Mittwoch, 26. März 2008

Osterrätsel ( Die Auflösung )

Die Feiertage sind vorüber. Viele mails habe ich bekommen mit Vorschlägen zur Auflösung meines Osterrätsels. Leider war kein einziger "richtiger" darunter. Niemand kam auf das Phänomen, das mir vorschwebte: die Narkose.

Jawohl, die Narkose - auch Anästhesie genannt - halte ich für die grösste, wichtigste und vorallem nützlichste Entdeckung bzw. Erfindung der Menschheitsgeschichte. Durch Zuführung von Medikamenten wird (kontrolliert) ein Zustand der Bewusstlosigkeit herbeigeführt, in welchem die Empfindung des Schmerzes ausgeschaltet ist und die Muskeln entspannt werden. Vollnarkose und örtliche Betäubung seien der Einfachheit halber der gleichen Kategorie zugeordnet.

Die herausragende Bedeutung der Narkose beruht auf dem Umstand, dass erst sie die moderne Chirurgie möglich gemacht hat. Ohne Anästhesie gäbe es keine zahnärztliche Wurzelbehandlung, keine Blinddarm-, Gallen- oder Magenoperation und auch keine Unfallchirurgie. Ganz einfach deswegen, weil die mit dem notwendigen ärztlichen Eingriff verbundenen Schmerzen von einem modernen Menschen nicht auszuhalten wären.

Früher mag das auf Teilgebieten der ärztlichen Versorgung anders gewesen sein. Den Verwundeten auf den napoleonischen Schlachtfeldern wurden kurzerhand lädierte Beine oder Arme mit der Eisensäge abgetrennt. Französische Ärzte waren für ihre "Geschicklichkeit" berühmt und berüchtigt; sie schafften diese "Operationen" in 20 Sekunden. Der arme Soldat wurde von vier kräftigen Helfern festgehalten und durfte der Schmerzen halber auf ein Stück Holz beissen. Offiziere, gewissermassen die Privatpatienten der damaligen Zeit, bekamen vorher eine Flasche Schnaps eingeflösst.

Im statistischen Mittel kommt jeder Mensch während seines Lebens etwa 5 bis 10 mal in die Lage auf eine Operation angewiesen zu sein. In solchen Situationen wird er sicherlich weder die Relativitätstheorie noch das Automobil für wichtiger halten. Es ist die Anästhesie, welche den heilenden chirurgischen Eingriff erst möglich macht und damit die Lebensqualität und die Lebensdauer - verglichen mit früher - signifikant erhöht.

Die Anästhesie ist eine junge Wissenschaft, etwa 160 Jahre alt. Der Amerikaner Horace Wells, ein Zahnarzt, entdeckte 1845 durch Zufall, dass Lachgas (Stickoxydul) die Schmerzempfindung seiner Patienten stark verminderte und verschaffte sich damit grossen Zulauf. Kurze Zeit danach hatte sein Schüler William Morton ähnliche Erfolge bei der Anwendung von Äther. Bald prozessierten beide vor den höchsten US-Gerichten um die Patentrechte, wurden dabei aber nicht glücklich. Wells tötete sich selbst durch einen Messerstich in die Beinarterie und Morton starb, zermürbt durch die vielen, meist von ihm angezettelten Gerichtsprozesse bereits mit 48 Jahren im Zustand geistiger Auflösung.

Aber die Idee der Schmerzunterdrückung durch Medikamente hatte bereits ihren Siegeszug um den Globus angetreten. In Europa war es vor allem die britische Königin Victoria, welche die Narkose beflügelte. Auf Anregung ihres Prinzgemahls Albert entband 1853 die damals schon 34-jährige ihren vierten Sohn Leopold unter einer Chloroformmaske. Die Nachricht, dass die Geburt schmerzfrei und ohne Komplikationen verlaufen sei, ging wie ein Lauffeuer durch Grossbritannien. Chloroformgeburten "á la reine" wurden bei den Damen der Gesellschaft grosse Mode. In rascher Folge stellten die aufkommenden chemischen Manufakturen weitere schmerzstillende Medikamente bereit und die Ärzte minimierten das Dosierungsrisiko.

Das Jahrhundert der Chirurgie war angebrochen.

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