Dienstag, 25. November 2008

Chicago und Genf im Wettlauf

Die Inbetriebnahme des Large Hadron Collider (LHC) am CERN bei Genf wünschte er sich als krönenden Abschluss: der französische Gerneraldirektor Robert Aymar, dessen Amtszeit mit Ablauf des Jahres 2008 enden wird. Die Protonenpakete durch den 27 Kilometer langen Beschleunigerring zu fädeln, gilt als das "experimentum crucis". Dessen Gelingen würde die 20-jährige Planungszeit und die 8-jährige Bauzeit des LHC symbolisch beenden und die lang ersehnte Experimentierphase eröffnen.

Am 10. September 2008 gab der Projektleiter Lyn Evans grünes Licht für diese Prozedur. Zur Feier des Tages trug er ostentativ Jeans und ein kurzärmliges Hemd. (Sonst erscheint er regelmässig in Shorts und T-Shirt zur Arbeit). Und das Vorhaben gelang. Tausende fein justierter Magnete bogen und fokussierten den Protonenstrahl derart exakt, dass er auf dem langen Parcours nirgendwo gegen eine Wand stiess. Und als am Nachmittag die Protonenpakete auch sicher durch das zweite Strahlrohr liefen - diesmal entgegen dem Uhrzeigersinn - gab es bei den Tausenden von Mitarbeitern kein Halten mehr. Man lag sich in den Armen und Champagner war angesagt. Die Erfolgsmeldung ging über alle Ticker und für den 21. Oktober wurden die Vertreter aller am CERN beteiligten Länder zur Feier der offiziellen "LHC-Inauguration" eingeladen. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte spontan zu und wurde sogar mit der Festrede geehrt - vor 2000 geladenen Gästen. Immerhin ist Deutschland der grösste Partner bei CERN und finanziert satte 20 % des Jahresbudgets von 650 Millionen Euro. (Trotzdem ist Deutsch, im Gegensatz zu Englisch und Französisch, nicht Projektsprache. Warum eigentlicht nicht?)

In den folgenden Tagen wurde der Probebetrieb fortgesetzt, aber am 19. September - einem Freitag, wer würde da nicht abergläubisch werden - passierte das Unfassbare. Die Messgeräte registrierten Arges und ausgesandte Suchtrupps in Schutzanzügen stellten bald im Sektor 3-4 des Tunnels schlimme Zerstörungen fest. Mehrere Tonnen flüssiges Helium waren aus einem Leck entwichen und dabei verdampft. Dutzende von Dipol- und Quadrupolmagnete, tonnenschwer und bis zu 15 Metern lang, lagen verschmort und aus ihren Verankerungen gerissen umher. Viele der vorher hochreinen Bereiche waren mit einer Art Russ bedeckt. Die Ursache dieses Störfalls war schnell gefunden: eine defekte elektrische Verbindung zwischen zwei Magneten produzierte einen Spannungsabfall und kurz darauf einen elektrischen Lichtbogen, der den Heliumkryostaten durchschlug und die genannten Kollateralschäden verursachte. ( Die früheren LHC-Versuche hatte man mit geringerer Leistung gefahren, weswegen die Anlage wohl gerade noch gehalten hatte).

An eine Fortsetzung der Inbetriebnahmeversuche ist unter diesen Umständen nicht mehr zu denken. Die Reparatur des LHC wird ein Jahr oder auch länger dauern; der (zusätzliche) Kostenaufwand wird derzeit auf 20 Mio Euro abgeschätzt. Das ist insbes. deswegen schlimm, weil das CERN bereits jetzt wegen diverser anderer Kostenüberschreitungen verschuldet ist. In drei Jahren will man diese Kredite aus dem normalen Budget zurückzahlen. Eine grosse Aufgabe für den Chief Finance Officer, dessen Karriere beim KfK in Karlsruhe begonnen hat.

Noch schlimmer ist der psychologische Schock bei den Mitarbeitern, insbesondere den Experimentatoren. Diesen läuft nämlich kostbare Zeit davon. Sie wollten die Riesenmaschine u.a.dafür nutzen, um ein geheimnisvolles Teilchen aufzustöbern, das sog. Higgs-Teilchen. Es ist benannt nach dem schottischen Physiker Peter Higgs, der es vor gut 40 Jahren postuliert hat und welches den bislang bekannten 24 Kernteilchen ihre Masse verleiht. Ein geradezu charismatisches Teilchen; wer es als Erster findet, dem ist der Nobelpreis sicher - neben Peter Higgs, der mittlerweile auch schon 80 Jahre alt geworden ist.

