Montag, 11. August 2008

Bericht aus Bayreuth

Das Fichtelgebirge, jenes hufeisenförmige Mittelgebirge im Nordosten Bayerns, ist nicht jedem auf Anhieb geläufig. Das ist schade, denn meine Heimat lädt nicht nur zum Wandern und Fahradfahren ein, sondern bietet im Sommer auch vielfältige Veranstaltungen von Events bis zu Highlights der Kultur.

Zur ersteren Kategorie zähle ich die alljährlich ausgerichteten "Oberfränkischen Meisterschaften im Sautrog-Rennen" im 500-Seelen-Dörfchen Seussen, das zufällig mein Geburtsort ist und in dem ich auch die ersten 18 Jahre meines Lebens verbracht habe. Ein Sautrog ist ein etwa 2 Meter langer, 80 cm breiter und 70 cm tiefer Holztrog, in dem das frisch geschlachtete Schwein mit heissem Wasser überbrüht wird, um es von den Borsten zu befreien. Zwei dieser Sautröge stehen bei den genannten Meisterschaften für jeweils ein Paar Wagemutige zur Verfügung, welche sie auf dem Dorfteich mit Paddeln von einem Ufer zum anderen bewegen sollen. Über Vor - und Zwischenläufe gewinnt schliesslich die geschickteste und zeitschnellste "Mannschaft", meist junge Bauernburschen aus der Umgebung. Zwischenzeitlich fallen immer wieder einige, zum grossen Hallo der Zuschauer, in den Teich, denn die Tröge sind sind enorm kippelig und schwer zu steuern. Das sachkundige Publikum sitzt auf Holzbänken dicht gedrängt um den Dorfteich und geniesst bei Bier und Bratwurst diesen Wettkampf. Ein empfehlenswerter Event, noch dazu bei freiem Eintritt.

Kulturell noch höher anzusiedeln sind die alljährlichen Festspiele auf der Luisenburg, einem sehenswerten Labyrinth aus mächtigen Granitfelsen. Der gegenwärtige Intendant dieses sehr beliebten Theaterspektakels ist der Münchener Schauspieler Michael Lerchenberg, welcher im Fernsehen gelegentlich als Imitator des früheren bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber zu sehen ist. Dieses Jahr stand unter anderem das sehr renommierte Schauspiel "Der Watzmann ruft" auf dem Spielplan, was die Zuschauer in Scharen angelockt hat. Hollarödulliöh!

Jeweils am ersten Samstag im August wird im nahen Selb das "Fest der Porzelliner" ausgerichtet, in dessen Mittelpunkt der grösste Pozellanflohmarkt Europas steht. Mit weit über 300 Verkaufsständen zieht er die Liebhaber des "Weissen Golds" aus ganz Deutschland, ja sogar aus den angrenzenden Ländern und der Übersee an. In unmittelbarer Nähe der berühmten Fabriken Rosenthal, Hutschenreuther, Thomas, Arzberg etc. wird hier jeder fündig, der neues (und vor allem altes) Porzellan sucht. Insbesondere an Figuren entzündet sich immer wieder die Sammelleidenschaft; aber manchmal ist es auch nur ein bestimmtes Milchkännchen - etwa von Arzberg - das nachgekauft werden soll. Dabei sieht der echte Porzellanjäger immer zuerst nach dem Stempel auf der Unterseite, der eine Art Prüfsiegel darstellt.

Das Städtchen Bayreuth ist nur eine halbe Autostunde von meinem Wohnort Kirchenlamitz im Fichtelgebirge entfernt und die dort jeweils im August ausgerichteten Richard-Wagner-Festspiele zählen zu den Höhepunkten der Musikkultur. Tickets sind schwer zu bekommen, aber mir ist das noch immer gelungen - auf Wegen, die ich hier nicht beschreiben möchte, um meine blog-Leser nicht zu langweilen. Dieses Jahr fühlte ich mich besonders privilegiert, denn ich erhielt ein Kartenpaar für den gesamten Premieren-Nibelungenring und das sogar in der Mitte des Parketts. Von gewissen Parkettplätzen hört man in Bayreuth die Musik aus dem Orchestergraben besonders gut, weitaus besser als auf den rückwärtigen Logen. (In dieser Meinung bin ich offensichtlich nicht allein, denn unsere sehr musikverständige Bundeskanzlerin Angela Merkel sass mit Ehemann Sauer und einer bodyguard-Entourage gerade mal 4 Reihen vor uns.)

