Samstag, 14. Juni 2008

Die ersten 3 Minuten des Universums

Wenn man, wie ich, nur 10 Strassenbahnminuten von der Universität Karlsruhe entfernt wohnt, so ergibt es sich schon, dass man die eine oder andere Vorlesung besucht, welche im Semesterverzeichnis angeboten ist. Früher hat es mich meist zu Vorträgen in Geschichte und Philosophie hingezogen, aber die geisteswissenschaftliche Fakultät wurde in den letzten Jahren personell stark ausgedünnt, wie dies bei einer (technischen) Elite-Uni leider zu erwarten war. So habe ich mich vor einigen Semestern der Astrophysik zugewandt, jener Wissenschaft, welche Astronomie mit Kernphysik vereint und geeignet ist, das Universum, in dem wir leben, von den Galaxien bis zu den Elementarteilchen zu erklären. Gleichzeitig kann ich dadurch mein Physikwissen, das ich vor fast 50 Jahren an den beiden Münchener Universitäten gewonnen habe, wieder etwas auffrischen.


Weil es effizienter ist, besuche ich nicht die Vorlesungen, sondern die Hauptseminare in Astrophysik, wovon pro Semester 2 bis 3 bei verschiedenen Lehrstühlen und Professoren (de Boer, Drexlin, Blümer) angeboten werden. Sie sind von jeweils 10 - 12 Studenten in höheren Semestern besucht, die zu einem vorgegebenen Thema einen Vortrag halten, der am Schluss diskutiert wird. Ich sitze - leicht erkennbar als allerhöchstes Semester - aber mit freundlicher Erlaubnis des Profs im hinteren Bereich, höre zu und stelle gelegentlich eine (mittelschlaue) Frage.


Es erscheint logisch, bei der Beschreibung des Universums mit dem Anfang zu beginnen. Aber so selbstverständlich ist das keineswegs, denn erst seit wenigen Jahrzehnten sind die Physiker wirklich davon überzeugt, dass die "Welt" einen Anfang hatte. Professor Einstein, der Entdecker zweier Relativitätstheorien und manch anderer physikalischer Delikatessen, war lange Zeit der Meinung, dass das Universum statisch und ewig sei. Deshalb war er auch so schockiert als er seine eigene Allgemeine Relativitätstheorie und Gravitationsformel auf das Weltall anwendete und bei diesen Rechnungen herauskam, dass das Universum instabil war. Im Grunde hätte er das leicht vorhersehen können, denn die vielen Sterne des Alls ziehen sich wegen der Gravitation gegenseitig an und irgendwann, in ferner Zeit, muss es deshalb zu einen Kollaps kommen. Und wo ein Ende ist, da muss auch ein Anfang sein.


Aber so schnell lässt sich ein Einstein nicht von seinem "gefühlten" Wissen abbringen. Flugs fügte er in seine Weltformel ein korrigierendes Glied ein, die berühmte "kosmologische Konstante" und, siehe da, das Universum verhielt sich wieder stabil. Im Grunde war das ein ziemlich krummer mathematischer Trick, denn seine kosmologische Konstante war nichts anderes als eine Art "Anti-Schwerkraft" und diese hielt (formal) die Newtonsche Schwerkraft in schach. Die Sternenwelt konnte dadurch nicht mehr kontrahieren und kollabieren, sondern schwebte fortan im Faust´schen "ewigen Sphärenlauf" dahin. Einige Jahrzehnte später erkannte Einstein seinen Irrtum und bezeichnete ihn freimütig als "die grösste Eselei meines Lebens."