Aber die Genfer Physiker sind nicht allein. Sie stehen im Wettlauf mit ihren Kollegen am Fermilab in Chicago. Diese besitzen mit dem Tevatron zwar nur einen leistungsschwächeren Beschleuniger, der aber den Vorteil hat, dass er gut läuft. Und die amerikanische Regierung hat kürzlich auch noch Finanzmittel bis zum Jahr 2010 bereitgestellt. Bis dorthin können die US-Physiker noch viel Strahlzeit akkumulieren und, wer weiss, vielleicht stossen sie bei der Analyse ihrer Datenberge schon bald auf das mysteriöse Higgs-Boson - während in Genf noch dekontaminiert und geschlossert wird.

Anzeichen für eine baldige Entdeckung dieses Partikels gibt es schon seit einiger Zeit. Immer wieder breschen einzelne Physiker des Fermilabs mit privaten Blogs vor, in denen sie interessante und neuartige Versuchsergebnisse veröffentlichen. So scheint es ziemlich sicher zu sein, dass die Higgs-Teilchen eine Masse unterhalb von 170 GeV besitzen. Solche Vorveröffentlichungen sind eigentlich gegen den Ehrenkodex der Wissenschaft und deshalb versucht das Management des Fermilabs sie zu unterbinden. In Genf setzt man die sog. Standardabweichung auf 5 sigma fest, d.h. eine zufällige Fluktuation hätte dann nur noch die geringe Wahrscheinlichkeit von 0.0001 Prozent. Man wird sehen, wie dieser Wettlauf ausgeht; die nächsten Monate und Jahre werden spannend.

An der Einweihungsfeier am 21. Oktober hielt Chefmanager Aymar eisern fest, auch wenn der Beschleuniger unter den Füssen der geladenen Gäste still lag. Der kurze Festakt fand auf der Frankreich zugehörigen Seite des CERN-Geländes, in einer vorher leergefegten, gleichwohl festlich dekorierten Werkhalle statt. Wohlgesichert durch die französische Polizei!

Viele der CERN-Forscher aber waren sichtbar verärgert, weil ihrer Meinung nach der Beschleuniger überstürzt in Betrieb genommen wurde und es dadurch zu der folgenschweren Panne gekommen ist. In mehreren Schweizer Zeitungen (u.a. Tribune de Geneve, Sonntag) wird der scheidenden Generaldirektor unverblümt harter Kritik unterzogen. Ein zu ehrgeiziger Terminplan habe zu übertriebenem Zeitdruck geführt, dem die Qualitätskontrolle zum Opfer fiel. Oder: er habe sich vor seinem Abgang noch ein persönliches Denkmal setzen wollen. Auch sein autoritärer Führungstil (mit dem er bereits als ehemaliger ITER-Projektleiter angeeckt ist) und sein nichtkommunikatives Verhalten kam bei den Professoren und Forschern des Experimentierbetriebs denkbar schlecht an. Diese trifft der zeitliche Rückschlag beim LHC ganz besonders, da viele Anstellungsverträge befristet sind und demnächst auslaufen. Im Kern sieht man das Problem darin, dass Aymar zu wenig Sachkenntnis auf dem Beschleunigergebiet mitbrachte und das Projekt mit zu grossem persönlichen Ehrgeiz betrieben hat.

Bundeskanzlerin Merkel liess sich übrigens für die Inaugurationsparty entschuldigen, womit sie wieder einmal ihr politisches Sensorium bewies. Ihren Part übernahm die Forschungsministerin Annette Schawan. Sie stellte auch Aymars Nachfolger, den Deutschen Rolf-Dieter Heuer vor, der CERN ab Januar 2009 als Generaldirektor leiten wird. Er ist damit erst der zweite Deutsche in dieser Funktion, fast genau 20 Jahre nach Herwig Schopper. Viele erwarten von Heuer, dass er als ehemaliger DESY-Forscher mehr Sachkunde einbringt und den autoritären Führungsstil seines Vorgängers abschafft.

Apropos: Bereits zu Schoppers Zeiten fanden die ersten Workshops zur Planung des heute fertiggestellten Large Hadron Collider statt. Soviel zu den Zeitkonstanten in diesem schwierigen Gewerbe.

Mittwoch, 19. November 2008

Morsleben ist nicht besser

Viele wissen es nicht: es gibt in Deutschland noch ein zweites Endlager für radioaktive Stoffe, das - ähnlich wie Asse II - jahrelang betrieben worden ist. Wir haben es von der guten, alten DDR geerbt und es hat den beklemmenden (lateinisch anklingenden) Namen Morsleben. Ähnlich wie Asse II wurde auch in Morsleben bei der Einlagerung von Abfällen unglaublich fahrlässig umgegangen - aber das soll der Reihe nach erzählt werden.