Der "Ring der Nibelungen", bestehend aus den 4 Opern Rheingold, Walküre, Siegfried und Götterdämmerung wird in Bayreuth gewöhnlich innerhalb einer Woche, beginnend am Montag und endend am Samstag aufgeführt. Zwei Tage, meist Mittwoch und Freitag sind "Ruhetage" für die Musiker und Sänger, aber auch das p.p. Publikum. Denn so eine Wagneroper, nachmittags mit Fanfarenstössen beginnend und 4-5 Stunden dauernd (mit zusätzlich 2 Pausenunterbrechungen) ist durchaus stressig für jemanden, der sie zum ersten Mal hört. Eine gewisse Vorbereitung, etwa an den Ruhetagen, durch Lesen der Textbücher und sonstiger einführender Literatur, ist da sehr zu empfehlen. Aber die über 9000 Textzeilen des Rings und seine mehr als 100 Leitmotive sind nicht leicht zu memorieren.

Ein Grobgerüst an textualen Verständnis hat man, wenn man weiss, dass der Ring - das Symbol der Macht - von einem Besitzer zum anderen wandert. Also probieren wir einen Schnelldurchlauf: anfangs liegt das Gold auf dem Grund des Rheins, bewacht von den Rheintöchtern. Der Nibelungen-Gnom Alberich raubt es und schmiedet daraus den Nibelungenring. Gottvater Wotan raubt den Ring von Alberich und entlöhnt damit die beiden Riesen Fafner und Fasolt, welche ihm die Götterburg Walhall gebaut haben. Das Paar gerät in Streit, Fafner erschlägt seinen Bruder Fasolt und nimmt den Ring an sich. Dazu auch den Tarnhelm, mit dessen Hilfe er sich in einen Drachen verwandeln kann. Der furchtlose Siegfried erschlägt den Drachen und übernimmt den Ring - ohne dessen Bedeutung zu kennen. Er gibt den Ring als Liebespfand an die Walküre Brünhilde, erobert ihn aber wieder (in Gunters Gestalt) von ihr zurück. Nach Siegfrieds Tod durch Hagen verbrennt sich Brünhilde mit Siegfrieds Leiche. Die Rheintöchter holen den Ring aus der Asche und bringen ihn wieder zurück auf den Grund des Rheins. Dort liegt er jetzt noch, aber Wagner lässt offen, ob ihn nicht abermals ein Furchtloser von dort rauben könnte, sodass sich die Geschichte von Liebe, Gold und Macht wiederholen würde.

Richard Wagner wäre wohl auch als dramatischer Dichter bekannt geworden, hätte er sich nicht zum genialen Komponisten entwickelt. Die Musik steht in Bayreuth klar im Vordergrund, unterstützt durch die hervorragende Akustik des Festspielhauses, welche dem Architekten (ohne Schallingenieure) gelungen ist. Schon das Vorspiel des Rheingold ist von der ersten Note an berührend. Es beginnt mit einem tiefen Es der Kontrabässe und Fagotte, über das sich nach einiger Zeit das sehr ruhige Es-dur-Naturmotiv der Hörner legt. Diese Linie verdichtet sich von Takt zu Takt, schwillt an und bricht plötzlich ab um in den Gesang der Rheintöchter überzugehen. Die Keimzellen von Wagners Musik sind die schon genannten Leitmotive. Sie sind einer bestimmten Person, einem Ereignis oder einer Stimmung zugeordnet und erzeugen durch ihre Wiederholung an bestimmten Stellen Assoziationen, wodurch die szenischen Zusammenhänge verdeutlicht werden. Die Musik des Rings kennt keine Unterbrechungen innerhalb eines Aktes. Alles ist "durchkomponiert", es entsteht eine "unendliche Melodie".

Die Anforderungen an die Sänger und Sängerinnen sind horrend. Wohl am stärksten gefordert ist Brünhilde, die gleich bei 3 Opern auf der Bühne steht. Aber auch Siegfrieds Rolle ist sehr anstrengend. Im 3. Akt der Oper Siegfried stehen beide wohl eine Stunde allein auf der Bühne, bis sie sich schliesslich, überwältigt von der Liebe, in die Arme fallen: "Leuchtende Liebe, lachender Tod"

Die Regisseure haben es schwer in Bayreuth. Meistens müssen sie sich eine Menge Buh-Rufe anhören, wie in diesem Jahr Tankret Dorst, der den Nibelungenring inszenierte. Da man in dieser Tetralogie nie zur letzten Deutung kommen wird und es viele Möglichkeiten der szenischen Umsetzung gibt, wird man immer nur einen Teil des Publikums zufrieden stellen können. Selbst beim berühmten Jahrhundertring von Patrice Chéreau 1976 kam es fast zu einer Saalschlacht zwischen konservativen und progressiven Theaterbesuchern. Heute ist Chéreau heilig gesprochen.

Wagnerfreunde sind eine besondere Sorte von Menschen. Als ich nach der Götterdämmerung - 5 Stunden reine Spielzeit - etwas knieweich dem Ausgang zustrebte, hörte ich eine schon betagte Dame zu ihrer Bekannten sagen: "Und morgen machen wir weiter mit Parsifal"!

Unverwüstlich, diese Wagnerianer.

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