Da tourt der Wirtschaftsprofessor Paul Krugmann durch Europa, legt einen Kurzstopp in Deutschland ein und wirft in einem Spiegel-Interview der Bundeskanzlerin Merkel und der deutschen Regierung "Dummheit" beim Umgang mit der Finanzkrise vor. Starker Tobak, der wohl kaum Qualm ausgelöst hätte, wäre Krugmann nicht gleichzeitig der diesjährige Nobelpreisträger für Wirtschaft.
Wenn Banken, Anleger, Ratingagenturen und Regierungen so global und total versagt haben, dann lohnt es sich möglicherweise unseren Top-Wissenschaftlern zuzuhören. Praktischerweise gibt es für die Wirtschaftswissenschaften einen eigenen Nobelpreis, den zwar nicht Alfred Nobel, sondern (erst vor 40 Jahren) die Schwedische Reichsbank gestiftet hat. Damals hatten die Banken noch Geld!
Die Liste der bisherigen Nobelpreisträger ist sehr heterogen. Von den 62 Laureaten kommt die Mehrzahl aus den USA (41) und aus Grossbritannien (7). Deutschland ist, wie Österreich und Indien, nur ein einziges Mal in dieser Nationenliste vertreten. Seltsam, könnte man meinen und Seltsam bzw. Professor Dr. Reinhard Seltsam heisst auch unser Mann, der zum Zeitpunkt der Preisverteilung an der Universität Bonn lehrte. Eigentlich ist er studierter Mathematiker, der die Erkenntnisse der Spieltheorie später auf die Volkswirtschaft anwendete. Mittlerweile (da Jahrgang 1930) ist er emeritiert, will aber trotzdem nächstes Jahr bei der Europawahl als Spitzenkandidat bei der bislang obskuren Liste "Europa - Demokratie - Esperanto" antreten. Letzteres deutet auf sein zweites Hobby hin: die Verbreitung der Kunstsprache Esperanto.
Durchmustert man das Portfolio der Themen, mit denen sich unsere Nobelpreisträger vorrangig beschäftigt haben, dann kommt man auf ein gutes Dutzend Bereiche. Immer wiederkehrend sind die Titel Wachstum, Konjunkturzyklen, Märkte und Beschäftigung, um die sich vielfältige Theorien ranken. Nahezu reine Mathematik sind die ökonometrischen Modelle und die Spieltheorien, mit denen man die Verhaltensweisen der Marktteilnehmer simulieren will. Deutlich im Vordergrund steht die Real- und Güterwirtschaft; Begriffe wie Derivate, Zertifikate oder gar "sub-prime" sucht man jedoch vergebens. Was, der Himmel, haben unsere Nobelwissenschaftler geforscht, als sich - so ab dem Jahr 2004 - die globale Finanzkrise über unseren Köpfen zusammenbraute? Warum haben sie nicht die Sturmglocke geläutet und uns Nichtsahnende gewarnt? Vermutlich, weil der Finanz- und Börsensektor in ihren Überlegungen eben nur eine geringe Rolle spielte.
Mit einer bemerkenswerten Ausnahme: der Amerikaner James Tobin erhielt 1981 den Nobelpreis für die Analyse spekulativer Währungstransaktionen. Zur Lenkung dieser Geldströme schlug er eine Steuer vor, die sogleich als "Tobin-Tax" von den Börsianern heftig angegriffen wurde, weswegen es auch nie zu deren Einführung kam. Übrigens hat sie vor einigen Jahren ein Jülicher Professor - der Kernphysiker(!) Otto Schult - wieder aufgegriffen und im Rahmen seiner sehr interessanten "Dämpfungstheorie" auf die Gesamtheit der weltweiten Geldtransaktionen übertragen.
Kehren wir zurück zu Paul Robin Krugmann, welcher den deutsch klingenden Namen seinem jüdischen Grossvater verdankt, der aus Weissrussland in die USA einwanderte. Den Nobelpreis 2008 erhielt Krugmann für seine Arbeiten zur "ökonomischen Geografie", in denen er sich detailliert mit Aussenhandel und Transportkosten auseinander setzte. Kapitalströme und Konjunkturpolitik - mit denen er sich in die gegenwärtige Politikdebatte einmischt - sind nicht eigentlich sein Ding. Aber was soll's. Als Volkswirtschaftsprofessor an der Universität Princeton ist er sozusagen allrounder. Und ein Zubrot verdient er sich noch als Kolumnist der "New York Times". Für diese, bekanntermassen nicht immer deutschfreundliche Zeitung, schreibt er jede Woche einen (knackigen) Artikel zur Weltwirtschaft.
Da kann Frau Merkel - siehe oben - schon mal ne Schramme abbekommen.
öh, was ist denn nun die Tobin Tax und die daraus abgeleitete Dämpfungstheorie?
AntwortenLöschenTobin wollte durch eine sehr niedrige Steuer (zwischen 0,05 und 1,0 Prozent) auf sämtliche internationale Devisentransaktionen die kurzfristige Spekulation auf Währungsschwankungen eindämmen. Er hoffte,dass sich damit die Wechselkurse der Währungen stärker an der Realwirtschaft als an kurzfristigen spekulativen Erwartungen orientieren würden.
AntwortenLöschen"Seltsam bzw. Professor Dr. Reinhard Seltsam heisst auch unser Mann... ...will aber trotzdem nächstes Jahr bei der Europawahl als Spitzenkandidat bei der bislang obskuren Liste "Europa - Demokratie - Esperanto" antreten."
AntwortenLöschenSelten und seltsam, daß ein Herr Selten Seltsam genannt wird!
Also nochmal: Prof. Dr. Reinhard Selten
Und obskur ist an unserer politischen Vereinigung nichts! Es wird Zeit, daß die Europäer sich Gedanken machen, wie sie sich gleichberechtigt unterhalten wollen.
http://www.e-d-e.eu/
Mir ist ein Fehler unterlaufen; ich bitte um Entschuldigung. Der zitierte Satz sollte wie folgt lauten: "Selten, könnte man meinen und Selten bzw. Professor Dr. Reinhard Selten heisst auch unser Mann, der zum Zeitpunkt der Preisverteilung an der Universität Bonn lehrte."
AntwortenLöschendanke
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