Der Denkmalschutz, eine eher untergeordnete staatliche Behörde, treibt zuweilen seltsame - und kostspielige - Blüten. In meiner engeren Heimat, im Fichtelgebirge, ist derzeit in der 4000-Seelen-Gemeinde Kirchenlamitz ein imposantes Gebäude aus filigranen Bauelementen zu bestaunen. Es ist ein weithin sichtbarer Gerüstbau, dessen riesige Dach-und Seitenflächen allseits mit Planen verhüllt sind und der in seinem Inneren ein vergleichsweise kleines Gebäude umhaust. Dieses soll totalsaniert werden. Auf Anordnung der Denkmalschutzbehörde und weitgehend auf Kosten des Freistaates, also auf Kosten von uns Steuerzahlern!
Das zu renovierende Gebäude ist ein kleines Jagdschloss, das vor etwa 400 Jahren von einen heute weitgehend unbekannten Markgrafen erbaut worden ist. Zwei Jahrhunderte danach brannte es nahezu völlig ab und in der Folge wurde es öfters zweckentfremdet, z.B. als Forsthaus und als Amtsgericht. Seit fast 30 Jahren ist es im Besitz eines Arztes, der darin wohnt und dort eine Arztpraxis betreibt.
Diese Zerstörungen und Umwidmungen haben natürlich ihre Spuren hinterlassen. Kaum jemand würde in diesem herunter gekommenen Gebäude ein "Schloss" erkennen. Bedenkt man, dass in den östlichen Ländern wirkliche Schlösser zu tausenden für einen einzigen Euro zu kaufen sind - allerdings mit der Verpflichtung zur Selbstrenovierung - dann fragt man sich, wie die Denkmalschutzbehörde auf den Gedanken kommen konnte, in eine solche "Ruine" überhaupt noch einen Cent hinein zu stecken.
Das ausgedehnte Walmdach ist seit Jahren wasserdurchlässig, das Gebälk allseits marode und deshalb soll es einer komplett neuen Abdeckung weichen. Besonders gravierend ist, dass sich im ganzen Gebäude der sog. Hausschwamm eingenistet hat. Um dieses gefährlichen Schädlings Herr zu werden, müssen Böden, Wände und Fenster totalsaniert werden. Ob nach dieser Prozedur überhaupt noch originale Bausubstanz übrig bleibt, ist sehr fraglich.
Da fühle ich mich doch an ein anderes Schloss erinnert, dessen Totalrekonstruktion derzeit im Rahmen eines Architektenwettbewerbs beschlossen wurde: das Berliner Stadtschloss. Dieses Preussenschloss, von dem aus Kurfürsten, Könige und Kaiser regierten, mit einem Jagdschlösschen zu vergleichen, scheint hoch gegriffen; trotzdem gibt es einige bemerkenswerte Parallelen.
Von beiden Schlössern existieren keine Baupläne mehr; allenfalls einige Zeichnungen und Photos sind geblieben, die den beabsichtigten Wiederaufbau bzw. seine umfassende Renovierung unterstützen sollen. Noch schlimmer aber ist der Verlust der historischen Bausubstanz; im Falle des Berliner Schlosses durch den politisch gewollten Totalabriss, beim Kirchenlamitzer Schlösschen durch die verantwortungslose Verlotterung über Jahrzehnte hinweg. Dabei ist es gerade die originale Bausubstanz, welche einem Bauwerk seine Authentizität verleiht. Der Architekturhistoriker Wolfgang Pehnt vergleicht sie "mit dem Sauerteig, der das Brot durchdringt".
In Berlin hat man sich bekanntlich dafür entschieden, drei der vier Fassaden original zu rekonstruieren. Der bislang fast unbekannte italienische Architekt Franco Stella hat sich eng an die Vorgaben der Politiker gehalten und so den Wettbewerb gewonnen. Die Bundestagsabgeordneten wollten in ihren Beschluss aus dem Jahr 2002 das "Original". Was sie jetzt bekommen - sofern Stellas Entwurf wirklich realisiert wird - ist jedoch allenfalls ein "Remake". Und mit einer Fassadenästhetik, wie man sie heute auch bei Shopping Malls sehen kann.
Am bedenklichsten ist jedoch der Umstand, dass bei beiden rekonstruierten Schlössern Fassaden und Inhalte konträr auseinander laufen. Im Fichtelgebirge umhaust die Schlossfassade, wie oben gesagt, die Wohn- und Praxisräume eines niedergelassenen Arztes. Im Berliner Schloss will man später ein Museum einrichten. Aussereuropäische Kunstobjekte, zumeist aus Afrika stammend, sollen den riesigen Innenraum füllen. Aus der Fassade würde niemand auf diesen Nutzungszweck schliessen; sie verkommt dadurch zur blossen Attrappe. Und peinlich ist die Museumsidee ohnehin. Denn diese ethnologischen Kunstgegenstände wurden doch zumeist in unserer (glücklicherweise kurzen) Kolonialzeit aus Afrika und Asien "beschafft", als die damaligen Schlossbewohner als gekrönte Häupter noch in Amt und Würden waren.
Nein, gelingen werden diese Rekonstruktionen weder beim grossen noch beim kleinen Schloss. Aber gibt es in unserem ehedem so zerbombten Vaterland überhaupt noch Beispiele für einen gelungenen Wiederaufbau? Ja, durchaus. Zum Beispiel das Buddenbrookhaus in Lübeck und auch der Kranz der Kölner Stiftskirchen gehört dazu. Und vorallem die Dresdner Frauenkirche. Ihre frühere Funktion ist auch die jetzige; die Ausstrahlung auf die Menschen ist geblieben.
Kann man an dieser Situation noch etwas ändern? Beim Fichtelgebirgsschloss sicherlich nicht. Es wird noch in diesem Jahr fertig renoviert sein und dann mit erbaulichen Reden der Lokalpolitiker (unter feierlicher Mitwirkung der Feuerwehrkapelle) eingeweiht werden. Aber beim Berliner Stadtschloss ist der Gang der Dinge noch zu verändern. Aus den Erkenntnissen des abgelaufenen Architektenwettbewerbs könnte der Bundestag die richtigen Schlüsse ziehen und einen zweiten Wettbewerb zulassen, bei dem die Planer nicht mehr so sklavisch an das preussische Original gebunden sind.
Marquis Posa hätte unseren Abgeordneten zugerufen:
"Geben Sie Gedankenfreiheit!".
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