu den Kerntechnikern!) Aber davon kann natürlich keine Rede sein. Ein ausgewachsenes Fusionskraftwerk erzeugt mindestens genau so viel Radioaktivität - möglicherweise sogar um ein Vielfaches mehr - wie ein gleichgrosses Kernkraftwerk. Es produziert, zugegebenermassen, keine Transurane; aber der Umgang mit dem volatilen Tritium will auch gelernt sein. Ein grosses Manko ist, dass die ITER-Mannschaft bisher nur über wenige Strahlenschutzexperten verfügt, während die Genehmigungsseite eine Vielzahl erfahrener Fachleute aufbieten kann, welche heikle Fragen stellen werden.

Eine unabhängige, internationale Gruppe prüft seit mitte d. J. die Auswirkungen dieser Mehraufwendungen (zu denen noch gestiegene Preise für Rohstoffe und Energie kommen) auf die Baukosten des Projekts und seinen Terminplan. Das Ergebnis ist offensichtlich schaudererregend, weswegen man es noch unter der Decke zu halten versucht. Aber, wie nicht anders zu erwarten bei einem Projekt mit so vielen Partnern: es ist bereits einiges durchgesickert. So wird - unwidersprochen - der deutsche (stellvertretende) ITER-Direktor damit zitiert, dass sich die Gesamtkosten des Fusionsreaktors von 5 auf 10 Milliarden Euro "verdoppeln könnten". und die renommierte englische Fachzeitschrift "Nature" berichtet von einer absehbaren Terminverzögerung von 3 Jahren.

Bei Euratom in Brüssel ist man bereits in heller Aufregung. Der dort für ITER zuständige Forschungsdirektor Octavi Quintana-Trias sagte kürzlich bei einer Fachtagung in Rostock unverblümt:

"Wenn ITER scheitert, dann ist die Kernfusion tot."

Sonntag, 7. Dezember 2008

Die Sache mit der Grundlast

In der Energiediskussion geht seit Jahren vieles durcheinander. Die Annahme, man könne im Laufe der nächsten 10-12 Jahre alle deutschen Kernkraftwerke stillegen und durch erneuerbare Energie, insbesondere Windstrom ersetzen, hält sich hartnäckig. Dies ist ein bedauerliches Missverständnis, denn es trägt nicht den Bedürfnissen der Grundlastversorgung Rechnung.

Was ist die elektrische Grundlast? Es ist diejenige Netzbelastung, die während eines 24-Stunden-Tages im Stromnetz nicht unterschritten wird. Die Schweizer bezeichnen sie sehr anschaulich als "Band-Energie". Da der niedrigste Stromverbrauch meist nachts auftritt, wird die Grundlast bestimmt von Industrieanlagen, die nachts produzieren, von der Strassenbeleuchtung sowie von den Dauerverbrauchern in Gewerbe und Haushalt, z.B. den Kühlschränken. Die Stromschwankungen im Tagesverlauf bezeichnet man als Mittellast; aussergewöhnliche Verbrauchsspitzen stellen die Spitzenlast dar.

Ca. 60% des Stroms in den elektrischen Netzen ist Grundlaststrom. Er wird zur Hälfte (50%) von den Kernkraftwerken erzeugt, 44% liefern die Braunkohlekraftwerke und die restlichen 6% steuern die Laufwasserkraftwerke an den Flüssen bei. Die zentrale Frage ist: "Kann man bis zum Jahr 2020 diese Kernkraftwerke abschalten und den fehlenden Atomstrom aus regenerativen Anlagen (Windräder, Solaranlagen) ersetzen"? Die Sonnenfreunde werden mit einem freudig schallenden "Ja" antworten, ich setze ein bedächtiges "Nein" dagegen und will es erläutern.

Im Kern liegt meine Skepsis darin begründet, dass man Kraftwerke nur durch gleichartige Kraftwerke ersetzen kann. Grundlastkraftwerke (Atom, Braunkohle, Laufwasser) kann man nur durch Grundlastkraftwerke ersetzen; Mittellastkraftwerke (z.B. Gas, Steinkohle) und Spitzenlastkraftwerke (z.B. Pumpspeicherkraftwerke) muss man durch Mittellast- bzw. Spitzenlastkraftwerke ersetzen. Die deutschen Kernkraftwerke sind "Dauerläufer", welche normalerweise 8.000 und mehr Stunden pro Jahr mit nomineller Leistung (z.B. 1.200 MW) in Betrieb sind. Windräder schalten gewöhnlich mehrmals am Tag (ungeplant) ab und von Solarmoduls brauchen wir gar nicht erst zu reden. Ihre Stromausbeute ist so gering, dass sie derzeit nur mit 0,3 % zum deutschen Stromangebot beitragen. Man sollte sie, angesichts ihrer hohen Kosten, besser als Kapitalvernichtungsmaschinen bezeichnen.

In Deutschland sind gegenwärtig Windmühlen mit einer Gesamtleistung von 21.000 MW aufgebaut. Das ist ziemlich genau die Leistung der abzuschaltenden Kernkraftwerke. Aber die Leistung der Windräder steht nur auf dem Papier. Die wirklich ins Netz eingespeiste Leistung ist gerade mal 10 % der installierten Leistung! Und an dieser unsteten Stromlieferung wird sich auch in Zukunft nichts ändern, denn der Wind weht nun mal wie er will. So lieferten beispielsweise die Windmühlen im Oktober 2007 gerade mal an 2 Tagen über wenige Stunden etwa ein Drittel der nominellen Leistung, an weiteren 2 Tagen knapp ein Fünftel. Obwohl der daraufolgende November sehr windreich war gab es Tage, an denen die Windradleistungen drastisch abfielen. Noch schlechter sah es zum Jahreswechsel 2007/2008 aus: wegen der grossräumigen Inversionslage tendierte die Netzeinspeisung gegen Null.

Trotzdem gingen die Lichter nicht aus, weil konventionelle Kraftwerke bereit standen, um dieses Windmanko auszugleichen. Dabei müssen Steinkohlekraftwerke, selbst bei hoher Windeinspeisung, ständig mit gedrosselter Leistung - d.h. mit schlechtem Wirkungsgrad - parat stehen, um bei Windflauten hochgefahren zu werden.

Und diese sinnlose Förderung des Windstroms soll weiter gehen. Nach den Vorgaben der Bundesregierung sollen im Jahr 2020 über 30.000 MW an installierten Windrädern bereit stehen, eine Reihe davon (unerprobt) off-shore in der Nordsee. Aber selbst wenn BMU Gabriel auf 100.000 MW zielen würde, das grundsätzliche Problem der unzuverlässigen Stromlieferung könnte er damit nicht beseitigen. Im Gegenteil, immer drängender wird der Bau neuer Stromtrassen von der Küste zu den industriellen Grossverbrauchern im Westen und Süden - bei der gegenwärtigen Genehmigungspraxis eine Aufgabe für Jahrzehnte. Da es den Energieversorgungsunternehmen (EVU) gestattet ist, alle Kosten der erneuerbaren Energieerzeugung auf die Stromverbraucher umzulegen, darf man sich auf jährlich steigende Stromrechnungen geafsst machen.

Zusammenfassend muss man leider sagen, dass die deutsche Energiepolitik seit 10 Jahren von einer Schar von Ideologen und Laienspielern bestimmt wird. Mit der Ersatzreligion "Klimakatastrophe" haben sich unsere Politiker in eine ausweglose Falle manöveriert. Wird am Atomausstieg festgehalten, so sind die EVU gezwungen Strom aus französischen und tschechischen (!) Kernkraftwerken zu importieren. Und wir Endkunden dürfen uns auf unablässig steigende Preise einstellen.

Dienstag, 25. November 2008

Chicago und Genf im Wettlauf

Die Inbetriebnahme des Large Hadron Collider (LHC) am CERN bei Genf wünschte er sich als krönenden Abschluss: der französische Gerneraldirektor Robert Aymar, dessen Amtszeit mit Ablauf des Jahres 2008 enden wird. Die Protonenpakete durch den 27 Kilometer langen Beschleunigerring zu fädeln, gilt als das "experimentum crucis". Dessen Gelingen würde die 20-jährige Planungszeit und die 8-jährige Bauzeit des LHC symbolisch beenden und die lang ersehnte Experimentierphase eröffnen.

Am 10. September 2008 gab der Projektleiter Lyn Evans grünes Licht für diese Prozedur. Zur Feier des Tages trug er ostentativ Jeans und ein kurzärmliges Hemd. (Sonst erscheint er regelmässig in Shorts und T-Shirt zur Arbeit). Und das Vorhaben gelang. Tausende fein justierter Magnete bogen und fokussierten den Protonenstrahl derart exakt, dass er auf dem langen Parcours nirgendwo gegen eine Wand stiess. Und als am Nachmittag die Protonenpakete auch sicher durch das zweite Strahlrohr liefen - diesmal entgegen dem Uhrzeigersinn - gab es bei den Tausenden von Mitarbeitern kein Halten mehr. Man lag sich in den Armen und Champagner war angesagt. Die Erfolgsmeldung ging über alle Ticker und für den 21. Oktober wurden die Vertreter aller am CERN beteiligten Länder zur Feier der offiziellen "LHC-Inauguration" eingeladen. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte spontan zu und wurde sogar mit der Festrede geehrt - vor 2000 geladenen Gästen. Immerhin ist Deutschland der grösste Partner bei CERN und finanziert satte 20 % des Jahresbudgets von 650 Millionen Euro. (Trotzdem ist Deutsch, im Gegensatz zu Englisch und Französisch, nicht Projektsprache. Warum eigentlicht nicht?)

In den folgenden Tagen wurde der Probebetrieb fortgesetzt, aber am 19. September - einem Freitag, wer würde da nicht abergläubisch werden - passierte das Unfassbare. Die Messgeräte registrierten Arges und ausgesandte Suchtrupps in Schutzanzügen stellten bald im Sektor 3-4 des Tunnels schlimme Zerstörungen fest. Mehrere Tonnen flüssiges Helium waren aus einem Leck entwichen und dabei verdampft. Dutzende von Dipol- und Quadrupolmagnete, tonnenschwer und bis zu 15 Metern lang, lagen verschmort und aus ihren Verankerungen gerissen umher. Viele der vorher hochreinen Bereiche waren mit einer Art Russ bedeckt. Die Ursache dieses Störfalls war schnell gefunden: eine defekte elektrische Verbindung zwischen zwei Magneten produzierte einen Spannungsabfall und kurz darauf einen elektrischen Lichtbogen, der den Heliumkryostaten durchschlug und die genannten Kollateralschäden verursachte. ( Die früheren LHC-Versuche hatte man mit geringerer Leistung gefahren, weswegen die Anlage wohl gerade noch gehalten hatte).

An eine Fortsetzung der Inbetriebnahmeversuche ist unter diesen Umständen nicht mehr zu denken. Die Reparatur des LHC wird ein Jahr oder auch länger dauern; der (zusätzliche) Kostenaufwand wird derzeit auf 20 Mio Euro abgeschätzt. Das ist insbes. deswegen schlimm, weil das CERN bereits jetzt wegen diverser anderer Kostenüberschreitungen verschuldet ist. In drei Jahren will man diese Kredite aus dem normalen Budget zurückzahlen. Eine grosse Aufgabe für den Chief Finance Officer, dessen Karriere beim KfK in Karlsruhe begonnen hat.

Noch schlimmer ist der psychologische Schock bei den Mitarbeitern, insbesondere den Experimentatoren. Diesen läuft nämlich kostbare Zeit davon. Sie wollten die Riesenmaschine u.a.dafür nutzen, um ein geheimnisvolles Teilchen aufzustöbern, das sog. Higgs-Teilchen. Es ist benannt nach dem schottischen Physiker Peter Higgs, der es vor gut 40 Jahren postuliert hat und welches den bislang bekannten 24 Kernteilchen ihre Masse verleiht. Ein geradezu charismatisches Teilchen; wer es als Erster findet, dem ist der Nobelpreis sicher - neben Peter Higgs, der mittlerweile auch schon 80 Jahre alt geworden ist.

Aber die Genfer Physiker sind nicht allein. Sie stehen im Wettlauf mit ihren Kollegen am Fermilab in Chicago. Diese besitzen mit dem Tevatron zwar nur einen leistungsschwächeren Beschleuniger, der aber den Vorteil hat, dass er gut läuft. Und die amerikanische Regierung hat kürzlich auch noch Finanzmittel bis zum Jahr 2010 bereitgestellt. Bis dorthin können die US-Physiker noch viel Strahlzeit akkumulieren und, wer weiss, vielleicht stossen sie bei der Analyse ihrer Datenberge schon bald auf das mysteriöse Higgs-Boson - während in Genf noch dekontaminiert und geschlossert wird.

Anzeichen für eine baldige Entdeckung dieses Partikels gibt es schon seit einiger Zeit. Immer wieder breschen einzelne Physiker des Fermilabs mit privaten Blogs vor, in denen sie interessante und neuartige Versuchsergebnisse veröffentlichen. So scheint es ziemlich sicher zu sein, dass die Higgs-Teilchen eine Masse unterhalb von 170 GeV besitzen. Solche Vorveröffentlichungen sind eigentlich gegen den Ehrenkodex der Wissenschaft und deshalb versucht das Management des Fermilabs sie zu unterbinden. In Genf setzt man die sog. Standardabweichung auf 5 sigma fest, d.h. eine zufällige Fluktuation hätte dann nur noch die geringe Wahrscheinlichkeit von 0.0001 Prozent. Man wird sehen, wie dieser Wettlauf ausgeht; die nächsten Monate und Jahre werden spannend.

An der Einweihungsfeier am 21. Oktober hielt Chefmanager Aymar eisern fest, auch wenn der Beschleuniger unter den Füssen der geladenen Gäste still lag. Der kurze Festakt fand auf der Frankreich zugehörigen Seite des CERN-Geländes, in einer vorher leergefegten, gleichwohl festlich dekorierten Werkhalle statt. Wohlgesichert durch die französische Polizei!

