Samstag, 1. November 2008

Wer´s glaubt, wird selig

Eigentlich wollte ich mir nur den Revisionsprozess gegen den ex-EnBW-Chef Utz Claassen anhören; aber ich war zu früh am Bundesgerichtshof (BGH). Die "Sträfler", wie von den Pförtnern die Strafsenate locker-badisch genannt werden, hatten ihre Türen noch nicht geöffnet. Also suchte ich mir eines der schon laufenden Zivilverfahren aus. "Axel Springer AG gegen Hannover", las ich da auf dem Aushang. Das klang interessant und so marschierte ich zum Saal 004.

Der geneigte Leser mag mit Hannover nur die niedersächsische Landeshauptstadt oder seinen (derzeit schwächelnden) Fussballverein in Verbindung bringen Aber das ist weit gefehlt; es ging um Höheres. Kein geringerer als Seine Hoheit Prinz Ernst August von Hannover und Seine liebreizende Frau Gemahlin Prinzessin Caroline von Monaco wurden hier von der BILD-Zeitung und einigen Illustrierten beklagt. Sie wollten sich nämlich partout nicht auf ihren Grundstück an der Côte d ´Azur ablichten lassen, obwohl die Reporter bei Ernst August eine lebensbedrohliche Entzündung der Bauchspeicheldrüse vermuteten und die BILD-Leser dies sicherlich gerne mit eigenen Augen auf einem Photo konstatiert hätten. Nun, um es kurz zu machen, das Urteil war enttäuschend. Der 6. Zivilsenat hatte den Nerv, auch den Majestäten ein Privatleben an ihrem Strand zuzubilligen und schmetterten deshalb das Revisionsbegehren von Springer und Co ab. Im Grunde war mir das aber auch egal, denn ich war frustriert darüber, dass die süsse Caroline und ihr Herr Gemahl nicht selbst zur Verhandlung gekommen waren, sondern sich von ein paar langweiligen Rechtsanwälten hatten vertreten lassen.

Inzwischen hatte der 1. Strafsenat seine Pforten geöffnet und es gelang mir gerade noch, hinter den reichlich erschienen Gerichtsreportern einen guten Sichtplatz zu ergattern. Der voll gefüllte Zuschauerraum liess erkennen, dass hier ein interessantes Thema verhandelt werden sollte. Auch bei diesem Verfahren war der Beklagte, Utz Claassen, nicht selbst erschienen, wohl aber seine drei hochkarätigen Verteidiger, deren Tricks und Kniffs ich schon 2007, beim 4-wöchigen Prozess am Karlsruher Landgericht (LG) bestaunen durfte. Dort war Claassen, zur Überraschung vieler, ein glatter Freispruch gelungen. Das Gericht unter seinem Vorsitzenden Hans Fischer hatte geurteilt, dass das Verschenken von Tickets für die Fussballweltmeisterschaft 2006 an sieben Politiker keine Bestechung bzw. "Vorteilsnahme" darstellte. Die Staatsanwältin mit dem schönen Namen Yasemin Tüz wollte das Urteil so nicht hinnehmen, sie legte Revision ein und deshalb traf man sich jetzt beim BGH.

Aber Revisionsprozesse sind schwer zu gewinnen. Bei ihnen wird nämlich nicht mehr das gesamte Verfahren der Vorinstanz aufgerollt, sondern die fünf Richter prüfen nur, ob das ergangene Urteil "rechtlich" in Ordnung ist; es gibt kein neues Beweisverfahren. So war es auch nicht verwunderlich, dass nach 2-stündigem Plädieren der Anwälte der Senat die Revision der Staatsanwaltschaft abwies. Claasen wurde vom Vorwurf der Korruption in der sogenannten Ticket-Affäre freigesprochen.

Aber es war ein Freispruch "zweiter Klasse", den es rechtlich allerdings nicht gibt. Es bleibt ein schaler Nachgeschmack, "a Gschmäckle", wie die Schwaben sagen. Die BGH-Richter liessen nämlich durchklingen, dass es bei einer anderen Beweisswürdigung des Landgerichts durchaus zu einer Verurteilung des ehemaligen Konzernchefs hätte kommen können. Der Senatsvorsitzende Armin Nack sagte sogar in aller Deutlichkeit: "Wir hätten vielleicht etwas anderes rausgekriegt, wenn wir die Hauptverhandlung geführt hätten." Die wohlwollende Haltung des Landgerichts, auch das machte Nack in seiner mündlichen Urteilsbegründung deutlich, war Claassens Glück. Denn zwingend war der Freispruch nicht. Hätte das Landgericht sich von der Strafbarkeit Claassens überzeugt gezeigt, so Nack, "dann hätte wohl eine Verurteilung Claassens Bestand gehabt."