Heute ist es akzeptiertes Wissen unter den Astrophysikern und Kosmologen, dass das Universum vor etwa 13,7 Milliarden Jahren seinen Anfang nahm - und zwar aus einem winzigen Punkt heraus. Diesen Punkt muss man sich wirklich winzig vorstellen: milliardenfach kleiner als einen Atomkern. Die Mathematiker bezeichnen so etwas Kleines als "Singularität"; ihre Formeln versagen an dieser Stelle. Aus einem solchen Punkt entwickelte sich der gesamte Kosmos mit seinen Billionen an Sternen und Galaxien. Wer den Anstoss dazu gab? Man weiss es nicht. Vielleicht war es ein "Gott"? Für einen Forscher ist das jedoch keine gangbare Hypothese. Er mag als Privatmann an Gott glauben, im wissenschaftlichen Bereich darf er ihn nicht als "deus ex machina" bemühen.


Den Augenblick der Weltentstehung bezeichnet man als "Urknall", im Englischen (mit ironischem Unterton) als "Big Bang". Den Urknall sollte man sich keinesfalls als eine Art Superexplosion in einem schon bestehenden Raum vorstellen. Nein, durch ihn entsteht erst Energie und Materie, der Raum spannt sich auf und die Zeit beginnt zu laufen. Deshalb ist auch die beliebte Frage, was vor dem Urknall gewesen sei, physikalisch unsinnig. Vor dem Urknall war das absolute "Nichts"; es gab weder Raum noch Zeit.


Den Zeitablauf nach dem Urknall stellt man sich in etwa so vor: Mit dem Urknall wurde eine ungeheure Menge an (Strahlen-) Energie entlassen, der Raum blähte sich rasend schnell auf und auf der Zeitskala bildeten sich nacheinander etwa ein halbes Dutzend Ereignisphasen heraus, die zu beschreiben Hundertschaften von Physikern ihr gesamtes Berufsleben widmeten. Die Strahlung E wandelte sich sukzessive in die Materie m um, was nach der Einsteinschen Formel E=mc2 physikalisch zulässig ist.


Über verschiedene Zwischenstufen (Quarks, Hadronen etc.) bildeten sich schliesslich die uns vertrauten Elementarteilchen Protonen, Neutronen und Elektronen, nebst Strahlenteilchen wie Neutrinos und Photonen. Weil der Raum durch die Ausdehnung immer grösser wurde, kühlte sich auch die anfängliche Strahlenenergie immer mehr ab und die genannten Materieteilchen "flockten" gewissermassen aus. (So wie die Regentropfen oder die Schneekristalle aus unterkühlten Wasserdampfwolken ausflocken.) Und nun kommt es: in sage und schreibe einer Zehntel Sekunde nach Beginn des Urknalls waren sämtliche Elementarteilchen gebildet, die man zum späteren Aufbau aller Sterne und Galaxien benötigt. Null-komma-eine Sekunde, das ist gerade mal ein Wimpernschlag. Wow!


Aber das ist noch nicht alles. Zur gleichen Zeit bildeten sich aus der "Ursuppe" auch die 4 Kräfte heraus, mit der wir es in dieser Welt zu tun haben. Zuerst spaltete sich die Gravitationskraft ab. Sie ist die bei weitem schwächste Kraft, aber die wichtigste im Universum, denn sie bestimmt die Bahnen der Sterne und der Galaxien. Danach kam es zur Abspaltung der starken Kernkraft (für die Anziehung der Atomkerne), der schwachen Kernkraft (für den radioaktiven Zerfall) sowie der uns aus dem Alltag vertrauten elektromagnetischen Kraft.