Viele der CERN-Forscher aber waren sichtbar verärgert, weil ihrer Meinung nach der Beschleuniger überstürzt in Betrieb genommen wurde und es dadurch zu der folgenschweren Panne gekommen ist. In mehreren Schweizer Zeitungen (u.a. Tribune de Geneve, Sonntag) wird der scheidenden Generaldirektor unverblümt harter Kritik unterzogen. Ein zu ehrgeiziger Terminplan habe zu übertriebenem Zeitdruck geführt, dem die Qualitätskontrolle zum Opfer fiel. Oder: er habe sich vor seinem Abgang noch ein persönliches Denkmal setzen wollen. Auch sein autoritärer Führungstil (mit dem er bereits als ehemaliger ITER-Projektleiter angeeckt ist) und sein nichtkommunikatives Verhalten kam bei den Professoren und Forschern des Experimentierbetriebs denkbar schlecht an. Diese trifft der zeitliche Rückschlag beim LHC ganz besonders, da viele Anstellungsverträge befristet sind und demnächst auslaufen. Im Kern sieht man das Problem darin, dass Aymar zu wenig Sachkenntnis auf dem Beschleunigergebiet mitbrachte und das Projekt mit zu grossem persönlichen Ehrgeiz betrieben hat.

Bundeskanzlerin Merkel liess sich übrigens für die Inaugurationsparty entschuldigen, womit sie wieder einmal ihr politisches Sensorium bewies. Ihren Part übernahm die Forschungsministerin Annette Schawan. Sie stellte auch Aymars Nachfolger, den Deutschen Rolf-Dieter Heuer vor, der CERN ab Januar 2009 als Generaldirektor leiten wird. Er ist damit erst der zweite Deutsche in dieser Funktion, fast genau 20 Jahre nach Herwig Schopper. Viele erwarten von Heuer, dass er als ehemaliger DESY-Forscher mehr Sachkunde einbringt und den autoritären Führungsstil seines Vorgängers abschafft.

Apropos: Bereits zu Schoppers Zeiten fanden die ersten Workshops zur Planung des heute fertiggestellten Large Hadron Collider statt. Soviel zu den Zeitkonstanten in diesem schwierigen Gewerbe.

Mittwoch, 19. November 2008

Morsleben ist nicht besser

Viele wissen es nicht: es gibt in Deutschland noch ein zweites Endlager für radioaktive Stoffe, das - ähnlich wie Asse II - jahrelang betrieben worden ist. Wir haben es von der guten, alten DDR geerbt und es hat den beklemmenden (lateinisch anklingenden) Namen Morsleben. Ähnlich wie Asse II wurde auch in Morsleben bei der Einlagerung von Abfällen unglaublich fahrlässig umgegangen - aber das soll der Reihe nach erzählt werden.

Geographisch liegt Morsleben im heutigen Sachsen-Anhalt, an der Grenze zu Niedersachsen beim ehemaligen Übergang Marienborn/Helmstedt. Merken Sie etwas? Alle deutsche Endläger - Asse II, Gorleben und Morsleben - sind an der früheren Zonengrenze gelegen. Wollte man sich gegenseitig etwas Gutes zukommen lassen?

Auch in Morsleben wurde ein halbes Jahrhundert lang (Kali-) Salz abgebaut. Entsprechend durchwühlt war das Bergwerk mit seiner Vielzahl von Schächten und Stollen. Während des Dritten Reichs wurde es sogar zwei Jahre lang als unterirdische Werkhalle genutzt. 2500 deutsche und ausländische Häftlinge des nahen Konzentrationslager Ravensbrück montierten dort den Düsenbomber Me 262 und die Raketen V1 und V2.

Ab 1965 nutzte die DDR den Salzstock zur Einlagerung ihrer Nukearabfälle aus den Reaktorstandorten Rossendorf, Rheinsberg und Greifswald. Noch vor der Erteilung der atomrechtlichen Genehmigung wurden bereits hunderte von Tonnen abgekippt. Schliesslich befanden sich etwa 15.000 Kubikmeter schwach- und mittelaktiver Abfall in dem maroden Bergwerk und zusätzlich über 6-000 Strahlenquellen.

Nach der Wiedervereinigung 1990 fiel das Endlager Morsleben an die Bundesrepublik. Einige jubelten, weil man (nach Asse II) nun ein zweites genehmigtes Endlager besass. In Wirklichkeit war es ein Danaergeschenk. Sachkundige Kritiker verwiesen schon zu Beginn auf die Laugenzuflüsse aus dem Deckgebirge, und hielten den Weiterbetrieb des Lagers für "lebensgefährlich bis kriminell". Sie wurden nicht gehört. Bundesumweltminister Klaus Töpfer - später in Nairobi zum Atomgegner mutiert - liess sich nicht beirren, trieb die Einlagerung voran und bezeichnete sie als "rechtmässig und sicher". Auch seine junge Amtsnachfolgerin A. M. , der noch eine grosse Karriere bevorstehen sollte, ignorierte die Expertenwarnungen. Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), schliesslich, versagte vollends. Es bestätigte zwar das Einsickern von Wasser in die Grube, sah dadurch aber nicht die Sicherheit des Endlagers gefährdet. (Dass die gleiche Behörde BfS ab 2009 Asse II "retten" soll, ist, gemessen an der Inkompetenz, welche sie bei Morsleben bewiesen hat, geradezu ein Witz.)

Im Zeitraum von 1994 bis 1998 wurde die Riesenmenge von 27.000 Kubikmeter Abfälle , vorzugsweise aus Westdeutschland, in Morsleben "entsorgt". Aber 1998 musste abrupt der Stopp der Einlagerung verfügt werden. Inzwischen war allen bewusst geworden, dass der Salzstock unmittelbar einsturzgefährdet war. Die Aushöhlungen, die Gewichte der Gebinde und der Laugenzufluss hatten seine Statik extrem riskant werden lassen. Seitdem bemüht man sich, ähnlich wie in Asse, um die "Schliessung" des Endlagers.

Mehrere hundert Millionen Euro wird das wohl kosten und viele Jahre dauern. Eine ziemliche Pleite.

Samstag, 15. November 2008

Gorleben ist nicht Asse

Gorleben steht wieder voll in der öffentlichen Diskussion, insbes. wegen der Atommülltransporte dorthin. Viele halten das in der Nähe dieses Ortes liegende atomare Endlager für ungeeignet, nur wenige kennen es aus eigener Ansicht. Einige Menschen verweisen auf die trüben Erfahrungen mit dem Versuchsendlager Asse II - und diese muss man ernst nehmen. Deshalb dieser Blog.

Es ist wohl bekannt, dass man den deutschen Atommüll - soweit er stark radioaktiv ist - in geologischen Steinsalzformationen lagern will. Von diesen kegelförmigen Lagern, auch "Dome" genannt, gibt es in Niedersachsen mehr als 200 in verschiedener Grösse. Sie entstanden vor ca. hundert Millionen Jahren, haben die Auffaltung der Alpen sowie ein Dutzend Eiszeiten und Zwischeneiszeiten überdauert und sind demnach geologisch ausserordentlich stabil. Insbesondere aber sind sie "trocken", d.h. sie stehen nicht in Verbindung mit der Biosphäre und schon gar nicht mit dem Grundwasser. Sonst wären sie nämlich längst weggeschwemmt.

Als in Deutschland um 1965 die ersten Forschungsreaktoren und Kleinkraftwerke radioaktiven Abfall produzierten, wollte man sich - versuchsweise - mit der Endlagerung dieser Nuklide befassen. Die Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung (GFS) erwarb im Auftrag des Bundes das aufgelassene Steinsalzbergwerk Asse II, südlich von Braunschweig gelegen, und beging dabei eine Reihe verhängnisvoller Fehler, die bis zum heutigen Tag nachwirken.

Fehler Nr. 1 war die Wahl des Standorts. Asse II liegt in enger Nachbarschaft zu den Salzstöcken Asse I und Asse III; beide waren bereits seit Jahrzehnten "abgesoffen", womit man bergmännisch das Volllaufen mit Wasser bezeichnet. Und selbst für Asse II sind zwischen 1906 und 1988 nicht weniger als 29 Wassereinbrüche dokumentiert. Angeblich wurden sie erfolgreich abgedichtet oder waren "vernachlässigbar klein" - bei immer noch um die 500 Liter pro Tag. Egal, diesen risikoreichen Salzstock hätte man nie und nimmer auswählen dürfen, insbes. da so viele Unbeschädigte zur Verfügung standen. Hinzu kam, dass er wegen des früheren Salzabbaus bereits sehr durchwühlt war; mehr als 100 riesige Kammern (sprich: Hohlräume) beeinträchtigten seine Stabilität.

Fehler Nr. 2 betraf das Genehmigungsverfahren. Statt des rigiden Atomrechts, wie es die Einlagerung radioaktiver Substanzen eigentlich erfordert, wählte man - bis heute, übrigens - das weitaus "grosszügigere" Bergrecht. Nach dem atomrechtlichen Verfahren wäre der Salzstock Asse II wegen seiner Wasserprobleme nie in Betracht gekommen.

Fehler Nr. 3 war die Einlagerungsmethode. Die Metallfässer, in denen man den Abfall anlieferte, wurden zum grössten Teil über eine Salzböschung in die Einlagerungskammern abgekippt und anschliessend mit losem Salz bedeckt. Man nannte das bildhaft "einpökeln", etwas vulgärer hätte man auch vom Betrieb eines "Plumpsklos" sprechen können. Insbesondere, weil die spätere Rückholung der Fässer damit praktisch unmöglich wurde.

Fehler Nr. 4 war die Tatsache, dass zwischen 1967 und 1978 nicht weniger als 126.000 Fässer mit schwach- und sogar mittelaktivem Abfall in Asse II eingelagert wurden. Von einer versuchsweisen Einlagerung kann man bei einer solchen Menge nicht mehr reden; da war eine Routineentlagerung im Gange. Die Fässer stammten zur Hälfte vom Kernforschungszentrum Karlsruhe und der dortigen Wiederaufarbeitungsanlage WAK. Meist handelte es sich um Laborabfälle, aber auch ca. 25 kg Uran und 6 kg Plutonium sind in Asse abgekippt worden.

Ich will mit der Aufzählung der grössten Fehler hier aufhören; man könnte noch einige weitere hinzufügen. Mittlerweile zeigen sich ernste Schäden am Salzstock, welche den Betreiber (er nennt sich jetzt Helmholtzinstitut) und die Gutachter, von denen sich einer gar als "Endlagerpapst" titulieren lässt, Tag und Nacht rotieren lassen. Denn seit 1988 laufen - täglich! - 12 Kubikmeter Salzlauge über die Südflanke des Bergwerks ein, wobei Ursache und Ort noch unbekannt sind. Das gefährdet logischerweise zusätzlich die Standsicherheit des verbliebenen Salzstocks. Seit mehreren Jahren versucht man diese gefährdete Südflanke mit Rückstandssalz zu verfüllen, was sich aber bis jetzt als vergebliche Mühe herausstellt. Zur Zeit wird wieder mal ein Schliessungskonzept für Asse II erarbeitet, das u.a. den Einbau von Strömungsbarrieren vorsieht. Es ist nicht unumstritten und man muss sehen was die Zukunft noch alles bringt. Auf alle Fälle wird die sichere Schliessung des Bergwerks noch lange dauern und viel Geld kosten.

Vergleicht man Asse II mit Gorleben, dem Referenzsalzstock für alle deutsche hochaktive Abfälle (HAW), so ist Gorleben wesentlich positiver zu bewerten. Zum einen ist dieser Salzstock rund 500 mal grösser als Asse und darüberhinaus befindet er sich in "jungfräulichem" Zustand. Das bedeutet, dass er nie angeritzt wurde, da er vorher nicht als Salzbergwerk genutzt worden ist. Mit Wassereinbrüchen hat man in Gorleben also nicht zu rechnen. Dieser Salzstock ist seit vielen Jahrmillionen trocken und wird es wohl noch eine Zeitlang bleiben. Senkrechte Schächte ausserhalb des Doms sind mit einen Stollen in 800 Metern Tiefe verbunden, wie man das im heutigen "Tatort"-Krimi der ARD gut sehen konnte. Das Endlager Gorleben ist gut exploriert und die Experten sind zu der Erkenntnis gelangt, dass dort die Lagerung von HAW sicher möglich ist. Trotzdem verlangte die frühere rot-grüne-Koalition ein 3 bis 10-jähriges Moratorium, währenddessen die weitere Erkundung des Salzstockes aus politischen Gründen unterbrochen wird. Selbstverständlich geschieht die Genehmigung des Endlagers Gorleben nicht nach dem Bergrecht, sondern nach dem weit strikteren Atomrecht.

Zurück zu Asse II. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel gerierte sich in den letzten Monaten als dessen heftigster Kritiker. In Presseerklärungen gibt er sich entsetzt über die dortigen Zustände und spricht von der "problematischten kerntechnischen Anlage Europas". Vielleicht hat er recht, aber warum hat er selbst die Dinge in der Vergangenheit so sträflich schleifen lassen?

Immerhin war er von 1999 bis 2003 Ministerpräsident des Landes Niedersachsen und auch jetzt noch ist er Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Salzgitter/Wolfenbüttel - worin
Asse II gelegen ist.

Freitag, 7. November 2008

KIT: Quo vadis, FZK?

Eigentlich sollte das sog. KIT-Gesetz, welches die Fusion von Universität und Forschungszentrum Karlsruhe (FZK) regelt, bereits zu diesem Herbst in trocknen Tüchern sein. Aber jetzt, da wir uns schon dem Winter nähern, liegt noch nicht einmal der Referentenentwurf vor, wie bei der gestrigen Akademischen Jahresfeier bekannt wurde. Woran es hakt, ist von aussen schwer abzuschätzen, aber einiges klingt doch durch. So scheint die Besetzung des Aufsichtsrats noch nicht klar zu sein. Uni-Rektor Hippler möchte am liebsten nur externe Mitglieder; die FZK´ler wollen aber auf ihr gewohntes Besetzungsrecht für Mitarbeiter nicht verzichten. Ausserdem will der Betriebsrat die Einigungsstelle nicht aufgeben, sonst hätte der zukünftige Arbeitgeber KIT das letzte Wort bei Streitigkeiten. Heiss diskutiert wird die sog. Zivilklausel, was bereits zu drei parlamentarischen Anfragen in Berlin und Stuttgart geführt hat. Hinter diesem Begriff versteckt sich die Militärforschung. An der Uni ist sie - viele wissen das gar nicht - durchaus erlaubt und wird auch (in kleinem Masstab) betrieben, am Forschungszentrum jedoch traditionell nicht.