Trotz der vielen "hätte", Absonderlichkeiten gab es in dieser Ticket-Affäre zuhauf. Warum, zum Beispiel, versorgte Utz das halbe baden-württembergische Kabinett mit Gutscheinen für Logenplätze samt Catering - aber nicht Helmut Rau, den Sportminister des Landes? Der Umweltministerin Tanja Gönner, welche für die Aufsicht an seinen - nicht immer perfekt laufenden - (Kern-)Kraftwerken zuständig ist, bescheinigte er auf der begleitenden Weihnachtskarte "eine stets exzellente Zusammenarbeit." Und auch der für die Genehmigung dieser Kraftwerke verantwortliche Wirtschaftminister Ernst Pfister wurde beschenkt, bekam dann aber - als dies öffentlich wurde - wohl "kalte Füsse" und gab nicht nur die Tickets zurück, sondern zahlte "freiwillig" auch noch eine Geldbusse von 2.500 Euro. Warum eigentlich, wenn er sich unschuldig fühlen durfte?

Ganz duster wird es, wenn man die Umstände um den Berliner Staatssekretär Matthias Machnig betrachtet. Von der grauen Masse der wohl über hundert Staatssekretäre in der Berliner Regierung wurde er als Einziger für WM-Karten ausgewählt. Rein zufällig fällt in sein Ressort die Beaufsichtigung der sehr wichtigen Reaktorsicherheitskommission sowie der Gesprächsführung über die Emissionswerte der Kraftwerke. Darüberhinaus ist er noch "beamteter" Staatssekretär, womit er besonders einschränkenden Regeln für die Geschenkannahme unterliegt. Richter Nack äusserte deshalb auch sein Unbehagen darüber, dass nach der Rechtslage Präsente an Referatsleiter, etwa im Rang von Ministerialräten, eher strafbar seien, als an Minister oder Staatssekretäre, obwohl diese höhere Entscheidungsbefugnisse hätten.

Wie der Beamte Machnig an die WM-Karten kommen konnte, dafür hatte sich Claassen eine besondere "Erklärung" ausgedacht, die im Schwurgerichtssaal des Landgerichts allseitiges Schmunzeln auslöste. Angeblich sollte Machnig nur eine einfache Weihnachtskarte erhalten, aber den (drei!) Sekretärinnen von Claassen unterlief ein Missgeschick. Die Glückwunschkarten fielen nämlich versehentlich von Tisch und dabei löste sich irgendwo ein gelber Klebezettel und heftete sich rein zufällig an die Karte von Staatssekretär Machnig. Die gelben Zettel sollten kenntlich machen, wer von den Beglückwünschten zusätzlich Tickets erhalten sollte. Nun, wie es eben so ist in gut geführten Konzernsekretariaten, die drei Damen überprüften die Karten nach dem Absturz nicht mehr und so kam Herr Machnig zu seinem WM-Bonus. Zur Erinnerung: es gab nur 7 WM-Tickets und damit nur 7 Klebezettel. Diese Räuberpistole nahm das Landgericht Herrn Claassen ab. (Machnig zeigte sich übrigens, wie Pfister, schuldbewusst und zahlte auch 2.500 Euro Busse.)

Die Staatsanwaltschaft des Landgerichts vermutete schlicht, dass sich Claassen durch die gezielte Vergabe der WM-Tickets das Wohlwollen der Aufsichtsbehörden habe "erkaufen" wollen. Sie betrachtete auch den Umweg über das "Sponsoring" als "Klimapflege" und betrieb deshalb die Revision beim BGH. Damit ist sie nun endgültig gescheitert. Trotzdem: der Vorsitzende Richter Armin Nack kündigte an, dass sein Senat im schriftlichen Urteil die Abgrenzung zwischen Sponsoring und Korruption klarstellen werde. Was nicht gehe, so Nack, sei, dass man "den einen oder anderen besticht" und dann einfach sage, "wir nennen das Sponsoring".

Utz Claassen, derzeit 45 Jahre alt, kann sich beruhigt zurück lehnen. Der grosszügige Aufsichtsrat der EnBW hat ihm - bis zum Eintritt ins Rentenalter - jährlich 350.000 Euro für Nichtstun zugebilligt. Dieser Kostenblock erscheint jeden Monat (unspezifiziert) auf unserer Stromrechnung. Sein Managerkollege Josef Ackermann muss für wenig mehr, nämlich schlappe 500.000 Euro, bei der Deutschen Bank kräftig schaffen.


Falls die Androhung von Finanzminister Peer Steinbrück wahr werden sollte.

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