Geographisch liegt Morsleben im heutigen Sachsen-Anhalt, an der Grenze zu Niedersachsen beim ehemaligen Übergang Marienborn/Helmstedt. Merken Sie etwas? Alle deutsche Endläger - Asse II, Gorleben und Morsleben - sind an der früheren Zonengrenze gelegen. Wollte man sich gegenseitig etwas Gutes zukommen lassen?

Auch in Morsleben wurde ein halbes Jahrhundert lang (Kali-) Salz abgebaut. Entsprechend durchwühlt war das Bergwerk mit seiner Vielzahl von Schächten und Stollen. Während des Dritten Reichs wurde es sogar zwei Jahre lang als unterirdische Werkhalle genutzt. 2500 deutsche und ausländische Häftlinge des nahen Konzentrationslager Ravensbrück montierten dort den Düsenbomber Me 262 und die Raketen V1 und V2.

Ab 1965 nutzte die DDR den Salzstock zur Einlagerung ihrer Nukearabfälle aus den Reaktorstandorten Rossendorf, Rheinsberg und Greifswald. Noch vor der Erteilung der atomrechtlichen Genehmigung wurden bereits hunderte von Tonnen abgekippt. Schliesslich befanden sich etwa 15.000 Kubikmeter schwach- und mittelaktiver Abfall in dem maroden Bergwerk und zusätzlich über 6-000 Strahlenquellen.

Nach der Wiedervereinigung 1990 fiel das Endlager Morsleben an die Bundesrepublik. Einige jubelten, weil man (nach Asse II) nun ein zweites genehmigtes Endlager besass. In Wirklichkeit war es ein Danaergeschenk. Sachkundige Kritiker verwiesen schon zu Beginn auf die Laugenzuflüsse aus dem Deckgebirge, und hielten den Weiterbetrieb des Lagers für "lebensgefährlich bis kriminell". Sie wurden nicht gehört. Bundesumweltminister Klaus Töpfer - später in Nairobi zum Atomgegner mutiert - liess sich nicht beirren, trieb die Einlagerung voran und bezeichnete sie als "rechtmässig und sicher". Auch seine junge Amtsnachfolgerin A. M. , der noch eine grosse Karriere bevorstehen sollte, ignorierte die Expertenwarnungen. Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), schliesslich, versagte vollends. Es bestätigte zwar das Einsickern von Wasser in die Grube, sah dadurch aber nicht die Sicherheit des Endlagers gefährdet. (Dass die gleiche Behörde BfS ab 2009 Asse II "retten" soll, ist, gemessen an der Inkompetenz, welche sie bei Morsleben bewiesen hat, geradezu ein Witz.)

Im Zeitraum von 1994 bis 1998 wurde die Riesenmenge von 27.000 Kubikmeter Abfälle , vorzugsweise aus Westdeutschland, in Morsleben "entsorgt". Aber 1998 musste abrupt der Stopp der Einlagerung verfügt werden. Inzwischen war allen bewusst geworden, dass der Salzstock unmittelbar einsturzgefährdet war. Die Aushöhlungen, die Gewichte der Gebinde und der Laugenzufluss hatten seine Statik extrem riskant werden lassen. Seitdem bemüht man sich, ähnlich wie in Asse, um die "Schliessung" des Endlagers.

Mehrere hundert Millionen Euro wird das wohl kosten und viele Jahre dauern. Eine ziemliche Pleite.

Samstag, 15. November 2008

Gorleben ist nicht Asse

Gorleben steht wieder voll in der öffentlichen Diskussion, insbes. wegen der Atommülltransporte dorthin. Viele halten das in der Nähe dieses Ortes liegende atomare Endlager für ungeeignet, nur wenige kennen es aus eigener Ansicht. Einige Menschen verweisen auf die trüben Erfahrungen mit dem Versuchsendlager Asse II - und diese muss man ernst nehmen. Deshalb dieser Blog.

Es ist wohl bekannt, dass man den deutschen Atommüll - soweit er stark radioaktiv ist - in geologischen Steinsalzformationen lagern will. Von diesen kegelförmigen Lagern, auch "Dome" genannt, gibt es in Niedersachsen mehr als 200 in verschiedener Grösse. Sie entstanden vor ca. hundert Millionen Jahren, haben die Auffaltung der Alpen sowie ein Dutzend Eiszeiten und Zwischeneiszeiten überdauert und sind demnach geologisch ausserordentlich stabil. Insbesondere aber sind sie "trocken", d.h. sie stehen nicht in Verbindung mit der Biosphäre und schon gar nicht mit dem Grundwasser. Sonst wären sie nämlich längst weggeschwemmt.