Die derzeitige Pause in den Geschäften mit den Gesellschaftern nutzte der FZK-Vorstand, um sich Gedanken über seine künftige Organisationsstruktur zu machen. "Governance" nennt man das neuerdings. Chef Umbach stellt sich offensichtlich vor, dass unter dem 5-köpfigen Vorstand eine 2. Ebene von Direktoren mit Weisungsbefugnis eingezogen wird. Dies könnten zum Beispiel die Leiter der grossen Programme sein. Damit würden die Institutsleiter jedoch in die 3. Ebene rutschen, was diesen aber gar nicht behagt. In ihrem ureigenen Club, dem Wissenschaftlich-Technischen Rat (WTR) wird darüber heftig diskutiert. Vielleicht bereits zu spät, denn in den letzten Jahren hatte es den Anschein, als wäre der WTR etwas weggedämmert. Obschon er eine starke rechtliche Stellung als Gesellschaftsorgan hat, meldete er sich selten zu Wort und verkroch sich im KIT-Senat.

Noch grösser ist der Aufruhr an der Uni. Dort würde die 2. Ebene vermutlich von Dekanen besetzt werden, aber von diesen wollen sich die selbstbewussten Ordinariusprofessoren schon gar nichts sagen lassen. Deshalb kursiert auch bereits die Bezeichnung "Kümmerer-Ebene", was ausdrücken soll, dass diese Organisationsebene bei der Uni kein Weisungsrecht erhält. Aber kann der Rektor, mit seiner kleinen Mannschaft, die mehr als 200 Institutsleiter dirigieren?

Auch bei der Besetzung der Institutsleiterstellen knirscht es immer wieder in der FZK. Betrachten wir den Energiebereich. Dort wird jetzt bereits die dritte Hausberufung in einem wichtigen Institut vorbereitet. Nach der Fusion (Noe-ITB), der Endlagerung (Geckeis-INE) kommt es nun auch beim Reaktorinstitut INR zur Berufung eines internen Bewerbers, nachdem der an erster Stelle gelistete externe Kandidat plötzlich abgesagt hat. Angeblich waren ihm die Strukturen zu undurchsichtig. Auch das wichtige Fusionsprojekt ist schon seit Monaten führungslos und wird, so gut es eben geht, von einem pensionierten Vorstandsmitglied halbtägig geleitet.

Dabei sind gerade bei der Energieforschung die Ziele des FZK hoch gesteckt. "KIT wird Europas führendes Zentrum für Energieforschung werden", verkünden Programmleiter und Fachvorstand unisono. Dabei lehnt man sich weit aus dem Fenster. Man vergleiche demgegenüber die experimentelle Basis des französischen CEA in Cadarache und Marcoule: zwei Versuchsreaktoren Horowitz und Phenix, ITER, Wiederaufarbeitungsanlagen, Plutoniumlabore etc. etc.

Aber selbst in Deutschland schläft die Konkurrenz nicht. In Berlin soll demnächst eine private Hochschule für Energieforschung entstehen. Das "Global Energy Institute Berlin" ist für 500 Masterstudenten und 15 Professoren konzipiert und wird von Forschungsministerin Schavan und Aussenminister Steinmeyer nachdrücklich unterstützt. Im sächsischen Freiberg hat die Bundeskanzlerin Merkel kürzlich die Anlage "Choren" eingeweiht, die jährlich 15.000 Tonnen Diesel aus Holzabfällen herzustellen vermag. Man kann sie sehr wohl in Konkurrenz zum Bioliq-Verfahren des FZK sehen, aber leider ist dessen Pilotanlage terminlich stark zurückgefallen, wofür aber die Kosten gestiegen sind.

Eine weitere Personalie: hartnäckig hält sich seit Monaten das Gerücht bei FZK, wonach der für Energie zuständige Vorstand vom Gesellschafter für "höhere Aufgaben" vorgesehen sei. Immer wieder wird auf die Energiewerke Nord bei Lubmin verwiesen, welche sich vorzugsweise mit dem Rückbau nuklearer Anlagen beschäftigen und deren gegenwärtiger Leiter sich dem Ruhestand nähert.

Über die Internet-Umfrage zu KIT bei den Uni- und FZK-Mitarbeitern wurde bereits berichtet. Nur 30 % der zukünftigen Belegschaft beantworteten überhaupt die gestellten Fragen; von diesen waren nur 43 % , also eine klare Minderheit, voll mit KIT einverstanden. Viele Mitarbeiter haben in ihren Antworten persönliche Bemerkungen angefügt und dabei beträchtlich "vom Leder" gezogen. Nach der offiziellen Auswertung wurde folgendeKommentare bekannt: Man sieht die wissenschaftliche Mitbestimmung gefährdet, kritisiert den wilden Aktionismus sowie die Hau-Ruck-Aktionen und bemängelt die ausufernde Bürokratie und den entstehenden Wasserkopf. Bezogen auf den Informationsfluss wünscht man sich weniger Hochglanz und Selbstbeweihräucherung, stattdessen klare Informationen und zwar vor den Entscheidungen. Schliesslich kritisiert man den hohen Aufwand des KIT-Prozesses, ohne, dass er zu einem klaren Mehrwert führt und man hat grosse Bedenken gegen die Übernahme des FZK durch die Uni mit ihrer ganz andersartigen Kultur.

Einer hat bereits das Weite gesucht: der Uni-Kanzler Dr. Dietmar Ertmann. Er setzte sich nach Pakistan ab, um dort bei der Gründung einer Universität zu helfen.

War ihm die Gründung des KIT zu wenig anspruchsvoll?

Samstag, 1. November 2008

Wer´s glaubt, wird selig

Eigentlich wollte ich mir nur den Revisionsprozess gegen den ex-EnBW-Chef Utz Claassen anhören; aber ich war zu früh am Bundesgerichtshof (BGH). Die "Sträfler", wie von den Pförtnern die Strafsenate locker-badisch genannt werden, hatten ihre Türen noch nicht geöffnet. Also suchte ich mir eines der schon laufenden Zivilverfahren aus. "Axel Springer AG gegen Hannover", las ich da auf dem Aushang. Das klang interessant und so marschierte ich zum Saal 004.

Der geneigte Leser mag mit Hannover nur die niedersächsische Landeshauptstadt oder seinen (derzeit schwächelnden) Fussballverein in Verbindung bringen Aber das ist weit gefehlt; es ging um Höheres. Kein geringerer als Seine Hoheit Prinz Ernst August von Hannover und Seine liebreizende Frau Gemahlin Prinzessin Caroline von Monaco wurden hier von der BILD-Zeitung und einigen Illustrierten beklagt. Sie wollten sich nämlich partout nicht auf ihren Grundstück an der Côte d ´Azur ablichten lassen, obwohl die Reporter bei Ernst August eine lebensbedrohliche Entzündung der Bauchspeicheldrüse vermuteten und die BILD-Leser dies sicherlich gerne mit eigenen Augen auf einem Photo konstatiert hätten. Nun, um es kurz zu machen, das Urteil war enttäuschend. Der 6. Zivilsenat hatte den Nerv, auch den Majestäten ein Privatleben an ihrem Strand zuzubilligen und schmetterten deshalb das Revisionsbegehren von Springer und Co ab. Im Grunde war mir das aber auch egal, denn ich war frustriert darüber, dass die süsse Caroline und ihr Herr Gemahl nicht selbst zur Verhandlung gekommen waren, sondern sich von ein paar langweiligen Rechtsanwälten hatten vertreten lassen.

Inzwischen hatte der 1. Strafsenat seine Pforten geöffnet und es gelang mir gerade noch, hinter den reichlich erschienen Gerichtsreportern einen guten Sichtplatz zu ergattern. Der voll gefüllte Zuschauerraum liess erkennen, dass hier ein interessantes Thema verhandelt werden sollte. Auch bei diesem Verfahren war der Beklagte, Utz Claassen, nicht selbst erschienen, wohl aber seine drei hochkarätigen Verteidiger, deren Tricks und Kniffs ich schon 2007, beim 4-wöchigen Prozess am Karlsruher Landgericht (LG) bestaunen durfte. Dort war Claassen, zur Überraschung vieler, ein glatter Freispruch gelungen. Das Gericht unter seinem Vorsitzenden Hans Fischer hatte geurteilt, dass das Verschenken von Tickets für die Fussballweltmeisterschaft 2006 an sieben Politiker keine Bestechung bzw. "Vorteilsnahme" darstellte. Die Staatsanwältin mit dem schönen Namen Yasemin Tüz wollte das Urteil so nicht hinnehmen, sie legte Revision ein und deshalb traf man sich jetzt beim BGH.

Aber Revisionsprozesse sind schwer zu gewinnen. Bei ihnen wird nämlich nicht mehr das gesamte Verfahren der Vorinstanz aufgerollt, sondern die fünf Richter prüfen nur, ob das ergangene Urteil "rechtlich" in Ordnung ist; es gibt kein neues Beweisverfahren. So war es auch nicht verwunderlich, dass nach 2-stündigem Plädieren der Anwälte der Senat die Revision der Staatsanwaltschaft abwies. Claasen wurde vom Vorwurf der Korruption in der sogenannten Ticket-Affäre freigesprochen.

Aber es war ein Freispruch "zweiter Klasse", den es rechtlich allerdings nicht gibt. Es bleibt ein schaler Nachgeschmack, "a Gschmäckle", wie die Schwaben sagen. Die BGH-Richter liessen nämlich durchklingen, dass es bei einer anderen Beweisswürdigung des Landgerichts durchaus zu einer Verurteilung des ehemaligen Konzernchefs hätte kommen können. Der Senatsvorsitzende Armin Nack sagte sogar in aller Deutlichkeit: "Wir hätten vielleicht etwas anderes rausgekriegt, wenn wir die Hauptverhandlung geführt hätten." Die wohlwollende Haltung des Landgerichts, auch das machte Nack in seiner mündlichen Urteilsbegründung deutlich, war Claassens Glück. Denn zwingend war der Freispruch nicht. Hätte das Landgericht sich von der Strafbarkeit Claassens überzeugt gezeigt, so Nack, "dann hätte wohl eine Verurteilung Claassens Bestand gehabt."

Trotz der vielen "hätte", Absonderlichkeiten gab es in dieser Ticket-Affäre zuhauf. Warum, zum Beispiel, versorgte Utz das halbe baden-württembergische Kabinett mit Gutscheinen für Logenplätze samt Catering - aber nicht Helmut Rau, den Sportminister des Landes? Der Umweltministerin Tanja Gönner, welche für die Aufsicht an seinen - nicht immer perfekt laufenden - (Kern-)Kraftwerken zuständig ist, bescheinigte er auf der begleitenden Weihnachtskarte "eine stets exzellente Zusammenarbeit." Und auch der für die Genehmigung dieser Kraftwerke verantwortliche Wirtschaftminister Ernst Pfister wurde beschenkt, bekam dann aber - als dies öffentlich wurde - wohl "kalte Füsse" und gab nicht nur die Tickets zurück, sondern zahlte "freiwillig" auch noch eine Geldbusse von 2.500 Euro. Warum eigentlich, wenn er sich unschuldig fühlen durfte?

Ganz duster wird es, wenn man die Umstände um den Berliner Staatssekretär Matthias Machnig betrachtet. Von der grauen Masse der wohl über hundert Staatssekretäre in der Berliner Regierung wurde er als Einziger für WM-Karten ausgewählt. Rein zufällig fällt in sein Ressort die Beaufsichtigung der sehr wichtigen Reaktorsicherheitskommission sowie der Gesprächsführung über die Emissionswerte der Kraftwerke. Darüberhinaus ist er noch "beamteter" Staatssekretär, womit er besonders einschränkenden Regeln für die Geschenkannahme unterliegt. Richter Nack äusserte deshalb auch sein Unbehagen darüber, dass nach der Rechtslage Präsente an Referatsleiter, etwa im Rang von Ministerialräten, eher strafbar seien, als an Minister oder Staatssekretäre, obwohl diese höhere Entscheidungsbefugnisse hätten.

Wie der Beamte Machnig an die WM-Karten kommen konnte, dafür hatte sich Claassen eine besondere "Erklärung" ausgedacht, die im Schwurgerichtssaal des Landgerichts allseitiges Schmunzeln auslöste. Angeblich sollte Machnig nur eine einfache Weihnachtskarte erhalten, aber den (drei!) Sekretärinnen von Claassen unterlief ein Missgeschick. Die Glückwunschkarten fielen nämlich versehentlich von Tisch und dabei löste sich irgendwo ein gelber Klebezettel und heftete sich rein zufällig an die Karte von Staatssekretär Machnig. Die gelben Zettel sollten kenntlich machen, wer von den Beglückwünschten zusätzlich Tickets erhalten sollte. Nun, wie es eben so ist in gut geführten Konzernsekretariaten, die drei Damen überprüften die Karten nach dem Absturz nicht mehr und so kam Herr Machnig zu seinem WM-Bonus. Zur Erinnerung: es gab nur 7 WM-Tickets und damit nur 7 Klebezettel. Diese Räuberpistole nahm das Landgericht Herrn Claassen ab. (Machnig zeigte sich übrigens, wie Pfister, schuldbewusst und zahlte auch 2.500 Euro Busse.)

Die Staatsanwaltschaft des Landgerichts vermutete schlicht, dass sich Claassen durch die gezielte Vergabe der WM-Tickets das Wohlwollen der Aufsichtsbehörden habe "erkaufen" wollen. Sie betrachtete auch den Umweg über das "Sponsoring" als "Klimapflege" und betrieb deshalb die Revision beim BGH. Damit ist sie nun endgültig gescheitert. Trotzdem: der Vorsitzende Richter Armin Nack kündigte an, dass sein Senat im schriftlichen Urteil die Abgrenzung zwischen Sponsoring und Korruption klarstellen werde. Was nicht gehe, so Nack, sei, dass man "den einen oder anderen besticht" und dann einfach sage, "wir nennen das Sponsoring".

Utz Claassen, derzeit 45 Jahre alt, kann sich beruhigt zurück lehnen. Der grosszügige Aufsichtsrat der EnBW hat ihm - bis zum Eintritt ins Rentenalter - jährlich 350.000 Euro für Nichtstun zugebilligt. Dieser Kostenblock erscheint jeden Monat (unspezifiziert) auf unserer Stromrechnung. Sein Managerkollege Josef Ackermann muss für wenig mehr, nämlich schlappe 500.000 Euro, bei der Deutschen Bank kräftig schaffen.


