Montag, 15. September 2008

Ein Teilchen namens Higgs

Im Baukasten der Natur befinden sich, nach den Vorstellungen der Physiker, etwa zwei Dutzend Elementarteilchen, aus denen das ganze Universum - also Erde, Sonne, Milchstrasse und weitere hundert Milliarden Galaxien aufgebaut sind. Diese Teilchen unterscheiden sich sehr deutlich voneinander hinsichtlich ihrer Grösse, ihrer Masse, ihrer elektrischen und magnetischen Ladung, sowie einiger weiterer Eigenschaften.

Das Zusammenwirken der Elementarteilchen beim Aufbau der belebten und unbelebten Natur erklärt die sogenannte Standardtheorie, welche die Physiker in den letzten 25 Jahren entwickelt haben. Diese Theorie ermöglicht es sogar Vorhersagen zu treffen und eine dieser Vorhersagen ist, dass noch zwei weitere Teilchen in dem erwähnten Baukasten fehlen, also experimentell nicht nachgewiesen sind. Das eine ist das Graviton, welches die Schwerkraft vermittelt, das andere das mysteriöse Higgs-Teilchen. Der Name reimt sich akustisch auf "Hicks", hat aber mit Schluckauf nichts zu tun, vielmehr trägt dieses noch unentdeckte Partikel den Namen des schottischen Physikers (Peter) Higgs. Er hat es schon vor 44 Jahren prognostiziert und diese Vermutung am 27. Juli 1964 in dem amerikanischen Fachjournal "Physics Letters" veröffentlicht. Bemerkenswert ist, dass diese mittlerweile berühmte Publikation nur eine einzige Druckseite umfasst.

Das Higgs-Teilchen beseitigt eine Schwäche der oben genannten Standardtheorie. Letztere kann zwar alle bekannten Elementarteilchen richtig einordnen, aber diese besitzen dann keine Masse und bewegen sich alle mit Lichtgeschwindigkeit fort. Das kann offensichtlich nicht stimmen, denn Protonen, Elektronen und Photonen besitzen sehr wohl ( unterschiedliche) Massen und haben auch verschiedene Geschwindigkeiten. Geht man von der Existenz der Higgs-Teilchen aus, dann verschwinden diese Diskrepanzen und die Standardtheorie beschreibt nun "die Welt" nun richtig. Esoterisch angehauchte Zeitgenossen sprechen deshalb auch gerne vom "Gottesteilchen"; andere nennen das Higgs-Teilchen den "Heiligen Gral" der Physik.

Higgs hat seine Überlegungen zwar nur auf einer DIN A4-Seite niedergeschrieben, sie sind jedoch so hochkomplex, dass sie der Normalphysiker kaum versteht, von einem Laien ganz zu schweigen. Zum Glück gibt es eine berühmte Metapher, wodurch es selbst einem Durchschnittsmenschen gelingt, sich in das Higgs-Szenario einzudenken. (Die Begriffe Higgs-Teilchen und Higgs-Feld werden synonym verwendet, da Teilchen und Felder in einander überführbar sind).

Nun also die Higgs-Theorie für Jedermann: Man stelle sich Journalisten auf einer Cocktailparty vor, die gleichmässig im Raum verteilt stehen. Das ist gewissermassen das Higgs-Feld. Kommt nun ein sehr prominenter Politiker (Proton!) durch die Tür und will den Raum schnell durchqueren, so werden sich die Journalisten sogleich um ihn scharen. Seine Bewegungsenergie wird abgebremst und der Pulk der Journalisten verleiht dem Politiker eine (träge) Masse, also ein Gewicht. Ein weniger bekannter Politiker (Elektron!) verursacht geringeren Auflauf, wird aber auch leicht gebremst. Der Hausmeister (Photon!), schliesslich, kann den Raum im unvermindertem Tempo durchqueren. Das genau ist der Mechanismus von Higgs: durch die Wechselwirkung mit dem Journalisten, also dem Higgs-Feld, bekommen die Teilchen ihre Masse und verlieren an Geschwindigkeit.

Etwas physikalischer ist eine zweite Metapher. Demnach liegt dem Universum ein alles durchdringendes Feld zugrunde, das Higgs-Feld. Durch dieses Feld bewegen sich alle Elementarteilchen wie durch einen zähen Sirup. Dabei verspüren sie einen Widerstand, so, als ob man mit einem Kochlöffel durch den Sirup rührt. Dieser Widerstand ist es, der den Teilchen ihre Masse verleiht.