Als in Deutschland um 1965 die ersten Forschungsreaktoren und Kleinkraftwerke radioaktiven Abfall produzierten, wollte man sich - versuchsweise - mit der Endlagerung dieser Nuklide befassen. Die Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung (GFS) erwarb im Auftrag des Bundes das aufgelassene Steinsalzbergwerk Asse II, südlich von Braunschweig gelegen, und beging dabei eine Reihe verhängnisvoller Fehler, die bis zum heutigen Tag nachwirken.

Fehler Nr. 1 war die Wahl des Standorts. Asse II liegt in enger Nachbarschaft zu den Salzstöcken Asse I und Asse III; beide waren bereits seit Jahrzehnten "abgesoffen", womit man bergmännisch das Volllaufen mit Wasser bezeichnet. Und selbst für Asse II sind zwischen 1906 und 1988 nicht weniger als 29 Wassereinbrüche dokumentiert. Angeblich wurden sie erfolgreich abgedichtet oder waren "vernachlässigbar klein" - bei immer noch um die 500 Liter pro Tag. Egal, diesen risikoreichen Salzstock hätte man nie und nimmer auswählen dürfen, insbes. da so viele Unbeschädigte zur Verfügung standen. Hinzu kam, dass er wegen des früheren Salzabbaus bereits sehr durchwühlt war; mehr als 100 riesige Kammern (sprich: Hohlräume) beeinträchtigten seine Stabilität.

Fehler Nr. 2 betraf das Genehmigungsverfahren. Statt des rigiden Atomrechts, wie es die Einlagerung radioaktiver Substanzen eigentlich erfordert, wählte man - bis heute, übrigens - das weitaus "grosszügigere" Bergrecht. Nach dem atomrechtlichen Verfahren wäre der Salzstock Asse II wegen seiner Wasserprobleme nie in Betracht gekommen.

Fehler Nr. 3 war die Einlagerungsmethode. Die Metallfässer, in denen man den Abfall anlieferte, wurden zum grössten Teil über eine Salzböschung in die Einlagerungskammern abgekippt und anschliessend mit losem Salz bedeckt. Man nannte das bildhaft "einpökeln", etwas vulgärer hätte man auch vom Betrieb eines "Plumpsklos" sprechen können. Insbesondere, weil die spätere Rückholung der Fässer damit praktisch unmöglich wurde.

Fehler Nr. 4 war die Tatsache, dass zwischen 1967 und 1978 nicht weniger als 126.000 Fässer mit schwach- und sogar mittelaktivem Abfall in Asse II eingelagert wurden. Von einer versuchsweisen Einlagerung kann man bei einer solchen Menge nicht mehr reden; da war eine Routineentlagerung im Gange. Die Fässer stammten zur Hälfte vom Kernforschungszentrum Karlsruhe und der dortigen Wiederaufarbeitungsanlage WAK. Meist handelte es sich um Laborabfälle, aber auch ca. 25 kg Uran und 6 kg Plutonium sind in Asse abgekippt worden.

Ich will mit der Aufzählung der grössten Fehler hier aufhören; man könnte noch einige weitere hinzufügen. Mittlerweile zeigen sich ernste Schäden am Salzstock, welche den Betreiber (er nennt sich jetzt Helmholtzinstitut) und die Gutachter, von denen sich einer gar als "Endlagerpapst" titulieren lässt, Tag und Nacht rotieren lassen. Denn seit 1988 laufen - täglich! - 12 Kubikmeter Salzlauge über die Südflanke des Bergwerks ein, wobei Ursache und Ort noch unbekannt sind. Das gefährdet logischerweise zusätzlich die Standsicherheit des verbliebenen Salzstocks. Seit mehreren Jahren versucht man diese gefährdete Südflanke mit Rückstandssalz zu verfüllen, was sich aber bis jetzt als vergebliche Mühe herausstellt. Zur Zeit wird wieder mal ein Schliessungskonzept für Asse II erarbeitet, das u.a. den Einbau von Strömungsbarrieren vorsieht. Es ist nicht unumstritten und man muss sehen was die Zukunft noch alles bringt. Auf alle Fälle wird die sichere Schliessung des Bergwerks noch lange dauern und viel Geld kosten.