Falls die Androhung von Finanzminister Peer Steinbrück wahr werden sollte.

Sonntag, 26. Oktober 2008

Trüffel satt

Der Mai ist der Hauptmonat für den Spargel; der Oktober gehört den Trüffeln. Zur Spargelsammelstelle in Bruchsal fährt man blosse 20 Kilometer; zu den Fundstellen des italienischen Trüffels, z. B. in der Region Marken, muss man sich 2.000 km (hin und zurück) bewegen.


Trüffel sind also schweineteuer, was mich elegant auf das wichtigste Tier in diesem Nahrungsmittelbereich bringt: das Trüffelschwein . Da der Trüffelpilz etwa einen viertel Meter unter der Erde wächst, ist er auch von einem scharfäugigen Pilzsammler nicht ausfindig zu machen. Das (weibliche) Schwein jedoch, mit seinem hochempfindlichen Sensorium im Rüssel, nimmt durch winzige Bodenspalten den intensiven Duftstoff der Trüffel auf, die dem Sexualreizstoff des Ebers ähneln. Leider wird es sofort nach der Entdeckung dieses Aphrodisiakums sehr wild, stösst mit dem Rüssel in kürzester Zeit ein tiefes Loch in den Boden und versucht den wertvollen Trüffel selbst zu fressen. Der Schweineführer muss also höllisch aufpassen, sonst landet seine Delikatesse im Magen der Sau. Wegen dieser Bodenzerstörung ist in Italien seit einiger Zeit die Trüffelsuche mit den Schweinen verboten. Man behilft sich stattdessen mit abgerichteten Húnden, die beim Fündigwerden nur leicht mit den Pfoten an der Bodenoberfäche scharren.


Der Pilzkundler unterscheidet etwa ein gutes Dutzend verschiedener Trüffelarten, der Gourmet im Grunde nur zwei: den weissen Trüffel (italienisch: tartufo bianco) und den schwarzen Trüffel (tartufo nero). Die Trüffel wachsen bevorzugt in Italien unter ausgedehnten Eichenwäldern. Berühmt sind die Plätze im piemontesischen Alba und in den Marken, einer Region, die sich von der Toskana bis zur Adria hin erstreckt. (Schwarze Trüffel guter Qualität gibt es auch im französischen Perigord). Zumeist werden die Trüffel im Herbst und Winter geerntet; Sommertrüffel sind geschmacklich weniger intensiv.


Das Mekka der Trüffelfreunde ist der kleine unscheinbare Ort Acqualagna in den Marken. Dorthin zog es uns für eine Woche in diesem Oktober. Denn Trüffelkauf ist Vertrauenssache; als Laie kann man dabei schwer über den Tisch gezogen werden. Die Pilzknollen sehen äusserlich sehr unscheinbar aus; ihr Wert bemisst sich in erster Linie nach ihrem Gewicht. Es soll schon vorgekommen sein, dass der Käufer zuhause (schwere) Schrotkugeln in seinen Trüffeln fand, was vorher den Kaufpreis natürlich entsprechend in die Höhe getrieben hat.


In einem typischen Trüffelladen in Acqualagna kommt man sich ein bisschen vor wie in der Diamantengasse von Amsterdam. Der Verkäufer entnimmt ein sorgfältig zusammen geschlagenes Tuch aus einer gekühlten Vitrine, öffnet es andachtsvoll vor dem Kunden und sofort strömt diesem ein betörender Schwall des moschusartigen Trüffelaromas entgegen. Weisse Trüffel duften besonders intensiv und sind deshalb auch ein Mehrfaches teurer als die schwarze Sorte. Derzeit liegt der Preis für tartufi bianci bei 2 bis 3 Euro pro Gramm. Eine mittelgrosse Knolle von 20 g kostet also um die 50 Euro. Abgewogen werden die Trüffel in einer speziellen Feinwaage, die genauestens justiert werden kann. Man wickelt sie in saugendes Papier ein und zuhause sollte sie unbedingt im Kühlschrank gelagert werden. Noch besser ist es, wenn sie sofort verarbeitet und genossen werden. Denn insbesondere der weisse Trüffel verliert sein Aroma schon nach einer Woche, schwarze halten etwas länger vor.


Geruch und Geschmack der Trüffel entfalten sich besonders gut, wenn man einen Geschmacksträger einsetzt. Am besten dafür eignen sich Butter und Eigelb. Der Feinschmecker bevorzugt die einfache Art der Trüffelzubereitung: Omelett, Rührei oder Eiernudeln mit Butter. Dabei wird der Trüffel nach der Zubereitung der Nudeln in hauchdünne Scheiben geschnitten und auf die Pasta gestreut. In Italien verwendet man bevorzugt Tagliatelle, also die bekannten Bandnudeln. Um Eier zu aromatisieren, kann man frische Eier zusammen mit Trüffel in einem verschlossenen Glas etwa zwei Tage lagern. Anschliessend wird Rührei bereitet, das fantastisch nach Trüffeln schmeckt.


Schliesslich gibt es mittlerweile eine Menge Produkte, die es gestatten, den Trüffelgeschmack über längere Zeit zu konservieren. In erster Linie zu nennen ist das Trüffelöl, auf der Basis von Olivenöl, das in kleinen, attraktiven Flaschen abgefüllt wird. Darüberhinaus werden auch alerlei Cremes und Pasten angeboten, die sich hervorragend für Aufstriche von gerösteten Weissbrotscheiben eignen - genossen mit Champagner, beispielsweise. Das ausgefallenste Produkt ist der Schokoladentrüffel, dem echter schwarzer Trüffel beigemengt ist und der überraschend gut schmeckt.


Einen grossen Bogen sollte man um Liköre machen, bei denen ein Stück Trüffel in der Flasche herumschwimmt. Brr!

Freitag, 17. Oktober 2008

Im Rückblick: Die Internet-Blase

Spekulationsblasen gab es immer wieder in der neueren Finanz- und Wirtschaftsgeschichte. Eine ganz besonders schlimme, die Immobilienblase, versuchen unsere Politiker derzeit in den Griff zu bekommen. Unter welchen Konsequenzen für uns alle, kann noch gar nicht abgeschätzt werden. Sicher ist eigentlich nur, dass die Krise mit der Ausgabe "fauler" Hypothekendarlehen in den USA ihren Anfang nahm, dass diese Kredite als Zertifikate über die ganze Welt verstreut wurden und, mit dem positiven Testat der Rating-Agenturen versehen, von den Banken in grosser Zahl gekauft wurden. Darauf sitzen die Banker nun und misstrauen einander.

Die vorletzte Spekulationsblase, bei welcher sich der Finanzmarkt zeitweise völlig von der realen Güterwirtschaft abgekoppelt hatte, war die sogenannte Internetblase vor ca. 8 Jahren. Die Internettechnologie verbreitete sich bekanntlich mitte der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, als der Amerikaner Jim Clark mit seinem Browser "Netscape" jedem PC-Besitzer den schnellen Zugang zum World Wide Web verschaffte. Bill Gates von Microsoft hatte diese Entwicklung anfangs verpasst, zog aber bald mit dem Netzzugang "Explorer" nach. Die Folge war ein weltweiter Boom an (zumeist) kleinen Firmen, welche diese Technologie aufgriffen, um kreative Software für wirtschaftliche Nutzanwendungen zu entwickeln.

In Deutschland war die Firma Pixelpark prominent, welche unter ihren "Guru" Paulus Neef Multimediaanwendungen betrieb. Sie erschien so "sexy", dass sich sogar ansonsten stockkonservative Unternehmen, wie Bertelsmann, bei ihr einkauften. In Jena gründete der 30-jährige Stephan Schambach die Fa. Intershop, die vornehmlich auf E-commerce ausgerichtet war. Lothar Späth, als Chef der Jen-Optik, wurde nicht müde, ihn als Vorzeigeunternehmer der aufstrebenden östlichen Länder zu preisen. Karl Matthäus Schmidt, schliesslich, wurde mit seiner Kleinfirma Consors schon als 25-jähriger "Unternehmer des Jahres", weil er mit seinem Internetportal den Bankkunden die direkte Erledigung ihrer Geschäfte ermöglichte. Im weiteren Umfeld gab es noch einige kleine Firmen, die sich mit Gentechnik und Biomedizin beschäftigten (z.B. Morphpsys, Qiagen) und sogar das später berühmt-berüchtigte Filmunternehmen EM.TV der Brüder Thomas und Florian Hoffa, rechnete man dazu.

Diese Kleinunternehmen ("start-ups") wurden anfangs von risikobereiten "Venture- Capital-Gesellschaften" finanziert, oder auch direkt von vermögenden Privatpersonen. Und wahrscheinlich wäre alles gut gegangen, wenn es bei diesem Finanzierungsschema geblieben wäre. Stattdessen überredete man die Internetfirmen- obschon keine von ihnen nennenswert Gewinne machte - sich in Aktiengesellschaften umzuwandeln. Die Deutsche Börse richtete flugs ein eigenes Börsensegment, den Neuen Markt (NEMAX) ein, und die renommierten Geschäftsbanken wie Deutsche Bank, Dresdner Bank, Commerzbank etc. nahmen die noch grünen Kleinunternehmer "unter ihre Fittiche".

Mit der Ausgabe der Aktien wurde der staunenden und gutgläubigen Käuferwelt auch eine neue volkswirtschaftliche Theorie verkauft: die New Economy. Die Verfechter diesen neuen Ökonomie behaupteten, dass die industrielle Fertigung von Gütern immer weniger wichtig werde, und an ihre Stelle die Verteilung von Informationen und Inhalten träte, der sog. Content. Während in der klassischen Wirtschaft die Knappheit eines Gutes seinen Preis bestimme, geschähe dies in der New Economy über den weltweiten Verbreitungsgrad. Es gelte, möglichst vielen Menschen den Zugang zu Komunikationsmitteln zu ermöglichen, dann werde sich der Gewinn von selbst einstellen.

Wichtig war also das Wachstum dieser jungen Internetfirmen - und nicht ihre Rendite. Deshalb wurde Pixelpark-Chef Paulus Neef von den Journalisten auch immer wieder gefragt, wieviele Mitarbeiter ("pixels") er pro Quartal einstellen könne. Schliesslich schaffte es Neef auf 1.200 Angestellte zu kommen, die sich allesamt duzten und die auf flachen Hierarchien angesiedelt waren. Mehr gab der abgegraste Informatikermarkt nicht her, sodass zeitweise sogar Inder angeheuert werden mussten. (Den ersten Gewinn machte die später mehrfach umstrukturierte Firma Pixelpark im Jahr 2006; es waren bescheidene 780.000 Euro)

Das grosse Publikum, welches weder vom Internet noch von Aktien eine wirkliche Ahnung hatte, rieb sich die Augen und stellte fest, dass der Kurswert dieser Kleinunternehmen rasant stieg. Um die Jahrtausendwende besassen die drei Firmen Pixelpark, Intershop und Consors zusammen einen Börsenwert von 30 Milliarden Mark, womit sie den Volkswagenkonzern übertrafen. Dabei machte VW 147 Milliarden Mark Umsatz, die drei Zwerge aber noch nicht mal eine halbe. Und Volkswagen gehörten weltweit viele Dutzend Fabriken und Immobilien, während das Vermögen der dreien aus ca. 2.000 PC bestand, vergleichbar mit einem heutigen Call-Center.

Zwischen den Jahren 1999 und 2000 explodierten die Börsenkurse der Internetfirmen geradezu. Die BILD-Zeitung berichtete fast täglich über neue Millionäre und viele Menschen plünderten ihr Sparbuch um damit Internetaktien zu kaufen. Sogar Stammtische wandelten sich spontan in Aktienvereine um und statt "contra" und "re" hiess es jetzt "kaufen" bzw. "halten". Gleiches galt für die Kaffekränzchen der Damen, welche sich ebenfalls mutig ins Börsengetümmel stürzten, um mit den erwarteten Gewinnen Urlaubsreisen in die USA zu finanzieren. Der Aktienkauf war zum Volkssport geworden. In dieser Goldgräberstimmung verscherbelte auch Siemens clever ihre gewinnarme Halbleiterfertigung Infineon und Telekom brachte mit einer weiteren Tranche an "Volksaktien" viele Unbedarfte um viel Geld.

Am 13. März 2000 war die Party zu Ende. Als die Internetfirmen in ihren Bilanzen nur Verluste meldeten, wollten plötzlich alle verkaufen und die Kurse der Aktien krachten nach unten. Vorzeigeunternehmer Schambach sass gerade im Flugzeug nach Kalifornien und wollte Geschäfte mit Silicon Valley machen. Als er in San Franzisco ausstieg, war der Wert seines Unternemens um 70 % abgestürzt und er konnte gleich wieder den Rückflug antreten. Der Kurs der Pixelpark-Aktie, der nach der Ausgabe 1999 innerhalb eines Monats von 5 auf 60 DM gestiegen war und dann innerhalb weniger Monate weiter bis auf 338 DM, fiel wieder zurück auf 5 DM. Aus vielen, vorher heissbegehrten Aktien, waren "penny-stocks" geworden, deren Wert sich jetzt im Pfennigbereich bewegte. Die Internetfirmen mussten den Grossteil ihres Personals entlassen; die "Pixels" richteten, zu Neefs Verdruss und zur Freude der Gewerkschaften, sogar einen Betriebsrat ein. Viele der zuvor noch händeringend gesuchten Informatiker standen arbeitslos auf der Strasse.

Die Deutsche Börse beschloss, ihr bisher hochgeschätztes Technologiesegment Nemax aufzulösen. Ähnlich und zeitgleich wie in Deutschland, verlief der Niedergang der Internetaktien auch in der übrigen Welt. Viele Menschen hatten viel Geld verloren und waren zum Teil sehr arm geworden. Der Wert des DAX fiel von 8000 im Jahr 2000 auf 2400 im Jahr 2003. Den ursprünglichen Wert von 8000 erreichte er erst wieder 4 Jahre später - und da befanden wir uns bereits (ohne es zu ahnen) wieder in der nächsten Krise, der Immobilienkrise.

