Sonntag, 11. Mai 2008

Atomreaktoren und Supernovae

Auf den ersten Blick würde man keine Ähnlichkeit zwischen Atomreaktoren und Supernovae vermuten. Aber es gibt sie und das verbindende Element sind die sogenannten Neutronen, also jene ungeladenen Teilchen vom ungefähren Gewicht eines Wasserstoffatoms. Kernreaktoren, welche derzeit etwa ein Drittel unseres elektrischen Stroms erzeugen, wären ohne Neutronen nicht denkbar. Beim Schnellen Brüter, jenem Reaktortyp, der in Kalkar gebaut, aber (aus politischen Gründen) nicht in Betrieb genommen wurde, haben sie sogar eine doppelte Funktion. Zum einen bewirken sie die Spaltung der Brennstoffatome, wodurch Wärme und - im nachgeschalteten Turbogenerator - Strom erzeugt wird. Zum anderen dringen sie in nichtspaltbare Atome, wie abgereichertes Uran, ein und wandeln diese in Brennstoff, z.B. Plutonium, um.

All das hätten die Menschen nicht planen und bauen können, wenn es nicht einige vorlaufende astrophysikalische Vorgänge im Universum gegeben hätte. Begonnen hat es vor knapp 14 Milliarden Jahren mit dem Urknall, jenem "Big Bang", der so anschaulich daher kommt und gleichzeitig so schwer zu begreifen ist. Am Anfang ging alles sehr schnell. Schon nach drei Minuten war die gesamte Masse des Universums entstanden, welche heute noch in den vielen Milliarden Sternen und Galaxien versammelt ist. Aber die Materie bestand damals im wesentlichen nur aus Wasserstoff- und Heliumkernen.

Vermöge der anziehenden Gravitationskraft strukturierte sich dieser Massenebel in einigen Millionen Jahren zu Sternen. In deren Innern kam es zu hohem Druck und Temperatur, wodurch die Kernfusion einsetzte. Immer neue Elemente wurden "gebacken", wie Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff uam. Bei diesen komplexen nuklearen Reaktionen entstanden auch in grosser Zahl Neutronen, die, ähnlich wie beim Schnellen Brüter, neue Elemente über den Brutprozess erzeugen konnten. Dazu lagern sich die Neutronen an schwere Atome (wie Eisen) an , und erhöhen deren Massenzahl, wodurch noch schwerere Atome gebildet werden usf. Insgesamt ist dies ein gemächlicher Prozess, der bei niedrigen Neutronendichten und relativ niedriger Temperatur stattfindet, weswegen er auch als s-Prozess bezeichnet wird (s für eng. slow).

Ab einem gewissen Zeitpunkt sind der Wasserstoff und die übrigen leichte Elemente aufgebraucht und die Fusion kommt zum Stillstand. Das ist der Fall, wenn der Stern praktisch nur noch aus Eisen besteht. Nun kollabiert und explodiert der Stern, wobei sich seine Leuchtkraft auf das Milliardenfache erhöht, sodass er für kurze Zeit, sogar seine Galaxie überstrahlen kann. Zum Schluss reduziert sich der ursprünglich grosse Stern zu einem Weissen Zwerg oder gar zu einem Schwarzen Loch. Im Verlaufe dieses Supernova-Phänomen werden riesige Mengen an Neutronen frei, welche wieder über Neutronenanlagerung die schweren Elemente Blei, Wismut, Uran, Plutonium etc. aufbauen. Wegen der hohen Neutronendichten und Temperaturen spricht man vom r-Prozess (r für engl. rapid). Die Druckwellen schleudern diese neu gebildeten Elemente hinaus in den Weltraum. Dort bilden sie wiederum Sterne und Planeten - wie eben unsere Erde. Auf ihr wäre unser Leben undenkbar ohne diese schweren Elemente.

Aber zurück zu den Kernreaktoren. Im normalen Betrieb wird die Menge der Neutronen dort peinlichst kontrolliert. In jeder Sekunde entstehen nur so viele Neutronen, wie für Spaltung, Brüten usw. benötigt werden. Das entspricht sozusagen dem astrophysikalischen s-Prozess. Bei einem falsch konstruierten Reaktor oder einer nachlässigen Betriebsmannschaft kann es aber zu einem schnell anwachsendem Überschuss an Neutronen kommen, zu einer Art r-Prozess. Es entsteht natürlich beileibe keine Supernova, aber immerhin möglich ist ein Ereignis á la Tschernobyl. Die durch Neutronen erzeugte Spaltwärme kann nicht mehr schnell genug abgeführt werden, es kommt zu einer Überhitzung des Kerns und zu einer Art Explosion mit den bekannten Folgen für die Umwelt.

Zwischen Atomreaktoren und Supernovae mögen von den Begriffen her Welten liegen. Aber im atomaren Ablauf haben sie doch Gemeinsamkeiten, eben die Phänomene des Neutroneneinfangs und der Elementumwandlung. Das war auch der Grund, weshalb eine Physiker-Arbeitsgruppe im Forschungszentrum Karlsruhe gleichermassen erfolgreich hintereinander beim Schnellen Brüter und in der Astrophysik wissenschaftlich tätig werden konnte.

Ein Hoch auf Dr. Käppeler und seine Mannen!

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