Vergleicht man Asse II mit Gorleben, dem Referenzsalzstock für alle deutsche hochaktive Abfälle (HAW), so ist Gorleben wesentlich positiver zu bewerten. Zum einen ist dieser Salzstock rund 500 mal grösser als Asse und darüberhinaus befindet er sich in "jungfräulichem" Zustand. Das bedeutet, dass er nie angeritzt wurde, da er vorher nicht als Salzbergwerk genutzt worden ist. Mit Wassereinbrüchen hat man in Gorleben also nicht zu rechnen. Dieser Salzstock ist seit vielen Jahrmillionen trocken und wird es wohl noch eine Zeitlang bleiben. Senkrechte Schächte ausserhalb des Doms sind mit einen Stollen in 800 Metern Tiefe verbunden, wie man das im heutigen "Tatort"-Krimi der ARD gut sehen konnte. Das Endlager Gorleben ist gut exploriert und die Experten sind zu der Erkenntnis gelangt, dass dort die Lagerung von HAW sicher möglich ist. Trotzdem verlangte die frühere rot-grüne-Koalition ein 3 bis 10-jähriges Moratorium, währenddessen die weitere Erkundung des Salzstockes aus politischen Gründen unterbrochen wird. Selbstverständlich geschieht die Genehmigung des Endlagers Gorleben nicht nach dem Bergrecht, sondern nach dem weit strikteren Atomrecht.

Zurück zu Asse II. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel gerierte sich in den letzten Monaten als dessen heftigster Kritiker. In Presseerklärungen gibt er sich entsetzt über die dortigen Zustände und spricht von der "problematischten kerntechnischen Anlage Europas". Vielleicht hat er recht, aber warum hat er selbst die Dinge in der Vergangenheit so sträflich schleifen lassen?

Immerhin war er von 1999 bis 2003 Ministerpräsident des Landes Niedersachsen und auch jetzt noch ist er Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Salzgitter/Wolfenbüttel - worin
Asse II gelegen ist.

Freitag, 7. November 2008

KIT: Quo vadis, FZK?

Eigentlich sollte das sog. KIT-Gesetz, welches die Fusion von Universität und Forschungszentrum Karlsruhe (FZK) regelt, bereits zu diesem Herbst in trocknen Tüchern sein. Aber jetzt, da wir uns schon dem Winter nähern, liegt noch nicht einmal der Referentenentwurf vor, wie bei der gestrigen Akademischen Jahresfeier bekannt wurde. Woran es hakt, ist von aussen schwer abzuschätzen, aber einiges klingt doch durch. So scheint die Besetzung des Aufsichtsrats noch nicht klar zu sein. Uni-Rektor Hippler möchte am liebsten nur externe Mitglieder; die FZK´ler wollen aber auf ihr gewohntes Besetzungsrecht für Mitarbeiter nicht verzichten. Ausserdem will der Betriebsrat die Einigungsstelle nicht aufgeben, sonst hätte der zukünftige Arbeitgeber KIT das letzte Wort bei Streitigkeiten. Heiss diskutiert wird die sog. Zivilklausel, was bereits zu drei parlamentarischen Anfragen in Berlin und Stuttgart geführt hat. Hinter diesem Begriff versteckt sich die Militärforschung. An der Uni ist sie - viele wissen das gar nicht - durchaus erlaubt und wird auch (in kleinem Masstab) betrieben, am Forschungszentrum jedoch traditionell nicht.

Die derzeitige Pause in den Geschäften mit den Gesellschaftern nutzte der FZK-Vorstand, um sich Gedanken über seine künftige Organisationsstruktur zu machen. "Governance" nennt man das neuerdings. Chef Umbach stellt sich offensichtlich vor, dass unter dem 5-köpfigen Vorstand eine 2. Ebene von Direktoren mit Weisungsbefugnis eingezogen wird. Dies könnten zum Beispiel die Leiter der grossen Programme sein. Damit würden die Institutsleiter jedoch in die 3. Ebene rutschen, was diesen aber gar nicht behagt. In ihrem ureigenen Club, dem Wissenschaftlich-Technischen Rat (WTR) wird darüber heftig diskutiert. Vielleicht bereits zu spät, denn in den letzten Jahren hatte es den Anschein, als wäre der WTR etwas weggedämmert. Obschon er eine starke rechtliche Stellung als Gesellschaftsorgan hat, meldete er sich selten zu Wort und verkroch sich im KIT-Senat.