Ohne Beschädigung kamen die bereits genannten drei deutschen Grossbanken aus dieser Malaise. Sie hatten rechtzeitig "Kasse gemacht" und ausserdem fette Provisionen bei den Börsengängen der Internetfirmen bezogen. Dass sie dabei sehr fahrlässig bei der Bewertung dieser Jungfirmen waren, wurde von der Börsenaufsicht leider nicht bemängelt und schon gar nicht sanktioniert.

Eines unterscheidet die damalige Internetblase recht deutlich von der heutigen Immobilienblase: die Wertschöpfung. Das Internet ist eine Megatechnologie im Bereich der Kommunikation und der Multimedia. Im Verlaufe der Internet-Ära wurden - bis heute, übrigens - wirkliche technische und wirtschaftliche Werte geschaffen. Die Internettechnologie samt begleitender Hardware und Software (www, Mobiltelefon, Notebook, Glasfaser, Breitband, Digitaltechnik, MP3, Cisco, Amazon, Ebay,Yahoo, Google, Youtube, Wikipedia etc.etc.) ist ein technischer und wirtschaftlicher Quantensprung und durchaus vergleichbar mit der Einführung der Eisenbahn und des Automobils. Diese jungen Informatiker haben in weniger als zwei Jahrzehnten mit Begeisterung eine neue Welt geschaffen. Dass ihre finanzielle Unbedarftheit von den Bankern so schamlos ausgenutzt wurde - auch zu Lasten grosser Teile der Bevölkerung - ist ihnen nicht vorzuwerfen.

Demgegenüber ist die heutige Krise eine Folge der weltweiten Zockerei der Bank- und Investmentmanager, bei der - ausser ein paar schon vergammelnde Holzhäuser in den USA - keine bleibenden Werte geschaffen wurden. Viele der Bankbosse haben sich dabei die eigenen Taschen voll gestopft.

Wir werden die Schleifspuren dieser Rezession sicherlich viel länger erdulden müssen als bei der Internetkrise.

Sonntag, 12. Oktober 2008

Eine misslungene Inszenierung

Wie sehr hatten wir uns doch auf die Neuaufnahme der Wagner-Oper "Das Rheingold" gefreut, die vergangene Woche am Badischen Staatstheater in Karlsruhe gespielt wurde. Um es vorweg zu sagen: es war eine Enttäuschung. Weniger wegen der Musik, sondern vorallem wegen der Inszenierung, die uns - meiner Frau und mir - einfach nicht gefallen hat. Im Programmzettel wird Denis Krief als Alleinverantwortlicher für Regie, Bühne und Kostüme genannt; deshalb richtet sich diese Kritik vornehmlich an ihn.


Der Verdruss beginnt bereits mit den ersten Takten der Oper. Während die Kontrabässe noch ihr Es-Dur-Motiv brummen und damit den "Anfang der Welt" suggerieren, öffnet sich der Bühnenvorhang und herab schwebt eine Art Vorhangstange, an der (in Mannshöhe) Plastikstreifen hängen. Durch sie bewegen sich in Ringelreihen die drei Rheintöchter und versuchen mit ihrem alliterativen Gesang - weia, waga, woge du Welle - den Nibelungenchef Alberich zu becircen. Im Bühnenhintergrund ist ein waberndes Dia mit Wasser zu erkennen. Die Illusion jedoch, auf den Grund des Rheins und des Goldschatzes zu schauen, kommt bei solchen Versatzstücken mitnichten auf.


Hinzu kommt, dass Alberich keineswegs als hässlicher, kleiner Zwerg erscheint, sondern eher als vierschrötiges Mannsbild. In späteren Szenen überragt er sogar Wotan um eine halbe Haupteslänge und da er zudem ähnlich wie der Gottvater gewandet ist, wäre er von diesem kaum zu unterscheiden, trüge Wotan nicht ständig sein Wahrzeichen, den Speer.


Das Bühnenbild, wohl auch von Krief zu verantworten, ist an Sterilität nicht zu überbieten. Es besteht aus drei wuchtigen Halbschalen, die an Seilen hängend vom Schnürboden herabgelassen und auf verschiedene Weise positioniert werden. Senkrecht aufgestellt sollen sie die Götterburg Walhall darstellen, in liegender Form das Reich der Nibelungen. Das Recyceln dieser Mehrzweckmöbel lässt keine Stimmung aufkommen, sondern nährt allenfalls den Verdacht, dass mächtig gespart werden sollte.


Gespart wurde auch an den Nibelungen, die kaum zu sehen waren. Als sie das von Alberich geraubte Rheingold herausrücken müssen, geschieht dies auf eine bemerkenswerte Weise: durch ein Loch im Bühnenboden werden etwa zwei Dutzend Säcke, gefüllt mit "Gold" (in natura wohl Styropor) in lockerem Tempo nach oben geworfen. Da jeder Sack, nach meiner Abschätzung, ein Volumen von mindestens 25 Litern hatte, so musste darin - ein spezifisches Gewicht von 20 unterstellt - eine halbe Tonne Gold verpackt sein. Alberichs unsichtbare Zwerge müssen also geradezu titanische Körperkräfte gehabt haben. Schade, dass man ihrer nicht ansichtig wurde. (In Bayreuth, bei den diesjährigen Wagner-Festspielen, löste man dieses Regieproblem dadurch, dass man das Gold in Form von glitzernden Folien durch kleinwüchsige Nibelungen (Kinder?) aus der Unterwelt herauftragen liess.)


Eine Zumutung besonderer Art waren die Riesen Fafner und Fasolt, welche die Burg Walhall für Wotan gebaut hatten. Es sind nämlich gar keine Riesen, sondern ganz gewöhnliche mittelgrosse Menschen, die man in helle Kitteln gesteckt hatte. Warum Wotan (mit Speer) und seine ebenfalls bewaffneten Götterkollegen Donner und Froh vor diesen Zweien Angst haben sollten - und Wotan sich von ihnen sogar seine Schwägerin Freia rauben liess - ist für Erstbesucher dieser Oper vollkommen unverständlich. Eine solche personelle Sparversion ist einzigartig. In dieser Logik könnte man den Ring auch konzertant aufführen.


Es gäbe noch einiges zu kritisieren, aber ich will es damit bewenden lassen. Die Musik (unter dem neuen Dirigenten Justin Brown) war ganz ordentlich, aber auch nicht mehr. Die Bläser waren leider nicht in Hochform und zuweilen kratzten auch die Geiger. Übrigens: als ich etwa eine Viertelstunde vor Aufführungsbeginn in die Tiefgarage des Theaters einfuhr, sah ich noch einige Orchestermitglieder mit dem Geigenkasten auf dem Rücken (bei regnerisch-kaltem Wetter!) zum Bühneneingang eilen. Über klamme Finger sollte man sich also nicht wundern. Wäre ich Intendant, dann hätten diese Herrschaften Präsenzpflicht im Orchestergraben - und zwar eine volle Stunde vor Aufführungsbeginn.


Der Spötter Loriot sagte einmal, Wagner hätte sich beim Nibelungenring die Mühsal mit vier Opern ersparen können, wenn die Rheintöchter den liebestollen Alberich etwas zärtlicher behandelt hätten. Dann hätte dieser nämlich nicht das Gold geraubt und daraus den verhängnisvollen Ring geschmiedet. Mag sein, aber meiner Frau und mir wäre das nicht recht gewesen.


Denn - Regisseur Krief hin oder her - für die nächste Ringoper, die "Walküre" am 7. Dezember, werde ich mir trotzdem wieder zwei Karten besorgen.

Samstag, 4. Oktober 2008

In memoriam: Friedrich Arendt

Trauerrede beim Begräbnis unseres Freundes Friedrich Arendt

Sehr verehrte Frau Arendt
und Familie,
liebe Trauergäste.

Mein Name ist Willy Marth;
ich spreche für den Freundeskreis der Insel Rott.
Friedrich Arendt gehörte diesem Kreis
seit seiner Pensionierung vor 2 Jahren an.

Sein plötzlicher Tod macht uns sehr traurig.
Vorige Woche noch trafen wir uns alle
zur Geburtstagsfeier in meinem Haus.
Friedrich war munter, charmant und witzig - wie immer.
Dass er 4 Tage später schon tot sein sollte
war nicht vorstellbar
und hat meine Freunde und mich tief getroffen.

"Mors certa, hora incerta",
diese uralte Menschheitserfahrung,
wonach wir alle sterblich sind,
aber das Schicksal allein unsere Stunde bestimmt,
ist uns wieder einmal grausam bewusst geworden.

Ich kannte Friedrich schon seit langer Zeit.
Beide waren wir viele Jahre lang
im ehemaligen Kernforschungszentrum Karlsruhe tätig,
in vergleichbaren Positionen.
Friedrich als Projektleiter für die Umwelt,
ich für ein Gebiet der Kernforschung.

Trotz der Gegensätzlichkeit der Themenfelder
war unser persönliches Verhalten
nie von Antagonismus bestimmt.
Im Gegenteil!
Immer wieder besuchten wir uns wechselseitig
in unseren Büros,
tauschten unsere Erfahrungen aus
und tasteten argumentativ die Stärken und Schwächen
unserer so unterschiedlichen Projekte ab.

Als er im Ruhestand zu unserem Freundeskreis stiess,
war Friedrich von Beginn an ein begehrter Gesprächspartner.
Er war intelligent, wusste über so vieles Bescheid
und war bereit
seinen grossen Erfahrungsschatz mit uns zu teilen.

Wir werden nun ohne ihn auskommen müssen.
Aber seine Todesanzeige drückt es treffend aus:
Weiterhin sind wir über eine Brücke mit Friedrich verbunden.
Es ist die Brücke der Erinnerung
an einen grossartigen Freund und Menschen.
Sie wird bleiben,
denn nur sie allein ist unvergänglich.

Ihnen, sehr verehrte Frau Arendt,
mit Ihrer Familie,
möchte ich unsere tief empfundene Anteilnahme aussprechen.
Wir vermögen den Verlust abzuschätzen,
der Sie getroffen hat.

Samstag, 27. September 2008

Für die Katz

"Rustel" war uns zugelaufen, als unsere alte Hauskatze "Minki" mit 17 Jahren das Zeitliche gesegnet hatte. Zugelaufen ist eigentlich nicht der richtige Ausdruck: in Wirklichkeit drängte sie geradezu in unser Haus, als sie spürte, dass dort eine Vakanz war. Rustel war eine halbverhungerte, verhärmte, graugetigerte Strassenkatze, offensichtlich eine Promenademischung und es war unwahrscheinlich, dass sie je einen Schönheitspreis gewinnen würde. Aber irgendwie tat sie uns leid und Rustel spürte das wohl instinktiv und so durfte sie eben bleiben.

Ihr Körbchen hatte sie im Keller; durch ein Loch im Lichtschacht richteten wir ihr einen Katzendurchstieg ein. Und Rustel nutzte ihn fleissig, denn im Grunde war sie eine echte Wildkatze, der das freie Umherstreifen ein Bedürfnis war, aber auch die Bequemlichkeit einer für sie sorgenden "Herrschaft" durchaus zu schätzen wusste. Zuweilen kletterte sie im Garten über die Magnolienäste auf das Hausdach unseres Bungalows, sah uns beim Rosenschneiden zu oder genoss einfach nur den weiten Blick. Beim Heruntersteigen musste ich ihr anfangs helfen, denn die Krallen der Katzen sind bekanntlich nach hinten gekrümmt und nur eine geringe Hilfe beim Abwärtsklettern.

So war ich nicht überrascht, als eine Nachbarin, Frau S. , an einem frühen Vormittag bei uns vorbei kam und uns aufgeregt darüber informierte, dass Rustel in der Astgabel eines hohen Baumes sässe, wovon sie sich offensichtlich nicht wieder herunter getraute. Tatsächlich, ich sah sie dort sitzen - eine graugetigerte Katze, leise miauend und mit eingezogenem Schwanz ängstlich auf einem Ast hockend. Ich versuchte sie herunter zu locken, ich klopfte an den Baumstamm, ich hielt ihr sogar ( aus dem Haus geholtes Futter) vor die Nase. Alles vergebens. Rustel fürchtete sich davor abzusteigen, stattdessen sah sie mich unverwandt mit ihren traurig-ängstlichen Augen an.

Inzwischen kamen immer mehr Zuschauer. Die guten, aber zumeist nutzlosen Ratschläge häuften sich, bis einer das Wort "Notruf" fallen liess. Jawohl, das war es! Ich rief umgehend die Nummer 110 an und schilderte einer freundlichen Dame unser Unglück. Sie schien nicht das erste Mal mit einem solchen Notstand konfrontiert zu sein, denn sie sagte nur: "Kein Problem, ich verbinde Sie mit der Feuerwehr." Tatsächlich sagte man mir dort umgehend Hilfe zu; offensichtlich war zu jener Zeit kein Grossbrand zu bekämpfen.

Die Feuerwehr kam, nicht mit tatüü-tataa, aber mit einem riesigen Auto, grellrot angestrichen und mit mit 4 Mann hoch besetzt, in schicken Uniformen. Sie schleppten eine schwere Leiter zum Baum und einer machte sich, geschützt durch einen beeindruckenden Helm, an den Aufstieg. Rustel beobachtet das geschäftige Treiben unter ihr mit intensiven, misstrauischen Blicken, duckte sich in die Astgabel und als der Feuerwehrmann schon nach ihr greifen wollte, sprang sie - zack! - in einen zwei Meter höheren Zweig. Dorthin konnte ihr der Löschexperte nicht folgen, denn seine Leiter war zu kurz.

Leise fluchend machte sich der abgewiesene Helfer an den Abstieg, aber sein Kommandant war nicht in Verlegenheit zu bringen. Per Handy orderte er bei der Zentrale Verstärkung an und schon nach einer knappen Viertelstunde kam ein weiteres rotes Fahrzeug, noch grösser als das erste und ausgestattet mit einer Drehleiter. Rustel ahnte wohl, das es nun zum "show-down" kommen würde, denn sie drückte sich noch enger in das Astgewirr, so, als wollte sie sich klein und unsichtbar machen. Aber diesmal kam der wackere Feuerwehrmann immer näher und als er schliesslich nach ihr greifen wollte, passierte es: statt freudig erlöst zu sein, verspürte Rustel offensichtlich panische Angst und war zum Äussersten bereit. Mit einem gewaltigen Satz hechtete sie kopfüber nach unten, raste dem Baumstamm entlang, fiel auf die Erde, überschlug sich einige Male auf dem, gottlob, weichen Laubboden - und rannte, wie um ihr Leben, in Richtung eines Nachbarhauses.

