Die Vorgänge im Weltall werden durch die Naturgesetze bestimmt, wie die Allgemeine und die Spezielle Relativitätstheorie. In der Mikrowelt, innerhalb der Atome, beschreibt die Quantenmechanik das Geschehen. Bei diesen Gesetzmässigkeiten tauchen etwa ein Dutzend physikalischer Grössen auf, welche sich weder räumlich noch zeitlich ändern. Man nennt sie die Naturkonstanten. Zu ihnen gehören beispielsweise die Lichtgeschwindigkeit, die Ruhemasse des Neutrons, das magnetische Moment des Protons, die spezifische Ladung des Elektrons, die Gravitationskonstante u.a.m. Es ist nicht übertrieben zu sagen: die Naturkonstanten determinieren unsere belebte und unbelebte Welt. Die Zahlenwerte dieser Konstanten sind über zehn und mehr Stellen bekannt. Es sind durchweg "krumme" Zahlen, die über mehr als 40(!) Zehnerpotenzen differieren.
Die Physiker haben sich vor einigen Jahren die Frage gestellt, was wohl passieren würde, wenn man die Zahlenwerte dieser Naturkonstanten - gedanklich - leicht variieren würde. Wenn man etwa die Gravitationskonstante 3 % grösser, die Ladung des Elektrons um 5 % kleiner machen würde. Die Konsequenzen wären enorm. Die Lebensdauer unserer Sonne würde sich von 10 Milliarden Jahre auf nur noch 10 Millionen verkürzen; zur Ausbildung des Lebens auf dem Planeten Erde reichte diese Zeitdauer bei weitem nicht aus. Im Falle des Elektrons wäre die Bindung der Atome gestört und es käme nicht zur Bildung der so lebenswichtigen Kohlenstoffmoleküle. Also: schon geringfügige Änderungen der "Grundeinstellung" der Naturkonstanten würde unser Universum zerstören bzw. hätte es gar nicht erst entstehen lassen.
Diese bemerkenswerte Harmonie zwischen der Struktur des Universums und den Bedürfnissen seiner Bewohner wird als "anthropisches Prinzip" bezeichnet. Es liegt auf der Grenzfläche zwischen Physik, Philosophie und Theologie. Die Vertreter der beiden letztgenannten Fächer gehen in seiner Interpretation noch einen Schritt weiter, indem sie (die Philosophen) behaupten: "Eben weil es in unserem Universum Leben gibt, können die Naturkonstanten Werte annehmen, welche die Existenz dieses Lebens möglich machen." Die Theologen, kaum verwunderlich, machen den nächsten ultimativen Schritt, indem sie feststellen: "Hinter dem anthropischen Prinzip steht das Wirken Gottes, dessen Ziel von Anfang an die Erschaffung des Lebens war."
Christliche amerikanische Sekten veranschaulichen das Ganze für ihre Anhänger, indem sie Faltblätter verteilen. Darauf ist ein älterer Herr mit Rauschebart zu sehen, der vor einer Art Banktresor steht und an Knöpfen dreht. Nicht um den Tresor zu öffnen, sondern um unser Weltall "menschenfreundlich" einzustellen. Das Universum eine Fügung Gottes? Die Physiker und mit ihnen die meisten Naturwissenschaftler sind da skeptisch. In der überwiegenden Mehrzahl glauben sie nicht an einen allmächtigen Gott. (Etwas flapsig gesagt: die Arbeitshypothese Gott würde die Physiker arbeitslos machen).
Aber könnte es nicht der pure Zufall sein, welche diese Kombination der Naturkonstanten bewirkt hat, die letztlich zu unserem Universum führte? Kaum glaublich. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist sehr, sehr gering. Eher würde ein Lottospieler ein volles Jahr lang jedes Wochenende einen 6er- Lottogewinn erspielen. Wer soll das glauben?
Den Ausweg aus diesem Dilemma bietet folgende Idee: unser Universum ist ein Teil vieler Universen, des Multiversums. Jedem dieser Universen liegen andere Naturkonstanten und Gesetzmässigkeiten zugrunde. Bei einer riesigen, vielleicht sogar unendlichen Zahl von
Paralleluniversen muss zwangsläufig auch eines dabei sein, dessen Parameterjustierung genau dem unsrigen entspricht. Da wir jedoch prinzipiell nicht über den Rand unseres Weltalls hinaussehen können, werden wir wohl über diese Nachbaruniversen auch nichts in Erfahrung bringen können. (Die Hypothese der verbindenden "Wurmlöcher" bzw. "Schlupflöcher"überlasse ich den Science Fiction-Autoren.)
Ganz banal kann man den Kosmos mit einem sehr grossen Kleidergeschäft vergleichen. Ist die Auswahl der Kleider dort nur umfangreich genug, so sind wir nicht überrascht, wenn wir etwas finden, das uns passt. Sollte sich unser Universum als Teil eines riesigen Multiversums herausstellen, so wären die besonderen Gesetze und Naturkonstanten unseres Weltalls keine Überraschung mehr.
Das einzige Mittel gegen Aberglaube sei die Wissenschaft - sagte der Engländer Henry Thomas Buckle. Dürfen wir ihm angesichts der immer schmaler werdenden Grenze noch glauben?
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