Noch ist das Higgs-Teilchen experimentell nicht nachgewiesen. Das erwartet man im Forschungszentrum CERN bei Genf, wo in den letzten Jahren der grösste Kreisbeschleuniger der Welt mit 27 km Durchmesser gebaut wurde. LHC, Large Hadron Collider, ist sein Name. Der Detektor ATLAS, in dem das Higgs aufleuchten soll, besitzt die Ausmasse eines grossen Kirchenschiffs und wiegt 7.000 Tonnen. Vor zehn Tagen erst wurde der LHC - unter Teillast - in Betrieb genommen; schon am vergangenen Freitag musste er wegen eines Heliumlecks in der Strahlröhre wieder abgeschaltet werden. Vermutlich für mindestens zwei Monate. Wenn er wirklich mal richtig in Schwung gekommen ist, dann prallen dort in jeder Sekunde Millionen von Protonenpakete mit nahezu Lichtgeschwindigkeit aufeinander. Diese kosmische Wucht erzeugt Milliarden an Splitter, die in ATLAS registriert werden sollen. Nur etwa ein Higgs-Teilchen pro Minute kann man erwarten; es soll von den Riesencomputern herausgesiebt werden. Die berühmte Nadel im Heuhaufen ist dagegen nichts.

Aber der LHC ist nicht allein. In Chicago, am Fermi-Laboratorium steht der Beschleunigerkonkurrent Tevitron der Amerikaner. Er ist zwar kleiner als der LHC, läuft aber bereits seit Jahren Tag und Nacht und hat eine Flut von Daten angesammelt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich Higgs bereits gezeigt hat, aber noch im Datenarchiv versteckt ist. Würde es demnächst ein Doktorand des Fermi-Lab recherchieren, es wäre eine emotionale Katastrophe für die CERN-Forscher. Die zügige Inbetriebnahme des LHC ist also sehr wichtig.

Derweil betrachtet Professor Emeritus Higgs von seinem schottischen Ruhesitz in Edinburg aus das Treiben der Jüngeren in Genf und Chicago. Er kann nahezu sicher sein, mit dem Nobelpreis der Physik ausgezeichnet zu werden, sofern man "sein Teilchen" findet - egal an welchem Ort.

Ein kleines Risiko verbleibt allerdings weiterhin bei ihm persönlich:
der Nobelpreis wird nur an lebende Personen vergeben,
und Peter Higgs wird am 29. Mai nächsten Jahres 80 Jahre alt.

Deshalb: Gute Gesundheit, Professor!

1 Kommentar:

  1. Das Higgs-Teilchen verleiht keine Masse

    Im Teilchenbeschleuniger beim CERN soll mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 % das Higgs-Teilchen gefunden worden sein. Auch wenn man an die Theorie dieses Riesenteilchens glaubt, das in seine Bestandteile zerfällt und für die Masse aller anderen Teilchen verantwortlich ist, bliebe noch immer die Frage: Wie ist denn das Higgs-Teilchen zu seiner Masse gekommen?

    Offensichtlich war man beim CERN unter riesigem Druck, ein Ergebnis zu präsentieren, welches die horrenden Kosten rechtfertigt. Entweder hat man das Gottes-Teilchen gefunden - inklusive Beweis, dass es anderen Teilchen die Masse verliehen hat - oder nicht. Wenn man aber mit Wahrscheinlichkeiten argumentiert, erübrigt sich jede Nachfrage, ob man definitiv etwas von einer Vergabe der Masse festgestellt hat. Ebenso hätte man beim CERN sagen können, das Higgs-Teilchen ist mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % gefunden worden. Denn dies bedeutet, dass man beim CERN noch nichts herausgefunden hat. Es wäre besser gewesen, die Verantwortlichen hätten sich nicht auf diesen 90 %-Wert geeinigt. Denn es wird sich noch zeigen, dass man bei diesem Wert etwas zu hoch gegriffen hat - um genau 90 %. Aber inzwischen werden schon Ehrungen vorgenommen, Preise verliehen …

    Dieses ausfindig gemachte Boson (eines von mehreren Teilchen beim CERN) hat nichts mit einem Teilchen zu tun, das die Masse verleiht. Denn die Physiker haben eine völlig falsche Vorstellung von Masse. Und die ehrlichen Physiker geben sogar zu, dass sie keine Ahnung haben, was Masse ist.

    Wenn ein großes, 'massives' Teilchen wie das Higgs-Boson in seine Bestandteile zerfällt, besitzen natürlich auch die neu entstandenen Teilchen eine Masse. Daraus zu schließen, die kleinen Teilchen hätten ihre Masse von dem großen Teilchen erhalten, ist eine sehr eigenartige Ausdrucksweise. Die Denkweise, die hinter dem Higgs-Teilchen steckt, ist abzulehnen. Denn sie erklärt überhaupt nicht, wie die aus Strahlungsenergie entstehenden Teilchen und ihre Antiteilchen zu ihrer Masse kommen. Zumindest ist der Umweg über ein angebliches Gottes-Teilchen, das allem die Masse verleiht, viel zu umständlich, als dass es der Realität entsprechen könnte.

    AntwortenLöschen

Impressum

Angaben gemäß § 5 TMG:

Dr. Willy Marth
Im Eichbäumle 19
76139 Karlsruhe

Telefon: +49 (0) 721 683234

E-Mail: willy.marth -at- t-online.de