Der Feuerwehrleute waren trotzdem zufrieden, denn nach ihrem Verständnis war die Katze gesund geborgen, womit der Auftrag erfüllt war. Mit vielen Dankessprüchen meinerseits und einem angemessenem Trinkgeld transportierten sie ihr Equipment wieder zurück in die städtische Branddirektion. Auch die mittlerweile zahlreichen Zuschauer verliefen sich; einige gratulierten mir noch zum glücklichen Ausgang dieses Unternehmens und meiner offenkundig demonstrierten Tierliebe.

Ich blieb äusserlich gelassen, aber innerlich bebte ich. Denn beim Abgang vom Baum hatte ich, trotz der Schnelligkeit, noch den Schwanz der graugetigerten Katze erkennen können und ich war mir sicher, dass er nicht Rustel gehörte, sondern einer Katze aus den Nachbarhäusern, wohin sie auch gestürmt war.

Als ich heimkam lag Rustel friedlich schlummernd in ihrem Körbchen im Keller. Beim Nähertreten wachte sie auf, reckte sich zum Katzenbuckel, streckte den Schwanz in die Höhe - und da war sie wieder, dessen charakteristische Färbung. Mit dem Näschen stupste sie meine Knie, als wollte sie sagen: "Ich bin hungrig, du darfst mir mein Lieblingsgericht bringen,


Hühnchen in Aspik, bitte."

Montag, 15. September 2008

Ein Teilchen namens Higgs

Im Baukasten der Natur befinden sich, nach den Vorstellungen der Physiker, etwa zwei Dutzend Elementarteilchen, aus denen das ganze Universum - also Erde, Sonne, Milchstrasse und weitere hundert Milliarden Galaxien aufgebaut sind. Diese Teilchen unterscheiden sich sehr deutlich voneinander hinsichtlich ihrer Grösse, ihrer Masse, ihrer elektrischen und magnetischen Ladung, sowie einiger weiterer Eigenschaften.

Das Zusammenwirken der Elementarteilchen beim Aufbau der belebten und unbelebten Natur erklärt die sogenannte Standardtheorie, welche die Physiker in den letzten 25 Jahren entwickelt haben. Diese Theorie ermöglicht es sogar Vorhersagen zu treffen und eine dieser Vorhersagen ist, dass noch zwei weitere Teilchen in dem erwähnten Baukasten fehlen, also experimentell nicht nachgewiesen sind. Das eine ist das Graviton, welches die Schwerkraft vermittelt, das andere das mysteriöse Higgs-Teilchen. Der Name reimt sich akustisch auf "Hicks", hat aber mit Schluckauf nichts zu tun, vielmehr trägt dieses noch unentdeckte Partikel den Namen des schottischen Physikers (Peter) Higgs. Er hat es schon vor 44 Jahren prognostiziert und diese Vermutung am 27. Juli 1964 in dem amerikanischen Fachjournal "Physics Letters" veröffentlicht. Bemerkenswert ist, dass diese mittlerweile berühmte Publikation nur eine einzige Druckseite umfasst.

Das Higgs-Teilchen beseitigt eine Schwäche der oben genannten Standardtheorie. Letztere kann zwar alle bekannten Elementarteilchen richtig einordnen, aber diese besitzen dann keine Masse und bewegen sich alle mit Lichtgeschwindigkeit fort. Das kann offensichtlich nicht stimmen, denn Protonen, Elektronen und Photonen besitzen sehr wohl ( unterschiedliche) Massen und haben auch verschiedene Geschwindigkeiten. Geht man von der Existenz der Higgs-Teilchen aus, dann verschwinden diese Diskrepanzen und die Standardtheorie beschreibt nun "die Welt" nun richtig. Esoterisch angehauchte Zeitgenossen sprechen deshalb auch gerne vom "Gottesteilchen"; andere nennen das Higgs-Teilchen den "Heiligen Gral" der Physik.

Higgs hat seine Überlegungen zwar nur auf einer DIN A4-Seite niedergeschrieben, sie sind jedoch so hochkomplex, dass sie der Normalphysiker kaum versteht, von einem Laien ganz zu schweigen. Zum Glück gibt es eine berühmte Metapher, wodurch es selbst einem Durchschnittsmenschen gelingt, sich in das Higgs-Szenario einzudenken. (Die Begriffe Higgs-Teilchen und Higgs-Feld werden synonym verwendet, da Teilchen und Felder in einander überführbar sind).

Nun also die Higgs-Theorie für Jedermann: Man stelle sich Journalisten auf einer Cocktailparty vor, die gleichmässig im Raum verteilt stehen. Das ist gewissermassen das Higgs-Feld. Kommt nun ein sehr prominenter Politiker (Proton!) durch die Tür und will den Raum schnell durchqueren, so werden sich die Journalisten sogleich um ihn scharen. Seine Bewegungsenergie wird abgebremst und der Pulk der Journalisten verleiht dem Politiker eine (träge) Masse, also ein Gewicht. Ein weniger bekannter Politiker (Elektron!) verursacht geringeren Auflauf, wird aber auch leicht gebremst. Der Hausmeister (Photon!), schliesslich, kann den Raum im unvermindertem Tempo durchqueren. Das genau ist der Mechanismus von Higgs: durch die Wechselwirkung mit dem Journalisten, also dem Higgs-Feld, bekommen die Teilchen ihre Masse und verlieren an Geschwindigkeit.

Etwas physikalischer ist eine zweite Metapher. Demnach liegt dem Universum ein alles durchdringendes Feld zugrunde, das Higgs-Feld. Durch dieses Feld bewegen sich alle Elementarteilchen wie durch einen zähen Sirup. Dabei verspüren sie einen Widerstand, so, als ob man mit einem Kochlöffel durch den Sirup rührt. Dieser Widerstand ist es, der den Teilchen ihre Masse verleiht.

Noch ist das Higgs-Teilchen experimentell nicht nachgewiesen. Das erwartet man im Forschungszentrum CERN bei Genf, wo in den letzten Jahren der grösste Kreisbeschleuniger der Welt mit 27 km Durchmesser gebaut wurde. LHC, Large Hadron Collider, ist sein Name. Der Detektor ATLAS, in dem das Higgs aufleuchten soll, besitzt die Ausmasse eines grossen Kirchenschiffs und wiegt 7.000 Tonnen. Vor zehn Tagen erst wurde der LHC - unter Teillast - in Betrieb genommen; schon am vergangenen Freitag musste er wegen eines Heliumlecks in der Strahlröhre wieder abgeschaltet werden. Vermutlich für mindestens zwei Monate. Wenn er wirklich mal richtig in Schwung gekommen ist, dann prallen dort in jeder Sekunde Millionen von Protonenpakete mit nahezu Lichtgeschwindigkeit aufeinander. Diese kosmische Wucht erzeugt Milliarden an Splitter, die in ATLAS registriert werden sollen. Nur etwa ein Higgs-Teilchen pro Minute kann man erwarten; es soll von den Riesencomputern herausgesiebt werden. Die berühmte Nadel im Heuhaufen ist dagegen nichts.

Aber der LHC ist nicht allein. In Chicago, am Fermi-Laboratorium steht der Beschleunigerkonkurrent Tevitron der Amerikaner. Er ist zwar kleiner als der LHC, läuft aber bereits seit Jahren Tag und Nacht und hat eine Flut von Daten angesammelt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich Higgs bereits gezeigt hat, aber noch im Datenarchiv versteckt ist. Würde es demnächst ein Doktorand des Fermi-Lab recherchieren, es wäre eine emotionale Katastrophe für die CERN-Forscher. Die zügige Inbetriebnahme des LHC ist also sehr wichtig.

Derweil betrachtet Professor Emeritus Higgs von seinem schottischen Ruhesitz in Edinburg aus das Treiben der Jüngeren in Genf und Chicago. Er kann nahezu sicher sein, mit dem Nobelpreis der Physik ausgezeichnet zu werden, sofern man "sein Teilchen" findet - egal an welchem Ort.

Ein kleines Risiko verbleibt allerdings weiterhin bei ihm persönlich:
der Nobelpreis wird nur an lebende Personen vergeben,
und Peter Higgs wird am 29. Mai nächsten Jahres 80 Jahre alt.

Deshalb: Gute Gesundheit, Professor!

Dienstag, 9. September 2008

Älterwerden

Demnächst werde ich - Rätselfreunde aufgepasst! - einen dreiviertel runden Geburtstag feiern. In Anbetracht der vielen (und wertvollen) Geschenke, auf die ich mich jetzt schon freue, werden meine Gäste von mir wohl eine kleine Rede erwarten. Es wird deshalb Zeit, dass ich mir ein paar Gedanken darüber mache.

Rein numerisch lässt sich nicht verleugnen, dass ich langsam älter werde. Dieser Zeitpunkt kommt dann heran, wenn verdächtig viele Leute, ohne besonderen Anlass, plötzlich behaupten, dass man doch noch sooo jung aussehen würde. Ich lasse mich da nicht täuschen; der morgendliche Blick in den Spiegel bewahrt mich vor Illusionen. Im allgemeinen beginnt das Älterwerden mit dem Eintritt in den Ruhestand, also zwischen 60 und 65 Jahren - Frührentner und Münteferings 67er einmal ausgeklammert. Auf alle Fälle gehört man dann zur älteren Garde, wenn man beim Anziehen der Schuhe fragt: "Da ich schon mal unten bin, kann ich gleich noch etwas miterledigen?"

Der Übergang von dem Berufsstand in den Rentenstand fällt vielen nicht leicht, insbesondere die machtbewussten Politiker leiden darunter. Ich versuchte meine "Verlustängste" dadurch zu minimieren, dass ich jeweils am Ende einer grösseren Aufgabe - nennen wir es Projekt - ein Buch oder einen persönlich gehaltenen Bericht im Umfang von 150-200 Seiten geschrieben habe. Dabei rekapitulierte ich den gesamten Ablauf des Projekts, mit allen Hoch- und Tiefpunkten, sodass ich es fürderhin "geistig ablegen" konnte. So ist mittlerweile eine kleine Bibliothek für die Projekte FRM, KNKI, KNKII, SNR 300, EFR, und WAK entstanden, zuzüglich einem mehr persönlich gehaltenen Erinnerungsband "70 Jahre lang". Der "Blick zurück im Zorn" ist mir deshalb fremd. Hinter den genannten Abkürzungen verstecken sich übrigens die Namen für Kernreaktoren, Schnellbrüterkraftwerke sowie Wiederaufarbeitungsanlagen und seit die Kernenergie weltweit - ausser in Deutschland - eine Renaissance erfährt, erhalte ich immer wieder Anfragen früherer Kollegen aus Japan, USA, China etc. wie wir dieses oder jenes Problem, z.B. beim Schnellen Brüter in Kalkar gelöst haben. Dafür sind diese Bücher eine grosse Hilfe, denn im Gedächtnis habe ich die Details natürlich auch nicht mehr.

Ein Stammtisch ist eine praktische Einrichtung um mit der früheren Arbeitswelt in Verbindung zu bleiben - und trotzdem Abstand von ihr zu gewinnen. Wir haben einen solchen auf der Rheininsel Rott beim Fischrestaurant "Waldfrieden" eingerichtet. Hier treffen sich donnerstags jede Woche ehemalige FZK´ler und deren Freunde zu einer zwanglosen Mittagsrunde. Bei Zander und Riesling werden alle Probleme dieser Welt besprochen - und gelöst. Ein besonderes Auge richten wir immer wieder auf die aktuellen Vorgänge im Forschungszentrum, unserer früheren Arbeitsstätte. Die Entscheidungen unserer Nachfolger und deren Chefs werden kritisch durchleuchtet und mit äusserlichem Bedauern (und innerlicher Befriedigung) stellen wir immer wieder fest, dass "die Jungen" eben doch schwach sind und wir früher alles viel, viel besser gemacht haben. Wir waren eben die Grössten! Diese bescheidene Feststellung fördert das Wohlbefinden und die Verdauung, was für uns alte Knaben nicht das Schlechteste ist.

Mit der Entlassung in den Ruhestand wuchs auch mein Interesse am öffentlichen Leben in der Stadt Karlsruhe. So versäume ich kaum eine Stadtratssitzung und die Grossinvestitionen, wie Neue Messe, Hallenbad, Stadion und U-Strab sind mir mit all ihren finanziellen Schwachstellen durchaus geläufig. Das kommt auch in manchem meiner Leserbriefe in der BNN zum Ausdruck, die OB Fenrich und seine Bürgermeisterkollegen nicht immer erfreuen.

Interessante Gerichtsverhandlungen sehe ich mir vom Amtsgericht bis zum Bundesverfassungsgericht an und bin immer wieder fasziniert, zu welch überraschenden Urteilen die Richter kommen. Meine Devise ist deshalb: Gerichtsverfahren möglichst vermeiden! Denn der Spruch "Bei Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand" stimmt wirklich.

Auch die Hauptversammlungen der lokalen Aktiengesellschaften besuche ich häufig, denn dort kann man in 4 Stunden mehr über die Wirtschaft lernen als beim 4-wöchentlichen Lesen des "Handelsblatt". Ausserdem: wo sonst darf man ungestraft (als Kleinaktionär) mächtige Vorstandsvorsitzende und Aufsichtsräte coram publico "beschimpfen", ohne, dass man unterbrochen oder sanktioniert wird?

Bevor ich ganz in diese öffentlichen Sphären entfleuche, konfrontiert mich meine liebe Frau Brigitte immer wieder mit den realen Problemen unserer kleinen häuslichen Welt. Es fing vor einigen Jahren ganz unschuldig damit an, dass bei unserem Wohnhaus in der Waldstadt und dem (ererbten) Haus im Fichtelgebirge ein paar durchkorrodierte Wasserrohre im Bereich der Bäder zu erneuern waren. Das war aber nur der Beginn. Was folgte war eine 2-jährige Sanierungs- und Renovierungsorgie, bei der beide Häuser vom Keller bis zum Dach umgekrempelt wurden. Nun gefallen sie uns weitaus besser und mein Bankkonto ist entsprechend geleichtert.

