Würde jemand auf offener Strasse eine Umfrage veranstalten und die Passanten nach dem besten - noch lebenden - deutschen Fussballer befragen, so könnte man das Ergebnis leicht erraten: Franz Beckenbauer, der Kaiser Franz, wäre wohl nicht zu schlagen. Aber was käme heraus, wenn man nach dem besten, gleichfalls noch lebenden deutschen Maler, also bildenden Künstler, fragen würde? Nun, sicherlich ein ziemliches Gedruckse. Viele würden gar nicht antworten können, einige vielleicht zwischen Dürer, Beuys und Baselitz umher irren. Dabei ist die richtige Antwort so einfach: es ist Richter, genauer gesagt Gerhard Richter.
Sie kennen Richter nicht? Das ist ein beträchtliches Manko. Denn Richter ist - nach Meinung der Experten - nicht nur Deutschlands bester Maler, sondern wahrscheinlich der zur Zeit beste auf der ganzen Welt. Wow! Wie kann man solche Anmassungen belegen? Nun, im wesentlichen durch zwei Fakten: Richters Bilder erzielen auf dem Kunstmarkt die höchsten Preise, meistens jenseits einer Million Euro. Neulich übertraf ein Gemälde Richters bei einer Sotheby-Versteigerung in London sogar ein Werk von Raffael - wobei man zugeben muss, dass es nicht Raffaels bestes Stück war. Aber immerhin. Der zweite Masstab sind seine Ausstellungen, insbesondere die Einzelausstellungen. Richter wird eben überall hin eingeladen. Zur Biennale nach Venedig, zur Documenta nach Kassel, zur Moma nach New York, und, und, und.
Derzeit sind Richters Bilder in Baden-Baden zu sehen. Im Museum Frieder Burda, das allein schon immer mal wieder einen Besuch wert ist mit seinen wunderbaren Ansichten, Durchblicken und Ausblicken auf den angrenzenden Park. 57 Werke sind dort versammelt, also etwa 5 % von Richters Gesamtwerk, aber den meisten Epochen entstammend. Und Epochen, oder nennen wir sie Stilrichtungen, gibt es bei Richter jede Menge. So viele, dass man zuerst mal ganz verzweifelt nach der eigentlichen Handschrift des Meisters sucht. Der Laie wird sie kaum entdecken. Gegenständliche Malereien stehen neben abstrakten Farbexplosionen. Fotomalereien und Farbtafeln wechseln sich ab mit beschaulichen Landschaften, Farbschlieren und Schattenbildern. Bei etlichen stellen sich déjà-vu-Erlebnisse ein: verdammt, das hast du doch schon mal bei dem oder jenem Maler gesehen! Richter stört das nicht. Als alle Welt sich dem Abstrakten hin gab, malte er seelenruhig gegenständlich. Zum Beispiel das Schloss Neuschwanstein samt Waldlandschaft. Später, als das Gegenständliche wieder Einzug hielt, wandte er sich der abstrakten Malerei zu. Und kopierte unbefangen manchen seiner Kollegen. Aber: seine Bilder waren immer besser als die Vorlagen. Er setzte gewissermassen noch eins drauf. Richter lehnte es ab, sich auf einen Stil allein festzulegen und damit den Galeristen eine Handschrift zur Wiedererkennung anzubieten. Nein, er ist ein Chamäleon, vielleicht sogar, im Sinne Musils, ein Mann ohne Eigenschaften.
Verlässt man Burdas Museum wieder und betritt die Lichtenthaler Allee, dann bedauert man, dass die angrenzende Kunsthalle sich offensichtlich in einem Dämmerschlaf befindet. Dabei hätte es eine gute Gelegenheit gegeben, auch hier eine "Richter-Ausstellung" zu arrangieren. Denn neben Gerhard Richter gibt es noch einen Ludwig Richter, allerdings schon mehr als hundert Jahre tot. Beide Richters entstammen der Dresdner Schule. Ludwig Richter, ein Zeitgenosse von Caspar David Friedrich, malte auch heute noch sehenswerte Landschaftsbilder, welche man korrespondierend in der Kunsthalle hätte präsentieren können. (Übrigens nicht meine Idee, sondern die meiner Frau Brigitte.)
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