Doch der oben geschilderte Phasenablauf hat noch einige Macken, wovon ich zwei kurz erwähnen möchte. Das Universum wäre nach 0,1 sec nämlich noch recht klein, sofern es sich mit Lichtgeschwindigkeit (300.000 km/sec) aufgespannt hätte. Gerade mal 30.000 km würde es messen, knapp den Umfang unserer Erde. Stattdessen muss es zu diesem Zeitpunkt billiardenfach grösser gewesen sein, denn sonst wäre die Ursuppe noch viel zu heiss für das Auskristallisieren der Elementarteilchen gewesen. Die Physiker behelfen sich, indem sie annehmen, dass sich der Raum kurz nach dem Urknall "inflationär" aufgebläht hat. Innerhalb eines winzigen Zeitraums hat er sich um den gigantischen Faktor von 10 mit 50 Nullen (also 10 hoch 50) ausgedehnt. Das ist durchaus vereinbar mit den Gesetzen der Physik, denn die Lichtgeschwindigkeit ist nur innerhalb des Raumes auf den oben genannten Wert begrenzt, der Raum selbst darf sich sehr viel schneller ausdehnen. Was den Anstoss zu dieser "Phase der Inflation" gab, ist noch nicht ganz geklärt; man spricht von spontaner Symmetriebrechung. Besonders dubios ist, wodurch diese Raumdehnung schliesslich wieder gestoppt werden konnte.


Des weiteren verblüfft die Physiker, wie es überhaupt zur Bildung von Masse kommen konnte. Denn nach ihrem derzeitigen theoretischen Standardmodell hätte sich exakt gleichviel Materie und Antimaterie bilden müssen, also gleichviele positiv und negativ geladene Elementarteilchen. Den Protonen hätten gleichviele Antiprotonen gegenüber stehen müssen, den Elektronen gleichviele Positronen. Diese entgegengesetzt geladenen Teilchen haben die Tendenz sich zu vereinigen und unter Bildung von Strahlenenergie zu "verschwinden" (Annihilation). Wo kommen also die vielen positiv geladenen Protonen und die negativ geladenen Elektronen her, ohne die unser Weltall leer wäre und ohne die es selbstverständlich auch uns Menschen nicht gäbe? Auch diese Frage ist noch nicht endgültig geklärt. Eine erste Antwort darauf hat der russische Physiker und Dissident Andrej Sacharow gegeben. Er brachte eine Hypothese vor, nach der es in einer frühen Phase des Urknalls zu einer leichten Bevorzugung der Materie gegenüber der Antimaterie gekommen ist. Als Folge daraus löschten sich zwar fast alle Teilchen und Antiteilchen aus - aber der Bruchteil von einem Milliardstel blieb übrig und dieser reichte aus, um unser Universum mit Masse zu füllen.


Nach diesen Abschweifungen aber zurück zum Phasenablauf des Urknalls. Wir waren erst beim Zeitpunkt 0,1 sec angelangt; die Elementarteilchen sind gerade gebildet worden. Nun, der Raum dehnte sich weiterhin aus, wenn auch mit weit geringerer Geschwindigkeit als während der Inflationsphase. Und durch die Ausdehnung kühlte er sich ab. Etwa 10 Sekunden nach dem Urknall war er "nur" noch einige Milliarden Grad heiss und eine neue Phase setzte ein: die Fusion. Für die vorher frei umher schwirrenden Protonen und Neutronen war es jetzt kühl genug, sich dauerhaft aneinander zu lagern - unter Abgabe von Energie. Abhängig vom Verhältnis der fusionierenden Protonen und Neutronen bildeten sich verschiedene (leichte) Atomkerne heraus, wobei Helium weit überwog. Da die freien Neutronen nur die kurze Halbwertszeit von 15 Minuten besitzen, verschwanden sie schnell von der Bildfläche und eine Menge (alleinstehender) Protonen blieb übrig, welche die Wasserstoffkerne bildeten.



Diese Phase, welche ungefähr 3 Minuten anhielt, nennen die Fachleute "primordiale Nukleosynthese". Wir Amateure dürfen dazu auch "urzeitliche Atomkernbildung" sagen. In der Bilanz sind am Ende etwa 25 % Helium, 75 % Wasserstoff und geringfügige Spuren einiger leichter Elemente wie Deuterium, Lithium, Beryllium und Bor entstanden. Das genügt für die Bildung einer Sonne, aber eine Erde mit eisenhaltigen Gesteinsbrocken hätte man daraus nicht machen können.



Deshalb gibt es eine Fortsetzung dieses Blogs zum nächsten Wochenende.

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