Beim Blick in die Tageszeitung - Reihenfolge: Todesanzeigen, Wetter, Sport, Politik - merkt man, dass die "Einschläge" immer näher kommen. Bekannte sterben, frühere Arbeitskollegen und immer wieder mal auch ein Freund. Das ist ein besonders schmerzhafter Verlust, denn ein alter Freund ist, wie das Sprichwort sagt, selbst durch zwei neue nicht zu ersetzen. Und auch die eigene Gesundheit lässt fühlbar nach. Immer wieder zwickt und zwackt es an allen möglichen Körperstellen und die Beschwerden gehen meist, trotz ärztlicher Bemühungen, nicht mehr ganz zurück.

Nun, nach dem Älterwerden kommt wohl unvermeidbar das Altwerden. Ich habe darüber noch keine einschlägige Erfahrung. Aber an einen Spruch der schwedischen Filmschauspielerin Liv Ullmann erinnere ich mich:

"Altwerden ist die einzige bekannte Methode,
um lange zu leben."

Sonntag, 7. September 2008

Knirschen bei KIT

Bei einem kürzlichen Interview zu KIT, das der Uni-Rektor Hippler und der FZK-Chef Umbach der BNN-Korrespondentin Elvira Weisenburger gegeben haben, konnte man zwischen den Zeilen deutlich herauslesen, dass es bei der geplanten Fusion der Technischen Universität mit dem Forschungszentrum Karlsruhe noch an vielen Stellen hapert.

Vorallem die ursprünglichen Terminvorstellungen scheinen sich in Luft aufzulösen. Wie erinnerlich, wollte man bei der Verkündigung von KIT (mitte 2006) die Vereinigung im Laufe des darauffolgenden Jahres 2007 vollzogen haben. Davon ist heute keine Rede mehr. Offensichtlich gibt es derzeit für KIT überhaupt keinen Zeitplan, denn Magnifizenz verweist bei entsprechenden Fragen vage in das Jahr 2009. Also: irgendwann. Das ist kaum verwunderlich. Denn für die Fusion der Bundes-GmbH FZK mit der Universität als Anstalt des öffentlichen Rechts benötigt man (als Folge der Föderalismusreform) ein eigenes Landesgesetz und dessen Entwurf wird immer noch auf der relativ niedrigen Referentenebene beraten. Wann er in die Ausschüsse des Landtags gelangt und danach schliesslich vom Parlament beschlossen wird, weiss zur Zeit niemand.

Mittlerweile hat sich auch der Betriebsrat des Forschungszentrums mit allerlei Bedenken zu Wort gemeldet. Es scheint, als kämen auf die dortigen Bundesbediensteten beachtliche Nachteile zu, insbesondere im Bereich der Zulagen. Die Chefs versuchen zwar zu beschwichtigen, aber bei der FZK ist man allgemein der Ansicht, dass sie die Verlierer der KIT-Fusion sein werden. Viele sehen das Zentrum zur "verlängerten Werkbank" der Uni degenerieren.

Um die Meinung der 8.000 Uni- und FZK-Mitarbeiter zu KIT festzustellen, wurde die Unternehmensberaterfirma Boston Consulting von Rektor und Vorstand mit einer - vertraulichen - Internetumfrage beauftragt. Das Ergebnis war mager und aufschlussreich zugleich: nur 30% der künftigen Belegschaft beantworteten überhaupt die gestellten Fragen. Von denen waren nur 43 %, also eine klare Minderheit mit KIT voll einverstanden, die restlichen 57 % gar nicht oder nur zu Teilen. Boston Consulting verkaufte dieses mickrige Resultat trotzdem als Zeichen voller Zustimmung der Belegschaft, wohl nach dem Motto: "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing."

Vor wenigen Wochen wurde der Uni die Nutzung des KSC-Stadions angedient. Durch den Bundestagsabgeordneten Wellenreuther, der dafür aber gar nicht zuständig ist. Professor Hippler sagte trotzdem sofort zu, wohl eingedenk des Spruchs "Einem geschenkten Gaul, schaut man nicht ins Maul" und ungeachtet der Tatsache, dass die wenigen hundert Sportstudenten ein bundesligataugliches Stadion nie und nimmer sinnvoll nutzen können und dass für das umgebende Gelände ein Bebauungsverbot existiert. Die Sache ist noch am Kochen, aber jetzt schon kann man sagen, dass sich Magnifizenz mit dieser schnellen Zusage weder bei Minister Frankenberg noch bei Oberbürgermeister Fenrich sonderlich beliebt gemacht hat.

Einige tüchtige Gruppen- und Abteilungsleiter des Forschungszentrums machen sich Hoffnungen in den nächsten Jahren zu (Junior-)Professoren aufzusteigen, denn die Massenuniversität Karlsruhe muss dringend ihr Verhältnis von Lehrenden zu Studenten verbessern. Den alteingesessenen Fakultätsmitgliedern sind solche "Seiteneinsteiger" jedoch suspekt. Wahrscheinlich schiebt man die Applikanden in den Praktikums- und Übungsbetrieb ab und ob dafür Professorentitel winken, ist durchaus fraglich.

Ein grosses Thema unter den arrivierten Professoren ist derzeit ihre künftige Gehaltseinstufung. Bisher erhielten alle Ordinarien (von Zulagen abgesehen) in etwa die gleiche Bezahlung. Das soll sich in Zukunft ändern. Die "geistigen Spitzenreiter" werden - nach Hippler - bald mit einer signifikanten Erhöhung ihrer Bezüge rechnen können, z. T. aus der Hektorstiftung, z. T. aus Landesmitteln und Drittmitteln. Es wird demnächst also "first-class" und "sub-prime" Professoren geben.

Da die menschliche Psyche - Scheel und Neid - sich aber kaum ändern wird, kann man auf interessante Debatten innerhalb der Professorenschaft gespannt sein. Insbesondere beim "Anwerben" von internationalen Geistesheroen könnte es bald zugehen wie im Fussballgeschäft. Gelingt es der Elite-Uni Karlsruhe die ebenfalls elitäre ETH Zürich zu überbieten, dann schwebt der "Physiker-Klinsmann", samt Mitarbeiter und sonstigem Gefolge,eben nach Karlsruhe ein - für einige Jahre. Einen leichtenVorgeschmack erlebte man vor einigen Jahren bereits im Nanobereich des Forschungszentrums. Dort wurde - auf dem Briefbogen - ein leibhaftiger Nobelpreisträger aus Strassburg als Institutsleiter ausgewiesen. Zu Gesicht bekommen haben ihn bei FZK nur wenige.

Hellhörig macht, dass Hippler und Umbach in dem erwähnten Interview ankündigen, dass sie demnächst in die USA fahren würden, um dort mit dem Firmen IBM und Hewlett Packard Forschungskooperationen zu vereinbaren. Ausgerechnet mit diesen genuin US-amerikanischen Unternehmen HP und IBM! Wo bleibt da der Nutzen für die Bundesrepublik Deutschland? Warum soll der deutsche Steuerzahler die Forschungen dieser US-Riesen mitfinanzieren, nur damit diese demnächst mit den so generierten Produkten unsere inländischen Firmen an die Wand drücken?

Nein, da macht es die Universität Heidelberg - seit kurzem ebenfalls elitär - schon besser. Diese hat sich vor wenigen Monaten mit der Uni Mannheim und den regionalen deutschen Industrieunternehmen SAP, BASF, Merck, Heidelbergdruck sowie weiteren zu einem Forschungsverbund zusammen geschlossen. In enger Kooperation will man organische Leuchtdioden, OLED genannt, entwickeln. Als druckfähige Dünnstschichtzellen haben die OLEDs das Potential, die derzeitigen Siliziumsonnenzellen abzulösen, womit sich ein gigantischer Markt auftut. Im Erfolgsfalle könnte Nordbaden zu einem deutschen Silicon Valley werden.

Hoffenheim lässt grüssen.

Sonntag, 31. August 2008

Strom auf Pump

In meiner Fichtelgebirgsheimat ist zur Zeit eine mächtige Diskussion im Gange über - Sie werden es nicht erraten - über Pumpspeicherkraftwerke. Sie haben sicherlich von diesen Anlagen gehört, die es schon seit fast einem Jahrhundert gibt: Aus einem Obersee entlässt man Wasser durch Rohrleitungen in den Untersee, wobei die eingebauten Turbinen Strom erzeugen. Später pumpt man dieses Wasser wieder hoch und das Spiel beginnt von neuem. Den Nutzen sehen die Stromerzeuger darin, dass sie bei hohem Stromangebot (und niedrigen Preisen) den Obersee billig füllen können, um ihn bei hohem Strombedarf (und entsprechend hohen Preisen) wieder zu entleeren.

Ein solches Pumspeicherkraftwerk soll in der Nähe unserer Kreisstadt Wunsiedel entstehen, wobei der Obersee bei der Luisenburg, der Untersee im Röslautal liegen soll. Und wie immer bei Kraftwerksprojekten, gibt es leidenschaftliche Befürworter und ebenso leidenschaftliche Gegner. Der Dissens fängt schon damit an, dass die einen in dieser Anlage eine Stromerzeugungsmaschine, die anderen hingegen eine Stromvernichtungsmaschine sehen. Das mag verblüffen, aber erstaunlicherweise haben beide Parteien recht. Wenn ein Pumpspeicherkraftwerk sein Wasser aus dem Obersee entlässt, so produziert es ohne Zweifel Strom. Aber das Wasser muss später ja wieder hochgepumpt werden und dafür ist - wegen der unvermeidlichen Reibungsverluste etc. - etwa 30 % mehr Energie erforderlich. Energetisch könnte man also auch von einer "Stromvernichtungsmaschine" sprechen. Vom wirtschaftlichen Gesichtspunkt allerdings rechnet sich das Ganze, weil man, (siehe oben) zu gewissen Zeiten eben einen höheren Strompreis erzielen kann. Im Kern sind Pumpspeicherkraftwerke also Regelanlagen für das elektrische Netz.

Mancher Anwohner dieser künstlichen Seen spekuliert bereits auf ein erhöhtes sportliches Freizeitangebot, etwa im Bereich des Angelns, des Schwimmsports, der Segelei u.a.m. Aber daraus wird wohl nichts, denn aus Sicherheitsgründen wird man beide Seen einzäunen müssen. Während des Turbinen- und Pumpbetriebs schwankt der Wasserspiegel in kurzer Zeit um mehrere Meter und es kommt zu mächtigen Strömungen und gefährlichen Strudeln. Die meterdicken Rohrleitungen erzeugen ungeheure Sog- und Schwallkräfte, die einen Schwimmer aufs Höchste gefährden würden. Auch ökologisch und biologisch sind solche Pumpspeicherseen durchaus problematisch. In der Schweiz hat man durch Messungen festgestellt, dass die künstlichen und schnell aufeinander folgenden Hoch- und Niedrigwasser die Fischeier und Wasserorganismen wegschwemmen, sodass die Fischbestände in kurzer Zeit aussterben.

Woher kommt dieses plötzliche Interesse am Bau neuer Pumpspeicherkraftwerke, sodass man sogar von einer Renaissance einer altbekannten Technologie sprechen kann? Die Antwort ist einfach: es ist die Windkraft, welche nach solchen Regeleinheiten ruft, genauer gesagt, das Stromangebot aus Windmühlen. Dieser Strom wird bekanntermassen sehr unregelmässig produziert - eben nach Windanfall - muss aber von den Stromfirmen gemäss dem Gesetz für Erneuerbare Energien (EEG) ins Stromnetz übernommen werden. Und das zu einem relativ hohen Festpreis. Die naheliegende Idee ist, den zu Unzeiten erzeugten Windstrom für Pumpspeicherkraftwerke zu verwenden, um ihn zu Hochpreiszeiten von dort wieder abzurufen. Im Grunde ist das eine Veredelung von Abfallstrom mit entsprechendem wirtschaftlichen Nutzen.

Mit dieser Idee beschäftigen sich - im Dunstkreis des Stromversorgers RWE - bereits eine Reihe von Hochschulinstituten. An der Ruhr-Universität Bochum wird die optimale Kopplung von Wind- und Wasserkraftwerken in Diplomarbeiten untersucht und führte im Jahr 2006 zur Verleihung des Umweltpreises an Dipl. Ing. Leif-Erik Langhans. An der TH Aachen kommt Professor Haubrich zu der Feststellung, dass Pumspeicherkraftwerke "die Geschwister der Windkraft" seien, weil ökologisch sauberer Strom in idealer Weise mit Windenergie kombiniert werde. In vielen akademischen Systemstudien wird überlegt, wie man die deutschen Mittelgebirge als Standorte für Pumpspeicherkraftwerke verwenden könnte. Da der Windstrom zumeist an der Nordeeküste erzeugt wird, ist ausserdem die Genehmigung und der Bau zusätzlicher Stromtrassen vom Meer zum Gebirge erforderlich. Kein Wunder, dass die Bewohner dieser meist landschaftlich schönen Gebirgsgegenden sich gegen diese Verunstaltung ihrer Heimat heftig zur Wehr setzen.

Welche Möglichkeiten gibt es, um die Windenergie weiterhin sinnvoll nutzen zu können - ohne den beschriebenen Landschaftsverbrauch? Nun, dafür wäre es notwendig das EEG so zu novellieren, dass der Windstrom nicht mit Priorität ins Netz "gedrückt" werden muss, mit dem Risiko der Überlastung und sogar von Netzzusammenbrüchen. Stattdessen sollten nicht benötigte oder gefährdende Erzeugungsspitzen durch Abschalten bzw. Abregeln der Windräder gekappt werden. Dies könnte in den Lastverteilerzentralen der Energieversorgungsunternehmen geschehen.

Im Fazit wäre gesamtwirtschaftlich günstiger, die Windfarmbetreiber für den entgangenen Erlös durch Abschalten bei Netzüberlastung zu entschädigen - wie es analog bereits seit langem in der Agrarwirtschaft bei drohender Überproduktion von Nahrungsmittel geschieht. Aber gegen Ideologien ist schwer anzukämpfen.