Noch grösser ist der Aufruhr an der Uni. Dort würde die 2. Ebene vermutlich von Dekanen besetzt werden, aber von diesen wollen sich die selbstbewussten Ordinariusprofessoren schon gar nichts sagen lassen. Deshalb kursiert auch bereits die Bezeichnung "Kümmerer-Ebene", was ausdrücken soll, dass diese Organisationsebene bei der Uni kein Weisungsrecht erhält. Aber kann der Rektor, mit seiner kleinen Mannschaft, die mehr als 200 Institutsleiter dirigieren?

Auch bei der Besetzung der Institutsleiterstellen knirscht es immer wieder in der FZK. Betrachten wir den Energiebereich. Dort wird jetzt bereits die dritte Hausberufung in einem wichtigen Institut vorbereitet. Nach der Fusion (Noe-ITB), der Endlagerung (Geckeis-INE) kommt es nun auch beim Reaktorinstitut INR zur Berufung eines internen Bewerbers, nachdem der an erster Stelle gelistete externe Kandidat plötzlich abgesagt hat. Angeblich waren ihm die Strukturen zu undurchsichtig. Auch das wichtige Fusionsprojekt ist schon seit Monaten führungslos und wird, so gut es eben geht, von einem pensionierten Vorstandsmitglied halbtägig geleitet.

Dabei sind gerade bei der Energieforschung die Ziele des FZK hoch gesteckt. "KIT wird Europas führendes Zentrum für Energieforschung werden", verkünden Programmleiter und Fachvorstand unisono. Dabei lehnt man sich weit aus dem Fenster. Man vergleiche demgegenüber die experimentelle Basis des französischen CEA in Cadarache und Marcoule: zwei Versuchsreaktoren Horowitz und Phenix, ITER, Wiederaufarbeitungsanlagen, Plutoniumlabore etc. etc.

Aber selbst in Deutschland schläft die Konkurrenz nicht. In Berlin soll demnächst eine private Hochschule für Energieforschung entstehen. Das "Global Energy Institute Berlin" ist für 500 Masterstudenten und 15 Professoren konzipiert und wird von Forschungsministerin Schavan und Aussenminister Steinmeyer nachdrücklich unterstützt. Im sächsischen Freiberg hat die Bundeskanzlerin Merkel kürzlich die Anlage "Choren" eingeweiht, die jährlich 15.000 Tonnen Diesel aus Holzabfällen herzustellen vermag. Man kann sie sehr wohl in Konkurrenz zum Bioliq-Verfahren des FZK sehen, aber leider ist dessen Pilotanlage terminlich stark zurückgefallen, wofür aber die Kosten gestiegen sind.

Eine weitere Personalie: hartnäckig hält sich seit Monaten das Gerücht bei FZK, wonach der für Energie zuständige Vorstand vom Gesellschafter für "höhere Aufgaben" vorgesehen sei. Immer wieder wird auf die Energiewerke Nord bei Lubmin verwiesen, welche sich vorzugsweise mit dem Rückbau nuklearer Anlagen beschäftigen und deren gegenwärtiger Leiter sich dem Ruhestand nähert.

Über die Internet-Umfrage zu KIT bei den Uni- und FZK-Mitarbeitern wurde bereits berichtet. Nur 30 % der zukünftigen Belegschaft beantworteten überhaupt die gestellten Fragen; von diesen waren nur 43 % , also eine klare Minderheit, voll mit KIT einverstanden. Viele Mitarbeiter haben in ihren Antworten persönliche Bemerkungen angefügt und dabei beträchtlich "vom Leder" gezogen. Nach der offiziellen Auswertung wurde folgendeKommentare bekannt: Man sieht die wissenschaftliche Mitbestimmung gefährdet, kritisiert den wilden Aktionismus sowie die Hau-Ruck-Aktionen und bemängelt die ausufernde Bürokratie und den entstehenden Wasserkopf. Bezogen auf den Informationsfluss wünscht man sich weniger Hochglanz und Selbstbeweihräucherung, stattdessen klare Informationen und zwar vor den Entscheidungen. Schliesslich kritisiert man den hohen Aufwand des KIT-Prozesses, ohne, dass er zu einem klaren Mehrwert führt und man hat grosse Bedenken gegen die Übernahme des FZK durch die Uni mit ihrer ganz andersartigen Kultur.

Einer hat bereits das Weite gesucht: der Uni-Kanzler Dr. Dietmar Ertmann. Er setzte sich nach Pakistan ab, um dort bei der Gründung einer Universität zu helfen.

War ihm die Gründung des KIT zu wenig anspruchsvoll?

