Spekulationsblasen gab es immer wieder in der neueren Finanz- und Wirtschaftsgeschichte. Eine ganz besonders schlimme, die Immobilienblase, versuchen unsere Politiker derzeit in den Griff zu bekommen. Unter welchen Konsequenzen für uns alle, kann noch gar nicht abgeschätzt werden. Sicher ist eigentlich nur, dass die Krise mit der Ausgabe "fauler" Hypothekendarlehen in den USA ihren Anfang nahm, dass diese Kredite als Zertifikate über die ganze Welt verstreut wurden und, mit dem positiven Testat der Rating-Agenturen versehen, von den Banken in grosser Zahl gekauft wurden. Darauf sitzen die Banker nun und misstrauen einander.
Die vorletzte Spekulationsblase, bei welcher sich der Finanzmarkt zeitweise völlig von der realen Güterwirtschaft abgekoppelt hatte, war die sogenannte Internetblase vor ca. 8 Jahren. Die Internettechnologie verbreitete sich bekanntlich mitte der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, als der Amerikaner Jim Clark mit seinem Browser "Netscape" jedem PC-Besitzer den schnellen Zugang zum World Wide Web verschaffte. Bill Gates von Microsoft hatte diese Entwicklung anfangs verpasst, zog aber bald mit dem Netzzugang "Explorer" nach. Die Folge war ein weltweiter Boom an (zumeist) kleinen Firmen, welche diese Technologie aufgriffen, um kreative Software für wirtschaftliche Nutzanwendungen zu entwickeln.
In Deutschland war die Firma Pixelpark prominent, welche unter ihren "Guru" Paulus Neef Multimediaanwendungen betrieb. Sie erschien so "sexy", dass sich sogar ansonsten stockkonservative Unternehmen, wie Bertelsmann, bei ihr einkauften. In Jena gründete der 30-jährige Stephan Schambach die Fa. Intershop, die vornehmlich auf E-commerce ausgerichtet war. Lothar Späth, als Chef der Jen-Optik, wurde nicht müde, ihn als Vorzeigeunternehmer der aufstrebenden östlichen Länder zu preisen. Karl Matthäus Schmidt, schliesslich, wurde mit seiner Kleinfirma Consors schon als 25-jähriger "Unternehmer des Jahres", weil er mit seinem Internetportal den Bankkunden die direkte Erledigung ihrer Geschäfte ermöglichte. Im weiteren Umfeld gab es noch einige kleine Firmen, die sich mit Gentechnik und Biomedizin beschäftigten (z.B. Morphpsys, Qiagen) und sogar das später berühmt-berüchtigte Filmunternehmen EM.TV der Brüder Thomas und Florian Hoffa, rechnete man dazu.
Diese Kleinunternehmen ("start-ups") wurden anfangs von risikobereiten "Venture- Capital-Gesellschaften" finanziert, oder auch direkt von vermögenden Privatpersonen. Und wahrscheinlich wäre alles gut gegangen, wenn es bei diesem Finanzierungsschema geblieben wäre. Stattdessen überredete man die Internetfirmen- obschon keine von ihnen nennenswert Gewinne machte - sich in Aktiengesellschaften umzuwandeln. Die Deutsche Börse richtete flugs ein eigenes Börsensegment, den Neuen Markt (NEMAX) ein, und die renommierten Geschäftsbanken wie Deutsche Bank, Dresdner Bank, Commerzbank etc. nahmen die noch grünen Kleinunternehmer "unter ihre Fittiche".
Mit der Ausgabe der Aktien wurde der staunenden und gutgläubigen Käuferwelt auch eine neue volkswirtschaftliche Theorie verkauft: die New Economy. Die Verfechter diesen neuen Ökonomie behaupteten, dass die industrielle Fertigung von Gütern immer weniger wichtig werde, und an ihre Stelle die Verteilung von Informationen und Inhalten träte, der sog. Content. Während in der klassischen Wirtschaft die Knappheit eines Gutes seinen Preis bestimme, geschähe dies in der New Economy über den weltweiten Verbreitungsgrad. Es gelte, möglichst vielen Menschen den Zugang zu Komunikationsmitteln zu ermöglichen, dann werde sich der Gewinn von selbst einstellen.
Wichtig war also das Wachstum dieser jungen Internetfirmen - und nicht ihre Rendite. Deshalb wurde Pixelpark-Chef Paulus Neef von den Journalisten auch immer wieder gefragt, wieviele Mitarbeiter ("pixels") er pro Quartal einstellen könne. Schliesslich schaffte es Neef auf 1.200 Angestellte zu kommen, die sich allesamt duzten und die auf flachen Hierarchien angesiedelt waren. Mehr gab der abgegraste Informatikermarkt nicht her, sodass zeitweise sogar Inder angeheuert werden mussten. (Den ersten Gewinn machte die später mehrfach umstrukturierte Firma Pixelpark im Jahr 2006; es waren bescheidene 780.000 Euro)
Das grosse Publikum, welches weder vom Internet noch von Aktien eine wirkliche Ahnung hatte, rieb sich die Augen und stellte fest, dass der Kurswert dieser Kleinunternehmen rasant stieg. Um die Jahrtausendwende besassen die drei Firmen Pixelpark, Intershop und Consors zusammen einen Börsenwert von 30 Milliarden Mark, womit sie den Volkswagenkonzern übertrafen. Dabei machte VW 147 Milliarden Mark Umsatz, die drei Zwerge aber noch nicht mal eine halbe. Und Volkswagen gehörten weltweit viele Dutzend Fabriken und Immobilien, während das Vermögen der dreien aus ca. 2.000 PC bestand, vergleichbar mit einem heutigen Call-Center.
