Dienstag, 9. September 2008

Älterwerden

Demnächst werde ich - Rätselfreunde aufgepasst! - einen dreiviertel runden Geburtstag feiern. In Anbetracht der vielen (und wertvollen) Geschenke, auf die ich mich jetzt schon freue, werden meine Gäste von mir wohl eine kleine Rede erwarten. Es wird deshalb Zeit, dass ich mir ein paar Gedanken darüber mache.

Rein numerisch lässt sich nicht verleugnen, dass ich langsam älter werde. Dieser Zeitpunkt kommt dann heran, wenn verdächtig viele Leute, ohne besonderen Anlass, plötzlich behaupten, dass man doch noch sooo jung aussehen würde. Ich lasse mich da nicht täuschen; der morgendliche Blick in den Spiegel bewahrt mich vor Illusionen. Im allgemeinen beginnt das Älterwerden mit dem Eintritt in den Ruhestand, also zwischen 60 und 65 Jahren - Frührentner und Münteferings 67er einmal ausgeklammert. Auf alle Fälle gehört man dann zur älteren Garde, wenn man beim Anziehen der Schuhe fragt: "Da ich schon mal unten bin, kann ich gleich noch etwas miterledigen?"

Der Übergang von dem Berufsstand in den Rentenstand fällt vielen nicht leicht, insbesondere die machtbewussten Politiker leiden darunter. Ich versuchte meine "Verlustängste" dadurch zu minimieren, dass ich jeweils am Ende einer grösseren Aufgabe - nennen wir es Projekt - ein Buch oder einen persönlich gehaltenen Bericht im Umfang von 150-200 Seiten geschrieben habe. Dabei rekapitulierte ich den gesamten Ablauf des Projekts, mit allen Hoch- und Tiefpunkten, sodass ich es fürderhin "geistig ablegen" konnte. So ist mittlerweile eine kleine Bibliothek für die Projekte FRM, KNKI, KNKII, SNR 300, EFR, und WAK entstanden, zuzüglich einem mehr persönlich gehaltenen Erinnerungsband "70 Jahre lang". Der "Blick zurück im Zorn" ist mir deshalb fremd. Hinter den genannten Abkürzungen verstecken sich übrigens die Namen für Kernreaktoren, Schnellbrüterkraftwerke sowie Wiederaufarbeitungsanlagen und seit die Kernenergie weltweit - ausser in Deutschland - eine Renaissance erfährt, erhalte ich immer wieder Anfragen früherer Kollegen aus Japan, USA, China etc. wie wir dieses oder jenes Problem, z.B. beim Schnellen Brüter in Kalkar gelöst haben. Dafür sind diese Bücher eine grosse Hilfe, denn im Gedächtnis habe ich die Details natürlich auch nicht mehr.

Ein Stammtisch ist eine praktische Einrichtung um mit der früheren Arbeitswelt in Verbindung zu bleiben - und trotzdem Abstand von ihr zu gewinnen. Wir haben einen solchen auf der Rheininsel Rott beim Fischrestaurant "Waldfrieden" eingerichtet. Hier treffen sich donnerstags jede Woche ehemalige FZK´ler und deren Freunde zu einer zwanglosen Mittagsrunde. Bei Zander und Riesling werden alle Probleme dieser Welt besprochen - und gelöst. Ein besonderes Auge richten wir immer wieder auf die aktuellen Vorgänge im Forschungszentrum, unserer früheren Arbeitsstätte. Die Entscheidungen unserer Nachfolger und deren Chefs werden kritisch durchleuchtet und mit äusserlichem Bedauern (und innerlicher Befriedigung) stellen wir immer wieder fest, dass "die Jungen" eben doch schwach sind und wir früher alles viel, viel besser gemacht haben. Wir waren eben die Grössten! Diese bescheidene Feststellung fördert das Wohlbefinden und die Verdauung, was für uns alte Knaben nicht das Schlechteste ist.

Mit der Entlassung in den Ruhestand wuchs auch mein Interesse am öffentlichen Leben in der Stadt Karlsruhe. So versäume ich kaum eine Stadtratssitzung und die Grossinvestitionen, wie Neue Messe, Hallenbad, Stadion und U-Strab sind mir mit all ihren finanziellen Schwachstellen durchaus geläufig. Das kommt auch in manchem meiner Leserbriefe in der BNN zum Ausdruck, die OB Fenrich und seine Bürgermeisterkollegen nicht immer erfreuen.

Interessante Gerichtsverhandlungen sehe ich mir vom Amtsgericht bis zum Bundesverfassungsgericht an und bin immer wieder fasziniert, zu welch überraschenden Urteilen die Richter kommen. Meine Devise ist deshalb: Gerichtsverfahren möglichst vermeiden! Denn der Spruch "Bei Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand" stimmt wirklich.

Auch die Hauptversammlungen der lokalen Aktiengesellschaften besuche ich häufig, denn dort kann man in 4 Stunden mehr über die Wirtschaft lernen als beim 4-wöchentlichen Lesen des "Handelsblatt". Ausserdem: wo sonst darf man ungestraft (als Kleinaktionär) mächtige Vorstandsvorsitzende und Aufsichtsräte coram publico "beschimpfen", ohne, dass man unterbrochen oder sanktioniert wird?

Bevor ich ganz in diese öffentlichen Sphären entfleuche, konfrontiert mich meine liebe Frau Brigitte immer wieder mit den realen Problemen unserer kleinen häuslichen Welt. Es fing vor einigen Jahren ganz unschuldig damit an, dass bei unserem Wohnhaus in der Waldstadt und dem (ererbten) Haus im Fichtelgebirge ein paar durchkorrodierte Wasserrohre im Bereich der Bäder zu erneuern waren. Das war aber nur der Beginn. Was folgte war eine 2-jährige Sanierungs- und Renovierungsorgie, bei der beide Häuser vom Keller bis zum Dach umgekrempelt wurden. Nun gefallen sie uns weitaus besser und mein Bankkonto ist entsprechend geleichtert.

Beim Blick in die Tageszeitung - Reihenfolge: Todesanzeigen, Wetter, Sport, Politik - merkt man, dass die "Einschläge" immer näher kommen. Bekannte sterben, frühere Arbeitskollegen und immer wieder mal auch ein Freund. Das ist ein besonders schmerzhafter Verlust, denn ein alter Freund ist, wie das Sprichwort sagt, selbst durch zwei neue nicht zu ersetzen. Und auch die eigene Gesundheit lässt fühlbar nach. Immer wieder zwickt und zwackt es an allen möglichen Körperstellen und die Beschwerden gehen meist, trotz ärztlicher Bemühungen, nicht mehr ganz zurück.

Nun, nach dem Älterwerden kommt wohl unvermeidbar das Altwerden. Ich habe darüber noch keine einschlägige Erfahrung. Aber an einen Spruch der schwedischen Filmschauspielerin Liv Ullmann erinnere ich mich:

"Altwerden ist die einzige bekannte Methode,
um lange zu leben."

1 Kommentar:

  1. Wann immer der G-Day sein wird, ich gratuliere schon mal und freue mich auf viele weiter Blogbeiträge!

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