Karlsruhe ist nicht reich an repräsentativen Gebäuden. Eines davon, im Stadtzentrum gelegen, ist das "Erbgrossherzogliche Palais", ein Schlossbau mit imperialer Oberlichtkuppel im Stile des Neubarock. Der badische Erbgrossherzog Friedrich liess das Palais 1897 errichten, aber nach der Flucht der adeligen Familie infolge der Novemberrevolution 1918 fiel es an das Land Baden zurück. Es diente fortan als Verwaltungsbau verschiedenen Zwecken, im Dritten Reich war darin der Reichsarbeitsdienst untergebracht. Seit 1950 bildet es das Hauptgebäude des Karlsruher Bundesgerichtshof (BGH).
Dorthin führte mich vorige Woche mein (Rentner-)Spaziergang. Zuerst musste ich das wehrhafte Kontroll- und Wachgebäude überwinden, wo man ähnlich wie auf einem Flughafen, überprüft und durchmustert wird. Aber schliesslich durfte ich doch in das Palais eintreten, in dem sich die Diensträume des Gerichtspräsidenten und vieler Richter befinden. Im Erdgeschoss ist eine 2,40 m hohe, dreieckige Stele aus vergoldetem Messing als Mahnmal für die Opfer der NS-Justiz aufgestellt. Sie trägt die Inschrift "Im Gedenken an die Frauen und Männer, denen im Namen des deutschen Volkes Unrecht geschah. 1933 - 1945". Clever formuliert, wie mir scheint, denn von den urteilenden Richtern ist dabei nicht die Rede.
Beim Besteigen des ausladenden Teppenbaus kam ich an einem Saal vorbei, der am Eingang mit einem Schild versehen war: VII Zivilsenat Bauwerkvertrags -und Architekturrecht. Ein Fernsehteam der ARD brachte eine Kamera in Position, ein halbes Dutzend Menschen, vermutlich Zuhörer, wisperten leise und so suchte ich mir auch einen Platz und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Es dauerte nicht lange und fünf Richter in leuchtend roten Roben zogen feierlich ein und besetzten die Richterbank. Ihnen gegenüber hatten schon kurz vorher zwei Anwälte in eben dieser Bekleidung ihr Pulte bezogen.
Und dann erfuhr ich den Anlass des Verfahrens. Ein Grundstückseigentümer hatte einen Vermessungsingenieur mit der geodätischen Vermessung seines Grundstücks beauftragt. Dem Ingenieur unterlief ein Fehler: nach der Bauausführung stellte man fest, dass Haus und Carport schief arrangiert waren. Schaden 30.000 Euro. Diesen wollte der Auftraggeber vom Auftragnehmer erstattet haben. Aber der Ingenieur weigerte sich. Er brachte vor, dass es sich um eine Schwarzarbeit gehandelt habe, weswegen er nicht zur Gewährleistung verpflichtet sei.
Da der Bundesgerichtshof ein Revisionsgericht ist, gibt es keine Beweisaufnahme mit Zeugen etc. Die Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz werden einfach übernommen. Der BGH prüft in der Regel nur, ob das vorlaufende Landgericht oder Oberlandesgericht rechtlich korrekt geurteilt hat. Dementsprechend gehen die Anwälte - eine kleine, elitäre Gruppe von Juristen, welche von der Bundesjustizministerin eigens bestellt werden - juristisch und rhetorisch sofort in die Vollen. Es wimmelt nur so von Paragrafenzitaten und für den Laien ist das alles nur schwer verständlich. Aber ich hatte Glück. Zum einen war der geschilderte Sachverhalt recht einfach zu verstehen, zum anderen zentrierte sich die Argumentation der Rechtsanwälte auf die beiden Paragrafen 134 und 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Und diese hatte ich noch aus den Zeiten meines BWL-Studiums in dunkler Erinnerung.
Der Anwalt des Klägers, also des Häuslebauers, konzentrierte sich auf § 242, der kurz formuliert, aber sehr weitreichend ist. Er lautet folgendermassen: § 242 Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Es kann nicht sein, so war seine Argumentation, dass ein Handwerker Fehler macht und dann die Gewährleistung verweigert, indem er sich auf Schwarzarbeit herausredet.
Der Anwalt des Beklagten, also des Geometers, rückte den § 134 in den Vordergrund: §134 Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstösst. ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt. Er argumentierte, dasss das Rechtsgeschäft des Vermessungsauftrags ungültig sei, weil die finanzielle Abwicklung nicht legal vereinbart war. Die beiden Vorgerichte, das Landgericht Aachen und das Oberlandesgericht Köln, hatten übrigens die gleiche juristische Meinung und dem Vermessungsingenieur recht gegeben.
Aber der Bundesgerichtshof kippte diese Urteile und verwies den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurück. Der BGH hielt es für treuwidrig im Sinne des § 242, wenn ein Handwerker die Gewährleistung verweigert, indem er auf die "Ohne-Rechnung-Abrede" verweist, an deren Zustandekommen er ja selbst beteiligt war. Immerhin wies der Senatsvorsitzende noch darauf hin, dass das Urteil so ausgefallen sei, weil es sich in diesem Fall nicht um "echte Schwarzarbeiten" illegaler Unternehmer und Handwerker handelte, sondern um Steuerhinderziehungsversuche zugelassener Auftragnehmer, die üblicherweise auf den Gelben Seiten des Telefonbuchs gelistet sind. Ausserdem handle es sich um einen Bauauftrag; die Übertragung des Urteils auf Schwarzarbeit generell sei nicht möglich.
Was lernen wir blutige Laien daraus?
Erstens: Wer jetzt schnell seinen polnischen oder elsässischen Hobbyhandwerker herbeiholt, um die Bäder renovieren zu lassen und das unter "steuerschonenden Preisabsprachen", geht ein hohes Risiko ein. Er sollte sich nicht darauf verlassen, dass ihm der BGH im Falle von Murks zur Gewährleistung verhilft. Eher wird sich das Finanzamt in die weitere Abwicklung einschalten.
Und zweitens: Der Vermessungsingenieur, welcher beim LG und OLG seine Prozesse gewonnen hatte, aber beim BGH verlor, wird sich des ewig gültigen Spruchs erinnern:
"Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand".
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