Zwischen den Jahren 1999 und 2000 explodierten die Börsenkurse der Internetfirmen geradezu. Die BILD-Zeitung berichtete fast täglich über neue Millionäre und viele Menschen plünderten ihr Sparbuch um damit Internetaktien zu kaufen. Sogar Stammtische wandelten sich spontan in Aktienvereine um und statt "contra" und "re" hiess es jetzt "kaufen" bzw. "halten". Gleiches galt für die Kaffekränzchen der Damen, welche sich ebenfalls mutig ins Börsengetümmel stürzten, um mit den erwarteten Gewinnen Urlaubsreisen in die USA zu finanzieren. Der Aktienkauf war zum Volkssport geworden. In dieser Goldgräberstimmung verscherbelte auch Siemens clever ihre gewinnarme Halbleiterfertigung Infineon und Telekom brachte mit einer weiteren Tranche an "Volksaktien" viele Unbedarfte um viel Geld.
Am 13. März 2000 war die Party zu Ende. Als die Internetfirmen in ihren Bilanzen nur Verluste meldeten, wollten plötzlich alle verkaufen und die Kurse der Aktien krachten nach unten. Vorzeigeunternehmer Schambach sass gerade im Flugzeug nach Kalifornien und wollte Geschäfte mit Silicon Valley machen. Als er in San Franzisco ausstieg, war der Wert seines Unternemens um 70 % abgestürzt und er konnte gleich wieder den Rückflug antreten. Der Kurs der Pixelpark-Aktie, der nach der Ausgabe 1999 innerhalb eines Monats von 5 auf 60 DM gestiegen war und dann innerhalb weniger Monate weiter bis auf 338 DM, fiel wieder zurück auf 5 DM. Aus vielen, vorher heissbegehrten Aktien, waren "penny-stocks" geworden, deren Wert sich jetzt im Pfennigbereich bewegte. Die Internetfirmen mussten den Grossteil ihres Personals entlassen; die "Pixels" richteten, zu Neefs Verdruss und zur Freude der Gewerkschaften, sogar einen Betriebsrat ein. Viele der zuvor noch händeringend gesuchten Informatiker standen arbeitslos auf der Strasse.
Die Deutsche Börse beschloss, ihr bisher hochgeschätztes Technologiesegment Nemax aufzulösen. Ähnlich und zeitgleich wie in Deutschland, verlief der Niedergang der Internetaktien auch in der übrigen Welt. Viele Menschen hatten viel Geld verloren und waren zum Teil sehr arm geworden. Der Wert des DAX fiel von 8000 im Jahr 2000 auf 2400 im Jahr 2003. Den ursprünglichen Wert von 8000 erreichte er erst wieder 4 Jahre später - und da befanden wir uns bereits (ohne es zu ahnen) wieder in der nächsten Krise, der Immobilienkrise.
Ohne Beschädigung kamen die bereits genannten drei deutschen Grossbanken aus dieser Malaise. Sie hatten rechtzeitig "Kasse gemacht" und ausserdem fette Provisionen bei den Börsengängen der Internetfirmen bezogen. Dass sie dabei sehr fahrlässig bei der Bewertung dieser Jungfirmen waren, wurde von der Börsenaufsicht leider nicht bemängelt und schon gar nicht sanktioniert.
Eines unterscheidet die damalige Internetblase recht deutlich von der heutigen Immobilienblase: die Wertschöpfung. Das Internet ist eine Megatechnologie im Bereich der Kommunikation und der Multimedia. Im Verlaufe der Internet-Ära wurden - bis heute, übrigens - wirkliche technische und wirtschaftliche Werte geschaffen. Die Internettechnologie samt begleitender Hardware und Software (www, Mobiltelefon, Notebook, Glasfaser, Breitband, Digitaltechnik, MP3, Cisco, Amazon, Ebay,Yahoo, Google, Youtube, Wikipedia etc.etc.) ist ein technischer und wirtschaftlicher Quantensprung und durchaus vergleichbar mit der Einführung der Eisenbahn und des Automobils. Diese jungen Informatiker haben in weniger als zwei Jahrzehnten mit Begeisterung eine neue Welt geschaffen. Dass ihre finanzielle Unbedarftheit von den Bankern so schamlos ausgenutzt wurde - auch zu Lasten grosser Teile der Bevölkerung - ist ihnen nicht vorzuwerfen.
Demgegenüber ist die heutige Krise eine Folge der weltweiten Zockerei der Bank- und Investmentmanager, bei der - ausser ein paar schon vergammelnde Holzhäuser in den USA - keine bleibenden Werte geschaffen wurden. Viele der Bankbosse haben sich dabei die eigenen Taschen voll gestopft.
Wir werden die Schleifspuren dieser Rezession sicherlich viel länger erdulden müssen als bei der Internetkrise.
Aus heutiger Sicht ist auch interessant, dass die genannten deutschen Startups Pixelpark, Consors und Intershop ueber sehr valide Businessmodelle verfuegten. Offensichtlich waren sie nicht in der Lage zu "executen" (Intershop) oder geblendet von der Idee des "Landgrab/New Economy" (Pixelpark). Die heutigen prominenten Internet Startups verfuegen nicht ueber derartige Business Modelle (Facebook, LinkedIn, ...).
AntwortenLöschenZum Post: der Unetrecshied zwischen Fianzkrise und New Economy scheint richtig. Insofern ist die Finanzkrise eher zur Tulpenblase in Holland vergleichbar. (http://www.bwl-bote.de/20020801.htm)
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
AntwortenLöschenSehr interessante Zusammenfassung und Argumentation. DANKE!!!
AntwortenLöschen