Samstag, 1. November 2008

Wer´s glaubt, wird selig

Eigentlich wollte ich mir nur den Revisionsprozess gegen den ex-EnBW-Chef Utz Claassen anhören; aber ich war zu früh am Bundesgerichtshof (BGH). Die "Sträfler", wie von den Pförtnern die Strafsenate locker-badisch genannt werden, hatten ihre Türen noch nicht geöffnet. Also suchte ich mir eines der schon laufenden Zivilverfahren aus. "Axel Springer AG gegen Hannover", las ich da auf dem Aushang. Das klang interessant und so marschierte ich zum Saal 004.

Der geneigte Leser mag mit Hannover nur die niedersächsische Landeshauptstadt oder seinen (derzeit schwächelnden) Fussballverein in Verbindung bringen Aber das ist weit gefehlt; es ging um Höheres. Kein geringerer als Seine Hoheit Prinz Ernst August von Hannover und Seine liebreizende Frau Gemahlin Prinzessin Caroline von Monaco wurden hier von der BILD-Zeitung und einigen Illustrierten beklagt. Sie wollten sich nämlich partout nicht auf ihren Grundstück an der Côte d ´Azur ablichten lassen, obwohl die Reporter bei Ernst August eine lebensbedrohliche Entzündung der Bauchspeicheldrüse vermuteten und die BILD-Leser dies sicherlich gerne mit eigenen Augen auf einem Photo konstatiert hätten. Nun, um es kurz zu machen, das Urteil war enttäuschend. Der 6. Zivilsenat hatte den Nerv, auch den Majestäten ein Privatleben an ihrem Strand zuzubilligen und schmetterten deshalb das Revisionsbegehren von Springer und Co ab. Im Grunde war mir das aber auch egal, denn ich war frustriert darüber, dass die süsse Caroline und ihr Herr Gemahl nicht selbst zur Verhandlung gekommen waren, sondern sich von ein paar langweiligen Rechtsanwälten hatten vertreten lassen.

Inzwischen hatte der 1. Strafsenat seine Pforten geöffnet und es gelang mir gerade noch, hinter den reichlich erschienen Gerichtsreportern einen guten Sichtplatz zu ergattern. Der voll gefüllte Zuschauerraum liess erkennen, dass hier ein interessantes Thema verhandelt werden sollte. Auch bei diesem Verfahren war der Beklagte, Utz Claassen, nicht selbst erschienen, wohl aber seine drei hochkarätigen Verteidiger, deren Tricks und Kniffs ich schon 2007, beim 4-wöchigen Prozess am Karlsruher Landgericht (LG) bestaunen durfte. Dort war Claassen, zur Überraschung vieler, ein glatter Freispruch gelungen. Das Gericht unter seinem Vorsitzenden Hans Fischer hatte geurteilt, dass das Verschenken von Tickets für die Fussballweltmeisterschaft 2006 an sieben Politiker keine Bestechung bzw. "Vorteilsnahme" darstellte. Die Staatsanwältin mit dem schönen Namen Yasemin Tüz wollte das Urteil so nicht hinnehmen, sie legte Revision ein und deshalb traf man sich jetzt beim BGH.

Aber Revisionsprozesse sind schwer zu gewinnen. Bei ihnen wird nämlich nicht mehr das gesamte Verfahren der Vorinstanz aufgerollt, sondern die fünf Richter prüfen nur, ob das ergangene Urteil "rechtlich" in Ordnung ist; es gibt kein neues Beweisverfahren. So war es auch nicht verwunderlich, dass nach 2-stündigem Plädieren der Anwälte der Senat die Revision der Staatsanwaltschaft abwies. Claasen wurde vom Vorwurf der Korruption in der sogenannten Ticket-Affäre freigesprochen.

Aber es war ein Freispruch "zweiter Klasse", den es rechtlich allerdings nicht gibt. Es bleibt ein schaler Nachgeschmack, "a Gschmäckle", wie die Schwaben sagen. Die BGH-Richter liessen nämlich durchklingen, dass es bei einer anderen Beweisswürdigung des Landgerichts durchaus zu einer Verurteilung des ehemaligen Konzernchefs hätte kommen können. Der Senatsvorsitzende Armin Nack sagte sogar in aller Deutlichkeit: "Wir hätten vielleicht etwas anderes rausgekriegt, wenn wir die Hauptverhandlung geführt hätten." Die wohlwollende Haltung des Landgerichts, auch das machte Nack in seiner mündlichen Urteilsbegründung deutlich, war Claassens Glück. Denn zwingend war der Freispruch nicht. Hätte das Landgericht sich von der Strafbarkeit Claassens überzeugt gezeigt, so Nack, "dann hätte wohl eine Verurteilung Claassens Bestand gehabt."