Freitag, 22. August 2008

Festspiele in der Provinz

Eigentlich sollte für Richard Wagners "Ring der Nibelungen" und seine übrigen Werke in München ein monumentales Opernhaus hoch über den Isarufern gebaut werden. König Ludwig II von Bayern, Wagners Förderer, plante es so und hatte bereits den Architekten Gottfried Semper engagiert, den Erbauer des Dresdner Hoftheaters. Aber Wagner, sonst durchaus dem Prunk ergeben, wollte es anders. Für seine Tetralogie stellte er sich ein schmuckloses Aufführungstheater in der Provinz vor, fernab vom Getümmel der Metropole.

Als Wagner München zeitweilig verlassen musste und in der Schweiz lebte, wurde er beim Durchblättern eines Konversationslexikons (!) auf Bayreuth aufmerksam. Er besuchte 1871 diese Kleinstadt von damals 17.000 Einwohnern und sie gefiel ihm. Hier in"Bareid"
(oberfränkische Dialektbezeichnung) wollte er sein Opernhaus bauen, in dem ausschliesslich seine eigenen Werke aufgeführt werden sollten. Die Stadtverwaltung war darüber entzückt und schenkte ihm ein Grundstück, das Markgrafenpaar hiess ihn gnädig willkommen. Im Mai 1872 wurde der Grundstein für das Festspielhaus gelegt und schon im August des darauffolgenden Jahres konnte das Richtfest gefeiert werden. So schnell ging es damals, als Genehmigungsverfahren und Bürgerinitiativen noch unbekannt waren. Parallel dazu wurde sogar noch Wagners Wohnhaus, die "Villa Wahnfried" gebaut. Im Garten liess Wagner gleich eine Grabstelle für sich und seine Frau Cosima ausheben, in die er - detailversessen wie er war - mehrmals hinab stieg um die Raumverhältnisse zu überprüfen.

Zuschauerraum und Bühnenhaus des zukünftigen Festspielhauses sind als Holzfachwerk ausgeführt; die Aussenwände sind weitgehend aus rotem Ziegelstein und fast schmucklos, was dem Theater lange Zeit die despektierliche Bezeichnung "Scheune" eingetragen hat. (Erst 1960 wurde ein Tragwerk aus Beton und Stahl eingesetzt.) Der Zuschauerraum besteht aus gleichmässig ansteigenden Sitzreihen nach dem Vorbild der antiken Amphitheater, wodurch von allen 1976 (!) Plätzen eine perfekte Sicht zur Bühne gewährleistet ist. Fussboden, Pfeiler und Säulen sind aus Holz, natürlich auch die bekannt harten Sitzplätze, was dem Zuschauerraum eine hervorragende Akustik verleiht. Um diese nicht zu gefährden werden keine architektonische Änderungen zugelassen, lediglich den Festspielbesuchern wird ein dünnes Sitzkissen zugestanden. (Echte Wagnerianer verzichten auch darauf.)

Die Musiker sitzen - unsichtbar für die Zuschauer - in einem abgedeckten Orchestergraben. Er lässt den typischen "Bayreuther Mischklang" entstehen, der die Lokalisierung einzelner Instrumente unmöglich macht. Stattdessen hat man den Eindruck, dass sich der Orchesterklang "allgegenwärtig" im Raum ausbreitet. Der Philosoph Theodor v. Adorno prägte deshalb die Bezeichnung von der "Verdeckung der Produktion durch die Erscheinung des Produkts". Wagner führte im Orchestergraben auch eine neue Sitzordnung für die Musiker ein: die Ersten Violinen, die im Orchester die Führungsstimme haben, sitzen nicht, wie üblich, links, sondern rechts von Dirigenten. Diese seitenverkehrte Anordnung der Streicher führt bis heute bei neu engagierten musikalischen Leitern zu erheblicher Verwirrung.

Die Finanzierung des Theaters wollte Wagner durch einen Patronatsverein sichern, der als eine Art künsterischer Aktiengesellschaft, Anteilsscheine zum Verkauf anbot. Wie vorhersehbar, lief der Absatz nur schleppend und Wagners königlicher Freund Ludwig musste mehrmals in die Bresche springen, um das Bayreuther Projekt zu retten. Vorher hatte Wagner in fast demütigender Weise in Berlin antichambriert, aber der Reichskanzler Bismarck und Kaiser Wilhelm rückten nicht einen Pfennig heraus. Sau-Preiß´n!

Nach vielen Mühen konnten 1876 die ersten Festspiele in Bayreuth aufgeführt werden. Es war durchaus ein Erfolg, trotz mancher erkennbarer Mängel. So war bei der Premiere der riesige Drachen offensichtlich unvollständig und mit der Mechanik haperte es - zum Vergnügen der Zuschauer. Dies war jedoch kein Wunder, denn Siegfrieds Lindwurm wurde in London zwar nach exakten Vorgaben Wagners gebaut, aber dann an eine falsche Adresse versandt.

Er landete in Beirut (heute Libanon) und den langen Rückweg nach Bayreuth überlebte er nur in derangierter Form.

Montag, 11. August 2008

Bericht aus Bayreuth

Das Fichtelgebirge, jenes hufeisenförmige Mittelgebirge im Nordosten Bayerns, ist nicht jedem auf Anhieb geläufig. Das ist schade, denn meine Heimat lädt nicht nur zum Wandern und Fahradfahren ein, sondern bietet im Sommer auch vielfältige Veranstaltungen von Events bis zu Highlights der Kultur.

Zur ersteren Kategorie zähle ich die alljährlich ausgerichteten "Oberfränkischen Meisterschaften im Sautrog-Rennen" im 500-Seelen-Dörfchen Seussen, das zufällig mein Geburtsort ist und in dem ich auch die ersten 18 Jahre meines Lebens verbracht habe. Ein Sautrog ist ein etwa 2 Meter langer, 80 cm breiter und 70 cm tiefer Holztrog, in dem das frisch geschlachtete Schwein mit heissem Wasser überbrüht wird, um es von den Borsten zu befreien. Zwei dieser Sautröge stehen bei den genannten Meisterschaften für jeweils ein Paar Wagemutige zur Verfügung, welche sie auf dem Dorfteich mit Paddeln von einem Ufer zum anderen bewegen sollen. Über Vor - und Zwischenläufe gewinnt schliesslich die geschickteste und zeitschnellste "Mannschaft", meist junge Bauernburschen aus der Umgebung. Zwischenzeitlich fallen immer wieder einige, zum grossen Hallo der Zuschauer, in den Teich, denn die Tröge sind sind enorm kippelig und schwer zu steuern. Das sachkundige Publikum sitzt auf Holzbänken dicht gedrängt um den Dorfteich und geniesst bei Bier und Bratwurst diesen Wettkampf. Ein empfehlenswerter Event, noch dazu bei freiem Eintritt.

Kulturell noch höher anzusiedeln sind die alljährlichen Festspiele auf der Luisenburg, einem sehenswerten Labyrinth aus mächtigen Granitfelsen. Der gegenwärtige Intendant dieses sehr beliebten Theaterspektakels ist der Münchener Schauspieler Michael Lerchenberg, welcher im Fernsehen gelegentlich als Imitator des früheren bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber zu sehen ist. Dieses Jahr stand unter anderem das sehr renommierte Schauspiel "Der Watzmann ruft" auf dem Spielplan, was die Zuschauer in Scharen angelockt hat. Hollarödulliöh!

Jeweils am ersten Samstag im August wird im nahen Selb das "Fest der Porzelliner" ausgerichtet, in dessen Mittelpunkt der grösste Pozellanflohmarkt Europas steht. Mit weit über 300 Verkaufsständen zieht er die Liebhaber des "Weissen Golds" aus ganz Deutschland, ja sogar aus den angrenzenden Ländern und der Übersee an. In unmittelbarer Nähe der berühmten Fabriken Rosenthal, Hutschenreuther, Thomas, Arzberg etc. wird hier jeder fündig, der neues (und vor allem altes) Porzellan sucht. Insbesondere an Figuren entzündet sich immer wieder die Sammelleidenschaft; aber manchmal ist es auch nur ein bestimmtes Milchkännchen - etwa von Arzberg - das nachgekauft werden soll. Dabei sieht der echte Porzellanjäger immer zuerst nach dem Stempel auf der Unterseite, der eine Art Prüfsiegel darstellt.

Das Städtchen Bayreuth ist nur eine halbe Autostunde von meinem Wohnort Kirchenlamitz im Fichtelgebirge entfernt und die dort jeweils im August ausgerichteten Richard-Wagner-Festspiele zählen zu den Höhepunkten der Musikkultur. Tickets sind schwer zu bekommen, aber mir ist das noch immer gelungen - auf Wegen, die ich hier nicht beschreiben möchte, um meine blog-Leser nicht zu langweilen. Dieses Jahr fühlte ich mich besonders privilegiert, denn ich erhielt ein Kartenpaar für den gesamten Premieren-Nibelungenring und das sogar in der Mitte des Parketts. Von gewissen Parkettplätzen hört man in Bayreuth die Musik aus dem Orchestergraben besonders gut, weitaus besser als auf den rückwärtigen Logen. (In dieser Meinung bin ich offensichtlich nicht allein, denn unsere sehr musikverständige Bundeskanzlerin Angela Merkel sass mit Ehemann Sauer und einer bodyguard-Entourage gerade mal 4 Reihen vor uns.)

Der "Ring der Nibelungen", bestehend aus den 4 Opern Rheingold, Walküre, Siegfried und Götterdämmerung wird in Bayreuth gewöhnlich innerhalb einer Woche, beginnend am Montag und endend am Samstag aufgeführt. Zwei Tage, meist Mittwoch und Freitag sind "Ruhetage" für die Musiker und Sänger, aber auch das p.p. Publikum. Denn so eine Wagneroper, nachmittags mit Fanfarenstössen beginnend und 4-5 Stunden dauernd (mit zusätzlich 2 Pausenunterbrechungen) ist durchaus stressig für jemanden, der sie zum ersten Mal hört. Eine gewisse Vorbereitung, etwa an den Ruhetagen, durch Lesen der Textbücher und sonstiger einführender Literatur, ist da sehr zu empfehlen. Aber die über 9000 Textzeilen des Rings und seine mehr als 100 Leitmotive sind nicht leicht zu memorieren.

Ein Grobgerüst an textualen Verständnis hat man, wenn man weiss, dass der Ring - das Symbol der Macht - von einem Besitzer zum anderen wandert. Also probieren wir einen Schnelldurchlauf: anfangs liegt das Gold auf dem Grund des Rheins, bewacht von den Rheintöchtern. Der Nibelungen-Gnom Alberich raubt es und schmiedet daraus den Nibelungenring. Gottvater Wotan raubt den Ring von Alberich und entlöhnt damit die beiden Riesen Fafner und Fasolt, welche ihm die Götterburg Walhall gebaut haben. Das Paar gerät in Streit, Fafner erschlägt seinen Bruder Fasolt und nimmt den Ring an sich. Dazu auch den Tarnhelm, mit dessen Hilfe er sich in einen Drachen verwandeln kann. Der furchtlose Siegfried erschlägt den Drachen und übernimmt den Ring - ohne dessen Bedeutung zu kennen. Er gibt den Ring als Liebespfand an die Walküre Brünhilde, erobert ihn aber wieder (in Gunters Gestalt) von ihr zurück. Nach Siegfrieds Tod durch Hagen verbrennt sich Brünhilde mit Siegfrieds Leiche. Die Rheintöchter holen den Ring aus der Asche und bringen ihn wieder zurück auf den Grund des Rheins. Dort liegt er jetzt noch, aber Wagner lässt offen, ob ihn nicht abermals ein Furchtloser von dort rauben könnte, sodass sich die Geschichte von Liebe, Gold und Macht wiederholen würde.

Richard Wagner wäre wohl auch als dramatischer Dichter bekannt geworden, hätte er sich nicht zum genialen Komponisten entwickelt. Die Musik steht in Bayreuth klar im Vordergrund, unterstützt durch die hervorragende Akustik des Festspielhauses, welche dem Architekten (ohne Schallingenieure) gelungen ist. Schon das Vorspiel des Rheingold ist von der ersten Note an berührend. Es beginnt mit einem tiefen Es der Kontrabässe und Fagotte, über das sich nach einiger Zeit das sehr ruhige Es-dur-Naturmotiv der Hörner legt. Diese Linie verdichtet sich von Takt zu Takt, schwillt an und bricht plötzlich ab um in den Gesang der Rheintöchter überzugehen. Die Keimzellen von Wagners Musik sind die schon genannten Leitmotive. Sie sind einer bestimmten Person, einem Ereignis oder einer Stimmung zugeordnet und erzeugen durch ihre Wiederholung an bestimmten Stellen Assoziationen, wodurch die szenischen Zusammenhänge verdeutlicht werden. Die Musik des Rings kennt keine Unterbrechungen innerhalb eines Aktes. Alles ist "durchkomponiert", es entsteht eine "unendliche Melodie".

Die Anforderungen an die Sänger und Sängerinnen sind horrend. Wohl am stärksten gefordert ist Brünhilde, die gleich bei 3 Opern auf der Bühne steht. Aber auch Siegfrieds Rolle ist sehr anstrengend. Im 3. Akt der Oper Siegfried stehen beide wohl eine Stunde allein auf der Bühne, bis sie sich schliesslich, überwältigt von der Liebe, in die Arme fallen: "Leuchtende Liebe, lachender Tod"

Die Regisseure haben es schwer in Bayreuth. Meistens müssen sie sich eine Menge Buh-Rufe anhören, wie in diesem Jahr Tankret Dorst, der den Nibelungenring inszenierte. Da man in dieser Tetralogie nie zur letzten Deutung kommen wird und es viele Möglichkeiten der szenischen Umsetzung gibt, wird man immer nur einen Teil des Publikums zufrieden stellen können. Selbst beim berühmten Jahrhundertring von Patrice Chéreau 1976 kam es fast zu einer Saalschlacht zwischen konservativen und progressiven Theaterbesuchern. Heute ist Chéreau heilig gesprochen.

Wagnerfreunde sind eine besondere Sorte von Menschen. Als ich nach der Götterdämmerung - 5 Stunden reine Spielzeit - etwas knieweich dem Ausgang zustrebte, hörte ich eine schon betagte Dame zu ihrer Bekannten sagen: "Und morgen machen wir weiter mit Parsifal"!

Unverwüstlich, diese Wagnerianer.