Trotz der vielen "hätte", Absonderlichkeiten gab es in dieser Ticket-Affäre zuhauf. Warum, zum Beispiel, versorgte Utz das halbe baden-württembergische Kabinett mit Gutscheinen für Logenplätze samt Catering - aber nicht Helmut Rau, den Sportminister des Landes? Der Umweltministerin Tanja Gönner, welche für die Aufsicht an seinen - nicht immer perfekt laufenden - (Kern-)Kraftwerken zuständig ist, bescheinigte er auf der begleitenden Weihnachtskarte "eine stets exzellente Zusammenarbeit." Und auch der für die Genehmigung dieser Kraftwerke verantwortliche Wirtschaftminister Ernst Pfister wurde beschenkt, bekam dann aber - als dies öffentlich wurde - wohl "kalte Füsse" und gab nicht nur die Tickets zurück, sondern zahlte "freiwillig" auch noch eine Geldbusse von 2.500 Euro. Warum eigentlich, wenn er sich unschuldig fühlen durfte?

Ganz duster wird es, wenn man die Umstände um den Berliner Staatssekretär Matthias Machnig betrachtet. Von der grauen Masse der wohl über hundert Staatssekretäre in der Berliner Regierung wurde er als Einziger für WM-Karten ausgewählt. Rein zufällig fällt in sein Ressort die Beaufsichtigung der sehr wichtigen Reaktorsicherheitskommission sowie der Gesprächsführung über die Emissionswerte der Kraftwerke. Darüberhinaus ist er noch "beamteter" Staatssekretär, womit er besonders einschränkenden Regeln für die Geschenkannahme unterliegt. Richter Nack äusserte deshalb auch sein Unbehagen darüber, dass nach der Rechtslage Präsente an Referatsleiter, etwa im Rang von Ministerialräten, eher strafbar seien, als an Minister oder Staatssekretäre, obwohl diese höhere Entscheidungsbefugnisse hätten.

Wie der Beamte Machnig an die WM-Karten kommen konnte, dafür hatte sich Claassen eine besondere "Erklärung" ausgedacht, die im Schwurgerichtssaal des Landgerichts allseitiges Schmunzeln auslöste. Angeblich sollte Machnig nur eine einfache Weihnachtskarte erhalten, aber den (drei!) Sekretärinnen von Claassen unterlief ein Missgeschick. Die Glückwunschkarten fielen nämlich versehentlich von Tisch und dabei löste sich irgendwo ein gelber Klebezettel und heftete sich rein zufällig an die Karte von Staatssekretär Machnig. Die gelben Zettel sollten kenntlich machen, wer von den Beglückwünschten zusätzlich Tickets erhalten sollte. Nun, wie es eben so ist in gut geführten Konzernsekretariaten, die drei Damen überprüften die Karten nach dem Absturz nicht mehr und so kam Herr Machnig zu seinem WM-Bonus. Zur Erinnerung: es gab nur 7 WM-Tickets und damit nur 7 Klebezettel. Diese Räuberpistole nahm das Landgericht Herrn Claassen ab. (Machnig zeigte sich übrigens, wie Pfister, schuldbewusst und zahlte auch 2.500 Euro Busse.)

Die Staatsanwaltschaft des Landgerichts vermutete schlicht, dass sich Claassen durch die gezielte Vergabe der WM-Tickets das Wohlwollen der Aufsichtsbehörden habe "erkaufen" wollen. Sie betrachtete auch den Umweg über das "Sponsoring" als "Klimapflege" und betrieb deshalb die Revision beim BGH. Damit ist sie nun endgültig gescheitert. Trotzdem: der Vorsitzende Richter Armin Nack kündigte an, dass sein Senat im schriftlichen Urteil die Abgrenzung zwischen Sponsoring und Korruption klarstellen werde. Was nicht gehe, so Nack, sei, dass man "den einen oder anderen besticht" und dann einfach sage, "wir nennen das Sponsoring".

Utz Claassen, derzeit 45 Jahre alt, kann sich beruhigt zurück lehnen. Der grosszügige Aufsichtsrat der EnBW hat ihm - bis zum Eintritt ins Rentenalter - jährlich 350.000 Euro für Nichtstun zugebilligt. Dieser Kostenblock erscheint jeden Monat (unspezifiziert) auf unserer Stromrechnung. Sein Managerkollege Josef Ackermann muss für wenig mehr, nämlich schlappe 500.000 Euro, bei der Deutschen Bank kräftig schaffen.


Falls die Androhung von Finanzminister Peer Steinbrück wahr werden sollte.